Urteil des BVerwG vom 28.11.2011

Widerspruchsverfahren, Verwaltungsverfahren, Wehr, Obliegenheit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 B 34.11
VG 2 K 947/10.F (2)
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. November 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Graulich und Dr. Möller
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Frank-
furt am Main vom 12. Mai 2011 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 537,29 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 75 Satz 1 und 2 ZDG,
§ 135 Satz 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Grundsätzliche Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer
Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche
Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fort-
bildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfor-
dernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer konkre-
ten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und ei-
nen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam
rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die
Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht be-
antworteten Rechtsfrage mit einer über den Einzelfall hinausweisenden Bedeu-
tung führen kann. Den Darlegungen des Klägers lässt sich nicht entnehmen,
dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.
Der Kläger wirft die Frage auf, „ob die Einholung eines (z.B. medizinischen)
Gutachtens zur Widerlegung der von der Behörde getroffenen Feststellungen
im isolierten Vorverfahren eine über die Einlegung und Begründung des Wider-
spruchs hinausgehende Tätigkeit des Rechtsanwalts i.S. Nr. 1002 VV RVG
darstellt, die eine Erledigungsgebühr auslöst.“ Dieser Fragestellung kommt die
grundsätzliche Bedeutung, die ihr der Kläger beimisst, nicht zu.
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In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 4. Oktober
1985 - BVerwG 8 C 68.83 - Buchholz 362 § 24 BRAGO Nr. 3 S. 4 und vom
23. April 1993 - BVerwG 8 C 16.92 - Buchholz 360 § 13 GKG Nr. 74 S. 58) sind
die Voraussetzungen geklärt, unter denen wegen der rechtsanwaltlichen Mitwir-
kung an einer Erledigung eines Widerspruchsverfahrens eine Erledigungsge-
bühr entsteht und nach § 80 Abs. 1 Satz 1 Abs. 2 VwVfG erstattet werden kann.
Erforderlich ist danach eine besondere, über die bereits mit der Geschäftsge-
bühr abgegoltene Einlegung und Begründung des Rechtsbehelfs hinausgehen-
de, auf die Beilegung des Rechtsstreits ohne streitige Widerspruchsentschei-
dung „auf sonstige Weise“ gerichtete Tätigkeit des Rechtsanwalts. Diese noch
zu § 24 BRAGO a.F. entwickelten Grundsätze sind auch auf die in ihrem we-
sentlichen Regelungsgehalt unveränderte Nachfolgevorschrift der Nr. 1002 des
Vergütungsverzeichnisses in Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG (VV-RVG) anwend-
bar (vgl. Müller-Rabe, in: Gerold/ Schmidt, RVG, 19. Aufl. 2010, VV 1002 Rn.
6). Ob nach diesen Grundsätzen in der Einholung und Vorlage einer ärztlichen
Stellungnahme eine mit einer Erledigungsgebühr abzugeltende rechtsanwaltli-
che Tätigkeit gefunden werden kann, ist hiernach eine der grundsätzlichen Klä-
rung nicht zugängliche Frage des jeweiligen Einzelfalls.
Der Kläger beruft sich für eine Grundsatzbedeutung der von ihm bezeichneten
Frage vergeblich auf die Urteile des Bundessozialgerichts vom 2. Oktober 2008
- B 9/9a SB 3/07 R - (juris) und - B 9/9a SB 5/07 R - (NJW 2009, 3804), wonach
eine Erledigungsgebühr nach Nr. 1002 (i.V.m. Nr. 1005) VV-RVG anfalle, wenn
ein Widerspruchsführer von seinem Rechtsanwalt dazu veranlasst werde, sich
ärztliche Befundberichte erstellen zu lassen, und deren Vorlage im Wider-
spruchsverfahren dazu führe, dass die Behörde dem Begehren des Wider-
spruchsführers ganz oder teilweise entspreche. Es führt nicht auf eine grund-
sätzliche Bedeutung der Rechtssache, dass der Kläger rügt, das Verwaltungs-
gericht sei von diesen Entscheidungen abgewichen, und deswegen ein Bedürf-
nis nach einer einheitlichen Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte an-
nimmt. Denn eine Grundsatzrüge kann zwar auch auf eine Abweichung des
Urteils eines Instanzgerichts von der Entscheidung eines in § 132 Abs. 2 Nr. 2
VwGO nicht aufgeführten obersten Bundesgerichts gestützt werden. Voraus-
setzung hierfür ist jedoch, dass die auf diese Weise als vermeintlich rechts-
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grundsätzlich aufgeworfene Frage in einem Revisionsverfahren geklärt werden
kann (vgl. Beschlüsse vom 22. Juni 1984 - BVerwG 8 B 121.83 - Buchholz 310
§ 132 VwGO Nr. 225 S. 15 f. und vom 4. Dezember 2006 - BVerwG 2 B 57.06 -
juris Rn. 3). Dies ist hier nicht der Fall.
Das Bundessozialgericht geht wie das Bundesverwaltungsgericht und das Ver-
waltungsgericht in dem angefochtenen Urteil davon aus, dass sich der Rechts-
anwalt eine Erledigungsgebühr dann verdient hat, wenn er im Widerspruchsver-
fahren eine Tätigkeit entfaltet hat, die über die Einlegung und Begründung des
Widerspruchs hinausgeht, die bereits mit der Geschäftsgebühr abgegolten sind.
Die übliche Tätigkeit, die ein gewissenhaft arbeitender Rechtsanwalt seinem
Mandanten in einem Widerspruchsverfahren schuldet, wird danach von der Ge-
schäftsgebühr abgegolten. Welche Tätigkeiten hierzu gehören, hängt aber wie-
derum von der je anderen Eigenart des Widerspruchsverfahren und den unter-
schiedlichen verwaltungsverfahrensrechtlichen Normen ab, die Pflichten und
Obliegenheiten des Widerspruchsführers zur Mitwirkung im Verwaltungsverfah-
ren begründen. Hierauf stellt das Bundessozialgericht entscheidungstragend
ab, wenn es feststellt, dass nach den insoweit einschlägigen Normen des SGB I
und SGB II keine Obliegenheit des Widerspruchsführers besteht, unaufgefor-
dert selbst beschaffte ärztliche Befundberichte vorzulegen. Hieraus folgert das
Bundessozialgericht, dass auch der Rechtsanwalt im Rahmen seiner durch die
Geschäftsgebühr abgegoltenen Tätigkeit die Vorlage solcher ärztlichen Befund-
berichte nicht zu veranlassen braucht, sondern eine nicht schon durch die Ge-
schäftsgebühr abgegoltene Tätigkeit entfaltet, wenn er den Widerspruchsführer
veranlasst, sich zusätzliche ärztliche Befundberichte zu verschaffen und sie
vorzulegen. Das Bundessozialgericht stellt mithin entscheidend auf Normen des
sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrens ab, die im allgemeinen Verwaltungs-
verfahren und im wehr- und zivildienstrechtlichen Musterungsverfahren keine
Entsprechung finden. Zu der hier in Mitten stehenden Norm der Nr. 1002 VV-
RVG bestehen keine Unterschiede zwischen dem Urteil des Verwaltungsge-
richts und der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, die Anlass zu einem
klärenden Wort im Revisionsverfahren geben könnten.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52
Abs. 1 GKG.
Neumann
Dr. Graulich
Dr. Möller
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