Urteil des BVerwG vom 22.04.2004

Öffentliche Sicherheit, Veranstaltung, Verfahrensmangel, Versammlungsfreiheit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 B 29.04
VGH 24 BV 03.1301
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. April 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. B a r d e n h e w e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. H a h n und V o r m e i e r
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil vom 13. Januar 2004 wird verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 4 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
1. Die Beschwerde ist unzulässig und daher zu verwerfen.
Nach § 132 Abs. 2 VwGO kann die Revision nur zugelassen werden, wenn die
Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Berufungsentscheidung von
einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der
obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht
und auf dieser Abweichung beruht oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird
und vorliegt, auf dem die Berufungsentscheidung beruhen kann. Wird wie hier die
Nichtzulassung der Revision mit der Beschwerde angefochten, muss in der Be-
schwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung dargelegt oder die Entschei-
dung, von der das Berufungsurteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet
werden (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Die Prüfung des beschließenden Senats ist
demgemäß auf fristgerecht geltend gemachte Beschwerdegründe im Sinne des
§ 132 Abs. 2 VwGO beschränkt.
Der allein geltend gemachte Revisionszulassungsgrund der Abweichung von der
Rechtsprechung der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte ist nicht in der
erforderlichen Weise dargelegt. Eine die Zulassung der Revision rechtfertigende Di-
vergenz im Sinne der genannten Vorschrift liegt nur vor, wenn das Berufungsgericht
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mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem der in
§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz
abgerückt ist. Dabei müssen die Rechtssätze sich grundsätzlich auf dieselbe Rechts-
norm beziehen. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt
in diesem Zusammenhang, dass in der Beschwerdebegründung ausgeführt wird,
dass und inwiefern das Berufungsgericht seine Entscheidung auf einen in der ge-
nannten Weise widersprechenden Rechtssatz gestützt hat. Daran fehlt es.
Der Kläger verweist auf die in dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom
14. Mai 1985 - 1 BvR 233, 341/81 - (BVerfGE 69, 315 <353 f.>) aufgestellten
Rechtssätze, dass die behördliche Eingriffsbefugnis nach § 15 VersG u.a. dadurch
begrenzt ist, "dass Verbote und Auflösungen nur bei einer 'unmittelbaren Gefähr-
dung' der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung statthaft sind. Durch das Erfordernis
der Unmittelbarkeit werden die Eingriffsvoraussetzungen stärker als im allgemeinen
Polizeirecht eingeengt. Erforderlich ist im konkreten Fall jeweils eine Gefahrenprog-
nose. Diese enthält zwar stets ein Wahrscheinlichkeitsurteil; dessen Grundlagen
können und müssen aber ausgewiesen werden. Demgemäß bestimmt das Gesetz,
dass es auf 'erkennbaren Umständen' beruhen muss, also auf Tatsachen, Sachver-
halten und sonstigen Einzelheiten; bloßer Verdacht oder Vermutungen können nicht
ausreichen. Unter Berücksichtigung der grundlegenden Bedeutung der Versamm-
lungsfreiheit darf die Behörde insbesondere bei Erlass eines vorbeugenden Verbotes
keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen, zumal ihr bei
irriger Einschätzung noch die Möglichkeit einer späteren Auflösung verbleibt". Er
stellt diesen Rechtssätzen aber keine davon abweichenden Rechtssätze des Verwal-
tungsgerichtshofs gegenüber. Die Beschwerde meint lediglich, dass Berufungsge-
richt habe die Anforderungen an die Gefahrenprognose verkannt und die tatsächli-
chen Umstände unzutreffend gewürdigt. Damit kann nach dem Gesagten der Revi-
sionszulassungsgrund der Divergenz nicht dargelegt werden. Das Berufungsgericht
ist vielmehr von den dargestellten Voraussetzungen ausgegangen (UA S. 10).
Dies gilt ebenso für die Ausführungen im Zusammenhang mit dem in der genannten
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ebenfalls enthaltenen Grundsätzen
(a.a.O., S. 362): "Ein vorbeugendes Verbot der … Veranstaltung wegen befürchteter
Ausschreitungen einer gewaltorientierten Minderheit … ist nur unter strengen Vo-
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raussetzungen und unter verfassungskonformer Anwendung des § 15 VersG statt-
haft. Dazu gehört eine hohe Wahrscheinlichkeit der Gefahrenprognose sowie die
vorherige Ausschöpfung aller sinnvoll anwendbaren Mittel, die eine Grundrechtsver-
wirklichung der friedlichen Demonstranten … ermöglichen. Insbesondere setzt das
Verbot der gesamten Veranstaltung als ultima ratio voraus, dass das mildere Mittel,
durch Kooperation mit den friedlichen Demonstranten eine Gefährdung zu verhin-
dern, gescheitert ist oder dass eine solche Kooperation aus Gründen, welche die
Demonstranten zu vertreten haben, unmöglich war…"
In gleicher Weise verfehlen die Ausführungen zu dem aus dem Kammerbeschluss
des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 2000 - 1 BvR 1245/00 - (NJW 2000,
3051 <3052>) zitierten Satz "Haben sich bei Veranstaltungen an anderen Orten mit
anderen beteiligten Gefahren verwirklicht, so müssen besondere, von der Behörde
bezeichnete Umstände die Annahme rechtfertigen, dass ihre Verwirklichung eben-
falls bei der nunmehr geplanten Versammlung zu befürchten sind" die genannten
Darlegungsvoraussetzungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Der Kläger führt ledig-
lich aus, dass der Verwaltungsgerichtshof sich nicht hinreichend mit seinen Argu-
menten in Bezug auf die Versammlung in Genua auseinander gesetzt habe.
Der Kläger führt außerdem folgenden in dem Kammerbeschluss des Bundesverfas-
sungsgerichts vom 1. Mai 2001 - 1 BvQ - 21/01 - (DVBl 2001, 1132 <1133>) enthal-
tenen Rechtssatz an: "Ein Versammlungsverbot nach § 15 VersG setzt jedoch vo-
raus, dass nach den zurzeit des Erlasses der Verbotsverfügung erkennbaren Um-
ständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung
unmittelbar gefährdet ist. Erforderlich sind insoweit hinreichende tatsächliche An-
haltspunkte … Dass eine Gefahr nicht ausgeschlossen werden kann … reicht schon
nach dem Wortlaut des § 15 VersG nicht und genügt auch nicht den verfassungs-
rechtlichen Anforderungen an Beschränkungen des Grundrechts der Versammlungs-
freiheit." Er stellt auch diesem Rechtssatz keinen abweichenden Rechtssatz des
Verwaltungsgerichtshofs gegenüber, sondern rügt, dass das Berufungsgericht die
tatsächlichen Umstände fehlerhaft gewürdigt habe. Der Verwaltungsgerichtshof hat
vielmehr den angeführten Kammerbeschluss seiner Entscheidung ausdrücklich
zugrunde gelegt (UA S. 14).
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Das gesamte Beschwerdevorbringen zielt darauf, dass das Berufungsgericht die ver-
fassungsgerichtlich aufgestellten Rechtssätze unrichtig angewandt habe. Anwen-
dungsfehler sind jedoch keine Abweichung im Sinne des Revisionszulassungsrechts.
Mit Angriffen gegen die berufungsgerichtliche Tatsachenwürdigung und Rechtsan-
wendung kann deshalb der Revisionszulassungsgrund der Divergenz nicht dargelegt
werden (Beschluss vom 10. Juli 1995 - BVerwG 9 B 18.95 - Buchholz 310 § 108
VwGO Nr. 264).
2. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung
des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf §§ 14, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Bardenhewer Hahn Vormeier