Urteil des BVerwG vom 20.10.2005

DDR, Anwendung des Rechts, Verwaltungsakt, Thüringen

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 B 52.05
OVG 3 KO 705/03
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Oktober 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. B a r d e n h e w e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. H a h n und Dr. G r a u l i c h
beschlossen:
Die Beschwerden der Beklagten und des Vertreters des öffent-
lichen Interesses beim Thüringer Innenministerium gegen die
Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Thüringer Ober-
verwaltungsgerichts vom 20. Mai 2005 werden zurückgewiesen.
Die Beschwerdeführer tragen jeweils die Hälfte der Gerichts-
kosten und der außergerichtlichen Kosten der Klägerin sowie
jeweils ihre außergerichtlichen Kosten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 545 671,30 € festgesetzt.
G r ü n d e :
1. Die Beschwerden müssen ohne Erfolg bleiben.
Nach § 132 Abs. 2 VwGO kann die Revision nur zugelassen werden,
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Berufungsentschei-
dung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen
Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts
abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein Verfahrensmangel geltend ge-
macht wird und vorliegt, auf dem die Berufungsentscheidung beruhen kann. Wird wie
hier die Nichtzulassung der Revision mit der Beschwerde angefochten, muss in der
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Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung dargelegt oder die Ent-
scheidung, von der die Berufungsentscheidung abweicht, oder der Verfahrensmangel
bezeichnet werden (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Die Prüfung des beschließenden
Senats ist demgemäß auf fristgerecht geltend gemachte Beschwerdegründe im Sin-
ne des § 132 Abs. 2 VwGO beschränkt.
Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung er-
hebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der
Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfor-
dernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer konkreten
Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hin-
weis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen
soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsent-
scheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallüber-
greifenden Rechtsfrage führen kann.
Eine die Zulassung der Revision rechtfertigende Divergenz im Sinne von
§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt nur vor, wenn das Berufungsgericht mit einem seine
Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem ebensolchen Rechtssatz
abgerückt ist, der von einem der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte
aufgestellt worden ist. Dabei müssen die Rechtssätze sich grundsätzlich auf dieselbe
Rechtsnorm beziehen. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO
verlangt in diesem Zusammenhang, dass in der Beschwerdebegründung ausgeführt
wird, dass und inwiefern das Berufungsgericht seine Entscheidung auf einen in der
genannten Weise widersprechenden Rechtssatz gestützt hat.
Wegen eines Verfahrensmangels kann die Revision gemäß § 132 Abs. 2
Nr. 3 VwGO nur zugelassen werden, wenn ein Mangel geltend gemacht wird und
vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Ein solcher Mangel ist nur dann im
Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn er sowohl in
Bezug auf die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtli-
chen Würdigung substantiiert dargetan wird (Beschluss vom 19. August 1997 -
BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26).
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Nach diesen Grundsätzen können die Beschwerden der Beklagten und
des Vertreters des öffentlichen Interesses nicht zur Zulassung der Revision führen.
a) Die Beklagte hält die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, "mit
welchem Regelungsgehalt und welchen Rechtswirkungen ein nach Art. 19 EV über-
geleiteter DDR-Verwaltungsakt, insbesondere eine Gewerbeerlaubnis, in der Bun-
desrepublik Deutschland fortgilt". Die Beklagte hält dabei insbesondere für klärungs-
bedürftig, "ob eine DDR-Gewerbeerlaubnis, der in der DDR schlicht aufgrund des
Fehlens ordnungsrechtlicher Zulassungsvorschriften möglicherweise umfassende
ordnungsrechtliche Legitimierungsfunktion beikam, in der Bundesrepublik mit einer
solchen Rechtswirkung fortwirkt oder ob sich der Regelungsgehalt auf den einer
Gewerbeerlaubnis beschränkt, die in einem alten Bundesland vor der Wiedervereini-
gung erteilt wurde, so dass eine nach bundesrepublikanischem Recht erforderliche
ordnungsbehördliche Erlaubnis nicht ersetzt oder mit umfasst werden kann".
Mit einer solchen Fragestellung führt die Beschwerde nur insoweit auf
revisibles Recht, als sie sich auf Art. 19 EV bezieht. Der Einigungsvertrag gehört, wie
aus Art. 45 Abs. 2 EV folgt, zum Bundesrecht im Sinne des § 137 VwGO. Soweit die
aufgeworfene Frage auf das Recht der DDR zielt, betrifft sie kein revisibles Recht.
Das insoweit in Betracht kommende Gewerbe-, Lotterie- und Wettrecht der DDR ge-
hört nicht zum Bundesrecht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesver-
waltungsgerichts (vgl. Urteile vom 29. April 1993 - BVerwG 7 C 29.92 - LKV 1993,
424 und vom 9. März 1999 - BVerwG 3 C 21.98 - VIZ 2000, 35; Beschlüsse vom
3. Mai 1996 - BVerwG 4 B 46.96 - GewArch 1996, 327, vom 5. Juni 1998 - BVerwG
11 B 45.97 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 18 und vom 14. Oktober
2004 - BVerwG 6 B 6.04 - Buchholz 115 Sonst. Wiedervereinigungsrecht Nr. 51) ist
das Recht der ehemaligen DDR nur insoweit revisibel, als es durch Bundesrecht wei-
terhin für anwendbar erklärt ist. Das trifft auf die hier in Rede stehenden Normen der
DDR nicht zu. Nach Art. 8 EV in Verbindung mit Anlage I Kapitel V Sachgebiet C Ab-
schnitt III EV ist das Gewerberecht der Bundesrepublik, soweit hier von Interesse,
weitgehend uneingeschränkt im Beitrittsgebiet in Kraft getreten. Die Gewerbeord-
nung ist lediglich im Bereich des gewerberechtlichen Arbeitsrechts und des gewerbli-
chen Anlagenrechts mit Maßgaben versehen worden (Anlage I Kapitel VIII EV). Das
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Gewerbegesetz der DDR ist gemäß Art. 9 Abs. 2 EV in Verbindung mit Anlage II
außer Kraft getreten. Soweit Rechtsvorschriften der DDR einschlägig sein können,
die nach der Kompetenzordnung der Bundesrepublik zum Landesrecht gehören
würden, hier also das Wett- und Lotterierecht, soweit es nicht in §§ 33 c ff. GewO
geregelt ist, können sie nur nach Maßgabe des Art. 9 Abs. 1 EV als Landesrecht,
nicht aber als Bundesrecht fortbestanden haben, sind also nicht revisibel.
Die in der Beschwerdebegründung angesprochene Frage zu Art. 19 EV
ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hinreichend geklärt. Nach
Art. 19 der die Überschrift "Fortgeltung von Entscheidungen der öffentlichen Verwal-
tung" trägt, bleiben vor dem Wirksamwerden des Beitritts ergangene "Verwaltungs-
akte der Deutschen Demokratischen Republik wirksam" (Art. 19 Satz 1 EV). Sie
können aufgehoben werden, wenn sie mit rechtsstaatlichen Grundsätzen oder Rege-
lungen dieses Vertrages unvereinbar sind (Art. 19 Satz 2 EV). Im Übrigen bleiben die
Vorschriften über die Bestandskraft von Verwaltungsakten unberührt (Art. 19 Satz 3
EV). Diese Bestimmungen stellen nach der Begründung zum Entwurf des Gesetzes
zu dem Einigungsvertrag klar, dass - ähnlich wie bei der Fortgeltung gerichtlicher
Entscheidungen nach Maßgabe von Art. 18 EV - "die Wirksamkeit von Verwaltungs-
akten, die von Behörden der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik er-
lassen worden sind, grundsätzlich nicht mit dem Wegfall der erlassenden Körper-
schaft endet. Sie werden jedoch unwirksam, soweit der Vertrag oder eine andere
Rechtsvorschrift dies bestimmt" (BTDrucks 11/7760, S. 355 <364>). Art. 19 EV setzt
voraus, dass ein Verwaltungsakt der DDR erlassen worden ist. Art. 19 Satz 1 EV
beschränkt die Fortgeltung von Entscheidungen der öffentlichen Verwaltung auf vor
dem Beitritt ergangene "Verwaltungsakte" von Behörden der früheren DDR. Zwar
kannte die frühere DDR den Begriff des Verwaltungsakts nicht, sondern verwendete
für vergleichbare Fälle denjenigen der "Einzelentscheidung" in Ausübung vollzie-
hend-verfügender Tätigkeit. Aus der Verwendung des Begriffs "Verwaltungsakt" im
Einigungsvertrag selbst ist aber der Schluss zu ziehen, dass solche Verwaltungsent-
scheidungen von Behörden der ehemaligen DDR unter Art. 19 Satz 1 EV fallen, die
Regelungscharakter haben und auf eine unmittelbare Rechtswirkung im Einzelfall
gerichtet sind. Darin stimmen der Begriff der "Einzelentscheidung" und der des Ver-
waltungsakts im Sinne des § 35 VwVfG überein (zum Ganzen Beschluss vom 25.
Januar 1994 - BVerwG 11 B 53.93 - Buchholz 111 Art. 19 EV Nr. 1). Wirksam er-
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gangen und damit gemäß Art. 19 Satz 1 EV auch weiterhin gültig sind dabei alle
Verwaltungsakte, die nach der seinerzeitigen Staats- und Verwaltungspraxis der
DDR ungeachtet etwaiger Rechtsmängel als wirksam angesehen und behandelt
wurden (Urteil vom 20. März 1997 - BVerwG 7 C 23.96 - BVerwGE 104, 186 = Buch-
holz 428 § 1 VermG Nr. 108, Beschluss vom 23. Januar 1996 - BVerwG 7 B 4.96 -
Buchholz 111 Art. 41 EV Nr. 2 = VIZ 1996, 206 = ZOV 1996, 140).
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist auch geklärt,
dass sich auf Art. 19 EV der Begünstigte eines Verwaltungsakts der Behörden der
früheren DDR nicht berufen kann, wenn dieser nichtig ist, d.h. wenn ihm ein schwerer
Fehler anhaftet und dies offenkundig ist. Dabei ist grundsätzlich auf die DDR-
Rechtslage (unter Einschluss der gelebten Rechtswirklichkeit) zum Zeitpunkt seines
Erlasses abzustellen (Urteil vom 26. August 1999 - BVerwG 3 C 31.98 - Buchholz
111 Art. 19 EV Nr. 6). Ob eine hoheitlich verfügte Begünstigung den Beitritt der DDR
rechtlich überdauert, richtet sich gemäß Art. 19 Satz 3 EV in erster Linie nach den
Regeln über die Bestandskraft von Verwaltungsakten und kann daher auch und ge-
rade davon abhängen, ob dem Verwaltungsakt der Mangel der Nichtigkeit anhaftet.
Denn nach dem in § 43 Abs. 3 VwVfG enthaltenen allgemeinen Rechtsgedanken ist
ein nichtiger Verwaltungsakt unwirksam und keiner Bestandskraft zugänglich. In ei-
nem solchen Fall boten weder das bei seinem Erlass heranzuziehende noch das
einigungsvertragliche Recht hinreichenden Anlass, auf den Fortbestand des Verwal-
tungsakts und der damit verbundenen Begünstigung zu vertrauen (vgl. Urteil vom
26. August 1999 - a.a.O.). Die Beklagte legt nicht dar, dass sich im Zusammenhang
mit der Gewerbeerlaubnis vom 14. September 1990 darüber hinaus rechtsgrundsätz-
lich zu klärende Fragen zur Nichtigkeit eines Verwaltungsakts deshalb stellen könn-
ten, weil der Magistrat der Stadt eine gewerberechtliche Erlaubnis für eine Betätigung
erteilt hat, die nach der Kompetenzordnung der Bundesrepublik Deutschland von
einer anderen Behörde auf einer anderen Rechtsgrundlage erteilt werden müsste.
Wie bereits dargelegt kommt es insoweit auf die Kompetenzordnung in der ehe-
maligen DDR an. Das Beschwerdevorbringen zum Eingreifen lotterie- oder wettrecht-
licher Vorschriften der DDR führt insoweit nicht auf einen weiteren Klärungsbedarf,
weil das Revisionsgericht von der Auffassung des Berufungsgerichts ausgehen
müsste, dass für den Abschluss und die Vermittlung von Wetten aus Anlass sportli-
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cher Veranstaltungen nur eine Gewerbeerlaubnis erforderlich war, für deren Erteilung
der Magistrat der Stadt zuständig war.
Weiter ist geklärt, dass Verwaltungsakten der DDR nach Art. 19 Satz 1
EV grundsätzlich ebenso Geltung im gesamten (erweiterten) Bundesgebiet zukommt,
wie dies auch für Verwaltungsakte zutrifft, die bis zum 3. Oktober 1990 von der
Behörde eines alten Bundeslands erlassen worden sind. Verwaltungsakte der DDR
gelten nicht grundsätzlich nur in deren ehemaligem Hoheitsgebiet fort. Eine derartige
Begrenzung ihres räumlichen Anwendungsbereichs, welche die mit dem
Einigungsvertrag angestrebte Rechtseinheit gefährden würde (vgl. auch BVerfGE 77,
137 <147 ff.>), ist Art. 19 Satz 1 EV nicht zu entnehmen. Demgemäß hat das Bun-
desverwaltungsgericht in Bezug auf einen statusbegründenden Verwaltungsakt ent-
schieden, dass sich der räumliche Geltungsbereich auch auf die alten Bundesländer
erstreckt. Solche statusbildenden Verwaltungsakte können schon wegen des Inhalts
der getroffenen Regelung nicht in ihrer Geltung auf Teile des Bundesgebiets be-
schränkt werden (Urteil vom 15. Oktober 1997 - BVerwG 7 C 21.96 - BVerwGE 105,
255 = Buchholz 11 Art. 140 GG Nr. 62 = NJW 1998, 253).
Der räumliche Geltungsbereich eines Verwaltungsakts richtet sich nach
seinem Inhalt. Es kann nicht zweifelhaft sein, dass der Geltungsbereich eines sta-
tusbegründenden Verwaltungsakts anders zu bestimmen ist als beispielsweise der-
jenige eines grundstücksbezogenen Verwaltungsakts, also etwa einer Baugenehmi-
gung, die sich, abgesehen von gewissen Ausstrahlungswirkungen auf die Nachbar-
schaft, nur auf das Grundstück bezieht, für das sie erteilt worden ist. Welche Reich-
weite gewerberechtliche Erlaubnisse der Behörden der ehemaligen DDR haben,
kann im vorliegenden Rechtsstreit nicht entschieden werden, da das angefochtene
Urteil ausdrücklich nur für das Gebiet des Freistaates Thüringen von der Wirksamkeit
der Gewerbeerlaubnis ausgegangen ist (UA S. 17, 25). Wegen der vom Ober-
verwaltungsgericht zugrunde gelegten Beschränkung der Wirkung der Gewerbeer-
laubnis auf das Gebiet des Freistaats Thüringen bietet der Rechtsstreit keinen An-
lass, in einem Revisionsverfahren die Frage der Geltung der Erlaubnis in anderen
Bundesländern zu erörtern.
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Mit welchen Rechtswirkungen ein Verwaltungsakt der DDR-Behörden
fortgilt, hängt von seinem Inhalt und den auf den geregelten Lebenssachverhalt an-
zuwendenden Rechtsvorschriften ab und muss, soweit nötig, durch Auslegung ermit-
telt werden. Das Oberverwaltungsgericht hat die Erlaubnis vom 14. September 1990
dahin verstanden, dass der Klägerin für das Gebiet des Landes Thüringen eine Er-
laubnis im Sinne des § 284 StGB erteilt worden ist (UA S. 16), welche die durch die
ordnungsbehördliche Verfügung vom 25. April 1996 in der Fassung des Wider-
spruchsbescheids vom 11. September 1996 verbotene Betätigung gestattet (UA S.
17). Danach erstreckt sich die Erlaubnis darauf, "Wetten aus Anlass sportlicher Ver-
anstaltungen abzuschließen oder zu vermitteln und alle damit im Zusammenhang
stehenden Nebentätigkeiten." Die Feststellung des konkreten Inhaltes eines Verwal-
tungsakts ist gemäß § 137 Abs. 1 VwGO nicht in vollem Umfang revisibel. Der Rege-
lungsgehalt ist entsprechend den zu §§ 133, 157 BGB entwickelten Regeln zu ermit-
teln. Die Auslegung auch eines Verwaltungsakts richtet sich dabei nicht nach den
subjektiven Vorstellungen des Adressaten oder der erlassenden Behörde. Maßge-
bend ist entsprechend der Auslegungsregel des § 133 BGB der erklärte Wille, wie ihn
der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte. Auch für die Auslegung
eines Verwaltungsakts sind nur solche Umstände indiziell zu berücksichtigen, die
dem Empfänger bei Zugang der Willenserklärung erkennbar waren. Nicht der innere,
sondern der objektiv erklärte Wille ist maßgebend, wie ihn der Empfänger verstehen
kann. Der nach diesen Regeln tatrichterlich ermittelte Erklärungsinhalt ist als
Tatsachenfeststellung im Sinne des § 137 Abs. 2 VwGO grundsätzlich nur einge-
schränkt überprüfbar (vgl. Urteil vom 19. Februar 1982 - BVerwG 8 C 27.81 -
BVerwGE 65, 61 <68>; Beschluss vom 24. Januar 1991 - BVerwG 8 B 164.90 -
Buchholz 316 § 54 VwVfG Nr. 6 = NVwZ 1991, 574 <575>). Dem Revisionsgericht ist
eine eigene Auslegung dann möglich, wenn das Tatsachengericht in seiner Ent-
scheidung nichts Näheres ausgeführt und insbesondere sein Auslegungsergebnis
nicht näher begründet hat (Urteil vom 9. Juli 1982 - BVerwG 7 C 54.79 - Buchholz
451.171 AtG Nr. 11 = DVBl 1982, 960; vgl. auch Urteil vom 9. Juni 1983 - BVerwG
2 C 34.80 - BVerwGE 67, 222 <234>; Urteil vom 23. Mai 1984 - BVerwG 2 C 41.81 -
Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 14 = NVwZ 1985, 181). So verhält es sich hier nicht.
Denn das Oberverwaltungsgericht hat den Inhalt der Gewerbeerlaubnis vom
14. September 1990 dargelegt (UA S. 17, 25) und ferner auf die Akten des Verfah-
rens des vorläufigen Rechtsschutzes verwiesen, in denen sein Beschluss vom
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21. Oktober 1999 - 3 EO 939/97 - (GewArch 2000, 118) enthalten ist, in welchem
sich das Gericht mit den Grundsätzen der Auslegung eines Verwaltungsakts befasst
hat. Außerdem hat es auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Bezug genommen, das
sich ebenfalls zu dem Inhalt der Gewerbeerlaubnis geäußert hat (UA S. 9). Die Aus-
legung des Inhalts des Verwaltungsakts ist ausschließlich am Maßstab der aus
§§ 133, 157 BGB entwickelten und entsprechend heranzuziehenden Auslegungsre-
geln zu überprüfen und kann einen Verstoß gegen Art. 19 EV nicht begründen. Die
Beschwerde legt nicht dar, dass in Bezug auf die Auslegungsregeln weiterer Klä-
rungsbedarf bestehen könnte.
Art. 19 EV kann nicht zu einer Änderung des Inhalts eines Verwal-
tungsakts einer Behörde der ehemaligen DDR geführt haben. Eine derartige Zielset-
zung ist Art. 19 EV, ohne dass dies erst in einem Revisionsverfahren geklärt werden
müsste, nicht zu entnehmen. Weder der Wortlaut noch Sinn und Zweck der Ver-
tragsbestimmung lassen erkennen, dass einem nach Art. 19 EV weitergeltenden
Verwaltungsakt nur noch der Inhalt zukommen soll, der "strukturell" einer vergleich-
baren Erlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland zukommt, wie die Beschwerde
meint. Verhielte es sich so, wäre es unnötig gewesen, die Regelungen des Art. 19
Sätze 2 und 3 vertraglich zu vereinbaren. Demgemäß ist, wie bereits ausgeführt, in
der Rechtsprechung anerkannt, dass gemäß Art. 19 Satz 1 EV weiterhin gültig sind
alle Verwaltungsakte, die nach der seinerzeitigen Staats- und Verwaltungspraxis der
DDR ungeachtet etwaiger Rechtsmängel als wirksam angesehen und behandelt
wurden (Urteil vom 20. März 1997 - BVerwG 7 C 23.96 - BVerwGE 104, 186). Das
schließt ein, dass sie mit dem seinerzeitigen Regelungsgehalt wirksam geblieben
sind. Art. 19 EV enthält keine inhaltliche Beschränkung für die weiter geltenden Ver-
waltungsakte, sondern beschränkt sich auf die Vereinbarung der Aufhebungsmög-
lichkeit in bestimmten Fällen. Wollte man die Fortgeltung der Verwaltungsakte von
deren "struktureller" Übereinstimmung mit der Rechts- und Verwaltungsordnung der
Bundesrepublik Deutschland abhängig machen, führte dies zu einer weitgehenden
Aushöhlung des Art. 19 EV und ferner zu einer nicht hinnehmbaren Rechtsunsicher-
heit. Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich der Regelungsgehalt eines
Verwaltungsakts nach den dargestellten Grundsätzen ermitteln. Wenn die zuständige
Behörde einen solchen Verwaltungsakt nunmehr für nicht hinnehmbar ansieht, kann
sie ihn in Anwendung des Art. 19 Sätze 2 oder 3 EV aufheben.
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Der Hinweis auf Art. 30 und 70 GG kann nicht zur Zulässigkeit der Re-
vision führen, weil in Bezug auf diese Grundgesetzbestimmungen kein Klärungsbe-
darf aufgezeigt wird.
Soweit die Beklagte Klärungsbedarf hinsichtlich des Regelungsgehalts
anderer Verwaltungsakte von Behörden der ehemaligen DDR sieht, kann eine Revi-
sionszulassung schon deshalb nicht erfolgen, weil sich derartige Fragen, die ohne
Bezug zu dem Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens sind, in einem Revisi-
onsverfahren nicht stellen könnten.
b) Der von der Beklagten geltend gemachte Revisionszulassungsgrund
der Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist nicht
den dargestellten Anforderungen gemäß dargelegt worden. Die Beklagte macht gel-
tend, in dem bereits angeführten Urteil vom 15. Oktober 1997 - BVerwG 7 C 21.96 -
(a.a.O.) sei ausgeführt, dass Verwaltungsakten der DDR nach Art. 19 Satz 1 EV
grundsätzlich ebenso Geltung im gesamten (erweiterten) Bundesgebiet zukomme,
wie dies auch für Verwaltungsakte zutreffe, die bis zum 3. Oktober 1990 von der Be-
hörde eines alten Bundeslandes erlassen worden sind. Daraus lasse sich der
Rechtssatz ableiten, dass DDR-Verwaltungsakte hinsichtlich ihrer territorialen wie
sachlichen Reichweite ebenso zu beurteilen seien wie vergleichbare Verwaltungsak-
te, die von der Behörde eines alten Bundeslandes vor der Wiedervereinigung erteilt
worden seien. Dem gegenüber beruhe das angefochtene Urteil auf der Rechtsan-
sicht, dass sich die inhaltliche Reichweite der Fortgeltung eines DDR-
Verwaltungsakts allein nach den ihm in der DDR zugekommenen Rechtswirkungen
richte, so dass ein solcher Verwaltungsakt nach dieser Auffassung auch weiterrei-
chende Rechtswirkungen entfalten könne als ein Verwaltungsakt einer Behörde ei-
nes alten Bundeslandes vor der Wiedervereinigung. Damit werden keine widerstrei-
tenden Rechtssätze gegenüber gestellt. Das Berufungsgericht hat vielmehr seiner
Entscheidung ausdrücklich das vorgenannte Urteil des 7. Revisionssenats zugrunde
gelegt. Die Beschwerde verkennt, dass sich die Aussage des Urteils vom 15. Okto-
ber 1997 auf den räumlichen Geltungsbereich einer statusrechtlichen Entscheidung
bezieht, von der das Oberverwaltungsgericht im vorliegenden Verfahren nicht abwei-
chen konnte, weil es hier um eine gewerberechtliche Erlaubnis handelt, über deren
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Geltungsanspruch zudem nur für das Gebiet des Freistaats Thüringen entschieden
worden ist.
c) Der Vertreter des öffentlichen Interesses hält ebenfalls den Revisi-
onszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache für gegeben.
Sein Vorbringen führt jedoch nicht über dasjenige der Beklagten hinaus und muss
aus den dargelegten Gründen ebenfalls erfolglos bleiben. Die Beschwerde rügt die
fehlerhafte Anwendung des Art. 19 Satz 1 EV, wirft aber keine Rechtsfrage zu dieser
Vertragsbestimmung auf, sondern legt nur umfangreich die Rechtslage zum Glücks-
spielwesen der DDR dar. Soweit der Beschwerdebegründung eine Rechtsfrage ent-
nommen werden kann (Beschwerdebegründungsschrift S. 6), kann sie wegen des
Streitgegenstands des Verfahrens nur auf die Klärung der Reichweite der von dem
Magistrat der Stadt Gera erteilten Erlaubnis vom 14. September 1990 zielen. Dazu
ist das Erforderliche bereits ausgeführt.
d) Im Zusammenhang mit seiner Aufklärungsrüge führt der Vertreter
des öffentlichen Interesses aus, dass das Revisionsgericht auch befugt sein kann,
nicht revisibles Recht der DDR zu ermitteln und zu berücksichtigen. Das ist zutref-
fend. Das Bundesverwaltungsgericht kann zur Ausfüllung revisiblen Rechts seinerzeit
geltende Rechtsvorschriften der DDR selbst heranziehen. Insoweit handelt es sich
nicht um die Auslegung und Anwendung revisiblen Rechts, sondern um die Be-
rücksichtigung allgemeinkundiger Tatsachen (zum Ganzen Beschluss vom
13. Februar 2003
- BVerwG 7 B 8.03 - n.v.). Dies kann allerdings nur dann zur Ermittlung nicht revi-
siblen Rechts der DDR führen, wenn in Bezug auf revisibles Recht noch zu klärende
Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt werden, zu deren Beant-
wortung das nicht revisible Recht als Tatsache von Bedeutung ist. Daran fehlt es.
e) Der vom Vertreter des öffentlichen Interesses in der Einleitung der
Beschwerdebegründung angesprochene Revisionszulassungsgrund der Abweichung
von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist auch nicht ansatzweise
den dargestellten Anforderungen gemäß dargelegt worden. Der Vertreter des öffent-
lichen Interesses führt lediglich im Zusammenhang mit seinem Vorbringen zur
grundsätzlichen Bedeutung zwei Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts
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und des Bundesverfassungsgerichts an, ohne Rechtssätze anzuführen und diesen
widerstreitende Rechtssätze des Oberverwaltungsgerichts gegenüberzustellen. Eine
Abweichung von der Rechtsprechung anderer Gerichte, welche die Beschwerdebe-
gründung darstellt, rechtfertigt nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht die Zulassung
der Revision
f) Die Verfahrensrüge des Vertreters des öffentlichen Interesses kann
ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision führen. Die Beschwerde macht geltend,
das angefochtene Urteil beruhe auf einer mangelnden Aufklärung des entschei-
dungserheblichen Sachverhalts, weil das Oberverwaltungsgericht es unterlassen
habe, alle dem System des Glücksspielrechts in der DDR zugrunde liegenden Ge-
setze zu berücksichtigen. Das Berufungsgericht habe das Rechtssystem der DDR
außer Acht gelassen, indem eine "Beschäftigung mit der Regelungsmaterie und der
Erforschung des Systems und Zusammenspiels der Gesetze" unterblieben sei.
Die Auslegung und Anwendung von nicht revisibel gewordenen Be-
stimmungen der DDR ist wie bei ausländischem Recht revisionsrechtlich als Tatsa-
chenfeststellung zu behandeln. Sie ist deshalb den Tatsachengerichten vorbehalten
(Urteil vom 9. März 1999 - BVerwG 3 C 21.98 - Buchholz 115 Sonst. Wiedervereini-
gungsrecht Nr. 21). Fremdes (ausländisches) Recht und daher in entsprechender
Weise nicht revisibles Recht der DDR sind einer Beweiserhebung zugänglich (vgl.
§ 173 VwGO, § 293 ZPO), die sich auch auf die tatsächliche Anwendung des Rechts
in einem bestimmten Zeitraum erstrecken kann. Eine darauf zielende Aufklärungsrü-
ge ist daher statthaft. Die nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO gebotene Darlegung des
Verfahrensmangels ungenügender Sachaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) erfordert die
substantiierte Erklärung, hinsichtlich welcher tatsächlicher Umstände Aufklärungsbe-
darf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungs-
maßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststel-
lungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich
getroffen worden wären; weiterhin muss dargelegt werden, dass bereits im Verfahren
vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die
Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird,
hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen
auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (stRspr,
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z.B. Beschluss vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B 81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1
VwGO Nr. 265). Daran fehlt es. Die Beschwerde zeigt nicht im Einzelnen auf, welche
Rechtsvorschriften der DDR vom Berufungsgericht nicht angewandt worden sind,
obwohl sie hätten angewandt werden müssen, sondern rügt ein fehlerhaftes Ver-
ständnis der Rechtsvorschriften. Damit kann der Verfahrensmangel ungenügender
Sachaufklärung nicht dargelegt werden. Die Rüge führt lediglich auf eine nach An-
sicht des Vertreters des öffentlichen Interesses fehlerhafte Auslegung und Anwen-
dung des nicht revisiblen Rechts.
3. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2, § 159
VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes be-
ruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.
Bardenhewer
Hahn
Graulich