Urteil des BVerwG vom 20.08.2007

Rechtliches Gehör, Umfrage, Star, Versorgung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 B 40.07
OVG 2 KO 832/05
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. August 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hahn
und Dr. Graulich
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Thüringer Oberverwal-
tungsgerichts vom 30. Januar 2007 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 11 252 € festgesetzt.
G r ü n d e :
1. Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Nach § 132 Abs. 2 VwGO kann die Revision nur zugelassen werden, wenn die
Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Berufungsentscheidung
von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen
Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsge-
richts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein Verfahrensmangel
geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Berufungsentscheidung beru-
hen kann. Wird wie hier die Nichtzulassung der Revision mit der Beschwerde
angefochten, muss in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeu-
tung dargelegt oder die Entscheidung, von der die Berufungsentscheidung ab-
weicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden (§ 133 Abs. 3 Satz 3
VwGO). Die Prüfung des beschließenden Senats ist demgemäß auf fristgerecht
geltend gemachte Beschwerdegründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO be-
schränkt.
a) Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur
zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revi-
siblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des
Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des
§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer konkreten Rechts-
frage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis
auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen
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soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisi-
onsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworte-
ten fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann.
aa) Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO folgt nicht schon daraus, dass das Verwaltungsgericht die Beru-
fung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuge-
lassen hat. Das ergibt sich schon aus dem unterschiedlichen Prüfungsrahmen
von Oberverwaltungsgerichten und dem Bundesverwaltungsgericht, das Fragen
des revisiblen Rechts zu klären hat.
bb) Der Kläger hält die Frage für klärungsbedürftig, „ob angesichts der durch
den Bund verstärkt propagierten Instrumente der privaten Altersvorsorge, zu-
nehmend steigender Beitragssätze in den öffentlich-rechtlichen Versorgungs-
einrichtungen, einer abnehmenden Zahl von neuen Beitragspflichtigen, der ge-
nerellen Pfändbarkeit der Versorgungsanwartschaften gegenüber den weitge-
hend unpfändbaren privaten Rentenanwartschaften, einer unzeitgemäßen und
im Vergleich zur privaten Vorsorge nachteiligen Ausgestaltung von Hinterblie-
benenrente und Berufsunfähigkeitsrente die mit der Zwangsmitgliedschaft ver-
bundenen Eingriffe in die Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1,
sowie in Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG noch zu rechtfertigen sind.“
Diese Frage kann nicht zur Zulassung der Grundsatzrevision führen.
Die Pflichtmitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten beruht nach den Darle-
gungen des Berufungsgerichts auf dem Thüringischen Landesrecht. Nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vermag die Rüge
der Nichtbeachtung von Bundesrecht bei der Anwendung und Auslegung von
Landesrecht eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nur dann
zu begründen, wenn die Auslegung der - gegenüber dem Landesrecht als kor-
rigierender Maßstab angeführten - bundesrechtlichen Norm ihrerseits ungeklär-
te Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (s. Beschlüsse vom 9. März
1984 - BVerwG 7 B 238.81 - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 49,
vom 15. Dezember 1989 - BVerwG 7 B 177.89 - Buchholz 310 § 132 VwGO
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Nr. 277, vom 1. September 1992 - BVerwG 11 B 24.92 - Buchholz 310 § 137
VwGO Nr. 171 und vom 11. Dezember 2003 - BVerwG 6 B 69.03 - Buchholz
422.2 Rundfunkrecht Nr. 39). Die angeblichen bundesrechtlichen Maßgaben,
deren Tragweite und Klärungsbedürftigkeit im Hinblick auf die einschlägigen
landesrechtlichen Regelungen sowie die Entscheidungserheblichkeit ihrer Klä-
rung in dem anhängigen Verfahren wären in der Beschwerdebegründung dar-
zulegen (vgl. Beschluss vom 19. Juli 1995 - BVerwG 6 NB 1.95 - Buchholz 310
§ 47 VwGO Nr. 104). Dem Erfordernis einer Darlegung dieser Voraussetzungen
wird nicht schon dadurch genügt, dass die maßgebliche Norm als verfassungs-
rechtlich bedenklich angesehen wird. Vielmehr ist im Einzelnen darzulegen,
gegen welche verfassungsrechtlichen Normen verstoßen wird und ob sich bei
der Auslegung dieser Normen alsdann Fragen grundsätzlicher Bedeutung stel-
len, die sich noch nicht auf Grund bisheriger oberstgerichtlicher Rechtspre-
chung - insbesondere des Bundesverwaltungsgerichts - beantworten lassen.
Ein solcher Klärungsbedarf ist den Ausführungen der Beschwerde nicht zu ent-
nehmen.
Wie die Beschwerde nicht verkennt, ist das Bundesverwaltungsgericht in seiner
bisherigen Rechtsprechung stets von der Zulässigkeit einer Pflichtversorgung
für Angehörige freier Berufe einschließlich der Rechtsanwälte ausgegangen
(Urteil vom 5. Dezember 2000 - BVerwG 1 C 11.00 - Buchholz 430.4 Versor-
gungsrecht Nr. 44 S. 17). Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass
die Einführung eines berufsständischen Versorgungswerks für Rechtsanwälte
mit Pflichtmitgliedschaft weder gegen Art. 12 Abs. 1 GG noch Art. 2 Abs. 1 GG
verstößt (Kammerbeschluss vom 4. April 1989 - 1 BvR 685/88 - NJW 1990,
1653; vgl. auch Kammerbeschluss vom 28. November 1997 - 1 BvR 324/93 -
NJW-RR 1999, 134). Dass eine erneute Befassung des Revisionsgerichts mit
diesem Problem erforderlich wäre, zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf:
Die Pflichtmitgliedschaft bezweckt die Pflichtversorgung der Rechtsanwälte und
dient durch deren wirtschaftliche Absicherung der Erhaltung eines leistungsfä-
higen Anwaltsstandes. Sie ermöglicht es zugleich, dass die Rechtsanwälte bei
Erreichen eines bestimmten Lebensalters aus der aktiven Berufstätigkeit aus-
scheiden und der nachfolgenden Generation Platz machen. Damit verfolgt die
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Pflichtmitgliedschaft legitime Zwecke und ihre Anordnung hält sich innerhalb
des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers. Ein Gemeinwohlbelang von ho-
her Bedeutung ist auch die finanzielle Stabilität des Versorgungsträgers. Maß-
nahmen, die ihr zu dienen bestimmt sind, können auch dann gerechtfertigt sein,
wenn sie für die Betroffenen zu fühlbaren Einschränkungen führen (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 449/82 u.a. - BVerfGE 70, 1
<30>).
Der Kläger verweist auf die Förderung der privaten Altersvorsorge. Die dazu
vom Kläger genannten Instrumente sind jedoch nicht geeignet, eine von der
individuellen Entscheidung des Rechtsanwalts unabhängige Versorgung zu
bewirken. Sie können und sollen die den Angehörigen eines Pflichtversiche-
rungssystems zukommende Versorgung ergänzen, diese aber nicht ersetzen.
Der Bundesgesetzgeber hat die Einführung von Instrumenten der privaten Al-
tersversorgung nicht etwa zum Anlass genommen, die Pflichtversicherung nach
dem Sozialgesetzbuch VI aufzugeben. Ebenso wenig besteht Anlass, deshalb
die Pflichtversorgung der Angehörigen freier Berufe aufzugeben. Die mit der
Pflichtversicherung verfolgten Ziele können durch eine von privaten Entschlüs-
sen abhängige Altersversorgung nicht sicher erreicht werden. Der Hinweis auf
die von dem Kläger angeführten Vorsorgeinstrumente rechtfertigt daher nicht
eine erneute Befassung des Revisionsgerichts mit der Pflichtmitgliedschaft in
einem Rechtsanwaltsversorgungswerk.
cc) Der Kläger meint ferner, durch steigende Beitragssätze, eine grundsätzliche
Pfändbarkeit künftiger Rentenansprüche gegen ein Rechtsanwaltsversor-
gungswerk und die nachteilige Ausgestaltung der berufsständischen Versor-
gung werde es den Beitragspflichtigen unzumutbar erschwert, die alternativen
Alterssicherungsinstrumente zu nutzen. Auch mit diesen Hinweisen kann eine
grundsätzliche Bedeutung der Sache nicht dargetan werden. Wie ausgeführt,
sind die angeführten Instrumente privater Altersvorsorge nicht geeignet, die
Ziele der Pflichtversicherung in einem Rechtsanwaltsversorgungswerk zu errei-
chen. Beitragserhöhungen und sonstige u.a. dem demografischen Wandel ge-
schuldete Entwicklungen treffen alle Versorgungssysteme in mehr oder weniger
gleichem Umfang, ohne dass deshalb die Verfassungskonformität der Pflicht-
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versicherungen in Frage gestellt werden könnte. Soweit der Kläger auf den
Pfändungsschutz der Altersvorsorge verweist, berücksichtigt er zudem nicht
ausreichend, dass auch die im Gesetz vom 26. März 2007 (BGBl I S. 368)
erfassten Ansprüche auf Altersleistungen wie Arbeitseinkommen pfändbar sind,
was nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch für die Ver-
sorgungsansprüche gegen eine Rechtsanwaltsversorgungseinrichtung gilt (da-
zu BGH, Beschluss vom 25. August 2004 - IXa ZB 271/03 - BGHZ 160, 197).
b) Der Revisionszulassungsgrund der Abweichung von der Rechtsprechung der
in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte ist ebenfalls nicht gegeben.
Eine die Zulassung der Revision rechtfertigende Divergenz im Sinne der ge-
nannten Vorschrift liegt nur vor, wenn das Berufungsgericht mit einem seine
Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem ebensolchen
Rechtssatz abgerückt ist, den eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten
Gerichte aufgestellt hat. Dabei müssen die Rechtssätze sich grundsätzlich auf
dieselbe Rechtsnorm beziehen. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO verlangt in diesem Zusammenhang, dass in der Beschwerdebe-
gründung ausgeführt wird, dass und inwiefern das Berufungsgericht seine Ent-
scheidung auf einen in der genannten Weise widersprechenden Rechtssatz
gestützt hat. Daran fehlt es.
aa) Der Kläger meint, das angefochtene Urteil weiche von dem Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts vom 8. März 2002 - 1 BvR 1974/96 - (NVwZ 2002,
851) ab. Dort sei der Rechtssatz aufgestellt, dass der Staat öffentlich-rechtliche
Verbände nur schaffen dürfe, „um legitime öffentliche Aufgaben wahrnehmen
zu lassen“. Aus der in diesem Beschluss vorgenommenen Bezugnahme auf
den Beschluss vom 19. Dezember 1962 - 1 BvR 541/57 - (BVerfGE 15, 235
<239>) ergebe sich eine Verweisung auf das Urteil vom 29. Juli 1959 - 1 BvR
394/58 - (BVerfGE 10, 89 <102>). Daraus folge, dass das Bundesverfassungs-
gericht den Begriff der „legitimen öffentlichen Aufgaben“ nicht allein im Sinne
von „sinnvoll“ oder „wünschenswert“ verstehe, sondern als Maßstab „noch im-
mer die zur Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen erforderliche Gefahren-
abwehr“ ansetze. Der Kläger leitet sodann aus den angeführten Entscheidun-
gen ein vierfach gestuftes Prüfungssystem der Verfassungskonformität eines
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Zwangsverbandes ab und führt aus, das Oberverwaltungsgericht habe sich mit
diesem Stand der Rechtsprechung nicht auseinander gesetzt.
Mit diesem Vorbringen wird schon nicht ein abstrakter Rechtssatz des Bundes-
verfassungsgerichts dargestellt, sondern die Rechtsprechung des Bundesver-
fassungsgerichts interpretiert. Außerdem bezeichnet der Kläger keinen abstrak-
ten Rechtssatz des Oberverwaltungsgerichts, der der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts widerspricht, sondern rügt die fehlende Anwendung
eines angeblichen Rechtssatzes des Bundesverfassungsgerichts. Damit kann
eine Divergenz nicht dargetan werden. Die umfangreichen weiteren Aus-
führungen in diesem Zusammenhang zeigen keinen Revisionszulassungsgrund
auf, sondern sind in der Art einer Revisionsbegründung gehalten. Damit wird
den grundsätzlichen Unterschieden zwischen der Darlegung eines Revisionszu-
lassungsgrundes und der Begründung einer zugelassenen Revision nicht Rech-
nung getragen.
bb) Auch mit der Rüge einer Abweichung von der Rechtsprechung des Bun-
desverwaltungsgerichts in dem Urteil vom 5. Dezember 2000 - BVerwG 1 C
11.00 - (Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 44) werden die Voraussetzungen
für eine Revisionszulassung nicht dargelegt. Der Kläger entnimmt dem ange-
fochtenen Urteil den Rechtssatz, dass ausreichend gewichtige Gründe des
Gemeinwohls, die für die Einführung einer sozialen Absicherung der Rechts-
anwälte als Ganzes sprechen, auch die notwendigen Einschränkungen der Be-
rufsausübung des Einzelnen rechtfertigten. Er meint, eine solche pauschale
Aussage sei in dem Urteil vom 5. Dezember 2000 nicht enthalten. Dort sei die
Aussage enthalten, dass Gemeinwohlinteressen nicht per se, sondern nur dann
als Rechtfertigung für den Grundrechtseingriff dienten, wenn sie nach ihrer
konkreten Wirkung so schwer wögen, dass sie Vorrang vor der Berufsbehinde-
rung verdienten.
Das Oberverwaltungsgericht hat in der vom Kläger angesprochenen Passage
die die Berufsfreiheit betreffenden Ausführungen in dem Urteil des Bundesver-
waltungsgerichts zusammenfassend dargestellt. Das ergibt sich bereits daraus,
dass sie nur wenige Zeilen umfasst, während die entsprechenden Erwägungen
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des Bundesverwaltungsgerichts einen breiten Raum eingenommen haben. Dort
ist unter den Umständen des damaligen Falles, in dem eine für eine bestimmte
Gruppe von Rechtsanwälten der Berufswahlregelung möglicherweise nahe
kommende Beitragsregelung zur Prüfung anstand, ausgeführt worden, dass
derartige Berufsausübungsregelungen nur mit solchen Allgemeininteressen
gerechtfertigt werden können, die so schwer wiegen, dass sie den Vorrang vor
der Berufsbehinderung verdienen. Die Zusammenfassung in dem angefochte-
nen Urteil entspricht den einleitenden Bemerkungen des betreffenden Absatzes
in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, dass Eingriffe in den Schutzbe-
reich des Art. 12 Abs. 1 GG mit je nach ihrer Wirkung unterschiedlichen Grün-
den gerechtfertigt sein müssen. Das Oberverwaltungsgericht ist in dem ange-
sprochenen Zusammenhang nicht davon ausgegangen, dass die soziale Absi-
cherung der Rechtsanwälte in Thüringen einer Berufswahlregelung nahe kom-
me. Unter diesen Umständen konnte es von der auf diesen Fall bezogenen
Aussage des Bundesverwaltungsgerichts nicht abweichen.
c) Wegen eines Verfahrensmangels kann die Revision gemäß § 132 Abs. 2
Nr. 3 VwGO nur zugelassen werden, wenn ein Mangel geltend gemacht wird
und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Ein solcher Mangel ist
nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet,
wenn er sowohl in Bezug auf die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen
als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird (Beschluss
vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO
Nr. 26). Diese Anforderungen sind hier nicht erfüllt.
aa) Die Darlegung des Verfahrensmangels ungenügender Sachaufklärung (§ 86
Abs. 1 VwGO) erfordert die substantiierte Erklärung, hinsichtlich welcher tat-
sächlicher Umstände nach der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des
Tatsachengerichts Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und
erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen
wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterblie-
benen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären; weiter-
hin muss dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachenge-
richt, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der
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Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt
worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch oh-
ne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (stRspr, z.B.
Beschluss vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B 81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1
VwGO Nr. 265).
Der Kläger vermisst eine Aufklärung über die Einkommensverhältnisse der
Rechtsanwälte und macht geltend, dem Oberverwaltungsgericht sei eine ent-
sprechende Ermittlung durch ein Amtshilfeersuchen an die Bundesrechtsan-
waltskammer oder durch die Ermittlung der Daten der Beklagten oder durch
eine Anfrage an die Oberfinanzdirektion möglich gewesen. Damit ist der gerüg-
te Verfahrensverstoß nicht hinreichend dargelegt. Der Kläger hat vor dem Beru-
fungsgericht keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt. Zu diesem Punkt
musste sich dem Oberverwaltungsgericht auch eine Aufklärung nicht aufdrän-
gen.
Der Kläger hatte unter Bezugnahme auf eine auf freiwilliger Basis beruhende
Umfrage (Statistisches Berichtssystem für Rechtsanwälte - STAR) die wirt-
schaftliche Situation der Rechtsanwälte in den neuen Bundesländern ange-
sprochen. Ausweislich des Berichts darüber (BRAK-Mitt. 2001, 208 <211>) hat-
ten die befragten Rechtsanwälte aus den neuen Bundesländern, die sich an der
Umfrage beteiligt hatten, 1998 im Durchschnitt Bruttoeinkommen von
64 000 DM (angestellte Rechtsanwälte), 75 000 DM (Rechtsanwälte als freie
Mitarbeiter) und 103 000 DM (selbständige Rechtsanwälte). Dies wich nur hin-
sichtlich der freien Mitarbeiter von den für die alten Bundesländer für 1998 er-
hobenen Beträge nach oben ab (dort 67 000 DM), während die angestellten
und selbständigen Rechtsanwälte mit 86 000 DM und 150 000 DM in den alten
Bundesländern höhere Bruttoeinkommen hatten. Da danach die wirtschaftliche
Lage der Rechtsanwälte in den neuen Bundesländern für die Vielzahl der
Rechtsanwälte von derjenigen in den alten Bundesländern nicht nach oben ab-
wich und für die Lage in Thüringen überhaupt keine Daten angegeben waren,
durfte das Berufungsgericht von der auf einer Initiative der Rechtsanwaltskam-
mer beruhenden Einschätzung des Gesetzgebers von der Erforderlichkeit einer
Pflichtversorgung ausgehen, wie sie auch in anderen Bundesländern besteht.
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Wenn der Kläger die wirtschaftliche Situation günstiger einschätzte und daraus
den Schluss auf die mangelnde Erforderlichkeit der Pflichtversorgung gezogen
wissen wollte, hätte er durch entsprechende Beweisanträge auf eine weitere
Sachaufklärung hinwirken müssen. Dies ist nicht geschehen, obwohl der Kläger
dazu nach den Bemerkungen des erstinstanzlichen Urteils zu der
STAR-Umfrage (UA S. 11) Anlass haben musste. Da er auch in Kenntnis der
Beurteilung der STAR-Umfrage durch das Verwaltungsgericht keinen entspre-
chenden Antrag gestellt hatte, musste sich dem Berufungsgericht keine weitere
Aufklärung aufdrängen, zumal selbst die Ergebnisse der STAR-Umfrage die
Behauptung des Klägers nur schwerlich stützen konnten.
bb) Der Kläger rügt, das angefochtene Urteil beruhe auf einer Verletzung des
Justizgewährungsanspruches, weil das Oberverwaltungsgericht auf eine über-
holte Rechtsprechung abgestellt habe.
Mit diesem Vorbringen kann ein Verfahrensfehler nicht dargetan werden. Der
als Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips anzusehende Justizgewährungsan-
spruch umfasst das Recht auf Zugang zu den Gerichten, die Prüfung des
Streitgegenstandes in einem förmlichen Verfahren sowie eine verbindliche Ent-
scheidung durch das Gericht (BVerfG, Beschluss des Plenums vom 30. April
2003 - 1 PBvU 1/02 - BVerfGE 107, 395 <401>). Daraus leiten sich einzelne
Anforderungen an Ausgestaltung und Durchführung der gerichtlichen Prüfung
des Streitgegenstandes her. Der Justizgewährungsanspruch bezieht sich aber
nicht auf den materiellen Inhalt einer gerichtlichen Entscheidung.
cc) Der Kläger wirft dem Berufungsgericht vor, seinen Anspruch auf rechtliches
Gehör missachtet zu haben. Das Gericht habe seine Einkommensverhältnisse
der Entscheidung zugrunde gelegt, ohne ihm Gelegenheit zu geben, sich hierzu
zu äußern. Dieser Vorwurf ist nicht begründet. Der Anspruch auf rechtliches
Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verpflichtet das Gericht, das
Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei der Entscheidung in
Erwägung zu ziehen. Außerdem soll das Grundrecht Überraschungsentschei-
dungen vorbeugen und gebietet daher, dass das Gericht einen bis dahin nicht
erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt nicht ohne Anhörung
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zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine
Wendung gibt, mit der nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu
rechnen war. Nach diesen Maßstäben liegt eine Versagung des rechtlichen
Gehörs nicht vor. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts beruht näm-
lich nicht auf den Ausführungen zu den Einkommensverhältnissen des Klägers.
Die entsprechende Passage ist mit den Worten eingeleitet „Ungeachtet dessen,
dass der Kläger nach seinen eigenen Einkommensangaben …, sind die von
ihm vorgelegten Zahlen nicht verwertbar“. Aus der Wortfolge „ungeachtet des-
sen“ ergibt sich, dass das Berufungsgericht nicht die Entscheidung tragend auf
die Einkommensverhältnisse des Klägers abgestellt hat.
2. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Fest-
setzung des Wertes des Streitgegenstandes in Höhe des dreifachen Jahresbei-
trags beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.
Dr. Bardenhewer Dr. Hahn Dr. Graulich
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