Urteil des BVerwG vom 30.05.2012

Einspruch, Anstalten, Hierarchie, Verwaltung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 B 6.12
VGH 1 A 1274/10
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. Mai 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge und Prof. Dr. Hecker
beschlossen:
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Hessischen Verwal-
tungsgerichtshofs vom 4. November 2011 wird zurückge-
wiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerde-
verfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechts-
sache gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt
einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentschei-
dung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Ein-
heit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf (Be-
schluss vom 25. August 2011 - BVerwG 6 B 16.11 - juris Rn. 2; stRspr).
Die Beklagte möchte die aus ihrer Sicht grundsätzlich bedeutsame Frage be-
antwortet wissen, „welche Dienststellenleitung bei selbständigen bundesunmit-
telbaren Körperschaften mit dreistufigem Verwaltungsaufbau gem. § 21 Abs. 3
Satz 1 BGleiG für die Entscheidung über Einsprüche der Gleichstellungsbeauf-
tragten der unteren Verwaltungsebene zuständig ist, die Dienststellenleitung
der mittleren Ebene oder diejenige der obersten Dienstbehörde“? Der Verwal-
tungsgerichtshof hat in dem angefochtenen Beschluss den Standpunkt einge-
nommen, dass der im Streit befindliche Einspruch der Klägerin, einer Gleich-
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stellungsbeauftragten mehrerer Agenturen für Arbeit in Hessen, dem Vorstand
der Bundesagentur für Arbeit und nicht der unmittelbar vorgeschalteten Regio-
naldirektion vorzulegen sei.
Die von der Beklagten aufgeworfene Frage erweist sich nicht als grundsätzlich
bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, weil sie sich ohne Durch-
führung eines Revisionsverfahrens eindeutig im Sinne des Verwaltungsge-
richtshofs beantworten lässt. Nach der Zielsetzung des Revisionszulassungs-
rechts ist Voraussetzung für die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher
Bedeutung, dass der im Rechtsstreit vorhandene Problemgehalt einer Klärung
gerade durch eine höchstrichterliche Entscheidung bedarf. Dies ist dann nicht
der Fall, wenn sich die aufgeworfene Frage mit Hilfe der üblichen Regeln sach-
gerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres klären lässt (vgl. Beschluss
vom 25. August 2011 a.a.O. Rn. 5; stRspr). So liegt es hier:
§ 21 Abs. 3 Satz 1 BGleiG bestimmt im Hinblick auf Einsprüche der Gleichstel-
lungsbeauftragten im Sinne von § 21 Abs. 1 BGleiG: „Hält die Dienststellenlei-
tung den Einspruch für unbegründet, legt sie diesen der nächsthöheren Dienst-
stellenleitung, bei selbständigen bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstal-
ten und Stiftungen deren Vorstand unverzüglich vor“.
Für die Annahme, dass - entgegen diesem unzweideutigen Wortlaut - bei bun-
desunmittelbaren Körperschaften mit mehrstufigem Aufbau wie der Bundes-
agentur für Arbeit (vgl. § 367 Abs. 2 SGB III) Einsprüche der Gleichstellungsbe-
auftragten im Sinne von § 21 Abs. 1 BGleiG nicht dem Vorstand, sondern ledig-
lich der unmittelbar vorgeschalteten Regionaldirektion vorzulegen wären, ist
nichts ersichtlich.
Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ergeben sich keine Belege dafür,
dass der Gesetzgeber zwischen einstufig und mehrstufig aufgebauten bundes-
unmittelbaren Körperschaften hätte differenzieren wollen, und es lediglich in-
folge eines Redaktionsversehens versäumt hätte, dies im Gesetzestext zum
Ausdruck zu bringen. Auch für die Annahme, der Gesetzgeber habe bei Geset-
zeserlass die Existenz mehrstufig aufgebauter Körperschaften übersehen, so
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dass insoweit eine (versteckte) Regelungslücke vorliegen könnte, sind keinerlei
Anhaltspunkte ersichtlich. Bei Erlass des Bundesgleichstellungsgesetzes im
Jahr 2001 (BGBl I S. 3234) verfügte die damalige Bundesanstalt für Arbeit be-
kanntermaßen über einen dreistufigen Aufbau; bei den Novellierungen des Ge-
setzes in den Jahren 2006 (BGBl I S. 1897) und 2009 (BGBl I S. 160) galt so-
dann die noch heute in Kraft befindliche Regelung des § 367 Abs. 2 SGB III.
Auch Sinn und Zweck der Vorschrift gebieten keine ihrem Wortlaut widerspre-
chende Normauslegung. § 21 Abs. 3 Satz 1 BGleiG bezweckt ausweislich der
Begründung des Gesetzentwurfs, dass bei Meinungsverschiedenheiten zwi-
schen Gleichstellungsbeauftragter und Dienststellenleitung über die Begründet-
heit eines Einspruchs ein umfassender verwaltungsinterner Kommunikations-
prozess eingeleitet wird, der der Stellung der Gleichstellungsbeauftragten an-
gemessen ist. Durch die Zuständigkeitsverlagerung soll die Angelegenheit - in-
nerhalb der Hierarchie der Verwaltung - nach außen getragen werden und so
eine begrenzte Öffentlichkeit erlangen. Die Dienststellenleitung soll zur Begrün-
dung ihrer ablehnenden Entscheidung gezwungen sein, mit der sich eine dritte
Stelle auseinandersetzen soll. Zugleich soll dem Interesse an einer einheitli-
chen Handhabung der Gleichstellungsvorschriften im Geschäftsbereich Rech-
nung getragen werden (BTDrucks 14/5679 S. 32). Es ist nicht ersichtlich, dass
diese Ziele dadurch nicht oder auch nur in geringerem Maße erreichbar wären,
dass innerhalb von dreistufig aufgebauten Körperschaften über Einsprüche der
Vorstand und nicht die Mittelebene entscheidet.
2. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Fest-
setzung des Wertes des Streitgegenstands beruht auf § 47 i.V.m. § 52 Abs. 2
GKG.
Neumann
Büge
Prof. Dr. Hecker
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Gleichstellungsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
BGleiG § 21 Abs. 3
Stichworte:
Gleichstellungsrecht; Einspruch der Gleichstellungsbeauftragten; Vorlage des Ein-
spruchs an den Vorstand von bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und
Stiftungen.
Leitsatz:
Die Regelung in § 21 Abs. 3 Satz 1 BGleiG, wonach die Dienststellenleitung
den Einspruch der Gleichstellungsbeauftragten, sofern sie ihn für unbegründet
hält, bei selbständigen bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stif-
tungen deren Vorstand unverzüglich vorlegt, gilt auch für mehrstufig aufgebaute
Körperschaften.
Beschluss des 6. Senats vom 30. Mai 2012 - BVerwG 6 B 6.12
I. VG Frankfurt am Main vom 23.03.2009 - Az.: VG 9 K 3887/08.F(V) -
II. VGH Kassel
vom 04.11.2011 - Az.: VGH 1 A 1274/10 -