Urteil des BVerwG vom 07.01.2003

Rechtliches Gehör, Gleichheit im Unrecht, Schulpflicht, Öffentliche Schule

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BESCHLUSS
BVerwG 6 B 66.02
VGH 9 S 2441/01
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. Januar 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. B a r d e n h e w e r und die Richter am Bundes-
verwaltungsgericht Dr. G e r h a r d t und
V o r m e i e r
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzu-
lassung der Revision in dem Urteil des Verwal-
tungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom
18. Juni 2002 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerde-
verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das
Beschwerdeverfahren auf 8 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Die von der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensmängel
liegen nicht vor. Die Revision kann daher nicht gemäß § 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen werden.
a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG,
§ 108 Abs. 2 VwGO) verpflichtet das Gericht, das Vorbringen
der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei der Entschei-
dung in Erwägung zu ziehen. Das Gericht ist allerdings nicht
gehalten, sich mit jedem Vorbringen in den Gründen der Ent-
scheidung ausdrücklich zu befassen. Grundsätzlich ist davon
auszugehen, dass ein Gericht den von ihm entgegengenommenen
Vortrag der Beteiligten in seine Erwägungen einbezogen hat.
Nur wenn besondere Umstände den eindeutigen Schluss zulassen,
dass es die Ausführungen eines Beteiligten entweder überhaupt
nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht
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erwogen hat, wird der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt
(stRspr; vgl. Beschluss vom 5. Februar 1999 - BVerwG 9 B
797.98 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 4). Derartige Um-
stände sind nicht gegeben.
aa) Soweit die Beschwerde geltend macht, der Verwaltungsge-
richtshof habe den Vortrag der Kläger zu 1 und 2 übergangen,
ihr Glaube gebiete ihnen die persönliche Unterrichtung ihrer
Kinder, geben sie ihrem Vorbringen in der Berufungsinstanz ei-
ne Deutung, die ihm in der nunmehr vorgetragenen Ausschließ-
lichkeit nicht zu entnehmen ist. Die von der Beschwerde für
den Nachweis einer Verletzung des rechtlichen Gehörs herange-
zogenen Ausführungen in der Berufungsbegründung vom 8. Februar
2002 enthalten nicht die Behauptung einer absoluten religiösen
Verpflichtung der Kläger zu 1 und 2, ihre Kinder selbst zu er-
ziehen. Auf S. 2 des genannten Schriftsatzes heißt es, sie
leiteten aus zahlreichen Aussagen in der Bibel ab, dass es
sich insoweit um eine Verpflichtung vor Gott handele, die
Dritten nicht o h n e w e i t e r e s überlassen werden
könne und schon aus diesem Grund dazu führe, dass sie mit der
häuslichen Schulunterrichtung einen göttlichen Auftrag erfüll-
ten. Die Reichweite des Gebotes, die Kinder persönlich zu er-
ziehen, wird auf S. 22 ebendort dahin umschrieben, konkurrie-
rende Erziehungseinflüsse auszuschließen oder
e i n z u d ä m m e n (Hervorhebungen durch den Senat). We-
gen der in diesem Vorbringen enthaltenen Vorbehalte und Rela-
tivierungen lässt es sich entgegen der Ansicht der Beschwerde
mit der Feststellung des Verwaltungsgerichtshofs in Einklang
bringen, dass die Kläger nichts gegen den Besuch einer Schule
einzuwenden hätten, die ihren inhaltlichen, methodischen und
sozialen Vorstellungen entspräche. Mithin kann ein Verstoß ge-
gen das rechtliche Gehör nicht aus einer Unvereinbarkeit der
Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs mit klägerischem
Vortrag hergeleitet werden.
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Eine Verletzung des Anspruchs der Kläger auf Gewährung des
rechtlichen Gehörs lässt sich aber auch nicht damit begründen,
dass in den Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht erör-
tert wird, warum der Verwaltungsgerichtshof das Berufungsvor-
bringen nicht in dem Sinne aufgefasst hat, den die Beschwerde
ihm nunmehr gibt. Eine solche Erörterung war nicht geboten.
Die Beschwerde trägt nicht vor noch ist ersichtlich, dass die
Kläger zu 1 und 2 im Verwaltungsverfahren oder vor dem Verwal-
tungsgericht eine absolute religiöse Verpflichtung vorgetragen
haben, ihre Kinder selbst zu erziehen. Im erstinstanzlichen
Urteil wird ausgeführt, die Kläger hätten nicht dargelegt,
dass sie durch verbindliche Ge- oder Verbote ihres Glaubens
gehindert wären, der gesetzlichen Schulpflicht zu genügen, und
durch die Erfüllung dieser Pflicht in einen Gewissenskonflikt
gestürzt würden (S. 13 f. des Urteils des Verwaltungsgerichts;
vgl. auch Berufungsurteil S. 8). Die Kläger sind diesen Aus-
führungen in der Berufungsinstanz zwar entgegengetreten, haben
sich dabei aber nicht auf eine absolute religiöse Verpflich-
tung berufen. Soweit sie sich mit dem sie treffenden Gewis-
senskonflikt befassen (vgl. insbesondere S. 21 ff. der Beru-
fungsbegründung; ferner Schriftsatz vom 7. Juni 2002 S. 2,
13 f.), weisen die Ausführungen zur Sache sowie bestimmte Wen-
dungen ("Auf die unmittelbare Unterweisung ihrer Kinder durch
die Eltern legen sie deshalb größten Wert"; "Die Kläger zu 1
und 2 empfinden persönlich eine starke Verpflichtung vor Gott,
ihre Kinder von entsprechenden widergöttlichen Einflüssen
fernzuhalten" ) vielmehr
deutlich in Richtung auf ein zwar gewichtiges, aber nicht un-
ter allen Umständen unverzichtbares religiöses Anliegen. Vor
diesem Hintergrund kann der behauptete Verfahrensverstoß nicht
festgestellt werden, zumal, wie dargelegt, selbst die mit der
Beschwerde aufgegriffenen Kernaussagen der Berufungsbegründung
Vorbehalte und Relativierungen enthalten.
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bb) Die Beschwerde ist der Ansicht, der Verwaltungsgerichtshof
habe das rechtliche Gehör der Kläger ferner im Hinblick auf
ihr Vorbringen verletzt, aus der Vielzahl der einzelnen Kon-
fliktlagen für ihren Glauben folge in der Gesamtsicht ein un-
zumutbarer Gewissenskonflikt, der sich auch durch den Besuch
einer Privatschule nicht ausräumen lasse. Die Beschwerde be-
zieht sich auf ein Vorbringen, das die "Unvereinbarkeit der
klägerischen Erziehungsvorstellungen mit dem staatlichen Un-
terricht an öffentlichen Schulen" (Schriftsatz vom 8. Mai 2001
S. 9 ff.) bzw. die "Unvereinbarkeit zwischen klägerischen Er-
ziehungsvorstellungen und öffentlichem Schulbesuch" (Schrift-
satz vom 8. Februar 2002 S. 15 ff.) betrifft und die Darlegung
einzelner Konfliktfelder mit dem Hinweis abschließt, diesen
und weiteren Konfliktfeldern zwischen der elterlichen Erzie-
hung der Kläger und der durch die öffentliche Schule könne
nicht einzelfallbezogen durch Freistellung vom Unterricht be-
gegnet werden; sie seien grundlegender Natur; auch lasse sich
ihre Auflösung praktisch schon deshalb nicht verwirklichen,
weil die Anschauungen zum Teil so weit auseinander lägen, dass
die Lehrer sensible Bereiche und Spannungsfelder häufig gar
nicht erkennen würden; die Schulbesuchspflicht sei nach alle-
dem insgesamt mit den religiösen Erziehungsvorstellungen der
Kläger zu 1 und 2 unvereinbar.
Ausweislich des Tatbestandes des angefochtenen Urteils hat der
Verwaltungsgerichtshof dieses Vorbringen zur Kenntnis genom-
men. Auf Seite 6 des Berufungsurteils wird das diesbezügliche
Klagevorbringen zusammengefasst referiert. Da das Berufungs-
vorbringen der Kläger mit ihrem erstinstanzlichen Vorbringen
übereinstimmt, bedurfte es keiner gesonderten Erwähnung, son-
dern ist von dem Hinweis auf den wiederholenden Vortrag der
Kläger umfasst (Berufungsurteil S. 9).
Der Verwaltungsgerichtshof hat, was die Beschwerde nicht ver-
kennt, die Glaubenskonflikte der Kläger gewürdigt, die nach
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ihrem Vortrag für sie mit dem Besuch der Grundschule verbunden
sind. Dabei hat er sich sowohl mit Gesichtspunkten befasst,
die den Schulbesuch als ganzen betreffen, als auch mit den von
den Klägern darüber hinaus vorgetragenen einzelnen Konflikt-
feldern. Insbesondere hat er ausgeführt: Das Grundrecht der
Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 GG) vermittle den El-
tern - auch in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 GG - keinen An-
spruch gegenüber dem Staat darauf, dass die Kinder in der
Schule in der gewünschten religiös-weltanschaulichen Form er-
zogen würden; dieses Grundrecht könne aber durch die Ver-
pflichtung der Erziehungsberechtigten beeinträchtigt sein, ih-
re Kinder weltanschaulich-religiösen Einflüssen auszusetzen,
die ihrer Überzeugung widersprächen. Ein solcher Grund-
rechtseingriff sei indes von den Klägern nicht dargetan. Er
ergebe sich nicht daraus, dass im Schulunterricht bei der Ver-
mittlung weltimmanenter Gesetzlichkeiten und wissenschaftlich
gesicherter Erkenntnisse von der Herstellung transzendentaler
Bezüge abgesehen werde. Die Kläger zu 3 und 4 würden auch
nicht dadurch, dass sie im Schulunterricht an Konzentrations-
übungen wie "Mandala-Malen" und "Phantasie-Reisen" teilnehmen
müssten, entgegen Art. 4 GG zur Mitwirkung an kultischen Hand-
lungen eines von ihnen und den Klägern zu 1 und 2 abgelehnten
Glaubens gezwungen. Dasselbe gelte für die Beschäftigung mit
Märchen oder die Verwendung von Märchenfiguren in Schulbü-
chern. Ebenso wenig seien die Kläger zu 1 und 2 bei Durchset-
zung der Schulpflicht der Kläger zu 3 und 4 an der Verwirkli-
chung des von ihnen angeführten religiösen Gebots gehindert,
ihre Kinder vor Schaden zu bewahren. Eine mit dem Schulbesuch
der Kläger zu 3 und 4 verbundene Beeinträchtigung der Glau-
bens- und Gewissensfreiheit hat der Verwaltungsgerichtshof nur
insofern für möglich gehalten, als die Kläger das "Manda-
la-Malen" und phantasierende "Imaginieren" als Handlungen be-
zeichneten, die ihnen aus Glaubensgründen verboten seien. Die
sich hieraus etwa ergebende rechtserhebliche Pflichtenkollisi-
on könne aber allenfalls zu dem Anspruch der Kläger zu 3 und 4
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führen, sich an den in Rede stehenden Konzentrationsübungen im
Schulunterricht nicht beteiligen zu müssen, oder - bei Unzu-
mutbarkeit einer solchen Sonderstellung - dazu, dass die Übun-
gen in ihren Klassen zu unterbleiben hätten. Keinesfalls könne
hieraus ein Anspruch auf Befreiung von der Schulpflicht selbst
hergeleitet werden. Der Verwaltungsgerichtshof hat mithin die
von den Klägern geltend gemachten Glaubenskonflikte im Einzel-
nen am Schutzbereich des Art. 4 GG gemessen und dieses Grund-
recht - wenn überhaupt - nur in einem für die Schulpflicht
nicht bedeutsamen Randbereich für berührt gehalten. In Anbe-
tracht dieses materiellrechtlichen Verständnisses des Verwal-
tungsgerichtshofs von der Reichweite des Art. 4 GG, das der
Würdigung der Verfahrensrüge der Kläger durch das Bundesver-
waltungsgericht zugrunde zu legen ist, bedurften die von der
Beschwerde aufgegriffenen Erwägungen der Kläger zur grundle-
genden Natur der vorgetragenen Konflikte und zu deren Rechts-
folge keiner weiteren Erörterung. Vielmehr liegt auf der Hand,
dass sie vom Rechtsstandpunkt des Verwaltungsgerichtshofs aus
nicht zutreffen. Eine dahin gehende ausdrückliche Äußerung war
nicht geboten.
Der Verwaltungsgerichtshof war aber auch nicht gehalten, auf
das von der Beschwerde herangezogene Vorbringen der Kläger im
Rahmen der Erörterung des § 76 Abs. 1 Satz 2 SchG ausdrücklich
einzugehen. Nach der maßgeblichen Auslegung dieser Vorschrift
durch den Verwaltungsgerichtshof kommt eine Ausnahme von der
Schulpflicht nicht in Frage, wenn sie lediglich wegen der Un-
terrichtsinhalte und Erziehungsziele abgelehnt wird, und zwar
auch dann, wenn dies aus religiösen oder weltanschaulichen
Gründen geschieht. Ferner hält der Verwaltungsgerichtshof eine
Befreiung von der Schulpflicht aus Gewissensgründen oder des-
halb nicht für möglich, weil die Eltern ihr Kind vor den Ein-
flüssen von Mitschülern bewahren wollen. Von daher bedurfte
das erwähnte Vorbringen der Kläger keiner weiteren Erörterung,
weil es erkennbar bereits auf Grund der rechtlichen Darlegun-
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gen eine Ausnahme von der Schulpflicht nicht rechtfertigen
konnte.
Die Beschwerde gibt - ähnlich wie in der Frage der Glaubens-
verpflichtungen der Kläger - ihrem Vortrag in der Berufungsin-
stanz, auf den sie sich zur Begründung eines Verfahrensmangels
berufen, nunmehr eine Bedeutung, die ihm erkennbar nicht zu-
kommt. Die Kläger haben vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht
geltend gemacht, dass für sie die Gesamtsumme der aus dem
Schulbesuch resultierenden Konflikte und Erschwernisse unzu-
mutbar sei (so jetzt zusammenfassend Schriftsatz vom 3. Sep-
tember 2002, vor allem S. 19) und deshalb zwingend zur ange-
strebten Befreiung führen müsse, sondern lediglich die von ih-
nen angenommenen Folgen der Unvereinbarkeit ihrer Erziehungs-
vorstellungen mit denen der öffentlichen Schule resümiert.
b) Der Verwaltungsgerichtshof hat seiner Aufklärungspflicht
(§ 86 Abs. 1 VwGO) Genüge getan. Die diesbezügliche Rüge der
Beschwerde ist, ihre Zulässigkeit unterstellt, unbegründet.
Die Beschwerde ist der Ansicht, der Verwaltungsgerichtshof ha-
be nicht alle vernünftigerweise zu Gebote stehenden Möglich-
keiten einer Aufklärung des für seine Entscheidung im Hinblick
auf die Selbstbindung der Verwaltung (Art. 3 Abs. 1 GG) maß-
geblichen Sachverhalts ausgeschöpft. Dies trifft nicht zu.
Zunächst ist zu berücksichtigen, dass ein Tatsachengericht
seine Aufklärungspflicht grundsätzlich dann nicht verletzt,
wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die eine anwaltlich
vertretene Partei nicht beantragt hat. So liegt es hier. Die
Kläger sind in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungs-
gerichtshof anwaltlich vertreten gewesen, ohne auf ihren frü-
heren Beweisantritt in Gestalt von Beweisanträgen zurückzukom-
men. Dem Verwaltungsgerichtshof musste sich eine Beweiserhe-
bung aber auch nicht auf Grund der Aktenlage aufdrängen. Die
Kläger haben im Schriftsatz vom 8. Februar 2002 als Ver-
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gleichsfälle zwei Familien in Rheinland-Pfalz sowie – unter
Bezeichnung von Beweismitteln - die Familie K. benannt, ohne
indes die näheren Umstände zu bezeichnen, aus denen sich die
Vergleichbarkeit mit ihrer Situation hätte ergeben können. Die
die Familie V. betreffenden Verhältnisse sind bereits zum Ge-
genstand der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts
gemacht worden (vgl. Vermerk vom 11. Juli 2001); es ist nicht
ersichtlich, inwiefern sie weiterer Aufklärung bedurft hätten
(vgl. erstinstanzliches Urteil S. 15). In Bezug auf die Be-
freiung von der Schulpflicht durch das Staatliche Schulamt
Karlsruhe vom 25. Februar 1998 ergibt sich aus den Akten eben-
falls kein Aufklärungsbedarf; dem Schreiben des Oberschulamts
Freiburg vom 5. Mai 1999 ist zu entnehmen, dass dieses von der
Vergleichbarkeit der Fälle ausgegangen ist; in die gleiche
Richtung weist der Umstand, dass das Verwaltungsgericht einen
Anspruch der Kläger insoweit verneint hat, weil es keine
Gleichheit im Unrecht gebe (Urteil S. 15). Im Schriftsatz vom
7. Juni 2002 haben sich die Kläger lediglich wiederholend auf
die vorgenannten Fälle bezogen.
Für das Bestehen einer allgemeinen Verwaltungspraxis in ihrem
Sinne haben die Kläger - über die erwähnten Fälle hinaus -
keine konkreten Hinweise vorgetragen. Die von ihnen dafür mit
Schriftsatz vom 8. Februar 2002 (S. 45) in Anspruch genommene
Formulierung des Schreibens des Oberschulamts Freiburg vom
5. Mai 1999 spricht nicht für, sondern gegen eine solche Ver-
waltungspraxis. Zudem haben die Kläger mit Schriftsatz vom
7. Juni 2002 (S. 13) in den Vordergrund gerückt, dass immer
mehr Fälle bekannt würden, in denen der Beklagte den Heimun-
terricht bibelgläubiger Christen dulde (Soweit die Beschwerde
nunmehr vorträgt, den Klägern sei nicht bekannt, ob Befreiun-
gen oder Duldungen erteilt würden
ber 2002 S. 8>, entspricht dies nicht den im Schriftsatz vom
7. Juni 2002 gemachten Aussagen). Die Äußerungen des Beklagten
deuten durchweg darauf hin, dass die Behörden die Ablehnung
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der Schulpflicht aus religiösen Gründen in der Vergangenheit
allenfalls geduldet haben (Schreiben des Oberschulamts an die
nachgeordneten Schulämter vom 13. Dezember 1999; Vermerk vom
30. Oktober 2000). In Ermangelung sonstiger Hinweise auf eine
allgemeine Verwaltungspraxis der Behörden des Beklagten, in
vergleichbaren Fällen die Befreiung von der Schulpflicht zu
erteilen, war eine weiter gehende Sachverhaltsermittlung durch
den Verwaltungsgerichtshof nicht geboten. Entgegen der sinnge-
mäß vorgetragenen Ansicht der Beschwerde begründet allein der
Umstand, dass naturgemäß in erster Linie die Behörden über die
Verwaltungspraxis und die beschiedenen Anträge in anderen Fäl-
len Auskünfte erteilen können, keine Pflicht des Gerichts zu
einer diesbezüglichen Ausforschung. Dies gilt erst recht, wenn
die Behörde die behauptete Verwaltungspraxis bestreitet und
sich wie hier darauf beruft, dass in dem zu entscheidenden
Fall die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung
einer Ausnahmegenehmigung nicht vorliegen, so dass die behaup-
tete Selbstbindung eine gesetzeswidrige Verwaltungspraxis vor-
aussetzt (vgl. Schriftsatz des Oberschulamts Freiburg vom
19. April 2002).
c) Soweit die Beschwerde im Zusammenhang mit der Aufklärungs-
rüge geltend macht, der Verwaltungsgerichtshof habe den "Über-
zeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO)" verletzt, dürfte
die Rüge in dem Sinne zu verstehen sein, dass der Verwaltungs-
gerichtshof unter Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ent-
schieden habe, obwohl der Sachverhalt noch nicht in der für
die gerichtliche Überzeugungsbildung ausreichenden Weise auf-
geklärt gewesen sei. Die Rüge bleibt ohne Erfolg. Es sind kei-
ne Umstände greifbar, die auf den gerügten Verfahrensverstoß
hindeuten. Der Verwaltungsgerichtshof hat – wie dargelegt, oh-
ne Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht – die
vorliegenden Erkenntnisse als ausreichend für seine Überzeu-
gungsbildung angesehen. Mit der von der Beschwerde aufgegrif-
fenen Wendung "soweit ersichtlich" (Berufungsurteil S. 26)
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soll erkennbar die Reichweite der vorliegenden Erkenntnismit-
tel in Bezug auf die vorgetragenen Vergleichsfälle umschrieben
werden. Aus ihr lässt sich jedoch nicht schließen, dass der
Verwaltungsgerichtshof entschieden hat, obwohl ihm die tat-
sächlichen Grundlagen seiner Entscheidung noch unklar waren.
2. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Die Beschwerde hält die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeut-
sam, ob und unter welchen Voraussetzungen die Grundrechte aus
Art. 4 Abs. 1 und 2 sowie Art. 6 Abs. 2 GG eine Befreiung von
landesrechtlich bestehenden allgemeinen Schulbesuchspflichten
gebieten können, wenn für eine gleichwertige anderweitige Er-
ziehung und Unterrichtung gesorgt ist. Die Beschwerde hat die-
se Frage im Hinblick auf den Beschluss vom 15. November 1991
- BVerwG 6 B 16.91 - (Buchholz 11 Art. 7 Abs. 4 GG Nr. 35 =
NVwZ 1992, 370) sinngemäß auf den Fall eines sich aus einem
strikten religiösen Gebot der Erziehung allein durch die El-
tern ergebenden unausweichbaren Gewissenskonflikts sowie auf
den Fall beschränkt, dass wegen einer Vielzahl einzelner sowie
in der Summe erheblicher Beeinträchtigungen der Glaubens- und
Gewissensfreiheit der Eltern und ihrer Kinder eine Kollisions-
lage besteht, die sich weder innerhalb der öffentlichen Grund-
schulen noch durch das Ausweichen auf Privatschulen auflösen
lässt (Schriftsatz vom 3. September 2002 S. 19; ferner
S. 13 ff., 16 und 18). Diese Frage würde sich in einem Revisi-
onsverfahren jedoch nicht stellen und rechtfertigt deshalb die
Zulassung der Revision nicht.
Der revisionsgerichtlichen Beurteilung unterliegt der von dem
Tatsachengericht festgestellte Sachverhalt, soweit er nicht
mit Revisionsrügen erfolgreich angegriffen worden ist (vgl.
§ 137 Abs. 2 VwGO). Dementsprechend rechtfertigt eine Frage
die Zulassung der Revision nicht, die auf tatsächlichen Vo-
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raussetzungen beruht, die das Berufungsgericht nicht festge-
stellt und die es demgemäß rechtlich nicht gewürdigt hat. Eine
Rechtsfrage, die sich für das Berufungsgericht nicht gestellt
hat, kann grundsätzlich nicht zur Zulassung der Grundsatzrevi-
sion führen (stRspr; vgl. Beschluss vom 29. Juni 1992 - BVerwG
3 B 102.91 - Buchholz 418.04 Heilpraktiker Nr. 17). Anderes
gilt voraussetzungsgemäß, wenn das Berufungsgericht Feststel-
lungen in Anwendung von Rechtssätzen unterlassen hat, die re-
visionsgerichtlicher Klärung bedürfen.
Nach diesen Grundsätzen könnte der Beschwerde zwar nicht das
Fehlen tatrichterlicher Feststellungen dazu entgegengehalten
werden, ob, wie in der von ihr aufgeworfenen Frage vorausge-
setzt wird, für eine gleichwertige anderweitige Erziehung und
Unterrichtung gesorgt ist (Berufungsurteil S. 19 f.). Der Ver-
waltungsgerichtshof könnte entsprechende Feststellungen näm-
lich gerade in Verkennung der - nach Ansicht der Beschwerde
klärungsbedürftigen - Tragweite der Grundrechte der Art. 4
Abs. 1 und 2 und Art. 6 Abs. 2 GG unterlassen haben. Anderes
gilt aber für die weiteren in der aufgeworfenen Frage voraus-
gesetzten Tatsachen. Der Verwaltungsgerichtshof hat, wie dar-
gelegt, verfahrensfehlerfrei und ohne Rücksicht auf materiell-
rechtliche Bindungen festgestellt, dass den Klägern eine Er-
ziehung und Unterrichtung in Gemeinschaft nicht aus Glaubens-
oder Gewissensgründen unmöglich ist, dem Schulbesuch also kein
unausweichbarer Gewissenskonflikt entgegensteht. Davon wäre in
einem Revisionsverfahren auszugehen. Das Revisionsgericht
könnte seiner Entscheidung aber auch nicht zugrunde legen,
dass ein Schulbesuch für die Kläger wegen der Summe der Beein-
trächtigungen unzumutbar ist. Ein derartiger Sachverhalt liegt
nach den vom Verwaltungsgerichtshof getroffenen Feststellungen
nicht vor. Der Verwaltungsgerichtshof hat, wie dargelegt, die
von den Klägern vorgetragenen Glaubenskonflikte im Einzelnen
gewürdigt und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Teilnahme
der Kläger zu 3 und 4 am Schulunterricht nicht, wie von der
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Beschwerde vorausgesetzt, unter einer Vielzahl von Gesichts-
punkten, sondern allenfalls in einem einzigen, sachlich be-
grenzten Teilbereich zu einem rechtserheblichen Konflikt füh-
ren kann, der die Befreiung von der allgemeinen Schulpflicht
nicht rechtfertigt. Auch dabei ist dem Verwaltungsgerichtshof
kein Verfahrensfehler unterlaufen. Die Beschwerde greift zwar
die Würdigung des Verwaltungsgerichtshofs mit umfänglichen
tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen als unrichtig an. Sie
zeigt aber nicht auf, inwiefern diese Würdigung auf eine An-
wendung des materiellen Rechts zurückzuführen sein könnte, die
klärungsbedürftige Fragen aufwirft. Vielmehr lässt sich ihren
Ausführungen lediglich entnehmen, dass sie dem Grundrecht aus
Art. 4 GG mit Blick auf die Umstände des vorliegenden Falles
eine größere Reichweite beimisst, als es der Verwaltungsge-
richtshof getan hat.
3. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 2,
§ 159 Satz 1 VwGO. Die Festsetzung des Werts des Streitgegen-
standes folgt aus § 14 Abs. 1 und 3, § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG in
Verbindung mit § 5 ZPO in entsprechender Anwendung.
Bardenhewer
Gerhardt
Vormeier