Urteil des BVerwG vom 22.06.2006

Treu Und Glauben, Verjährungsfrist, Rundfunk, Rechtsgrundsatz

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 B 35.06
OVG 3 LB 16/05
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Juni 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hahn
und Vormeier
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen
Oberverwaltungsgerichts vom 17. März 2006 wird zurück-
gewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 1 663,66 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechts-
sache gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO liegen nicht vor.
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für
die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen
Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts
revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchst-
richterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen
Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die
allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (vgl.
Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 26 S. 14). Daran gemessen führen die von der Klägerin auf-
geworfenen Fragen nicht zur Revisionszulassung.
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a) Die Klägerin wirft die Frage auf, „ob die bloße Nichtanmeldung von emp-
fangsbereiten Geräten im Sinne des RGebStV immer zur Verwehrung der Er-
hebung der Einrede der Verjährung wegen unzulässiger Rechtsausübung
führt“. Diese Frage verhilft der Beschwerde deshalb nicht zum Erfolg, weil sie
die Auslegung und Anwendung nicht revisiblen Landesrechts durch das Ober-
verwaltungsgericht betrifft.
Die Frage betrifft die Erwägung des Oberverwaltungsgerichts, der von dem Be-
klagten geltend gemachte Anspruch auf Rundfunkgebühren sei zwar verjährt,
die Klägerin sei hingegen gehindert, die Verjährung geltend zu machen, weil sie
die von dem Gebührenanspruch betroffenen Rundfunkgeräte nicht angemeldet
habe, so dass die Berufung auf Verjährung eine unzulässige Rechtsausübung
darstelle und deshalb gegen Treu und Glauben verstoße. Die hier in Rede ste-
hende Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht sich auf die
Auslegung und Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben durch das
Oberverwaltungsgericht. Dieser Grundsatz gilt in der gesamten Rechtsord-
nung. Es handelt sich um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, der in verschie-
dener, in der Rechtsprechung konkretisierter Ausformung, wie z.B. unter dem
Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung, Lücken des geschriebenen
Rechts ausfüllt. In der bundesstaatlichen Rechtsordnung ist er dann der glei-
chen Ebene zuzuordnen wie das Recht, zu dessen Ergänzung er herangezo-
gen wird (vgl. Beschlüsse vom 19. September 2000 - BVerwG 4 B 65.00 -
Buchholz 310 § 137 Abs. 1 VwGO Nr. 15 S. 1 und vom 1. April 2004 - BVerwG
4 B 17.04 - Buchholz 310 § 137 Abs. 1 VwGO Nr. 21 S. 6). Das Oberverwal-
tungsgericht hat den Grundsatz des Verbots unzulässiger Rechtsausübung zur
Ergänzung des § 4 Abs. 4 des Rundfunkgebührenstaatsvertrages (RGebStV)
vom 31. August 1991 (Art. 4 des Staatsvertrages über den Rundfunk im verein-
ten Deutschland vom 31. August 1991 - SchlHGVBl S. 596 -) herangezogen.
Nach § 4 Abs. 4 RGebStV in der vom Oberverwaltungsgericht angewandten
Fassung verjährt der Anspruch auf Rundfunkgebühren in vier Jahren. Bei den
Bestimmungen des Rundfunkgebührenstaatsvertrages handelt es sich um
nichtrevisibles Landesrecht, weil die Länder von der nach Art. 99 GG gegebe-
nen Möglichkeit, Landesrecht für revisibel zu erklären, insoweit keinen
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Gebrauch gemacht haben (vgl. Urteil vom 9. Dezember 1998 - BVerwG 6 C
13.97 - BVerwGE 108, 108 <110>). Deshalb ist im vorliegenden Fall die Frage,
ob die Berufung auf Verjährung als unzulässige Rechtsausübung anzusehen
ist, ebenfalls eine Frage des nichtrevisiblen Rechts (vgl. Beschluss vom 17. De-
zember 2004 - BVerwG 9 B 47.04 - juris Rn. 6) und kann schon deshalb der
Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen.
b) Die Revision ist auch nicht zur Klärung der von der Klägerin aufgeworfenen
Frage zuzulassen, in welchem Zeitpunkt die vierjährige Verjährungsfrist des § 4
Abs. 4 RGebStV in der vom Oberverwaltungsgericht angewandten Fassung zu
laufen beginnt. Auch diese Frage bezieht sich auf irrevisibles Recht. Sie betrifft
die Erwägung des Oberverwaltungsgerichts, die Verjährung beginne in Ein-
klang mit den entsprechend anwendbaren Bestimmungen des Bürgerlichen
Gesetzbuchs mit dem Schluss des Jahres, in dem der Gebührenanspruch ent-
stehe. Die auf die nichtrevisible Verjährungsbestimmung des Rundfunkgebüh-
renstaatsvertrages angewandten Verjährungsvorschriften des Bürgerlichen Ge-
setzbuchs stellen kein revisibles Recht dar. Das insoweit analog angewandte
Bundesrecht wird nicht „als Bundesrecht“, sondern als ungeschriebenes Lan-
desrecht herangezogen (vgl. Urteil vom 27. April 2005 - BVerwG 8 C 5.04 -
BVerwGE 123, 303 <306 f.>).
c) Schließlich möchte die Klägerin geklärt wissen, „wann bei unterstellter unzu-
lässiger Rechtsausübung in Bezug auf die Einrede der Verjährung die Rund-
funkgebührenansprüche nach Wegfall der Voraussetzungen der unzulässigen
Rechtsausübung geltend gemacht werden müssen“. Auch diese Frage betrifft
nichtrevisibles Recht. Sie steht in untrennbarem Zusammenhang mit den Er-
wägungen des Oberverwaltungsgerichts zu den von ihm entsprechend ange-
wandten Verjährungsbestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches und dem
Grundsatz von Treu und Glauben. Mit Blick auf die Revisibilität kann die hier in
Rede stehende Frage nicht anders beurteilt werden als die zuvor behandelten
Fragen.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Der Ausspruch über
den Wert des Streitgegenstandes findet seine Grundlage in § 47 i.V.m. § 52
Abs. 3 GKG.
Dr. Bardenhewer Dr. Hahn Vormeier
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