Urteil des BVerwG vom 16.05.2002

Rechtliches Gehör, Rechtsquelle, Verfahrensart, Reform

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BESCHLUSS
BVerwG 6 B 28.02/6 B 29.02
OVG 15 E 270/02
OVG 15 A 1215/02
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Mai 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. B a r d e n h e w e r und die Richter am Bundes-
verwaltungsgericht Dr. G e r h a r d t und
V o r m e i e r
beschlossen:
Die außerordentlichen Rechtsbeschwerden des
Klägers gegen die Beschlüsse des Oberverwal-
tungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen
vom 27. März 2002 werden verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdever-
fahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
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G r ü n d e :
Der Kläger wendet sich mit außerordentlichen Rechtsbeschwerden
gegen Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts, durch die die
Beschwerde gegen die Kostenentscheidung im Urteil des Verwal-
tungsgerichts Köln vom 19. Februar 2002 verworfen und der An-
trag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren
auf Zulassung der Berufung gegen das genannte Urteil abgelehnt
wurden. Der Senat hat nicht darüber zu befinden, ob und inwie-
weit der Kläger sein Anliegen mit außerordentlichen Rechtsbe-
helfen ("Gegenvorstellungen") gegenüber dem Oberverwaltungsge-
richt geltend machen und möglicherweise eine Abhilfe durch
dieses erreichen könnte. Jedenfalls ist für eine Befassung des
Bundesverwaltungsgerichts angesichts der abschließenden ge-
setzlichen Regelung seiner Zuständigkeiten im Instanzenzug, zu
denen die Überprüfung der Entscheidungen der Oberverwaltungs-
gerichte der vorliegenden Art nicht gehört (§ 152 Abs. 1
VwGO), kein Raum.
Zwar ist in der Vergangenheit eine außerordentliche Beschwerde
in Fällen greifbarer Gesetzwidrigkeit für denkbar gehalten
worden, um eine Möglichkeit zu schaffen, nach dem Gesetz unan-
fechtbare Entscheidungen der Vorinstanzen zu korrigieren, wenn
vorgetragen wurde, sie entbehrten jeder gesetzlichen Grundlage
und seien inhaltlich dem Gesetz fremd (vgl. Beschluss vom
31. Januar 2000 - BVerwG 8 B 22.00 - Buchholz 428 § 37 VermG
Nr. 25 m.w.N.; zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs BGH,
Beschluss vom 7. März 2002 - IX ZB 11/02 - WM 2002, 775
m.w.N.). Nach den Neuregelungen im Zivilprozessrecht kommt ei-
ne solche Möglichkeit künftig aber nicht mehr in Betracht. Der
Gesetzgeber hat sich im Rahmen des Zivilprozessreformgesetzes
vom 27. Juli 2001 (BGBl I S. 1887, 1902 ff.) der Frage der
"Selbstkontrolle" der Gerichte für diejenigen Fälle angenom-
men, die im Wesentlichen Anlass zur Entwicklung der "außeror-
dentlichen Beschwerde" gegeben haben. Der Gesetzgeber hat sich
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dafür entschieden, dass dasjenige Gericht ggf. für Abhilfe zu
sorgen hat, dem der Fehler unterlaufen ist. Dieser Rechtsge-
danke liegt namentlich dem Rügeverfahren bei Verletzung des
Anspruchs auf rechtliches Gehör durch unanfechtbare Entschei-
dungen in § 321 a ZPO sowie der Abhilfemöglichkeit des Erstge-
richts im Beschwerdeverfahren nach § 572 Abs. 1 ZPO zugrunde
(vgl. ferner § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO; zum Ganzen Vollkommer
in: Zöller, ZPO, 23. Aufl. 2002, Einl Rn. 103). Demgemäß hat
der Bundesgerichtshof im erwähnten Beschluss vom 7. März 2002
(a.a.O.) aus der Neuregelung des Beschwerderechts gefolgert,
dass seit dem In-Kraft-Treten des Zivilprozessreformgesetzes
ein außerordentliches Rechtsmittel zum Bundesgerichtshof auch
dann nicht statthaft ist, wenn die angegriffene Entscheidung
ein Verfahrensgrundrecht des Beschwerdeführers verletzt oder
aus sonstigen Gründen "greifbar gesetzwidrig" ist.
Diese Rechtsentwicklung hat nach Ansicht des beschließenden
Senats zur Folge, dass die gesetzliche Aufzählung der Zustän-
digkeiten des Bundesverwaltungsgerichts und die Regelung des
Beschwerderechts künftig eine Befassung mit außerordentlichen
Beschwerden nicht mehr zulassen. Dem erwähnten Rechtsgedanken,
dass eine erforderliche "Selbstkorrektur", soweit sie nicht
innerhalb des allgemeinen Rechtsmittelzugs geleistet werden
kann, dem Gericht obliegt, dem der Rechtsverstoß zur Last
fällt (iudex a quo), kann auch im Rahmen der Verwaltungsge-
richtsordnung durch die Zulassung von Gegenvorstellungen Rech-
nung getragen werden (vgl. Beschluss vom 28. Oktober 1997
- BVerwG 3 B 188.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 27).
Mit der gesetzgeberischen Entscheidung im Rahmen der Reform
des Zivilprozesses, die von der Verfahrensart unabhängig ist
(vgl. § 173 VwGO), wäre es unvereinbar, weiterhin ein gesetz-
lich nicht vorgesehenes Rechtsmittel zum Bundesverwaltungsge-
richt zuzulassen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Von der
Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird
gemäß § 8 Abs. 1 Satz 3 GKG abgesehen.
Bardenhewer Gerhardt Vormeier
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Prozessrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquelle:
VwGO § 152
Stichworte:
Außerordentliche Beschwerde; Zivilprozessreform.
Leitsatz:
Seit In-Kraft-Treten des Zivilprozessreformgesetzes ist es
ausgeschlossen, das Bundesverwaltungsgericht im Wege der
"außerordentlichen Beschwerde" anzurufen.
Beschluss des 6. Senats vom 16. Mai 2002
- BVerwG 6 B 28.02 und 6 B 29.02 -
I. VG Köln vom 19.02.2002 - Az.: VG 7 K 5799/98 -
II. OVG Münster vom 27.03.2002 - Az.: OVG 15 E 270/02 -
- Az.: OVG 15 A 1215/02 -