Urteil des BVerwG vom 19.07.2005

Rechtsschutzinteresse, Verschulden, Anfechtungsklage, Sicherheit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 B 38.05
VG 1 K 6304/03
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. Juli 2005
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. H a h n , B ü g e
und V o r m e i e r
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom
10. März 2005 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens ein-
schließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 50 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die allein auf den Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels im Sinne von § 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Revision nicht deshalb zuzulassen,
weil das Verwaltungsgericht die Klage mangels Rechtsschutzinteresses als unzuläs-
sig abgewiesen hat.
In der Abweisung einer Klage durch Prozess- statt durch Sachurteil kann ein Verfah-
rensmangel liegen (vgl. Beschluss vom 4. Juli 1968 - BVerwG 8 B 110.67 - BVerwGE
30, 111 <113>). Ein Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist
nur dann in einer dem § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise gerügt, wenn
er sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht substantiiert und schlüssig
dargetan ist (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz
310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14; Beschluss vom 18. März 1982 - BVerwG 9 CB
1076.81 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 35 S. 8). Dem trägt die Beschwerde nicht
ausreichend Rechnung.
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Das Verwaltungsgericht ist ersichtlich von den in der Rechtsprechung des Bundes-
verwaltungsgerichts zum allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis entwickelten Grundsät-
zen ausgegangen. Danach ist das vom Gericht von Amts wegen zu prüfende allge-
meine Rechtsschutzinteresse als Voraussetzung der Zulässigkeit einer Klage unter
anderem dann nicht gegeben, wenn der Kläger mit der Klage eine Verbesserung
seiner Rechtsstellung nicht erreichen kann, wenn also die Inanspruchnahme des
Gerichts sich als für die subjektive Rechtsstellung des Klägers zurzeit nutzlos dar-
stellt (vgl. Beschluss vom 11. März 1992 - BVerwG 5 B 32.92 - Buchholz 310 § 40
VwGO Nr. 254 S. 37 f.; Urteil vom 17. Dezember 1980 - BVerwG 6 C 139.80 -
BVerwGE 61, 246 <247>; Beschluss vom 28. August 1987 - BVerwG 4 N 3.86 -
BVerwGE 78, 85 <91>). Deshalb fehlt das allgemeine Rechtsschutzinteresse, wenn
die Klage für den Kläger offensichtlich keinerlei rechtlichen oder tatsächlichen Vorteil
bringen kann. Von diesen Grundsätzen hat sich das Verwaltungsgericht leiten las-
sen. Es hat im Einzelnen dargelegt, dass trotz fortbestehender Regelungswirkung
der streitigen Entgeltgenehmigung auch gegenüber der Klägerin diese von einer
rückwirkenden Aufhebung der Genehmigung offensichtlich keinen Vorteil hätte, weil
eine Nacherhebung von Entgelten ausscheide und auch mit Blick auf Schadenser-
satzansprüche und Unterlassungsklagen gegenüber der Beigeladenen mit der Auf-
hebung der Entgeltgenehmigung kein Vorteil für die Klägerin einherginge. Soweit die
Klägerin der Auffassung ist, die Verneinung des Rechtsschutzinteresses sei schon
deshalb verfahrensfehlerhaft, weil das Verwaltungsgericht diese nicht begründet ha-
be, ist dies offensichtlich unzutreffend und genügt schon deshalb nicht den Begrün-
dungsanforderungen für eine Nichtzulassungsbeschwerde.
Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, das Verwaltungsgericht
habe das allgemeine Rechtsschutzinteresse deshalb zu Unrecht verneint, weil eine
Aufhebung der streitigen Entgeltgenehmigung für sie mit Blick auf einen Schadens-
ersatzprozess gegen die Beigeladene von Vorteil wäre. Das Verwaltungsgericht hat
in diesem Zusammenhang ausgeführt, ein Schadensersatzanspruch sei mangels
Verschulden der Beigeladenen offensichtlich nicht gegeben, weil das streitige Entgelt
genehmigt gewesen sei, die als verletzt angenommenen drittschützenden Bestim-
mungen zum Prüfungsgegenstand der Genehmigungsbehörde gehört hätten, die
Beigeladene verpflichtet gewesen sei, ausschließlich die genehmigten Entgelte zu
erheben und diese in dem Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes von
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dem Oberverwaltungsgericht nicht beanstandet worden seien. Soweit sich die
Klägerin gegen diese Erwägung wendet, ist bereits fraglich, ob dies schon deshalb
nicht den Begründungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt, weil
sie im Kern eine fehlerhafte Subsumtion unter die zutreffend erkannte Prozessvor-
aussetzung des allgemeinen Rechtsschutzinteresses rügt, was die Zulassung der
Revision wegen eines Verfahrensmangels möglicherweise nicht rechtfertigt (vgl. Be-
schluss vom 16. Februar 1998 - BVerwG 1 B 12.98 - Umdruck S. 3 f.; Beschluss vom
21. Oktober 2004 - BVerwG 3 B 76.04 - Umdruck S. 4). Aber auch, wenn man davon
absieht, verhilft der Hinweis der Klägerin auf einen Schadensersatzanspruch
gegenüber der Beigeladenen der Beschwerde nicht zum Erfolg. Es spricht ganz
Überwiegendes dafür, dass die Erwägungen des Verwaltungsgerichts zutreffen.
Dass von der Klägerin herangezogene Urteil des Bundesgerichtshofs vom
10. Februar 2004 (- KZR 7/02 - Umdruck S. 8 ff.) steht dem schon deshalb nicht
zwingend entgegen, weil sich der Bundesgerichtshof dort mit der Frage auseinander
setzt, ob ein wettbewerbswidriges Verhalten im Sinne von Art. 86 EGV bzw. Art. 82
EG darin gesehen werden kann, dass ein Telekommunikationsunternehmen die Ge-
nehmigung eines Entgelts beantragt, mit dem es seine marktbeherrschende Stellung
missbraucht, was im Genehmigungsverfahren nicht aufgedeckt wird. Diese Frage ist
nicht notwendig identisch mit derjenigen nach einem Verschulden im Sinne des
§ 823 Abs. 2 BGB als Voraussetzung eines Schadensersatzanspruchs gegen die
Beigeladene. Davon abgesehen hat der Bundesgerichtshof die Beantwortung der
aufgezeigten Frage offen gelassen.
Der Hinweis der Klägerin auf einen Schadensersatzanspruch verhilft der Beschwerde
jedenfalls deshalb nicht zum Erfolg, weil angesichts der vom Verwaltungsgericht
aufgezeigten und gegen ein Verschulden sprechenden Gesichtspunkte es mit Blick
auf die Begründungspflicht des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO geboten gewesen wäre,
näher darzulegen, aus welchen Gründen gleichwohl ein auf die Verletzung eines nä-
her bezeichneten Schutzgesetzes bezogenes Verschulden der Beigeladenen als
Voraussetzung eines deliktischen Schadensersatzanspruchs in Betracht kommt. Dies
ist der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht mit der gebotenen
Deutlichkeit zu entnehmen. Die Klägerin beschränkt sich auf Erwägungen, aus denen
aus ihrer Sicht ein Verschulden der Beigeladenen nicht entfallen ist, ohne zugleich
konkret darzulegen, dass die Beigeladene den behaupteten Verstoß gegen eine oder
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mehrere Bestimmungen schuldhaft begangen hat. Das aber wäre unter den
gegebenen Umständen erforderlich gewesen, um der vom Verwaltungsgericht ange-
nommenen offensichtlichen Aussichtslosigkeit des Schadensersatzprozesses
entgegenzutreten.
Davon abgesehen könnte der Gesichtspunkt eines Schadensersatzanspruchs gegen
die Beigeladene ein Rechtsschutzinteresse für die Anfechtungsklage im vorliegenden
Fall möglicherweise nur dann begründen, wenn die Schadensersatzklage bereits
anhängig oder mit Sicherheit zu erwarten ist. Es liegt nicht anders als bei dem Fest-
stellungsinteresse für eine Fortsetzungsfeststellungsklage im Sinne von § 113 Abs. 1
Satz 4 VwGO, die zur Klärung einer Vorfrage für einen Zivilrechtsstreit erhoben wird
(vgl. dazu Urteil vom 9. Oktober 1959 - BVerwG 5 C 165 und 166.57 - BVerwGE 9,
196 <197 f.>; Urteil vom 6. Mai 1960 - BVerwG 7 C 57.59 - BVerwGE 10, 274
<276>). Dass eine Zivilklage bereits anhängig oder mit Sicherheit zu erwarten ist,
muss in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde mit Blick auf § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO substantiiert dargelegt werden, was die Klägerin versäumt hat. Der
Hinweis, dass sie bei Wettbewerbsverletzungen der Beigeladenen mit Schadenser-
satzprozessen reagiere und solche in der Vergangenheit auch erhoben habe, genügt
insoweit nicht.
Die Beschwerde hat auch nicht mit Blick auf den Gesichtspunkt von Unterlassungs-
ansprüchen gegen die Beigeladene Erfolg. Soweit der Begründung der Beschwerde
entnommen werden könnte, dass die Klägerin ein Rechtsschutzinteresse für die An-
fechtungsklage deshalb als gegeben ansieht, weil ein Klageerfolg die Durchsetzung
von Unterlassungsansprüchen gegen die Erhebung des streitigen Entgelts von Kun-
den, die noch den Tarif aktivPlus XXL (neu) nutzten, erleichtere, genügte dies eben-
falls nicht den Begründungsanforderungen. Auch in diesem Zusammenhang ist frag-
lich, ob den Darlegungsanforderungen bereits deshalb nicht Genüge getan ist, weil
die Klägerin im Kern eine fehlerhafte Subsumtion unter eine zutreffend angenomme-
ne Prozessvoraussetzung rügt. Davon abgesehen ist die Beschwerde insoweit des-
halb nicht ausreichend begründet, weil ein Rechtsschutzinteresse allenfalls dann
angenommen werden könnte, wenn die Unterlassungsklage bereits erhoben oder mit
Sicherheit zu erwarten ist. Es liegt insoweit nicht anders im Zusammenhang mit der
Frage, ob ein Schadensersatzprozess das Rechtsschutzinteresse an der Durch-
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führung der Anfechtungsklage begründet. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass eine
Unterlassungsklage zumindest mit Sicherheit zu erwarten ist.
Soweit die Klägerin ein Rechtsschutzbedürfnis deshalb als gegeben ansieht, weil die
Aufhebung der streitigen Genehmigung für Klagen gegen künftige Entgelte vorteilhaft
wäre, rechtfertigt dies ebenfalls nicht die Zulassung der Revision. Auch in diesem
Zusammenhang ist bereits zweifelhaft, ob die Rüge deshalb nicht den Darle-
gungsanforderungen genügt, weil sie auf die fehlerhafte Subsumtion unter die zutref-
fend angenommene Prozessvoraussetzung des allgemeinen Rechtsschutzbedürf-
nisses gerichtet ist. Davon abgesehen hat sie jedenfalls deshalb keinen Erfolg, weil
die Annahme eines Rechtsschutzinteresses aus dem in Rede stehenden Grund
schon deshalb ausscheidet, weil sich die rechtlichen Verhältnisse für die Erteilung
von Entgeltgenehmigungen grundlegend geändert haben, so dass nicht hinreichend
konkret ist, dass die erstrebte Aufhebung der streitigen Entgeltgenehmigung für künf-
tige Klagen gegen andere Entgeltgenehmigungen von Vorteil sein könnte. Dem
nunmehr geltenden Telekommunikationsgesetz vom 22. Juni 2004 (BGBl I S. 1190),
zuletzt geändert durch Gesetz vom 7. Juli 2005 (BGBl I S. 1970) - TKG 2004 -, liegt
nämlich eine grundlegend andere Konzeption der Entgeltregulierung zugrunde als
dem für die gerichtliche Kontrolle der streitigen Genehmigung noch anwendbaren
Telekommunikationsgesetz vom 25. Juli 1996 (BGBl I S. 1120), zu dem für die An-
fechtungsklage maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Gesetz vom
9. August 2003 (BGBl I S. 1590) - TKG 1996 -. Der generellen ex-ante-Regulierung
unterfallen nunmehr nur solche Entgelte für den Netzzugang, die ein Betreiber eines
öffentlichen Telekommunikationsnetzes, der über beträchtliche Marktmacht verfügt,
für ihm nach § 21 TKG 2004 zugunsten eines anderen Unternehmens auferlegte
Zugangsleistungen verlangt (§ 30 Abs. 1 Satz 1 TKG 2004). Die ex-ante-Regulierung
von Endkundenentgelten stellt die Ausnahme dar und setzt voraus, dass die Regu-
lierungsbehörde insoweit eine Einzelfallentscheidung im Sinne von § 39 Abs. 1
Satz 1 TKG 2004 trifft. Wird ein Entgelt der Genehmigungspflicht unterworfen, ist zu
prüfen, ob dieses den Anforderungen des § 31 Abs. 1 bis 4 TKG 2004 entspricht.
Diese Anforderungen sind nicht in jeder Hinsicht deckungsgleich mit den Maßstäben
der Entgeltregulierung nach § 24 TKG 1996. Bereits die aufgezeigten Unterschiede
zwischen dem früheren System der Entgeltregulierung und der jetzigen Konzeption
schließt die Annahme aus, es bestehe mit Blick auf künftige Klagen gegen noch zu
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ergehende Entgeltgenehmigungen ein Rechtsschutzinteresse für die Durchführung
der Anfechtungsklage.
2. Die Revision ist auch nicht deshalb wegen Vorliegens eines Verfahrensmangels
zuzulassen, weil das Verwaltungsgericht im Zusammenhang mit dem hilfsweise ge-
stellten Fortsetzungsfeststellungsantrag im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO
davon ausgegangen ist, dieser sei mangels Feststellungsinteresses unzulässig. Das
Urteil beruht nicht auf diesen Erwägungen. Das Verwaltungsgericht ist nämlich davon
ausgegangen, dass der Hilfsantrag schon deshalb unzulässig ist, weil die Ent-
geltgenehmigung nicht erledigt sei. Bei den Darlegungen im Zusammenhang mit dem
Fortsetzungsfeststellungsinteresse handelt es sich um Hilfserwägungen, die für die
Entscheidung nicht tragend sind und die deshalb die Zulassung der Revision nicht
rechtfertigen können.
3. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die
Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 2 und
Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG.
Hahn Büge Vormeier