Urteil des BVerwG vom 31.08.2011

Neues Recht, Wehrpflicht, Anwendungsbereich, Ausschluss

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 B 35.11
VG W 1 K 10.1005
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 31. August 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Graulich und Dr. Möller
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Würz-
burg vom 7. Juni 2011 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I
Der Kläger wendet sich gegen seine Musterung. Nachdem das Kreiswehrer-
satzamt ihn durch Bescheid vom 2. August 2010 wehrdienstfähig gemustert und
wegen seiner schulischen Ausbildung bis zum 30. Juni 2011 vom Wehrdienst
zurückgestellt hatte, hat der Kläger nach erfolglosem Widerspruch Klage erho-
ben und beantragt, die beklagte Bundesrepublik Deutschland zu verurteilen,
seine Musterung als nichtig anzuerkennen. Das Verwaltungsgericht hat seine
Klage durch das angefochtene Urteil vom 7. Juni 2011, zugestellt am 15. Juni
2011, abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die
am 15. Juli 2011 eingelegte Beschwerde des Klägers.
II
Die Beschwerde ist zwar zulässig, aber unbegründet.
1. Die Beschwerde ist statthaft. Die Berufung gegen das Urteil des Verwal-
tungsgerichts ist gemäß § 34 Satz 1 WPflG ausgeschlossen. Nach § 135
VwGO ist statthaftes Rechtsmittel gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts
deshalb die Revision und bei deren Nichtzulassung - wie hier - die dagegen
gerichtete Beschwerde (§ 34 Satz 2 WPflG, § 135 Satz 2 VwGO).
Aus § 2 Abs. 1 Satz 1 WPflG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung wehr-
rechtlicher Vorschriften 2011 (Wehrrechtsänderungsgesetz 2011 - WehrRÄndG
2011) vom 28. April 2011 (BGBl I S. 678) ergibt sich nichts anderes. Nach die-
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ser Vorschrift gelten die §§ 3 bis 53 WPflG, und damit auch § 34 WPflG, im
Spannungs- oder Verteidigungsfall (Art. 80a Abs. 1 GG, Art. 115a Abs. 1 GG).
Die Vorschrift ist nach Art. 13 Abs. 1 WehrRÄndG am 1. Juli 2011 in Kraft getre-
ten. Aus ihr lässt sich aber nicht herleiten, dass seit dem 1. Juli 2011 die Beru-
fung gegen Urteile der Verwaltungsgerichte in Wehrpflichtsachen nicht mehr
ausgeschlossen ist, sondern nunmehr mangels besonderer Vorschriften die
Berufung oder der Antrag auf Zulassung der Berufung die statthaften Rechts-
mittel gegen solche Urteile sind.
Zwar ist nach der gewohnheitsrechtlichen Regel des intertemporalen Verfah-
rensrechts neues Verfahrensrecht grundsätzlich auch auf Verfahren anzuwen-
den, die vor der Rechtsänderung begonnen worden sind. Diese sind danach mit
dem Inkrafttreten des Änderungsgesetzes nach neuem Recht zu beurteilen.
Dieser Verfahrensgrundsatz ist jedoch nicht anwendbar, soweit es um unter der
Geltung des alten Rechts abgeschlossene Prozesshandlungen und abschlie-
ßend entstandene Prozesslagen geht, in die aus Gründen des Vertrauens-
schutzes und der Rechtsmittelsicherheit nicht nachträglich verändernd einge-
griffen werden darf (BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 1992 - 2 BvR 1631/90,
2 BvR 1728/90 - BVerfGE 87, 48 <64 f.>; BVerwG, Urteil vom 12. März 1998
- BVerwG 4 CN 12.97 - BVerwGE 106, 237 <238>), oder soweit sich aus dem
Sinn und Zweck der betreffenden Vorschrift oder aus dem Zusammenhang mit
anderen Grundsätzen des Prozessrechts etwas Abweichendes ergibt.
Auch ohne besondere Übergangsregelung ergibt sich hier unmittelbar aus dem
Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung, dass es für Verfahren in Wehr-
pflichtsachen, die am 1. Juli 2011 noch nicht abgeschlossen waren, bei der bis-
herigen Regelung des Rechtsmittelrechts bleiben soll. Nach dem Sinn und
Zweck des § 2 WPflG soll die Wehrpflicht ausgesetzt werden. Ab dem 1. Juli
2011 sollen keine neuen Verwaltungsverfahren eingeleitet werden, die auf die
Vollziehung der Wehrpflicht gerichtet sind. Der Gesetzgeber ist als selbstver-
ständlich davon ausgegangen, dass bereits anhängige Verwaltungs- und Ge-
richtsverfahren, soweit sie sich nicht erledigen, sondern noch Entscheidungen
erfordern, nach dem bisherigen Recht abgewickelt werden. Der Gesetzgeber
hat kein neues Recht an die Stelle des bisherigen Rechts gesetzt, sondern das
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bisherige Recht beibehalten, seine künftige Anwendung aber auf den Span-
nungs- und Verteidigungsfall beschränkt. Bezogen auf § 34 WPflG hat er kein
neues Rechtsmittelrecht geschaffen, das für künftige Fälle gelten soll. Nach
seiner Vorstellung bleibt es vielmehr dabei, dass in Wehrpflichtsachen die Beru-
fung ausgeschlossen sein soll. Damit unvereinbar wäre eine Auslegung des § 2
WPflG, dass nur in den wenigen noch entscheidungsbedürftigen Altfällen ab-
weichend von der Regel des § 34 WPflG nunmehr die Berufung zulässig sein
soll.
2. Die Revision kann nicht zugelassen werden. Die Rechtssache hat nicht die
insoweit allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 34 WPflG, § 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Der Kläger hält für grundsätzlich bedeutsam, ob die ein-
schlägigen Vorschriften des Wehrpflichtgesetzes über die Musterung und He-
ranziehung zum Wehrdienst in Art. 12a GG eine ausreichende Ermächtigungs-
grundlage finden. Klärungsbedürftig sind nach seiner Auffassung in diesem Zu-
sammenhang die Fragen nach der Geltung des Grundgesetzes als solchem
und damit auch des Art. 12a GG sowie nach dem räumlichen Geltungsbereich
des Grundgesetzes.
Die aufgeworfenen Fragen sind schon deshalb nicht klärungsbedürftig, weil sie
sich in absehbarer Zeit nicht mehr über den Einzelfall hinaus in anderen Verfah-
ren entscheidungserheblich stellen können. Nach § 2 WPflG gelten die Vor-
schriften des § 3 ff. WPflG über die Heranziehung zum Wehrdienst einschließ-
lich der dazu gehörigen Vorschriften über die Musterung nur noch im Span-
nungs- und Verteidigungsfall. Sie haben deshalb derzeit keinen Anwendungs-
bereich.
Davon abgesehen bestehen auch in Würdigung der umfangreichen Beschwer-
debegründung keine klärungsbedürftigen Zweifel daran, dass das Grundgesetz
einschließlich des Art. 12a GG geltendes Verfassungsrecht ist und welchen
räumlichen Anwendungsbereich das Grundgesetz hat.
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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet wä-
re, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision
zuzulassen ist (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des
Streitwerts auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Neumann
Dr. Graulich
Dr. Möller
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Verwaltungsprozessrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
WPflG
§§ 2, 34
Stichworte:
Wehrpflichtrecht; Musterungsbescheid; Verwaltungsprozess; Ausschluss der Beru-
fung; Nichtzulassungsbeschwerde; Aussetzung der Wehrpflicht; Altfälle; intertempo-
räres Prozessrecht.
Leitsatz:
Der Ausschluss der Berufung in Wehrpflichtsachen nach § 34 WPflG gilt auch in al-
len Verfahren, die bei Inkrafttreten des § 2 WPflG noch nicht abgeschlossen waren.
Beschluss des 6. Senats vom 31. August 2011 - BVerwG 6 B 35.11
I. VG Würzburg vom 07.06. 2011 - Az.: VG W 1 K 10.1005 -