Urteil des BVerwG vom 04.03.2015

Öffentlich, Verbreitung, Klagebegehren, Kontrahierungszwang

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 B 58.14
OVG 2 E 10685/14
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. März 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz und Prof. Dr. Hecker
beschlossen:
Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-
Pfalz vom 3. November 2014 wird aufgehoben, soweit das
Oberverwaltungsgericht den Verwaltungsrechtsweg für
unzulässig erklärt hat. Die Beschwerde des Beklagten ge-
gen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Mainz vom
14. Juli 2014 wird auch insoweit zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
G r ü n d e :
I
Die Klägerinnen wenden sich mit der weiteren Beschwerde gegen die teilweise
Verweisung ihrer Klage an das Landgericht.
Die Klägerinnen betreiben regionale Breitbandkabelnetze; der Beklagte ist eine
Rundfunkanstalt des öffentlichen Rechts. Die Klägerinnen sind gesetzlich ver-
pflichtet, Fernseh- und Hörfunkprogramme der öffentlich-rechtlichen Rundfunk-
anstalten über ihre Kabelnetze zu verbreiten (Programme mit sog. Must-Carry-
Status). Hierfür speisen sie die ausgestrahlten Programmsignale in ihre Kabel-
netze ein. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zahlten den Klägerinnen
für deren Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Einspeisung ein vertrag-
lich vereinbartes Entgelt, bis sie den Vertrag zum 31. Dezember 2012 kündig-
ten. Die Klägerinnen haben bislang erfolglos im ordentlichen Rechtsweg Klagen
mit dem Ziel erhoben, das Fortbestehen des Vertrags festzustellen.
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Die Klägerinnen haben vor dem Verwaltungsgericht Klage mit den Anträgen
erhoben, festzustellen, dass der Beklagte zum Abschluss eines Vertrags über
die entgeltliche Verbreitung seines Programms über ihre Netze verpflichtet ist,
sowie festzustellen, dass sie bis zum Abschluss eines solchen Vertrags nicht
zur Einspeisung und Verbreitung der Programme mit Must-Carry-Status ver-
pflichtet sind.
Das Verwaltungsgericht hat den Verwaltungsrechtsweg für zulässig erklärt. Auf
die Beschwerde des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht den Rechts-
streit hinsichtlich des ersten Klageantrags an das Landgericht verwiesen; hin-
sichtlich des zweiten Klageantrags hat es die Beschwerde zurückgewiesen.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Verweisung im Wesentlichen wie folgt be-
gründet:
Der erste Klageantrag sei darauf gerichtet, ein zivilrechtliches Vertragsverhält-
nis fortzusetzen oder erneut zu begründen. Zwar seien die Regelungen des
Rundfunkstaatsvertrags und der Landesmediengesetze über Inhalt und Reich-
weite des Must-Carry-Status öffentlich-rechtlicher Programme öffentlich-
rechtlicher Natur. Der mit dem ersten Klageantrag geltend gemachte Kontrahie-
rungszwang könne sich aber nicht aus diesen Regelungen, sondern in erster
Linie aus Regelungen des bürgerlichen Rechts, nämlich aus §§ 138, 242, 315
und § 826 BGB, ergeben.
Mit der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen weiteren Beschwerde tra-
gen die Klägerinnen vor, der Verwaltungsrechtsweg für den ersten Klageantrag
sei schon deshalb eröffnet, weil ihre Rechtsauffassung, die öffentlich-
rechtlichen Vorschriften über den Must-Carry-Status öffentlich-rechtlicher Pro-
gramme räumten den Kabelnetzbetreibern einen Anspruch auf Entgelt für die
Verbreitung ein, jedenfalls nicht unhaltbar sei.
Der Beklagte verteidigt die angefochtene Verweisung. Er trägt vor, die öffent-
lich-rechtliche Verbreitungspflicht bestehe nicht gegenüber den Rundfunkan-
stalten, sondern wirke sich nur als Rechtsreflex zu ihren Gunsten aus.
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II
Die nach § 152 Abs. 1 VwGO, § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG zulässige weitere Be-
schwerde der Klägerinnen ist begründet. Das Oberverwaltungsgericht hat den
Rechtsstreit zu Unrecht teilweise an das Landgericht verwiesen.
Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art im Sinne
von § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegt auch insoweit vor, als die Klägerinnen mit
dem ersten Klageantrag die Pflicht des Beklagten festgestellt wissen wollen, mit
ihnen ein Entgelt für die Verbreitung seiner Programme mit Must-Carry-Status
zu vereinbaren. Da diese Streitigkeit keiner anderen Gerichtsbarkeit zugewie-
sen ist, ist hierfür der Verwaltungsrechtsweg gegeben.
1. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO
ist anzunehmen, wenn der Kläger aus dem vorgetragenen Sachverhalt Rechts-
folgen aus Rechtsnormen des öffentlichen Rechts herleitet. Öffentlich-rechtliche
Normen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie nur auf Rechtsbeziehungen
zwischen Privaten und öffentlich-rechtlich organisierten Trägern, insbesondere
Trägern der Staatsverwaltung, Anwendung finden können. Sie müssen aus-
schließlich einen derartigen Träger berechtigen oder verpflichten (stRspr; vgl.
BVerwG, Beschlüsse vom 15. Dezember 1992 - 5 B 144.91 - NVwZ 1993, 358
<359>; vom 2. Mai 2007 - 6 B 10.07 - BVerwGE 129, 9 Rn. 4 und vom 12. April
2013 - 9 B 37.12 - NJW 2013, 2298 Rn. 6).
Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG entscheidet das Gericht des zulässigen Rechts-
wegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten.
Daraus folgt, dass der von den Klägerinnen nunmehr beschrittene Verwaltungs-
rechtsweg schon dann zulässig ist, wenn sich nicht offensichtlich, d.h. nach je-
der rechtlichen Betrachtungsweise, ausschließen lässt, dass das Klagebegeh-
ren auf eine Anspruchsgrundlage gestützt werden kann, für die dieser Rechts-
weg eröffnet ist (BVerwG, Beschluss vom 15. Dezember 1992 - 5 B 144.91 -
NVwZ 1993, 358 <359>).
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Die Regelung des § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG bringt es zwangsläufig mit sich, dass
für ein Klagebegehren mehrere Rechtswege eröffnet und damit mehrere Ge-
richtsbarkeiten zuständig sein können. Hat der Kläger einen zulässigen
Rechtsweg beschritten, kann er das Klagebegehren während der Rechtshän-
gigkeit in diesem Rechtsweg nicht anderweitig gerichtlich verfolgen (§ 17 Abs. 1
Satz 2 GVG). Ruft er ein anderes Gericht an, für das ebenfalls eine Rechtsweg-
zuständigkeit besteht, muss dieses Gericht die Klage als unzulässig abweisen.
Eine Rechtswegverweisung nach § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG ist ausgeschlossen
(vgl. VGH München, Beschluss vom 6. Oktober 2014 - 7 C 14.1372 - Rn. 8;
OVG Hamburg, Beschluss vom 8. Oktober 2014 - 4 So 62/14 - BA S. 7; OVG
Münster, Beschluss vom 28. Oktober 2014 - 13 E 827/14 - BA S. 5).
2. Die Pflicht der Kabelnetzbetreiber zur digitalen Verbreitung der Fernseh- und
Hörfunkprogramme der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten folgt aus § 52b
Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) des Rundfunkstaatsvertrags vom 31. August 1991 in der
Fassung vom 15. Dezember 2010 - RStV -. Nach § 52d Satz 2 RStV hat die
Verbreitung zu angemessenen Bedingungen zu erfolgen. Die Mediengesetze
der Länder enthalten eine inhaltsgleiche Pflicht für die analoge Verbreitung.
Die gesetzlichen Verbreitungspflichten tragen dem Umstand Rechnung, dass
rund die Hälfte der Zuschauer bzw. Zuhörer Rundfunkprogramme über Kabel-
netze empfängt (vgl. nur OLG Düsseldorf, Urteil vom 21. Mai 2014 - VI-U (Kart)
16/13 - UA S. 14). Diese Pflichten sind daher erforderlich, um sicherzustellen,
dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten den ihnen nach Art. 5 Abs. 1
Satz 2 GG, § 11 RStV obliegenden Versorgungsauftrag erfüllen können. Dieser
Auftrag umfasst die Herstellung und Verbreitung von Rundfunkprogrammen für
Information, Kultur und Unterhaltung mit dem Ziel, die in der Gesellschaft ver-
fügbare Vielfalt der Meinungen möglichst breit und vollständig abzubilden
(BVerfG, Urteile vom 11. September 2007 - 1 BvR 2270/05 u.a. - BVerfGE 119,
181 <214, 218> und vom 25. März 2014 - 1 BvF 1/11, 1 BvF 4/11 - NVwZ 2014,
867 Rn. 35 f.).
Die Herstellung und Verbreitung von Rundfunkprogrammen, die in ihrer Ge-
samtheit an dem Gebot der Vielfaltsicherung orientiert sind, stellt eine staatliche
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Aufgabe dar, die die hierfür verantwortlichen Länder wegen des verfassungs-
rechtlichen Gebots der Staatsferne des Rundfunks nicht unmittelbar erfüllen
können. Aufgrund der Zuordnung des der Vielfalt verpflichteten Rundfunks zum
Bereich der mittelbaren Staatsverwaltung und seiner Organisation in Form von
Anstalten des öffentlichen Rechts haben die Sendetätigkeit und die Normen, die
sich damit befassen, öffentlich-rechtlichen Charakter. Hierzu gehören Normen
über die Verbreitung der Rundfunkprogramme zur Versorgung der Bevölkerung
(vgl. BVerfG, Urteile vom 27. Juli 1971 - 2 BvF 1/68, 2 BvR 702/68 - BVerfGE
31, 314 <329> und vom 25. März 2014 - 1 BvF 1/11, 1 BvF 4/11 - NVwZ 2014,
867 Rn. 44; Beschluss vom 25. April 1985 - 2 BvR 617/84 - BVerfGE 69, 257
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).
Dementsprechend gehören diejenigen Normen dem öffentlichen Recht an, die
die Erfüllung des Versorgungsauftrags der öffentlich-rechtlichen Rundfunkan-
stalten gewährleisten sollen. Wie dargelegt, liegt diese Zielsetzung denjenigen
Normen des Rundfunkstaatsvertrags, insbesondere § 52b Abs. 1 Nr. 1
Buchst. a) RStV, und der Landesmediengesetze zugrunde, die die Pflicht der
Kabelnetzbetreiber zur Verbreitung öffentlich-rechtlicher Programme statuieren
und inhaltlich ausgestalten.
Auf diese öffentlich-rechtlichen Normen stützen die Klägerinnen ihre Ansprüche
auf vertragliche Vereinbarung eines Entgelts als Gegenleistung für die Verbrei-
tung, die sie mit dem ersten Klagebegehren geltend machen. Nach ihrer
Rechtsauffassung ergibt die Auslegung dieser Normen, dass der den öffentlich-
rechtlichen Rundfunkanstalten obliegende Versorgungsauftrag diesen gegen-
über nicht unentgeltlich sichergestellt werden muss.
Diese Rechtsauffassung, die die Klägerinnen mit der weiteren Beschwerde
nochmals eingehend begründet haben, erscheint nicht unhaltbar. Hiergegen
spricht bereits, dass sie drei Oberverwaltungsgerichte als nicht offensichtlich
unvertretbar angesehen haben (VGH München, Beschluss vom 6. Oktober
2014 - 7 C 14.1372 - Rn. 12; OVG Hamburg, Beschluss vom 8. Oktober 2014
- 4 So 62/14 - BA S. 7; OVG Münster, Beschluss vom 28. Oktober 2014 - 13 E
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827/14 - BA S. 4). Darüber hinaus war die Rechtsauffassung von der bis Ende
2012 bestehenden Praxis gedeckt.
3. Weder das Oberverwaltungsgericht noch der Beklagte stellen den öffentlich-
rechtlichen Charakter der Normen über die Pflicht zur Verbreitung öffentlich-
rechtlicher Rundfunkprogramme in Frage. Sie verneinen die Zulässigkeit des
Verwaltungsrechtswegs für das darauf gestützte erste Klagebegehren, indem
sie jeweils das Ergebnis der Auslegung der von den Klägerinnen herangezoge-
nen öffentlich-rechtlichen Anspruchsgrundlagen vorwegnehmen. Wie unter 2.
dargelegt, kann die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs nicht vom Er-
gebnis einer materiell-rechtlichen Prüfung der Begründetheit des Klagebegeh-
rens abhängen.
Das Oberverwaltungsgericht begründet seine Annahme, ein Entgeltanspruch
bzw. ein Kontrahierungszwang könne sich allenfalls aus Bestimmungen des
BGB ergeben, nicht selbst, sondern verweist lediglich auf andere, insbesondere
auf zivilgerichtliche Entscheidungen. Die Rechtsauffassung der Zivilgerichte
über den Inhalt der öffentlich-rechtlichen Normen über die Pflicht zur Verbrei-
tung öffentlich-rechtlicher Programme beruht auf einer eingehenden Auslegung
dieser Normen, von deren Ergebnis die Zulässigkeit des Rechtswegs nicht ab-
hängig gemacht werden darf.
Entsprechendes gilt für den Vortrag des Beklagten, die öffentlich-rechtlichen
Normen über die Verbreitungspflicht begründeten nur Rechtsbeziehungen zwi-
schen den Kabelnetzbetreibern und den Landesmedienanstalten, die für die
Überwachung und Durchsetzung dieser Pflicht zuständig seien. Damit legt auch
der Beklagte einen bestimmten Norminhalt zugrunde, auf den es für die Zuläs-
sigkeit des Rechtswegs nicht ankommt.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Ein Streitwert muss
nicht festgesetzt werden, weil die Höhe der Gerichtsgebühr gesetzlich bestimmt
ist (Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).
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