Urteil des BVerwG vom 07.07.2008

Treu Und Glauben, Unternehmen, International, Zustellung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 B 29.08
VG 1 K 171/07
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. Juli 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hahn und
Dr. Bier
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln
vom 14. Februar 2008 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigela-
denen.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdever-
fahren wird auf 50 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde, die sich auf die Zulassungsgründe des Verfahrensmangels
(1.) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (2.) stützt, hat keinen
Erfolg.
1. Die Revision ist nicht deshalb zuzulassen, weil ein Verfahrensmangel geltend
gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Weist das Verwaltungsgericht - wie hier - die Klage durch
Prozessurteil als unzulässig ab, statt über sie durch Sachurteil zu entscheiden,
kann darin zwar ein Verfahrensmangel liegen, wenn die Entscheidung auf einer
fehlerhaften Anwendung der prozessualen Vorschriften beruht (Beschlüsse vom
4. Juli 1968 - BVerwG 8 B 110.67 - BVerwGE 30, 111 <113> = Buchholz 448.0
§ 34 WPflG Nr. 7 und vom 24. Oktober 2006 - BVerwG 6 B 61.06 - Buchholz
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310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 24 Rn. 2). Das angefochtene Prozessurteil leidet
aber an keinem derartigen Verfahrensfehler, sondern ist zu Recht ergangen.
a) Die Klägerin hat die einmonatige Klagefrist (§ 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO) ver-
säumt, da sie erst am 16. Januar 2007 Klage erhoben hat, nachdem ihr der
angegriffene Beschluss der Bundesnetzagentur vom 8. November 2006 bereits
am 15. November 2006 zugestellt worden war. Sie muss die Zustellung gegen
sich gelten lassen, obwohl diese nicht an sie selbst, sondern an eine von ihr
rechtlich verschiedene juristische Person, die T-Mobile International AG & Co.
KG, bewirkt wurde. Denn die an diese Firma gerichtete Zustellung ist rechtlich
als Zustellung gegenüber der Klägerin zu behandeln.
aa) Vieles spricht mit dem Verwaltungsgericht dafür, dass sich die Zurechnung
bereits aus § 3 Nr. 29 TKG ergibt. Danach sind als „Unternehmen“ i.S.d. Tele-
kommunikationsgesetzes neben dem betreffenden Unternehmen selbst die mit
ihm i.S.d. § 36 Abs. 2 und § 37 Abs. 1 und 2 GWB verbundenen Unternehmen
anzusehen. Auf das Verhältnis der Klägerin zur T-Mobile International AG & Co.
KG, die 100 % der Geschäftsanteile der Klägerin hält, ist die „Konzernklausel“
des § 3 Nr. 29 TKG, wie die Beschwerde selbst nicht verkennt, grundsätzlich
anwendbar.
Vor diesem Hintergrund liegt es nicht fern, mit dem Verwaltungsgericht anzu-
nehmen, dass die Klägerin nach dem in dieser Vorschrift ausgedrückten
Rechtsgedanken die Beiladung (§ 134 Abs. 2 Nr. 3 TKG) der T-Mobile Interna-
tional AG & Co. KG ebenso gegen sich gelten lassen muss wie die - u.a. an das
beigeladene Unternehmen zu bewirkende - Zustellung (§ 131 Abs. 1 Satz 2
TKG) des verfahrensbeendenden Beschlusses der Bundesnetzagentur. Zwar
enthält § 3 Nr. 29 TKG seinem Wortlaut nach nur eine Bestimmung des in an-
deren Vorschriften des Telekommunikationsgesetzes verwendeten Begriffs
„Unternehmen“, den § 134 Abs. 2 Nr. 3 TKG im Zusammenhang mit Beiladun-
gen nicht gebraucht; dort ist vielmehr von „Personen und Personenvereinigun-
gen“ die Rede. Der Zweck des § 3 Nr. 29 TKG besteht aber allgemein darin, zu
verhindern, dass die Regelungen des Telekommunikationsgesetzes durch Aus-
lagerung von Geschäftsbereichen auf rechtlich selbständige Unternehmen um-
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gangen werden können (vgl. Säcker, in: BerlKommTKG § 3 Rn. 62). Dieser
Normzweck ist entgegen der Ansicht der Klägerin nicht auf diejenigen Unter-
nehmen beschränkt, die (unmittelbare) Adressaten sektorspezifischer Regulie-
rungsmaßnahmen sind. Er lässt sich vielmehr auch auf diejenigen Unterneh-
men übertragen, die die Bundesnetzagentur als Dritte an einem Verfahren be-
teiligt. Insofern streitet der Zweck des § 3 Nr. 29 TKG ebenso wie dessen Stel-
lung innerhalb der „Allgemeinen Vorschriften“ des Gesetzes dafür, verbundene
Unternehmen auch in Anwendung des § 134 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 131 Abs. 1
Satz 2 TKG als ein einheitliches Unternehmen zu werten.
bb) Das Ergebnis ist aber auch dann kein anderes, wenn mit der Beschwerde
davon auszugehen sein sollte, dass § 3 Nr. 29 TKG auf die Beiladung von Un-
ternehmen, deren Interessen durch die Entscheidung der Bundesnetzagentur
berührt werden, keine Anwendung findet. Unter dieser Prämisse ist es der Klä-
gerin unter den hier vorliegenden Umständen jedenfalls nach Treu und Glauben
verwehrt, sich auf das Fehlen einer die Klagefrist in Gang setzenden Zustellung
des angegriffenen Beschlusses der Bundesnetzagentur zu berufen. Insoweit
muss sich die Klägerin, da sie sich zu ihrem eigenen früheren Verhalten in ei-
nen unlösbaren Widerspruch setzt, den Einwand der unzulässigen
Rechtsausübung entgegenhalten lassen; dieser ist nach ständiger Rechtspre-
chung auch im Prozessrecht zu beachten (vgl. Urteil vom 2. Juli 1992 - BVerwG
5 C 51.90 - BVerwGE 90, 287 <292> = Buchholz 436.61 § 15 SchwbG 1986
Nr. 6 S. 13, Beschluss vom 27. Oktober 1993 - BVerwG 4 B 175.93 - Buchholz
310 § 106 VwGO Nr. 17 S. 10, Urteil vom 27. Oktober 2000 - BVerwG 4 A
10.99 - BVerwGE 112, 135 <136> = Buchholz 310 § 42 Abs. 2 VwGO Nr. 10
S. 21).
Die Widersprüchlichkeit ergibt sich aus dem der Klägerin zurechenbaren Vor-
verhalten gegenüber der Bundesnetzagentur. So war der Beiladungsantrag an
die Behörde vom 1. September 2006 unter dem Briefkopf der T-Mobile Interna-
tional AG & Co. KG gestellt, aber „für die T-Mobile Deutschland GmbH“, die
unter derselben Postanschrift erreichbare Klägerin des vorliegenden Verfah-
rens, von einem deren Mitarbeiter unterzeichnet worden. Mitarbeiter der Kläge-
rin haben nach Beiladung der T-Mobile International AG & Co. KG - ohne deren
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Beiladung bzw. die fehlende Beiladung der Klägerin zu rügen - an der mündli-
chen Verhandlung der Bundesnetzagentur vom 27. September 2006 teilge-
nommen und sich zur Sache eingelassen; in die Anwesenheitsliste haben sie
sich unter der neutralen Kurzbezeichnung „T-Mobile“ eingetragen. In dem
Schreiben vom 6. Oktober 2006, erstellt wiederum unter dem Briefkopf der
T-Mobile International AG & Co. KG, wurden sodann weitere Rechtsausfüh-
rungen gemacht. Dieses Schreiben trägt - unter Beifügung der Firmenbezeich-
nung der Klägerin - die Unterschriften von zwei ihrer Mitarbeiter, die den Ver-
handlungstermin vom 27. September 2006 für die beigeladene T-Mobile Inter-
national AG & Co. KG wahrgenommen hatten. Der von beiden Unternehmen
hervorgerufene Eindruck enger Verflechtung spiegelt sich auch darin wider,
dass die Zustellung des angefochtenen Beschlusses der Bundesnetzagentur an
die T-Mobile International AG & Co. KG bewirkt wurde, aber zu Händen eines
der Mitarbeiter der Klägerin erfolgte, die im Verhandlungstermin für „T-Mobile“
aufgetreten waren. Angesichts dieser Umstände ist es der Klägerin nach Treu
und Glauben verwehrt, sich hinsichtlich der Klagefrist darauf zu berufen, dass
nur die von ihr personenverschiedene T-Mobile International AG & Co. KG
Beigeladene des Beschlusskammerverfahrens und Zustellungsadressatin des
angefochtenen Beschlusses sei.
b) Die Beschwerde macht weiter geltend, dass die einmonatige Klagefrist man-
gels einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung (§ 58 Abs. 1 VwGO)
nicht zu laufen begonnen habe. Auch dem kann der Senat nicht folgen. Die
dem angefochtenen Beschluss beigefügte Belehrung, wonach innerhalb eines
Monats nach Zustellung - mit näheren Maßgaben - „Klage bei dem Verwal-
tungsgericht … erhoben werden“ konnte, war vollständig und inhaltlich richtig.
Der Einwand der Klägerin, dass die Belehrung mit der erforderlichen Klarheit
nur an die Antragstellerin des Beschlusskammerverfahrens (die Beigeladene
des vorliegenden Rechtsstreits), nicht aber an sie, gerichtet gewesen sei, geht
fehl.
Bei Verwaltungsakten mit drittbelastender Wirkung kann zwar eine Rechtsbe-
helfsbelehrung auch dann i.S.v. § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO (partiell) „unterblie-
ben“ sein, wenn der Dritte eine entsprechende Belehrung nach ihrem objektiven
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Erklärungsgehalt nicht auf sich beziehen musste. Falls sich der Drittbezug nicht
mit hinreichender Deutlichkeit aus der Rechtsbehelfsbelehrung selbst ergibt,
kann und muss erforderlichenfalls die Behörde etwaige Unklarheiten durch
zweckentsprechende Abfassung eines an den Dritten gerichteten Begleit-
schreibens beseitigen (OVG Münster, Beschluss vom 19. Januar 2000 - 21 B
2148/99 - NVwZ-RR 2000, 556; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom
29. Januar 2007 - 10 S 1.07 - LKV 2007, 322). Im Anschluss an diese Recht-
sprechung beruft sich die Beschwerde darauf, dass das Schreiben der Bun-
desnetzagentur vom 14. November 2006, mit dem der Klägerin der angefoch-
tene Beschluss vom 8. November 2006 übermittelt wurde, weder eine eigene
Rechtsbehelfsbelehrung enthielt noch ausdrücklich auf die dem Beschluss an-
gefügte Rechtsbehelfsbelehrung verwies. Dabei übersieht sie aber, dass es
derartiger Vorkehrungen nicht bedurfte, weil die von der Bundesnetzagentur in
ihrem Beschluss erteilte Belehrung aus sich heraus keinen Zweifel darüber zu-
ließ, dass sie sich auch an die Klägerin als Beigeladene des Beschlusskam-
merverfahrens richtete.
Ausgangspunkt der Überlegungen ist, wie schon vom Verwaltungsgericht zu
Recht hervorgehoben, die spezialgesetzliche Regelung in § 131 Abs. 1 Satz 2
TKG. Danach sind Entscheidungen der Bundesnetzagentur mit einer Belehrung
über das zulässige Rechtsmittel den Beteiligten zuzustellen. Beteiligte des Be-
schlusskammerverfahrens sind nach § 134 Abs. 2 TKG neben dem Antragstel-
ler auch diejenigen, die wegen der Berührung eigener Interessen von der Bun-
desnetzagentur beigeladen worden sind. Daraus folgt, dass sich der verfah-
rensbeendende Beschluss der Bundesnetzagentur - entsprechend der gerichts-
förmigen Ausgestaltung des Beschlusskammerverfahrens - an alle am Verfah-
ren Beteiligten und nicht etwa lediglich an den Antragsteller als Adressaten
wendet. Die mit § 131 Abs. 1 Satz 2 TKG einhergehende Besonderheit bei der
Zustellung telekommunikationsrechtlicher Verwaltungsakte hat auch in der
sprachlichen Gestaltung der hier umstrittenen Rechtsbehelfsbelehrung einen
angemessenen Ausdruck gefunden. Denn diese Belehrung richtete sich nicht
(wie etwa im Fall des OVG Münster, a.a.O.) in Anredeform an die Antragstelle-
rin des Verwaltungsverfahrens, sondern war in Anlehnung an die gerichtsge-
bräuchlichen Rechtsmittelbelehrungen so abgefasst, dass alle Verfahrensbetei-
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ligten gleichermaßen angesprochen wurden. In Anbetracht aller maßgeblichen
Umstände, die bereits das Verwaltungsgericht eingehend gewürdigt hat, durfte
für die Klägerin kein Zweifel darüber bestehen, dass (auch) sie zulässigerweise
nur innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses der Bundesnetz-
agentur Klage erheben konnte.
2. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Eine Rechtssache ist nur dann im Sinne dieser
Vorschrift grundsätzlich bedeutsam, wenn eine für die erstrebte Revisionsent-
scheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts im Interesse der Einheit oder
Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das ist hier nicht
der Fall. Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen sind, soweit für den
Rechtsstreit erheblich, ohne weiteres in dem bereits oben näher dargelegten
Sinne zu beantworten. Soweit sie verallgemeinernd über das bereits Erörterte
hinausgehen, würden sie sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Von
einer näheren Begründung sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO,
die Festsetzung des Streitwertes auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
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