Urteil des BVerwG vom 06.05.2010

Rechtsmittelbelehrung, Zustellung, Verfügung, Rechtsmittelfrist

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 B 48.09
VG 11 K 7540/08
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 6. Mai 2010
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge,
Dr. Graulich und Dr. Möller
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Düs-
seldorf vom 30. März 2009 wird verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision ist unzu-
lässig, da sie nicht innerhalb der Frist des § 133 Abs. 2 Satz 1 VwGO eingelegt
und nicht innerhalb der Frist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet worden
ist.
1. Nach § 133 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist die Beschwerde gegen die Nichtzulas-
sung der Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen
Urteils einzulegen. Gemäß § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist das Rechtsmittel in-
nerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begrün-
den. Das angefochtene Urteil ist dem früheren Prozessbevollmächtigten des
Klägers am 15. April 2009 zugestellt worden. Die Einlegungsfrist für die Be-
schwerde endete damit am 15. Mai 2009, die Beschwerdebegründungsfrist am
15. Juni 2009. Diese Fristen hat der Kläger versäumt, denn die Beschwerde ist
erst am 29. Mai 2009 und die Beschwerdebegründung erst am 29. Juni 2009
beim Verwaltungsgericht eingegangen.
2. Die Fristen des § 133 Abs. 2 Satz 1 VwGO und des § 133 Abs. 3 Satz 1
VwGO sind nicht dadurch neu in Gang gesetzt worden, dass das Verwaltungs-
gericht den Beteiligten - dem Kläger am 4. Mai 2009 - die durch Beschluss vom
28. April 2009 in der Kostenentscheidung gemäß § 118 VwGO berichtigten Ur-
teilsausfertigungen erneut zugestellt hat.
Die genannten Fristen beginnen mit der Zustellung des vollständigen Urteils.
Vollständig in diesem Sinne ist ein Urteil auch dann, wenn die zugestellte Ur-
teilsausfertigung geringfügige Unrichtigkeiten aufweist. In einem solchen Fall
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hat ein nach § 118 VwGO durchgeführtes Berichtigungsverfahren nach der
ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschlüsse vom
7. April 1966 - BVerwG 4 B 165.65 - RdL 1966, 251 f., vom 22. März 1991
- BVerwG 7 B 30.91 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 296 S. 30, vom 24. Mai
1996 - BVerwG 3 C 55.96 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 23 S. 9 und
vom 10. Juli 2008 - BVerwG 2 B 41.08 - juris Rn. 4, vgl. in der Sache nach
ebenso: BFH, Beschluss vom 9. August 1974 - V B 29/74 - BB 1974, 1330;
BGH, Beschluss vom 6. Mai 2009 - XII ZB 81/08 - NJW-RR 2009, 1443 m.w.N.)
auf den Fristablauf grundsätzlich keinen Einfluss. Die Beteiligten müssen ihre
Entscheidung über die Einlegung von Rechtsmitteln auf der Grundlage des un-
richtigen Urteils treffen. Im Hinblick auf die Offensichtlichkeit der in Betracht
kommenden Fehler ist das regelmäßig zumutbar (vgl. auch: Clausing, in:
Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Juli 2009, § 118 Rn. 7). Die
Berichtigung eröffnet eine neue Rechtsmittelfrist gegen die berichtigte Ent-
scheidung nur dann, wenn erst die berichtigte Fassung des Urteils die Partei in
die Lage versetzt, sachgerecht über die Frage der Einlegung des Rechtsmittels
und dessen Begründung zu entscheiden. Dies ist der Fall, wenn erst aus der
Berichtigung hervorgeht, dass eine Partei durch das ergangene Urteil be-
schwert ist oder wenn die Beteiligten bei Rückforderung der Urteilsausfertigung
zwecks Berichtigung nicht erkennen konnten, in welchem Umfang eine Berich-
tigung vorgenommen werden würde.
Ein entsprechender Fall liegt hier nicht vor. Mit Verfügung vom 15. April 2009
- den Beteiligten per Telefax am 16. April 2009 übermittelt - hat das Verwal-
tungsgericht darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, den Tenor des Urteils
zur Kostenentscheidung wegen offenbarer Unrichtigkeit des Ausspruchs zur
Gerichtskostenfreiheit gemäß § 118 Abs. 1 VwGO zu berichtigen. Es hat eine
Frist zur Stellungnahme bis zum 24. April 2009 eingeräumt und die zugestellten
Urteilsausfertigungen mit dem Hinweis zurückgefordert, dass nach Ablauf der
Stellungnahmefrist eine erneute Zustellung veranlasst werde. Nachdem die Be-
teiligten Einwände nicht erhoben hatten, ist das Verwaltungsgericht entspre-
chend verfahren.
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Damit unterscheidet sich das berichtigte Urteil nur geringfügig von den unbe-
richtigten Ausfertigungen, die den Beteiligten zunächst zugestellt worden wa-
ren. Die Klarstellung einer schon bisher bestehenden, jedoch verborgenen
sachlichen Beschwer konnte die Berichtigung schon deshalb nicht zur Folge
haben, weil sie lediglich die Kostenentscheidung des verwaltungsgerichtlichen
Urteils betraf. Allein auf den Gesichtspunkt einer hinzugekommenen kostenmä-
ßigen Beschwer kann entgegen der Ansicht des Klägers nicht abgestellt wer-
den. Dies ergibt sich aus dem Rechtsgedanken des § 158 VwGO (in diesem
Sinne die Notwendigkeit einer sachlichen Beschwer betonend: BFH, Beschluss
vom 9. August 1974 a.a.O.).
Ferner ist nicht ersichtlich, inwiefern dem Kläger erst der Inhalt des Berichti-
gungsbeschlusses Klarheit darüber verschaffen konnte, ob er Beschwerde ge-
gen die Nichtzulassung der Revision einlegen und wie er diese gegebenenfalls
begründen solle. Insbesondere war seinem vormaligen Prozessbevollmächtig-
ten auf Grund der am 16. April 2009 übermittelten verwaltungsgerichtlichen Ver-
fügung vom 15. April 2009 bereits einen Tag nach Zustellung des Urteils vom
30. März 2009 bekannt, inwieweit eine Urteilsberichtigung vorgenommen wer-
den würde. Durch die zeitweilige Rückgabe der Urteilsausfertigungen an das
Verwaltungsgericht war der Kläger in der Wahrnehmung seiner Rechte im
Rechtsmittelverfahren schon deshalb nicht gehindert, weil er bzw. sein damali-
ger Prozessbevollmächtigter nach den Umständen Anlass gehabt hätten, erfor-
derlichenfalls Kopien des Urteilsabdruckes anzufertigen (vgl. dazu allgemein:
Beschluss vom 24. Mai 1996 a.a.O. S. 10).
3. Die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers und deren Be-
gründung sind auch nicht deshalb als fristgerecht zu werten, weil die dem Urteil
des Verwaltungsgerichts vom 30. März 2009 beigegebene Rechtsmittelbeleh-
rung den Anforderungen des § 58 Abs. 1 VwGO nicht genügen würde und des-
halb gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 VwGO jeweils von einer Jahresfrist auszugehen
wäre.
Der Kläger rügt zu Unrecht, die Rechtsmittelbelehrung sei fehlerhaft, weil sie
den Sitz des Bundesverwaltungsgerichts als Beschwerdegericht nicht bezeich-
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ne. Denn § 58 Abs. 1 VwGO fordert eine Belehrung über den Sitz des Gerichts,
bei dem der Rechtsbehelf anzubringen ist. Gemäß § 133 Abs. 2 Satz 1 VwGO
muss die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bei dem Gericht
angebracht werden, gegen dessen Urteil Revision eingelegt werden soll. Bei
eben diesem Gericht muss gemäß § 133 Abs. 3 Satz 2 VwGO auch die Be-
schwerdebegründung eingereicht werden. Der Sitz des Verwaltungsgerichts
Düsseldorf, dessen Urteil der Kläger mit der Revision, deren Zulassung er er-
strebt, angreifen will, wird in der Rechtsmittelbelehrung des Urteils korrekt be-
nannt.
Ebenso fehl geht der Kläger mit seinem weiteren Einwand, die Rechtsmittelbe-
lehrung erweise sich als widersprüchlich und intransparent, weil sie im Hinblick
auf das Vertretungserfordernis nach § 67 Abs. 4 VwGO ausführe, dass als Be-
vollmächtigte nur die in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO bezeichneten Personen oder
diesen gleichgestellte Personen zugelassen seien. Nach der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts muss die Rechtsmittelbelehrung für die Nicht-
zulassungsbeschwerde über den gesetzlichen Vertretungszwang nicht belehren
(Beschlüsse vom 15. Februar 2000 - BVerwG 11 B 52.99 - Buchholz 424.02
§ 64 LwAnpG Nr. 8 S. 2 f. und vom 7. Oktober 2009 - BVerwG 9 B 83.09 -
NVwZ-RR 2010, 36 f.; ebenso für die Revision: Urteil vom 15. April 1977
- BVerwG 4 C 3.74 - BVerwGE 52, 226 <232> = Buchholz 407.4 § 17 FStrG
Nr. 24 S. 51; offen für erstinstanzliche Verfahren: Urteil vom 31. März 1995
- BVerwG 4 A 1.93 - BVerwGE 98, 126 <127 f.> = Buchholz 407.4 § 17 FStrG
Nr. 99 S. 12 f.); wenn allerdings ein derartiger Hinweis vorgenommen wird, darf
er für die Betroffenen nicht irreführend sein (Beschluss vom 15. Februar 2000
a.a.O. S. 3). Eine solche Irreführung kann indes im vorliegenden Fall ausge-
schlossen werden. Denn durch die von dem Kläger kritisierte Formulierung in
der Rechtsmittelbelehrung des verwaltungsgerichtlichen Urteils vom 30. März
2009 waren im Hinblick auf die zur Zeit des Urteilserlasses geltende, durch das
Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12. Dezember 2007
(BGBl I S. 2840) eingeführte Fassung des § 67 Abs. 4 VwGO hinreichend deut-
lich die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO aufgeführten zusätzlichen Möglichkeiten
der Vertretung von Behörden und juristischen Personen des öffentlichen Rechts
angesprochen. Nur damit konnten die in der Rechtsmittelbelehrung bezeichne-
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ten „diesen gleichgestellte Personen“ gemeint sein. Dieser Begriff wurde textlich
durch den nachfolgenden Hinweis auf die Behördenvertreter ausgefüllt. Anhand
des maßgeblichen Wortlauts der Rechtsmittelbelehrung konnte keine Unsicher-
heit dahin aufkommen, ob mit den „gleichgestellten Personen“ nicht
- unzutreffenderweise - die in § 67 Abs. 2 Satz 2 VwGO genannten Personen
angesprochen sein sollten. Gegen die sinngemäße Bezugnahme auf § 67
Abs. 2 Satz 2 VwGO spricht auch der Hinweis im letzten Satz der Rechtsmittel-
belehrung, wonach ein Beteiligter, der nach Maßgabe von § 67 Abs. 4 Satz 3
VwGO zur Vertretung berechtigt ist, sich selbst vertreten kann. Damit wird deut-
lich, dass sich die Prozessvertretung vor dem Bundesverwaltungsgericht aus-
schließlich nach § 67 Abs. 4 VwGO und den dort insoweit in Bezug genomme-
nen Regelungen richtete, also gerade nicht nach § 67 Abs. 2 Satz 2 VwGO.
4. Schließlich kann dem Kläger nicht die beantragte Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand nach § 60 VwGO im Hinblick auf die versäumten Fristen für die
Einlegung und die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde gewährt wer-
den.
Der anwaltlich vertretene Kläger war nicht, wie von § 60 Abs. 1 VwGO gefor-
dert, ohne sein Verschulden an der Einhaltung der genannten Fristen verhin-
dert. Die Vorwerfbarkeit und Zurechnung der Fehleinschätzung über den Fris-
tenlauf scheiden entgegen der Ansicht des Klägers nicht deshalb aus, weil das
Verwaltungsgericht eine erneute Zustellung des im Kostenpunkt berichtigten
Urteils angekündigt, ohne besonderen Hinweis auf die weiter laufenden Fristen
vorgenommen und bei der Behandlung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht
auf die Verfristung hingewiesen hat. Die erneute Zustellung des gesamten be-
richtigten Urteils ist zwar nicht zwingend nötig (Kilian, in: Sodan/Ziekow, VwGO,
2. Aufl. 2006, § 118 Rn. 31), in der Praxis aber nicht unüblich. In jedem Fall er-
forderte die im Hinblick auf den Fristenlauf bestehende klare Rechtslage keinen
ausdrücklichen Hinweis. Das Verwaltungsgericht hat die verfristet erhobene und
begründete Beschwerde entsprechend § 135 Satz 3 i.V.m. § 133 Abs. 5 Satz 1
VwGO behandelt.
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5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52
Abs. 2 GKG.
Büge
Dr. Graulich
Dr. Möller
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Sachgebiet:
BVerwGE: nein
Zivildienstrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
VwGO
§§ 58, 60, 67, 118, 133 Abs. 2 und Abs. 3
Stichworte:
Nichtzulassungsbeschwerde, Einlegungsfrist, Begründungsfrist, Fristenlauf,
Urteilsberichtigung, Vertretungszwang, Rechtsmittelbelehrung, Wiedereinset-
zung in den vorigen Stand.
Leitsatz:
Eine Urteilsberichtigung eröffnet eine neue Rechtsmittelfrist gegen die berichtig-
te Entscheidung nur dann, wenn erst die berichtigte Fassung des Urteils die
Partei in die Lage versetzt, sachgerecht über die Frage der Einlegung des
Rechtsmittels und dessen Begründung zu entscheiden.
Beschluss des 6. Senats vom 6. Mai 2010 - BVerwG 6 B 48.09
VG Düsseldorf vom 30.03.2009 - Az.: VG 11 K 7540/08 -