Urteil des BVerwG vom 29.10.2003

Rechtliches Gehör, Mitgliedschaft, Niedersachsen, Wiedereröffnung

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BESCHLUSS
BVerwG 6 B 57.03
OVG 2 B 671/01
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. Oktober 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. B a r d e n h e w e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. H a h n und Dr. G r a u l i c h
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beschlossen:
Das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom
20. Mai 2003 wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Ent-
scheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbe-
halten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerde-
verfahren auf 3 855,55 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde hat Erfolg. Das angefochtene Urteil beruht auf einem von dem Klä-
ger dargelegten Verfahrensmangel. Dies führt zu seiner Aufhebung und zur Zurück-
verweisung des Rechtsstreits an das Oberverwaltungsgericht.
1. Die vom Kläger angeregte Beiladung des Rechtsanwaltsversorgungswerks Nie-
dersachsen kommt nicht in Betracht. Der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
hat bereits entschieden, dass im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzu-
lassung der Revision eine Beiladung in entsprechender Anwendung des § 142
Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht zulässig ist (Beschluss vom 20. Oktober 2000 - BVerwG
7 B 58.00 - Buchholz 310 § 65 VwGO Nr. 136). Ob dieser Auffassung zu folgen ist
oder der gegenteiligen des 4. Senats (Beschluss vom 10. Juni 1992 - BVerwG 4 B
108.92 - n.v.), kann auf sich beruhen. Denn ein Fall notwendiger Beiladung liegt
nicht vor. Der Kläger wendet sich gegen einen Beitragsbescheid des Beklagten. Er
begehrt die Feststellung, dass er nicht Mitglied des Beklagten sei und erstrebt hilfs-
weise eine Befreiung von der Mitgliedschaft des Beklagten. An diesem Rechtsver-
hältnis ist das Rechtsanwaltsversorgungswerk Niedersachsen nicht im Sinne des
§ 65 Abs. 2 VwGO beteiligt. Die Entscheidung betrifft allein das Rechtsverhältnis
zwischen den Parteien und nicht die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob das
Rechtsanwaltsversorgungswerk Niedersachsen nach einem Mitgliederwechsel noch
Versorgung gewähren darf.
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2. Die Beschwerde ist entgegen den Bedenken des Beklagten zulässig. Gemäß
§ 133 Abs. 2 Satz 2 VwGO muss die Beschwerde das angefochtene Urteil bezeich-
nen. Mit der Angabe der Beteiligten, des Gerichts, des Aktenzeichens und des Da-
tums der Zustellung des Urteils war der Beschwerdegegenstand eindeutig zu identi-
fizieren. Damit war den Anforderungen der genannten Bestimmung genügt, auch
wenn das Datum des Urteils mehrfach falsch angegeben worden ist. Die Beschwer-
defrist ist eingehalten worden. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts ist den Pro-
zessbevollmächtigten des Klägers am 7. Juni 2003 zugestellt worden. Die Be-
schwerdeschrift vom 7. Juli 2003 ist am selben Tag per Fax bei dem Oberverwal-
tungsgericht eingegangen.
3. Die Beschwerde ist begründet.
a) Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie
eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft,
die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher
Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt
die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung er-
heblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als
grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern,
dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsge-
richtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts
führen kann. Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen verleihen der Sache
keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung.
Die vom Berufungsgericht herangezogenen Rechtsgrundlagen für die Erhebung der
Beiträge und die Mitgliedschaft des Klägers zum Beklagten gehören ausschließlich
dem nicht revisiblen Landesrecht an. Die Revision kann folglich nur zugelassen wer-
den, wenn der Beschwerde zu entnehmen ist, dass Auslegung und Anwendung die-
ser landesrechtlichen Vorschriften auf Bundesrecht führen, das seinerseits in einer
vom Beschwerdeführer darzulegenden Weise klärungsbedürftig ist (§ 137 Abs. 1
Nr. 1 VwGO). Dabei genügt es nicht, dass der Kläger Bundesrecht - hier: Art. 2,
Art. 9 und Art. 12 GG - für anwendbar und verletzt hält. Hinzukommen muss ein
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Hinweis darauf, dass das Bundesrecht selbst klärungsbedürftig ist (Beschlüsse vom
12. Mai 1993 - BVerwG 1 B 95.92 - Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 24 und
vom 23. März 2000 - BVerwG 1 B 15.00 - Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 42).
Die Beschwerde genügt diesen Anforderungen nicht.
aa) Der Kläger möchte geklärt wissen, ob die Mitgliedschaft in einem anderen, auf
Gesetz beruhenden Rechtsanwaltsversorgungswerk grundsätzlich eine gleichwertige
Versorgung im Sinne des § 6 Abs. 4 des Sächsischen Rechtsanwaltsversorgungs-
gesetzes (SRAVG) darstellt. Diese Frage zielt auf die Auslegung von Landesrecht
und kann deshalb nicht zur Zulassung der Grundsatzrevision führen.
bb) Die zweite Frage stellt zur Prüfung, ob "eine auf Grund Gesetzes durch die Sat-
zung gegebene Befreiungsmöglichkeit von der Mitgliedschaft in einem Rechtsan-
waltsversorgungsgesetz dadurch ausgeschlossen werden kann, dass die Mitglied-
schaft in einem gleichwertigen auf Gesetz beruhenden Rechtsanwaltsversorgungs-
werk … als 'nicht entsprechend' bezeichnet wird …". Auch diese Frage betrifft aus-
schließlich das Landesrecht. Der Kläger zeigt auch nicht ansatzweise auf, dass sich
ungeklärte Fragen des revisiblen Rechts stellen könnten. Außerdem geht die Frage
von Voraussetzungen aus, die nach der Auslegung des Landesrechts durch das
Oberverwaltungsgericht nicht gegeben sind. Danach ist die niedersächsische
Rechtsanwaltsversorgung nach den Maßstäben des sächsischen Versorgungsrechts
nicht gleichwertig. An diese Auslegung des Landesrechts ist das Revisionsgericht
gebunden.
cc) In derselben Weise führt die dritte Frage, ob "auf gleichwertiger Rechtsgrundlage
erhobene Beiträge zweier Versorgungswerke für Rechtsanwälte nur deshalb zu sich
nicht entsprechenden oder nicht gleichwertigen Versorgungsbeiträgen (würden), weil
in beiden Satzungen enthaltene Möglichkeiten der abweichenden Gestaltung der
Beitragserhebung vorgesehen sind", nicht auf eine Problematik des revisiblen
Rechts.
dd) Der Kläger zeigt auch nicht auf, dass die die Frage, ob "nicht ein neu gegründe-
tes Rechtsanwaltsversorgungswerk eine Übergangsvorschrift vorlegen (muss), wel-
che diejenigen Rechtsanwälte von der Pflichtmitgliedschaft ausnimmt, die bereits in
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dem Bundesland zugelassen und in einem bestehenden Rechtsanwaltsversor-
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gungswerk versorgt waren bzw. sind", auf ungeklärte Rechtsfragen des revisiblen
Rechts führt.
ee) Auch die Fragen (Nr. 5 und Nr. 6 der Beschwerdebegründung) nach der Rechts-
widrigkeit der Fristenregelung des § 7 der Satzung des Versorgungswerks lassen
nicht erkennen, dass und aus welchen Gründen sie zur Klärung von Rechtsfragen
des revisiblen Rechts führen könnten (vgl. auch Beschluss vom 14. Oktober 1994
- BVerwG 1 B 153.93 - Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 27, S. 10).
ff) Dass eine berufsständische Pflichtversicherung grundsätzlich zulässig ist, was der
Kläger bezweifelt, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aner-
kannt (Beschlüsse vom 14. April 1981 - BVerwG 5 B 57.80 -, vom 12. Mai 1982
- BVerwG 5 B 65.81 - Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 9 und Nr. 10, Urteil vom
29. Januar 1991 - BVerwG 1 C 11.89 - BVerwGE 87, 324 <325>). Damit setzt sich
die Beschwerde nicht auseinander, so dass nicht erkennbar ist, dass hierzu weiterer
Klärungsbedarf bestehen könnte. Der Kläger zeigt auch nicht auf, aus welchen inso-
weit klärungsbedürftigen Rechtssätzen des Bundesrechts abzuleiten sein könnte,
dass ein Rechtsanwaltsversorgungswerk von vornherein bereits anderweitig versorg-
te Rechtsanwälte von der Pflichtmitgliedschaft ausnehmen müsste.
b) Der Revisionszulassungsgrund der Abweichung von der Rechtsprechung der in
§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte ist ebenfalls nicht gegeben. Eine die
Zulassung der Revision rechtfertigende Divergenz im Sinne der genannten Vorschrift
liegt nur vor, wenn das Berufungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden
abstrakten Rechtssatz von einem der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Ge-
richte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgerückt ist. Dabei müssen die
Rechtssätze sich grundsätzlich auf dieselbe Rechtsnorm beziehen. Das Darle-
gungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt in diesem Zusammen-
hang, dass in der Beschwerdebegründung ausgeführt wird, dass und inwiefern das
Berufungsgericht seine Entscheidung auf einen in der genannten Weise widerspre-
chenden Rechtssatz gestützt hat. Daran fehlt es. Der Kläger führt zwar Entscheidun-
gen des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts an und
entnimmt diesen Rechtssätze hinsichtlich Zulässigkeit und Grenzen einer Überversi-
cherung, zeigt aber keinen davon abweichenden abstrakten Rechtssatz des Beru-
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fungsurteils auf. Allein mit der Rüge, ein Berufungsurteil beachte die höchstrichterli-
che Rechtsprechung nicht, kann eine Divergenz nicht dargelegt werden.
c) Ein von dem Kläger geltend gemachter Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO) liegt vor.
aa) Fehl geht allerdings der Vorwurf, das Oberverwaltungsgericht habe das Gebot
eines fairen Verfahrens verletzt, indem es mit bestimmter Begründung die Berufung
zugelassen, in dem Berufungsurteil indessen die im Zulassungsbeschluss als ent-
scheidungserheblich und eine komplexe Prüfung erfordernd gekennzeichnete Frage
unerörtert gelassen habe.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Rich-
tigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zugelassen. Diese Zweifel bezo-
gen sich auf die Annahme des Verwaltungsgerichts, es sei bestandskräftig festge-
stellt, dass der Kläger Mitglied des Beklagten sei. Die weiteren Erwägungen des Zu-
lassungsbeschlusses konnten auf ein mögliches, aber nicht zwingendes Prüfpro-
gramm während des Berufungsverfahrens hindeuten, aber das Berufungsgericht
nicht binden. Denn abgesehen davon, dass das Berufungsgericht über die Berufung
in anderer Besetzung als über die Berufungszulassung entscheiden konnte und auch
entschieden hat, musste das Oberverwaltungsgericht im Berufungsverfahren den
Streitstoff in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht umfassend aufbereiten, so dass
sich andere Fragen stellen konnten als die im Zulassungsbeschluss aufgeworfenen.
Zutreffend ist lediglich, dass das Oberverwaltungsgericht an die Zulassung gebun-
den war. Das bedeutet aber nur, dass es sie nicht etwa wegen fehlender Berufungs-
zulassungsgründe, nachträglich als unstatthaft behandeln durfte (vgl. Urteil vom
13. Juli 1999 - BVerwG 1 C 15.98 - Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 9). Der umfas-
sende Prüfungsrahmen des Oberverwaltungsgerichts im Berufungsverfahren musste
sich dem anwaltlich vertretenen Kläger aufdrängen. Er konnte also nicht unfair da-
durch behandelt werden, dass das Gericht seine Entscheidung auf andere als im
Zulassungsbeschluss erörterte Gesichtspunkte stützte.
bb) Der Kläger rügt jedoch mit Recht, dass das Oberverwaltungsgericht seine Ent-
scheidung auf einen Gesichtspunkt gestützt hat, zu welchem dem Kläger nicht in der
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gebotenen Weise rechtliches Gehör gewährt worden ist. Das Urteil stellt sich als un-
zulässiges Überraschungsurteil dar.
Der Kläger führt aus, das Berufungsgericht habe seine Entscheidung auf den Ge-
sichtspunkt fehlender Beitragsgleichheit nach niedersächsischem und sächsischem
Rechtsanwaltsversorgungsrecht gestützt, der erst gegen Schluss der mündlichen
Verhandlung angesprochen worden sei, nachdem ihm zuvor während des gesamten
Berufungsverfahrens keine Beachtung geschenkt worden sei. Nach Schließung der
mündlichen Verhandlung, in der beschlossen worden war, dass eine Entscheidung
zugestellt werde, und vor Zustellung des Urteils habe er mit noch am Tag der münd-
lichen Verhandlung bei dem Gericht eingegangenem Schriftsatz die Wiedereröffnung
der mündlichen Verhandlung beantragt, um dazu Stellung zu nehmen, dass auch die
Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte im Freistaat Sachsen (SRAVS) in
§ 12 eine Beitragsgestaltung zulasse, die derjenigen in Niedersachsen entspreche.
Das Oberverwaltungsgericht hätte die mündliche Verhandlung wiedereröffnen müs-
sen, um die daraus folgenden Rechtsfragen zu erörtern. Das trifft zu.
Nach § 86 Abs. 3 VwGO hat der Vorsitzende darauf hinzuwirken, dass alle für die
Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben
werden. Die gerichtlichen Hinweise sollen zum einen dazu beitragen, die Vorausset-
zungen für eine richtige, dem Gesetz entsprechende Sachentscheidung zu schaffen
(vgl. BVerfGE 42, 64 <73> zu § 139 ZPO). Die Vorschrift soll darüber hinaus als eine
verfahrensspezifische einfachgesetzliche Konkretisierung des verfassungsrechtlichen
Anspruchs auf rechtliches Gehör Überraschungsentscheidungen vorbeugen (Be-
schluss vom 5. Juni 1998 - BVerwG 4 BN 20.98 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO
Nr. 49 S. 5). Ein Überraschungsurteil liegt vor, wenn das Gericht einen bis dahin
nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner
Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der nach
dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen war (Beschluss vom 25. Mai
2001 - BVerwG 4 B 81.00 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 34 S. 20 f.). Die
Hinweispflicht bezieht sich auf die tragenden ("wesentlichen") Erwägungen des Ge-
richts. Sie verlangt allerdings grundsätzlich nicht, dass das Gericht die Beteiligten
vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozess-
stoffs hinweist, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst
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aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (Beschluss vom 28. Dezember 1999
- BVerwG 9 B 467.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 51 m.w.N.). So muss
das Gericht die Beteiligten nicht vorab darauf hinweisen, auf welche von mehreren
Gesichtspunkten es seine Entscheidung stützen und wie es sie im Einzelnen be-
gründen werde (Beschluss vom 30. Oktober 1987 - BVerwG 2 B 85.87 - Buchholz
310 § 104 VwGO Nr. 20 m.w.N.). Hat das Gericht in der mündlichen Verhandlung auf
einen bisher nicht erörterten, seine tragenden Erwägungen betreffenden Gesichts-
punkt hingewiesen und ist ein Beteiligter nicht in der Lage, sich in der mündlichen
Verhandlung dazu zu äußern, ist dieser gehalten, alles ihm Zumutbare zu unterneh-
men, um eine Überraschungsentscheidung zu vermeiden. Diesem Gebot ist der Klä-
ger mit dem Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nachgekom-
men. Dennoch hat das Berufungsgericht ohne Wiedereröffnung der mündlichen Ver-
handlung seine Entscheidung auf einen nach dem nicht in Frage gestellten Vortrag
des Klägers nur am Schluss der mündlichen Verhandlung angesprochenen Ge-
sichtspunkt gestützt, ohne dem Kläger ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme
in der mündlichen Verhandlung zu geben.
Nach § 6 SRAVS wird auf Antrag von der Mitgliedschaft u.a. befreit, wer aufgrund
einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied
einer öffentlich-rechtlichen Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung seiner Be-
rufsgruppe geworden ist und seine Mitgliedschaft aufrechterhält, sofern er dorthin
Beiträge entsprechend § 11 entrichtet. Das Oberverwaltungsgericht hält die Voraus-
setzungen dieser Vorschrift für nicht erfüllt, weil der Kläger an das Rechtsanwaltsver-
sorgungswerk in Niedersachsen nicht Beiträge in der dem § 11 SRAVS entspre-
chenden Höhe, sondern nur zu fünf Zehntel dieser Höhe entrichtet habe. In dem
Schriftsatz vom 20. Mai 2003, mit dem der Kläger die Wiedereröffnung der mündli-
chen Verhandlung beantragt hatte, hat der Kläger sinngemäß u.a. geltend gemacht,
dass auch nach § 12 SRAVS die Möglichkeit bestanden habe, lediglich fünf Zehntel
der regelmäßigen Beiträge zu entrichten. Die Frage, ob der Beitrag des Klägers nach
§ 12 SRAVG hätte ermäßigt werden können und ob ein solchermaßen ermäßigter
Beitrag im Sinne des § 6 SRAVS als Beitrag "entsprechend § 11" angesehen werden
kann, hat das Berufungsgericht in dem angefochtenen Urteil nicht behandelt. Damit
hat es das Vorbringen des Klägers zur Bedeutung des § 12 SRAVS, das dieser dem
Gericht in mündlicher Verhandlung erläutern wollte, übergangen.
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Das angefochtene Urteil beruht auf diesem Verfahrensfehler. Der beschließende
Senat kann in der Sache nicht entscheiden, weil in erster Linie Fragen des irrevi-
siblen Rechts zu entscheiden sind. Der Senat hebt in Anwendung seiner durch § 133
Abs. 6 VwGO eingeräumten Befugnis das angefochtene Urteil auf und verweist den
Rechtsstreit an das Oberverwaltungsgericht zurück.
4. Im Hinblick auf das Gebot der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung ist diese der
Schlussentscheidung vorzubehalten. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegen-
standes beruht auf § 14, § 13 Abs. 2 GKG.
Bardenhewer
Hahn
Graulich