Urteil des BVerwG vom 10.05.2010

Aufschiebende Wirkung, Exmatrikulation, Bier, Verfügung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 B 49.09
VGH 2 S 2721/08
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Mai 2010
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge, Dr. Bier und Dr. Möller
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs
Baden-Württemberg vom 23. April 2009 wird zurückge-
wiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 2 045,16 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde, die sich auf die Revisionszulassungsgründe der grundsätzli-
chen Bedeutung der Rechtssache (1.) und des Verfahrensmangels (2.) stützt,
hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache
gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Grundsätzlich bedeutsam im
Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache, wenn für die angefochtene Ent-
scheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang höchst-
richterlich ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war,
deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Ein-
heitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts gebo-
ten ist. Der Beschwerdebegründung lässt sich gemessen an dem Darlegungs-
erfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht entnehmen, dass diese Vor-
aussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.
Der Kläger hat mit seiner Klage (hilfsweise) die Verpflichtung der Beklagten
begehrt, ihm die für die Zeit vom Sommersemester 2003 bis zum Wintersemes-
ter 2004/2005 festgesetzten Langzeitstudiengebühren auf der Grundlage von
§ 7 Abs. 2 des Landeshochschulgebührengesetzes (LHGebG) in der durch
Art. 24 Nr. 2 des Zweiten Gesetzes zur Änderung hochschulrechtlicher Vor-
schriften (Zweites Hochschulrechtsänderungsgesetz - 2. HRÄG) vom 1. Januar
2005 (GBl. S. 1) mit Wirkung zum 6. Januar 2005 aufgehobenen, für den vor-
liegenden Fall noch maßgeblichen Fassung vom 6. Dezember 1999 (GBl.
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S. 605) zu erlassen. Der Verwaltungsgerichtshof hat die nach dieser Vorschrift
für einen Erlass erforderliche unbillige Härte wie zuvor bereits das Verwal-
tungsgericht auf Grund der Erwägung verneint, dass die Beklagte dem Kläger
bei der Berechnung seines Bildungsguthabens nach § 3 Abs. 1 Satz 1 LHGebG
a.F. die volle Anzahl von vier „Toleranzsemestern“ zugebilligt habe, obwohl der
Kläger ab dem Wintersemester 2001/2002 nur noch für ein Kurzzeitstudium im
Sinne von § 92 Abs. 2 des durch Art. 24 Nr. 1 a) 2. HRÄG mit Wirkung zum
6. Januar 2005 aufgehobenen Gesetzes über die Universitäten im Lande Ba-
den-Württemberg (Universitätsgesetz - UG) vom 1. Februar 2000 (GBl. S. 208)
zugelassen gewesen sei. Für dieses Studium sei ungeachtet der regelmäßig
erforderlichen, von der Beklagten jedoch zunächst nicht vorgenommenen aus-
drücklichen Befristung der Zulassung als Regelstudienzeit nach § 4 Abs. 1
Satz 1 LHGebG a.F. zutreffend die in § 92 Abs. 2 Satz 4 UG a.F. genannte Zahl
von zwei Semestern in Ansatz gebracht worden. Das Bildungsguthaben des
Klägers von sechs Semestern habe mithin das Dreifache der Regelstudienzeit
betragen, so dass ihm trotz einer zu seinen Gunsten unterstellten
krankheitsbedingten Studierunfähigkeit im Sommersemester 2001 und im Win-
tersemester 2001/2002 genügend Zeit für den Abschluss seines Studiums zur
Verfügung gestanden habe.
Der Kläger hält vor diesem Hintergrund die Frage für grundsätzlich klärungsbe-
dürftig, „ob bei einem Kurzzeitstudium die Regelstudienzeit zwei Semester be-
trägt oder von der tatsächlichen Befristung abhängt“.
Diese Frage kann nicht zur Zulassung der Grundsatzrevision führen. Sie zeigt
- ungeachtet der Problematik der grundsätzlichen Bedeutung von Rechtsfragen
auf Grund ausgelaufenen Rechts - keine ungelöste Problematik des revisiblen
Rechts auf, sondern betrifft allein die Auslegung und Anwendung der nach
§ 137 Abs. 1 VwGO irrevisiblen landesrechtlichen Norm des § 92 UG a.F. im
Regelungszusammenhang der ebenfalls dem Landesrecht angehörenden Vor-
schrift des § 7 Abs. 2 LHGebG a.F. Die letztgenannte, durch die von dem Klä-
ger aufgeworfene Frage ohnehin nur mittelbar angesprochene Erlass- bzw.
Härtefallregelung gewinnt allein durch den Umstand, dass eine solche Rege-
lung im (Landes-)Recht der Studiengebühren zur Bewältigung von Ausnahme-
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situationen auch aus Gründen des Bundesverfassungsrechts (Art. 12 Abs. 1
GG) erforderlich ist (vgl. dazu: BVerfG, Beschlüsse vom 31. März 2006 - 1 BvR
1750/01 - juris Rn. 34 ff. und - 1 BvR 1771/01 - juris Rn. 32 f.), nicht den Cha-
rakter revisiblen Bundesrechts (s. Beschluss vom 11. November 2009
- BVerwG 6 B 15.09 - juris Rn. 5 f.).
2. Die Revision ist auch nicht deshalb zuzulassen, weil im Sinne des § 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt,
auf dem die Entscheidung beruhen kann.
a) Soweit der Kläger mit seinem Vorbringen, das Berufungsgericht habe bei der
Härtefallentscheidung die Anrechnung der zwei von ihm an der Universität E.
absolvierten Semester (Sommersemester 2000 und Wintersemester
2000/2001) auf das Bildungsguthaben nicht berücksichtigt, einen Verstoß ge-
gen den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. Urteil
vom 2. Februar 1984 - BVerwG 6 C 134.81 - BVerwGE 68, 338 <339 f.> =
Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 145 S. 36; Beschluss vom 18. Dezember 2008
- BVerwG 6 B 70.08 - juris Rn. 8) geltend machen will, weil das Gericht von ei-
nem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen sei, geht dies fehl. Denn der Ver-
waltungsgerichtshof hat, wie sich aus den Gründen seiner Entscheidung (UA
S. 11) ergibt, die fragliche Zeit bei der Überprüfung des Verbrauchs des Bil-
dungsguthabens des Klägers in Ansatz gebracht und das Vorliegen einer zum
Gebührenerlass führenden unbilligen Härte gleichwohl verneint.
b) Ebenso wenig führt die weitere Rüge des Klägers, das vorinstanzliche Ge-
richt habe zwar nachgeforscht, wie viele Semester er effektiv studiert habe, je-
doch unterlassen zu klären, welche es waren, in beachtlicher Weise auf einen
Verfahrensfehler in Gestalt der Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes aus
§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Denn aus diesem Grundsatz ergibt sich eine
Aufklärungspflicht des Tatrichters nur für solche Umstände, auf die es nach
seiner eigenen materiellrechtlichen Auffassung, die er seinem Urteil zu Grunde
legt und die auf die Verfahrensrüge hin nicht zu überprüfen ist, ankommt (Urteil
vom 24. Oktober 1984 - BVerwG 6 C 49.84 - BVerwGE 70, 216 <221 f.>, inso-
weit in Buchholz 448.6 § 14 KDVG Nr. 4 nicht abgedruckt; Beschluss vom
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18. Dezember 2008 a.a.O. Rn. 10). Für die Entscheidung des Berufungsge-
richts war ersichtlich nur der Gesamtumfang des dem Kläger zur Verfügung
stehenden Bildungsguthabens, nicht aber die Frage der konkreten Ausnutzung
desselben von Belang.
c) Schließlich ergibt sich aus dem Vortrag des Klägers, der Verwaltungsge-
richtshof habe zu Unrecht unterstellt, dass er durch die Beklagte nach seiner
- infolge Klageerhebung suspendierten - Exmatrikulation nicht von dem Besuch
von Lehrveranstaltungen abgehalten worden sei, jedenfalls aber sei er über die
aufschiebende Wirkung seiner Klage nicht belehrt worden, weder eine Verlet-
zung des Überzeugungsgrundsatzes aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO noch ein
Verstoß gegen die Pflicht zur Amtsaufklärung im Sinne des § 86 Abs. 1 Satz 1
VwGO. Denn zum einen enthält dieses Vorbringen des Klägers nicht die Be-
hauptung, dass die Beklagte ihn tatsächlich von der Teilnahme an Veranstal-
tungen abgehalten habe. Zum anderen kam es nach der materiellrechtlichen
Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs auf das Wissen des Klägers um die
aufschiebende Wirkung seines gegen die verfügte Exmatrikulation eingelegten
Rechtsmittels nicht an.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des
Streitwertes beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Büge
Dr. Bier
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