Urteil des BVerwG vom 27.10.2004

Grundrecht, Anerkennung, Waffe, Auslieferung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 B 54.04
VG 8 K 1620/04
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Oktober 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. B a r d e n h e w e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht B ü g e
und Dr. G r a u l i c h
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts
Köln vom 04. Juni 2004 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 4 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im angefochtenen Ge-
richtsbescheid ist gemäß § 84 Abs. 2 Nr. 4 VwGO in Verbindung mit der unmittelbar
oder entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 10 Abs. 2 KDVG zulässig.
2. Die Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) bleibt ohne Erfolg. Die für Kriegs-
dienstverweigerungsverfahren zuständige Kammer des Verwaltungsgerichts Köln hat
zu Recht über den Rechtsstreit entschieden. Diese Zuständigkeit umfasst bei sach-
gerechter Auslegung alle Verfahren, in denen - wie hier - um die Anerkennung als
Kriegsdienstverweigerer gestritten wird, ohne dass es auf die geltend gemachte
Rechtsgrundlage ankäme. Auch für das unmittelbar auf Art. 4 Abs. 3 GG gestützte
Anerkennungsbegehren des Klägers war daher die nach dem Geschäftsverteilungs-
plan für Kriegsdienstverweigerungssachen zuständige Kammer des Verwaltungsge-
richts zur Entscheidung berufen.
3. Die Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Dem
Beschwerdevorbringen ist keine Frage des revisiblen Rechts zu entnehmen, die mit
Tragweite über den vorliegenden Fall hinaus in einem Revisionsverfahren zu klären
wäre. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht die Klage im Ergebnis offensichtlich zu
Recht abgewiesen.
a) Der türkische Kläger besitzt nicht die deutsche Staatsangehörigkeit und unterliegt
somit nach § 1 Abs. 1 WPflG nicht der Wehrpflicht in Deutschland. Die Vorausset-
zungen nach § 2 Abs. 1 WPflG liegen ebenfalls nicht vor. Der Kläger kann auch nicht
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nach den Regelungen des Kriegsdienstverweigerungsgesetzes den Kriegsdienst
verweigern und eine darauf beruhende Anerkennung seines Rechtes aus Art. 4
Abs. 3 GG erlangen, weil diese sich nur auf Personen beziehen, die nach dem Wehr-
pflichtgesetz wehrpflichtig sind. Dies ergibt sich aus der Verknüpfung zwischen der
Wehrpflicht und der für anerkannte Kriegsdienstverweigerer vorgesehenen Er-
satzdienstpflicht in § 1 Abs. 2 KDVG sowie daraus, dass der Antrag auf Anerkennung
als Kriegsdienstverweigerer nach § 2 Abs. 2 KDVG beim Kreiswehrersatzamt zu
stellen und bei ungedienten Wehrpflichtigen von dort dem Bundesamt für den
Zivildienst zuzuleiten ist, sobald der Musterungsbescheid unanfechtbar geworden ist
(§ 2 Abs. 6 Satz 2 KDVG ). Auch die Regelungen in § 2 Abs. 4 und 5 KDVG gehen
ausdrücklich davon aus, dass das förmliche Anerkennungsverfahren nur auf Perso-
nen anzuwenden ist, die nach deutschem Recht wehrpflichtig sind. Darin stimmen im
Ergebnis, der Kläger, die Beklagte und das Verwaltungsgericht überein.
b) Der Kläger kann aber auch nicht unmittelbar aus dem Grundrecht aus Art. 4
Abs. 3 GG einen Anspruch auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer durch die
Beklagte ableiten.
Im Zeitpunkt der Antragstellung befand sich der Kläger in der Bundesrepublik
Deutschland in Abschiebegewahrsam. Er mag nicht gehindert gewesen sein, sich
in diesem Zusammenhang auf das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 3 GG zu berufen, um
eine drohende Beeinträchtigung durch die Maßnahme einer deutschen Verwaltungs-
behörde abzuwehren. Der Bundesgerichtshof hat in der vom Kläger angeführten
Entscheidung vom 24. Mai 1977 - 4 ARs 6/77 (BGHSt 27, 191) ausgeführt, dass das
Grundrecht aus Art. 4 Abs. 3 GG nicht nur für Personen gelte, die in der Bundesre-
publik Deutschland nach dem Wehrpflichtgesetz wehrpflichtig sind, und nicht nur die
Verweigerung des Dienstes mit der Waffe in den deutschen Streitkräften betreffe. Es
sei vielmehr ein in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland verankertes, auf
dem Grundrecht der Glaubensfreiheit und Gewissensfreiheit beruhendes allgemeines
Grundrecht, das ohne Einschränkung für jeden gelte, der zum Kriegsdienst mit der
Waffe herangezogen werden könne, gleichviel in welchem Land er abzuleisten sei. In
dem zu entscheidenden Fall hat der Bundesgerichtshof daher eine Auslieferung für
unzulässig gehalten, soweit diese dazu führt, dass der Verfolgte unmittelbar nach der
Verbüßung einer Strafe, noch ehe er das Land, an das er ausgeliefert wird, wieder
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verlassen kann, zum Wehrdienst mit der Waffe herangezogen wird und - falls er aus
Gewissensgründen diesen Dienst verweigert - Bestrafung zu gewärtigen hat.
Daraus könnte über den entschiedenen Fall der Auslieferung hinaus ein allgemeiner
Grundsatz des Inhalts hergeleitet werden, dass deutsche Stellen nicht durch Über-
stellung eines Ausländers an sein Heimatland daran mitwirken dürfen, das dieser
gegen sein Gewissen zur Ableistung des Militärdienstes gezwungen wird. Ob der
Schutz des Art. 4 Abs. 3 GG so weit reicht oder ob sich Ausländer auf dieses Grund-
recht nur gegenüber der Heranziehung zum Wehrdienst in den deutschen Streitkräf-
ten berufen können (vgl. dazu Starck, in: v. Mangoldt/Klein, GG, Band 1,4. Aufl.
1999, Art. 4 Abs. 3, Rn. 154 Morlok, in: Dreier, GG, 21. Aufl. 2004, Art. 4 Rn. 171 f.;
Zippelius, in: Bonner-Kommentar, Art. 4, Rn. 122; Kempen, in: AK-GG, Art. 4 Abs. 3,
Rn. 12: Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4, Rn. 178), kann auf sich beruhen. Je-
denfalls wäre den Belangen des ausländischen Kriegsdienstverweigerers in Fällen
der vorliegenden Art ausreichend Rechnung getragen, wenn man ihm gestattete,
sein Anliegen einredeweise gegenüber aufenthaltsbeendenden Maßnahmen geltend
zu machen. Keinesfalls gebietet es Art. 4 Abs. 3 GG, dem betroffenen Ausländer in
solchen Fällen ein förmliches Anerkennungsverfahren nach Art des im Kriegsdienst-
verweigerungsrecht geregelten Verfahrens zur Verfügung zu stellen.
4. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO). Der
Streitwert bestimmt sich nach § 72 Nr. 1 GKG n.F. i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG
a.F.
Bardenhewer
Büge
Graulich
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Wehrdienstrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
GG Art. 4 Abs. 3
KDVG §§ 1, 2 Abs. 2
Stichworte:
Kriegsdienstverweigerung; deutsche Staatsangehörigkeit; isoliertes Verfahren auf
Anerkennung.
Leitsatz:
Ein Ausländer, der sich gegenüber der Heranziehung zum Militärdienst im Heimat-
land auf das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 3 GG beruft, hat keinen Anspruch auf
Durchführung eines förmlichen Anerkennungsverfahrens.
Beschluss des 6. Senats vom 27. Oktober 2004 - BVerwG 6 B 54.04
I. VG Köln vom 04.06.2004 - Az.: VG 8 K 1620/04 -