Urteil des BVerwG vom 03.06.2002

Rechtliches Gehör, Medizinisches Gutachten, Chondropathia Patellae, Test

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BESCHLUSS
BVerwG 6 B 6.02
VG 6 A 1186/00
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. Juni 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. B a r d e n h e w e r und die Richter am Bundes-
verwaltungsgericht B ü g e und Dr. G r a u l i c h
beschlossen:
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade vom
21. November 2001 wird aufgehoben.
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Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung
und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zu-
rückverwiesen.
Der Entscheidung über die Kosten bleibt der
Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das
Beschwerdeverfahren auf 4 090 € (entspricht
8 000 DM) festgesetzt.
G r ü n d e :
Die allein auf die Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO)
gestützte Beschwerde ist - jedenfalls hinsichtlich des geltend
gemachten Aufklärungsmangels - begründet (1.). Das Urteil ist
daher aufzuheben und die Sache an das Verwaltungsgericht zu-
rückzuverweisen (2.).
1. Die Aufklärungsrüge ist begründet (a), während die Ent-
scheidung über die gerügten Gehörsverstöße als nicht mehr er-
heblich dahingestellt bleibt (b).
a) Ein Aufklärungsmangel (§ 86 Abs. 1 VwGO) des Urteils liegt
sowohl in der Befassung mit einer etwaigen Wespen- bzw. Insek-
tengiftallergie des Klägers (aa) als auch in der Art und Weise
der Berücksichtigung eines Schadens an seinen Kniegelenken
(bb).
aa) Das Verwaltungsgericht hat seine Aufklärungspflicht da-
durch verletzt, dass es zum Vorliegen einer Wespen- bzw. In-
sektenallergie des Klägers kein Sachverständigengutachten ein-
geholt hat.
Der Kläger ist der Ansicht, dem Verwaltungsgericht hätte sich
bei der Beurteilung seiner Wehrtauglichkeit (§ 8 a WPflG) die
Einholung eines Gutachtens zu der Frage aufdrängen müssen, in
welcher Weise unter Heranziehung welcher Methode eine Wespen-
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bzw. Insektengiftallergie zuverlässig diagnostiziert wird, und
weiter dazu, ob er nach der insoweit maßgeblichen Methode an
einer entsprechenden allergischen Erkrankung leide. Ohne fach-
kundige Hilfe habe das Verwaltungsgericht nicht davon ausgehen
dürfen, dass dies nicht der Fall sei. Er habe das Vorliegen
einer entsprechenden allergischen Erkrankung substantiiert,
d.h. durch mehrere Stellungnahmen eines Sachverständigen un-
termauert, vorgetragen. Für die vom Verwaltungsgericht hin-
sichtlich der dargelegten Insektengiftallergie angestellten
Überlegungen habe dem Gericht jedwede eigene Sachkunde ge-
fehlt. Es habe vielmehr ein nach der Rechtsprechung des Bun-
desverwaltungsgerichts zur weiteren Aufklärung zwingender Dis-
sens zwischen den befragten Ärzten vorgelegen. Diese Rüge ist
begründet.
Besteht zwischen einem im Musterungsverfahren eingeholten ge-
bietsärztlichen Befundbericht und einem vom Wehrpflichtigen
danach vorgelegten fachärztlichen Gutachten ein für die Beur-
teilung der Tauglichkeit erheblicher Dissens, so hat das Ver-
waltungsgericht in Ermangelung eigener wehrmedizinischer Sach-
kunde Sachverständigenbeweis zu erheben (vgl. Beschluss vom
18. Dezember 1998 - BVerwG 6 B 108.98 - Buchholz 448.0 § 8 a
WPflG Nr. 64 S. 11 m.w.N.). Ein vergleichbarer Fall liegt hier
vor. Das Verwaltungsgericht hätte ein zusätzliches Gutachten
einholen müssen, weil die von der Kläger- und der Beklagten-
seite vorgelegten Äußerungen von Sachverständigen einander wi-
dersprachen und eine Entscheidung zwischen diesen Äußerungen
die Sachkunde des Gerichts überstieg.
Das vom Kläger im Verlaufe des Widerspruchsverfahrens vorge-
legte dermatologisch-allergologische Gutachten von Dr. St. vom
14. September 1999 kommt auf der Grundlage einer RAST-Testung
(Radio-Allergo-Sorbent-Test) zu dem Ergebnis, es liege beim
Kläger eine hochgradige Sensibilisierung auf Bienen- und Wes-
pengift, nämlich Klasse 2, vor. Dies bedeute eine erhebliche
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gesundheitliche Gefährdung. Nach Bienen- und Wespenstichen be-
stehe unmittelbar die Gefahr eines anaphylaktischen Schocks.
Daraus ergäben sich entscheidende Konsequenzen für den Kläger.
Alle Wehrübungen im Freien während der Insektenflugperiode
stellten grundsätzlich ein schweres gesundheitliches Risiko
dar (Gesundheitsakte Bl. 58 ff.).
Der ärztliche Dienst der Wehrbereichsverwaltung II kam demge-
genüber in Stellungnahmen vom 9. Mai 2000 (Gesundheitsakte
Bl. 60 ff.) und vom 5. Juni 2000 (Gesundheitsakte Bl. 62 ff.
nach Rücksprache mit dem Leiter der Fachabteilung Dermatolo-
gie/Allergologie des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg, wo der
Kläger ausweislich des Berichts vom 21. Februar 2000 bereits
zuvor fachärztlich untersucht worden war) zur Einschätzung,
das "RAST-Klassenergebnis 2 für Biene und Wespe" entspreche
einem mäßigen Ausmaß an Sensibilisierung. Das Testergebnis
entbehre einer klinischen Relevanz. Nach neuen medizinischen
Erkenntnissen sei die Aussagekraft einer RAST-Klassenbe-
stimmung für Insektengift nur als sehr gering anzusehen, wobei
eine eindeutigere Aussage durch Endpunkttitration oder einen
CAST-Elisa-Test erlangt werden könne.
Dem widersprach Dr. St. im gerichtlichen Verfahren eingereich-
ten ergänzenden Gutachten vom 21. Februar 2001 sowohl hin-
sichtlich des Ergebnisses der Gefährdungseinschätzung als auch
hinsichtlich der Maßgeblichkeit der vorgenannten Testmethoden.
Er hielt es für fahrlässig, den Kläger an Wehrübungen im Frei-
en teilnehmen zu lassen. Der vom Beklagten genannte CAST-
Elisa-Test sei in der Aussagefähigkeit nicht überlegen. Er ha-
be sich bei einer vergleichenden Untersuchung sogar als unter-
legen erwiesen. Zum Beleg war ein Auszug aus der Schweizeri-
schen Medizinischen Wochenschrift vom 7. Januar 1997 beigefügt
(VG-Akte Bl. 44 ff.).
Die Beklagte hat dazu eine Stellungnahme der Abteilung Derma-
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tologie und Venerologie beim Bundeswehrkrankenhaus Hamburg,
Flottenarzt Dr. R., vom 6. April 2001, eingeholt. Darin wird
u.a. ausgeführt, das Gutachten von Dr. St. mache keinerlei An-
gaben zur Anamnese des Klägers hinsichtlich des möglichen Vor-
liegens einer klinisch relevanten Hymenopterengiftallergie.
Insbesondere fehlten Hinweise über Art und Schwere der Reakti-
onen, den zeitlichen Zusammenhang mit dem Stichereignis und
über die Art des Insekts; insofern sei ein entscheidend wich-
tiges Kriterium einer dem derzeitigen Wissensstand entspre-
chenden Allergiediagnostik nicht beachtet worden. Im Gutachten
von Dr. St. seien an wesentlichen Parametern für eine Hymenop-
terengiftallergie weder eine eindeutige Anamnese noch ein po-
sitiver Hauttest (Titrationsdiagnostik) durchgeführt worden.
Ohne die beiden vorgenannten Parameter sei die Durchführung
eines CAST-Elisa-Testes nicht angebracht. Die Diagnose "Hyme-
nopterenallergie" könne aus dem alleinigen Vorliegen der RAST-
Testung nicht gestellt werden (VG-Akte Bl. 56 ff.).
Nach den Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil hat für die
Beklagtenseite Medizinalrat N. in der mündlichen Verhandlung
in diesem Sinne dargelegt, der RAST-Test allein belege nur,
dass der Kläger irgendwann von der Biene und/oder Wespe gesto-
chen worden sein müsse. Ob jedoch eine Insektengiftallergie
vorliege, sei ausschließlich von der Reaktionslage des Körpers
abhängig. Insoweit habe der Kläger aber allergische Reaktionen
substantiiert weder im gerichtlichen Verfahren noch anlässlich
der einzelnen Untersuchungen behauptet (Urteil S. 13).
Das verwaltungsgerichtliche Urteil ist tragend auf die Begrün-
dung gestützt, ein offenkundiger Dissens in den vorliegenden
ärztlichen Aussagen lasse sich nicht feststellen, denn der
fachärztlichen Stellungnahme des Dr. St. sei nicht nachvoll-
ziehbar zu entnehmen, dass die Diagnose methodisch korrekt zu-
stande gekommen sei. Im Übrigen lasse sich weder der ergänzen-
den Stellungnahme von Dr. St. vom 21. Februar 2001 noch dem
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seinerzeit beigefügten Artikel aus der Schweizerischen Medizi-
nischen Wochenschrift entnehmen, dass der RAST-Test über die
Aussage eines Kontakts mit dem Insektengift hinausgehe und
zwangsläufig für sich allein zu einer Diagnose "Insektenaller-
gie" führe.
Damit hat das Verwaltungsgericht seine eigene Fachkunde über-
spannt. Die im Urteil getroffene Einschätzung vom begrenzten
Aussagewert des Gutachtens von Dr. St. beruht auf methodischen
Erwägungen, die im Wesentlichen vom Bundeswehrkrankenhaus
Hamburg sowie vom Ärztlichen Dienst der Beklagten vorgebracht
worden sind. Der Kläger ist der fachlichen Stellungnahme des
Bundeswehrkrankenhauses Hamburg vom 6. April 2001 und den
mündlichen Ausführungen von Medizinalrat N. bis zur Urteils-
verkündung zwar nicht nochmals entgegengetreten. Dennoch muss-
te sich dem Verwaltungsgericht von Amts wegen die Einholung
eines zusätzlichen Gutachtens über die Beachtlichkeit der In-
sekten- und Wespenallergie des Klägers aufdrängen. Denn im
Zeitpunkt seiner Entscheidung lag eine fachliche Meinungsver-
schiedenheit zwischen den vom Kläger einerseits und der Be-
klagten andererseits eingeschalteten Fachärzten vor, der nur
durch einen vom Gericht ausgewählten, mit wehrmedizinischer
Sachkunde ausgestatteten "neutralen" Sachverständigen aufge-
löst werden konnte. Dies gilt auch in Anbetracht des Umstan-
des, dass die Beklagte sich des ärztlichen Personals eines
Bundeswehrkrankenhauses bedient hatte, weil das Verwaltungsge-
richt diesem Personal nicht ohne weiteres eine größere Sach-
kunde zusprechen darf als einem vom Wehrpflichtigen einge-
schalteten privaten Facharzt, solange es dessen gutachterli-
cher Äußerung nicht offensichtlich an fachlicher Substanz und
Plausibilität mangelt. Letzeres kann hier nicht angenommen
werden.
Einer dementsprechenden Beweisaufnahme konnte sich das Verwal-
tungsgericht nicht in der Erwägung entziehen, der Kläger habe
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nicht erklärt, dass er sich einer im Rahmen einer gerichtli-
chen Beweisaufnahme angeordneten allergologischen Untersuchung
uneingeschränkt unterziehen wolle. Es gibt keine greifbaren
Anhaltspunkte für die Annahme, dass die effektive Aufklärung
des streiterheblichen Sachverhaltes im Rahmen einer gericht-
lich angeordneten Beweisaufnahme an der fehlenden Mitwirkung
des Klägers scheitern wird. Seine Erklärung im Schriftsatz vom
27. Februar 2001 spricht eher dagegen. Dass er sich in frühe-
ren Schreiben nicht mit allen Untersuchungsmethoden einver-
standen erklärt hat (vgl. das Schreiben der Beklagten vom
31. Januar 2001), bedeutet nicht, dass er sich nicht an den
vom gerichtlichen Sachverständigen für notwendig gehaltenen
Untersuchungsverfahren beteiligt, die ein eindeutiges Beweis-
ergebnis zu erbringen vermögen. Der Kläger hat durch sein Ver-
halten daher nicht solche Zweifel an dem Erfolg einer Beweis-
aufnahme hervorgerufen, die das Gericht berechtigen, davon
ganz abzusehen (vgl. Beschluss vom 18. Dezember 1998, a.a.O.,
S. 12 f.).
bb) Zu Recht macht der Kläger auch insoweit einen Aufklärungs-
mangel (§ 86 Abs. 1 VwGO) geltend, als das Verwaltungsgericht
ohne Sachverständigengutachten die Auswirkungen der Kniege-
lenkschäden auf seine Wehrdienstfähigkeit beurteilt hat.
Der Kläger führt hierzu aus, in dem Gutachten des orthopädi-
schen Sachverständigen Dr. M. vom 26. August 1999 sei ihm eine
deutliche Einschränkung der Belastbarkeit seiner Kniegelenke
bescheinigt worden. Der Sachverständige sei zu dem Ergebnis
gekommen, dass bei ihm ein Lumbalsyndrom, eine Coxalgie bei
beidseits eingeschränkter Beugefunktion und eine chondropathia
patellae linksbetont mit Praearthrosezeichen zumindest links
vorlägen. Der Sachverständige sei weiter zu dem Ergebnis ge-
kommen, dass sowohl die Hüftgelenke als auch die Kniegelenke
in ihrer Belastbarkeit auf Dauer eingeschränkt seien. Stauch-
belastungen, Hebebelastungen, insbesondere aus der Hocke he-
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raus, sollten unbedingt vermieden werden.
Der Ärztliche Dienst der Wehrbereichsverwaltung II ist dem in
seiner Stellungnahme vom 4. April 2000 hinsichtlich der Knie-
gelenke gefolgt, im Übrigen aber ohne Begründung davon ausge-
gangen, dass der sich daraus ergebenden Belastbarkeitsein-
schränkung durch die Gradation IV der Fehlernummer 59 der ZDv
46/1 "ausreichend Rechnung" getragen worden sei. Hinsichtlich
der Hüftgelenke ist der Ärztliche Dienst der Beklagten davon
ausgegangen, dass aus den Befunden keine wesentliche Ein-
schränkung abzuleiten und deshalb die Gradation III der Feh-
lernummer 42 der ZDv 46/1 als ausreichend anzusehen sei.
Auf dieser Grundlage konnte das Verwaltungsgericht nicht ohne
Verletzung seiner Aufklärungspflicht davon ausgehen, dass der
Zustand der Kniegelenke wehrmedizinisch zutreffend eingestuft
worden war. Die Beklagte hat - der Beurteilung ihres Ärztli-
chen Dienstes folgend - die Gesundheitsbeeinträchtigungen des
Klägers im Kniebereich mit der Fehlernummer 59/Gradation III
bewertet. Das Verwaltungsgericht hat diese Tauglichkeitsbeur-
teilung gebilligt, ohne zuvor ein medizinisches Sachverständi-
gengutachten einzuholen. Hierzu war es jedoch nicht berech-
tigt, weil die ZDv 46/1 bei der Fehlernummer 59 ab der Grada-
tion III eine orthopädische Untersuchung vorsieht. Nach der
ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl.
Beschluss vom 18. Dezember 1998 - BVerwG 6 B 108.98 - Buchholz
448.0 § 8 a WPflG Nr. 64 m.w.N.) ist die Zuordnung ärztlich
festgestellter körperlicher Fehler oder Leiden zu den Fehler-
nummern und Gradationen der Tauglichkeitsbestimmungen der
ZDv 46/1 dann nicht ohne besondere medizinische Sachkunde mög-
lich, wenn in dem zu beurteilenden Einzelfall aufgrund des In-
halts der vorhandenen ärztlichen Atteste und Stellungnahmen
sowie der medizinischen Erfahrungssätze der ZDv 46/1 Anlass zu
Abgrenzungszweifeln besteht, die ohne fachkundige Erläuterung
nicht ausgeräumt werden können; das trifft insbesondere in
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Fällen zu, in denen - wie hier - nach der sachkundigen Ein-
schätzung der wehrmedizinischen Verfasser der ZDv 46/1 eine
gebietsärztliche Untersuchung des Wehrpflichtigen erforderlich
oder angezeigt ist (vgl. Beschluss vom 17. Januar 1995
- BVerwG 8 B 149.94 - Buchholz 448.0 § 8 a WPflG Nr. 56
m.w.N.). In solchen Fällen muss das Tatsachengericht in Erman-
gelung der erforderlichen eigenen besonderen Sachkunde ge-
richtlichen Sachverständigenbeweis erheben, um den entschei-
dungserheblichen Sachverhalt pflichtgemäß vollständig aufzu-
klären. Da auch die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ab-
gegebene ergänzende Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes der
Wehrbereichsverwaltung ein tatrichterlich nachvollziehbares
und eigenverantwortlich überprüfbares medizinisches Gutachten
nicht ersetzen konnte, durfte das Verwaltungsgericht auf die
Einholung eines solchen Gutachtens nicht verzichten. Solches
war hier schließlich nicht deswegen entbehrlich, weil die vom
Ärztlichen Dienst der Beklagten vorgenommene Einordnung über
jeden Zweifel erhaben war. Immerhin attestiert Dr. M. eine
dauerhafte deutliche Einschränkung der Belastbarkeit für die
Kniegelenke, deren Nichtberücksichtigung während des Grund-
wehrdienstes zu vorzeitigen Knorpelschäden führen könne (Gut-
achten vom 26. August 1999 S. 6).
b) Eine Verletzung seines Rechts auf rechtliches Gehör (§ 108
Abs. 2 VwGO) sieht der Kläger darin, dass das Verwaltungsge-
richt vorgetragene gesundheitliche Beschränkungen nicht zur
Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung nicht berück-
sichtigt habe. So seien im Gutachten von Dr. St. vom 25. Au-
gust 1999 über die erörterten Befunde hinaus eine Neurodermi-
tis, eine Nahrungsmittelallergie sowie eine Kontaktallergie
auf Nickel und Kobalt bestätigt worden. Daraus sei vom Sach-
verständigen abgeleitet worden, dass dem Kläger die Teilnahme
an der Truppenverpflegung sowie das Reinigen der Unterkunft
nicht zumutbar seien. Schließlich habe Dr. M. im Gutachten vom
26. August 1999 ausdrücklich und substantiiert auf eine einge-
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schränkte Belastbarkeit der Hüfte des Klägers hingewiesen; die
Beklagte habe dies lediglich pauschal in Abrede gestellt. Das
Verwaltungsgericht habe sich zu diesen Einschränkungen mit
keinem Wort geäußert, so dass davon auszugehen sei, dass die
Einschränkungen schlicht übersehen worden seien.
Der Senat lässt diesen Teil der Beschwerdebegründung unbe-
schieden, denn nach dem Erfolg der Aufklärungsrüge wird dem
Kläger rechtliches Gehör im Verfahren nach Zurückverweisung
(2.) zu gewähren sein.
2. Der Senat macht im Interesse der Verfahrensbeschleunigung
von der ihm in § 133 Abs. 6 VwGO eingeräumten Möglichkeit Ge-
brauch, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur
anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungs-
gericht zurückzuverweisen.
3. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren
beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 GKG, § 13 Abs. 1 Satz 2
GKG a.F., § 73 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Bardenhewer Büge Graulich
Sachgebiet:
BVerwGE: nein
Wehrrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
WPflG § 8 a
VwGO § 86 Abs. 1, § 132 Abs. 2 Nr. 3, § 133 Abs. 6
Stichworte:
Musterungsverfahren; Tauglichkeit; fachärztliches Gutachten;
wehrmedizinische Sachkunde; Parteigutachten; Bundeswehrkran-
kenhaus; Dissens.
Leitsatz:
Im verwaltungsgerichtlichen Streit über einen Musterungsbe-
scheid kann das Gericht einen wehrmedizinischen Dissens zwi-
schen den Prozessbeteiligten auch dann nicht ohne weiteres oh-
ne eine gerichtliche Beweisaufnahme auflösen, wenn sich die
Wehrverwaltung zur Beurteilung der Wehrdienstfähigkeit des
ärztlichen Personals an einem Bundeswehrkrankenhaus bedient
hat.
Beschluss des 6. Senats vom 3. Juni 2002 - BVerwG 6 B 6.02
I. VG Stade vom 21.11.2001 - Az.: VG 6 A 1186/00 -