Urteil des BVerwG vom 19.11.2013

Gefahr im Verzug, Anhörung, Öffentliche Sicherheit, Europäische Menschenrechtskonvention

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 B 26.13
VGH 8 C 2134/11.T
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. November 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Möller und Hahn
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 21. Februar 2013 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I
Der Kläger ist ein nicht eingetragener Verein. Er ist Teil der „Hells Angels“-
Bewegung. Durch Verfügung vom 29. September 2011 stellte das Innenministe-
rium des beklagten Landes Hessen fest, dass der Zweck und die Tätigkeit des
Klägers den Strafgesetzen zuwider liefen. Der Kläger sei verboten und werde
aufgelöst. Ferner wurde dem Kläger jede Tätigkeit und die Bildung von Ersatz-
organisationen untersagt. Die Verwendung seiner Kennzeichen wurde verbo-
ten. Das Vermögen des Klägers sowie näher bezeichnete Sachen Dritter wur-
den beschlagnahmt und eingezogen.
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Der Verwaltungsgerichtshof hat die gegen die Verfügung gerichtete Klage ab-
gewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Der Kläger er-
strebt mit seiner Beschwerde die Zulassung der Revision.
II
Die auf die Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) und des Verfahrensmangels
im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (2.) gestützte Beschwerde hat keinen
Erfolg.
1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache
nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Eine solche Bedeutung kommt ei-
ner Rechtssache nur zu, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorin-
stanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang höchstrichterlich ungeklärte
Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revi-
sionsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtspre-
chung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist. Aus den Darlegun-
gen der Beschwerde ergibt sich nicht, dass diese Voraussetzungen hier erfüllt
sind.
a) Der Kläger hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob
„es für die Herstellung des Benehmens gem. § 3 Abs. 2
Satz 2 VereinsG ausreichend (ist), wenn die Verbotsbe-
hörde eines Landes dem Bundesministerium des Innern
lediglich den Entwurf der Verbotsverfügung überstellt und
das Einvernehmen sich auf den Hinweis 'keine Anmer-
kungen' beschränkt, oder (ob) es erforderlich (ist), dass
(sie) dem Bundesministerium des Innern die zum Vereins-
verbot gehörenden Akten und Erkenntnisquellen zur Ver-
fügung stellt, um einen Meinungs- und Erfahrungsaus-
tausch herbeizuführen“.
Eine Rechtsfrage mit einem derartigen Inhalt hat sich dem Verwaltungsge-
richtshof nicht gestellt und war nicht Grundlage seiner Entscheidung. Sie kann
deshalb mangels Klärungsfähigkeit nicht zur Zulassung der Revision führen
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(vgl. hierzu allgemein mit Nachweisen der ständigen Rechtsprechung des Bun-
desverwaltungsgerichts: Beschluss vom 4. Oktober 2013 - BVerwG 6 B 11.13 -
juris Rn. 19).
Der Kläger verweist zwar zu Recht darauf, dass der Verwaltungsgerichtshof
(UA S. 11) die Frage hat dahinstehen lassen, ob der Kläger lediglich ein Teil-
verein eines über das Gebiet des Landes Hessen hinaus tätigen Vereins sei.
Denn in diesem Fall - so der Verwaltungsgerichtshof - sei das für ein Verbot
durch das beklagte Landesministerium gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 VereinsG er-
forderliche Benehmen des Bundesministeriums des Innern durch dessen Hin-
weis hergestellt worden, dass zu dem nach dort übersandten Entwurf der Ver-
botsverfügung keine Anmerkungen bestünden. Der Kläger vernachlässigt je-
doch, dass der Verwaltungsgerichtshof weiter ausgeführt hat, der übersandte
Bescheidentwurf selbst habe ausreichende Informationen enthalten, um das
Bundesministerium in die Lage zu versetzen, bei Zweifeln an der Recht- oder
Zweckmäßigkeit des erbetenen Benehmens weitere Aufklärung zu betreiben.
Aus diesem Grund hat der Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich einen etwaigen
aus der Nichtvorlage weiterer Erkenntnisquellen resultierenden Verfahrensfeh-
ler verneint. Hierzu verhält sich die Beschwerdebegründung nicht. Sie bezeich-
net damit eine rechtliche Problematik als grundsätzlich bedeutsam, die sich von
derjenigen, auf die die Vorinstanz abgestellt hat, wesentlich unterscheidet.
b) Der Kläger wirft als grundsätzlich bedeutsam die Fragen auf,
„unter welchen Voraussetzungen im Rahmen eines ver-
einsrechtlichen Verbotsverfahrens von der durch § 28
Abs. 1 VwVfG geforderten Anhörung des Verbotsadressa-
ten abgesehen werden (darf)“,
und
„(ob) die insoweit vorgebrachte Bezugnahme auf einen
möglichen 'Ankündigungseffekt' einer behördlichen Anhö-
rung, der es dem Verbotsadressaten ermöglicht hätte,
Vermögen und Beweismittel dem behördlichen Zugriff zu
entziehen, und damit ein wirksames Vorgehen gegen den
Verein beeinträchtigt oder unmöglich gemacht hätte, wei-
terer Feststellungen und Erläuterungen durch die Ver-
botsbehörde (bedarf)“.
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Diesen Fragen kommt mangels Klärungsbedürftigkeit eine grundsätzliche Be-
deutung nicht zu. Sie sind, soweit sie einer über den Einzelfall hinausweisenden
Beantwortung zugänglich sind, in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungs-
gerichts geklärt. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 29. Januar 2013
- BVerwG 6 B 40.12 - (NVwZ 2013, 521 <524>), den der Verwaltungsgerichts-
hof zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht hat (Niederschrift
über die mündliche Verhandlung vom 21. Februar 2013 S. 3, GA Bl. 339 ff.), zu
den in Rede stehenden Fragen, die die auch in dem seinerzeitigen Verfahren
beteiligten Prozessbevollmächtigten des Klägers wortgleich aufgeworfen hatten,
das Folgende ausgeführt:
Nach § 28 Abs. 1 VwVfG … ist vor Erlass eines Verwal-
tungsaktes, der - wie ein Vereinsverbot - in Rechte eines
Beteiligten eingreift, dem Betroffenen Gelegenheit zu ge-
ben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsa-
chen zu äußern. Jedoch kann nach § 28 Abs. 2 Nr. 1
VwVfG … von der Anhörung abgesehen werden, wenn
nach den Umständen des Einzelfalls eine sofortige Ent-
scheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen
Interesse notwendig erscheint.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts zum Vereinsrecht (Urteile vom 18. Oktober
1988 - BVerwG 1 A 89.83 - BVerwGE 80, 299 <303 f.> =
Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 13 S. 19 f., vom 13. April
1999 - BVerwG 1 A 3.94 - Buchholz 402.45 VereinsG
Nr. 30 S. 3 und vom 27. November 2002 - BVerwG
6 A 4.02 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 35 S. 36, Be-
schluss vom 10. Januar 2003 - BVerwG 6 VR 13.02 -
Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 38 S. 61 f., Urteile vom
3. Dezember 2004 - BVerwG 6 A 10.02 - Buchholz 402.45
VereinsG Nr. 41 S. 77 f., vom 5. August 2009 - BVerwG
6 A 3.08 - BVerwGE 134, 275 Rn. 13 = Buchholz 402.45
VereinsG Nr. 50, vom 1. September 2010 - BVerwG 6 A
4.09 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 55 Rn. 11 und vom
18. April 2012 - BVerwG 6 A 2.10 - NVwZ-RR 2012, 648
Rn. 11) genügt es, dass die Verbotsbehörde unter diesen
Gesichtspunkten auf Grund der ihr bekannt gewordenen
Tatsachen eine sofortige Entscheidung für notwendig hal-
ten durfte. Das hat das Bundesverwaltungsgericht na-
mentlich in Fällen angenommen, in denen das Unterblei-
ben einer vorherigen Anhörung damit begründet wurde,
dass eine Unterrichtung des betroffenen Vereins über den
bevorstehenden Eingriff vermieden und ihm so keine Ge-
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legenheit geboten werden sollte, sein Vermögen, verbots-
relevante Unterlagen oder dergleichen dem behördlichen
Zugriff zu entziehen. Ein derartiges Bestreben, einer Ver-
botsverfügung größtmögliche Wirksamkeit zu verleihen,
rechtfertigt in der Regel das Absehen von einer Anhörung
(Urteile vom 13. April 1999 und vom 27. November 2002
jew. a.a.O., Beschluss vom 10. Januar 2003 a.a.O.).
Eine nur theoretische, nicht durch konkrete tatsächliche
Hinweise belegte Möglichkeit eines die Wirksamkeit einer
Verbotsverfügung beeinträchtigenden Ankündigungsef-
fekts rechtfertigt es danach nicht, von einer Anhörung ab-
zusehen. Notwendig - aber auch ausreichend - ist viel-
mehr, dass die Verbotsbehörde auf Grund ihr bekannt
gewordener Tatsachen annehmen darf, eine Anhörung
könnte der betroffenen Vereinigung die Gelegenheit ge-
ben, ihr Vermögen, verbotsrelevante Unterlagen oder der-
gleichen dem behördlichen Zugriff zu entziehen. Das wird
in aller Regel bereits dann der Fall sein, wenn es tatsäch-
liche Hinweise auf das Vorhandensein von nennenswerten
Vermögensgegenständen oder Beweismaterial gibt. Wei-
tergehender Feststellungen und Erläuterungen bedarf es
nicht. Dementsprechend hat das Bundesverwaltungsge-
richt in der Vergangenheit darauf abgestellt, ob die Be-
fürchtung eines negativen Ankündigungseffekts einer An-
hörung bzw. das Bestreben, einem solchen Effekt durch
Absehen von einer Anhörung zu begegnen, „nach den
Umständen“ nicht zu beanstanden (Urteile vom 13. April
1999 und vom 27. November 2002 jew. a.a.O., Beschluss
vom 10. Januar 2003 a.a.O., Urteil vom 3. Dezember 2004
a.a.O.) bzw. „nachvollziehbar“ (Urteil vom 18. April 2012
a.a.O.) war.
Eine weitere allgemeingültige Präzisierung ist angesichts
der Vielgestaltigkeit denkbarer Fälle nicht möglich.
Gesichtspunkte, die die bezeichneten Rechtsfragen im Hinblick auf die in dem
Beschluss des Senats vom 29. Januar 2013 zusammengefassten Rechtspre-
chungsgrundsätze als klärungsbedürftig geblieben oder wieder klärungsbedürf-
tig geworden erscheinen lassen könnten, enthält die Beschwerdebegründung
nicht. Der Kläger bringt mit ihr lediglich zum Ausdruck, dass er die besagten
Rechtsprechungsgrundsätze für nicht überzeugend hält.
c) Der Kläger möchte grundsätzlich geklärt wissen,
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„(ob) die ausschließliche bzw. ganz überwiegende Inan-
spruchnahme dritter Behörden (sog. Hilfsbehörden) zur
Erlangung von Informationen und deren anschließende
Verwertung durch die Verbotsbehörde eine ausreichende
eigenständige Ermittlungstätigkeit im Sinne des § 4 Abs. 1
Satz 1 VereinsG (darstellen), mit der ein Vereinsverbot
begründet werden kann, oder (ob) eigene Ermessenser-
wägungen und ergebnisoffene Ermittlungstätigkeiten der
Verbotsbehörde zu fordern (sind)“.
Dass dieser Frage keine Grundsatzbedeutung zukommt, ergibt sich ebenfalls
aus dem Beschluss des Senats vom 29. Januar 2013. Der Senat hat dort
(a.a.O. S. 523) auf eine mit Ausnahme des letzten Halbsatzes wortgleiche Fra-
ge dargelegt:
Soweit eine über den Einzelfall hinausweisende Antwort
überhaupt möglich ist, ergibt sie sich … bereits unmittelbar
aus dem Gesetz und muss deshalb nicht erst in einem
Revisionsverfahren gefunden werden. Nach § 4 Abs. 1
Satz 1 VereinsG kann die Verbotsbehörde für ihre Ermitt-
lungen die Hilfe der für die Wahrung der öffentlichen Si-
cherheit und Ordnung zuständigen Behörden und Dienst-
stellen in Anspruch nehmen. Es versteht sich von selbst,
dass die Verbotsbehörde im Rahmen ihrer Pflicht zur Er-
mittlung des Sachverhalts (§ 24 Abs. 1 VwVfG) auf Er-
kenntnisse zurückgreifen darf, die je nach dem in Rede
stehenden Verbotsgrund bei anderen insoweit befassten
Behörden angefallen sind. Die Einholung von Informatio-
nen bei anderen Behörden ist ein wesentliches Mittel der
Sachverhaltsaufklärung (vgl. § 26 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1
VwVfG) und steht nicht etwa in einem Gegensatz zu ei-
genständigen Ermittlungen der Behörde, … § 4 Abs. 1
Satz 1 VereinsG hebt als naheliegende Behörden und
Dienststellen eigens diejenigen hervor, die für die Wah-
rung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zuständig
sind. Ob die durch ihre Inanspruchnahme erlangten Infor-
mationen nach Gehalt, Dichte und Zuverlässigkeit bereits
allein ein Vereinsverbot begründen können oder ob die
Verbotsbehörde darüber hinaus weitere Ermittlungen an-
zustellen hat, ist eine Frage der Würdigung des Sachver-
halts in jedem Einzelfall. Dass die Verbotsbehörde die von
ihr auch mit Hilfe anderer Behörden zusammengetrage-
nen Informationen mit Blick auf die Verbotstatbestände ei-
genständig zu würdigen hat, versteht sich von selbst.
Ebenso versteht sich von selbst, dass es an dieser eigen-
ständigen Würdigung nicht allein deshalb fehlt, weil die
Verbotsbehörde ihr überzeugend erscheinende Feststel-
lungen anderer Behörden und Gerichte übernimmt.
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Woraus sich unter Berücksichtigung dieser Ausführungen eine Klärungsbedürf-
tigkeit der von dem Kläger bezeichneten Frage ergeben könnte, wird aus der
Beschwerdebegründung nicht ansatzweise deutlich. Insbesondere hat der Klä-
ger den Gehalt der Darlegungen des Senats nicht erfasst, wenn er meint, sie
ließen Raum dafür, die im Rahmen der polizeilichen Gefahrenabwehr bzw. der
Strafverfolgung gewonnenen Erkenntnisse weitgehend unreflektiert in das Ver-
einsverbotsverfahren zu übernehmen.
d) Der Kläger misst der Frage Grundsatzbedeutung zu,
„(ob) ein Verwaltungsgericht vor dem Hintergrund des aus
Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG folgenden Rechts auf
informationelle Selbstbestimmung in verfassungskonfor-
mer Weise die Datenabfrage von Verbotsbehörden im
Rahmen von Vereinsverbotsverfahren sowie die darauf
folgende Übermittlung dieser Daten seitens der angefrag-
ten Behörde verwerten (darf), ohne im Rahmen des
Amtsermittlungsgrundsatzes des § 86 Abs. 1 VwGO eige-
ne unmittelbare Auskunftsersuchen an die aktenführenden
Behörden zu richten“.
Der Kläger führt hierzu aus, zunächst habe das Innenministerium des beklagten
Landes die angefochtene Verbotsverfügung allein auf Erkenntnisse aus dem
Bereich der Gefahrenabwehr bzw. auf solche aus strafrechtlichen Verfahren
gestützt. Insoweit sei unsicher, wo sich eine hinreichende Befugnis der Ver-
botsbehörde zur Datenabfrage und eine solche der angefragten Behörde zur
Datenübermittlung verankern lasse. Sodann habe der Verwaltungsgerichtshof
die Verbotsverfügung allein auf der Grundlage der von der Verbotsbehörde auf
die besagte Weise gewonnenen Daten aufrecht erhalten. Der Verwaltungsge-
richtshof habe jedoch für eine Entscheidung unabhängig von der Problematik
der Rechtsgrundlage für die behördliche Datenübermittlung den Sachverhalt
durch Beiziehung der einschlägigen Strafurteile und Strafverfahrensakten bzw.
sonstiger Daten gemäß § 86 Abs. 1 VwGO von Amts wegen eigenständig auf-
klären müssen.
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Die derart erläuterte Frage ist revisionsgerichtlich nicht klärungsfähig bzw. nicht
- erneut - klärungsbedürftig.
Der Verwaltungsgerichtshof hat als gesetzliche Grundlage der behördlichen
Übermittlung von Daten an das Innenministerium des beklagten Landes als
Verbotsbehörde für den Bereich der Gefahrenabwehr § 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG)
und für den Bereich der Strafverfolgung § 481 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO i.V.m.
§ 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HSOG benannt (UA S. 11 f., zum Teil unter Bezug-
nahme auf im Verfahren angebrachten Vortrag des Beklagten). Er hat festge-
stellt, dass § 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HSOG als bereichsspezifische Spezialrege-
lung zu § 21 Abs. 1 Satz 1, Abs. 6 HSOG eine - auch im Anwendungsbereich
des § 481 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO zu beachtende - Ausnahme von dem sog.
Zweckbindungsprinzip enthält. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 29. Ja-
nuar 2013 (a.a.O. S. 523) geklärt, dass die in einer solchen Konstellation rele-
vanten Vorschriften des irrevisiblen Landesrechts auch dadurch nicht zu revisi-
blem Bundesrecht werden, dass - für den Bereich der Strafverfolgung - die zwar
revisible, aber für sich nicht klärungsbedürftige Norm des § 481 Abs. 1 StPO an
sie anknüpft. Vielmehr kommen die polizeilichen Vorschriften, da sie § 481 Abs.
1 StPO als geltend voraussetzt, auch hier ausschließlich als irrevisibles Landes-
recht zur Anwendung. Der Senat hat in diesem Zusammenhang zudem ent-
schieden, dass die Frage, ob die landesrechtlichen Bestimmungen den für sich
hinreichend geklärten bundesverfassungsrechtlichen Anforderungen des
Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art.
1 Abs. 1 GG genügen, allein die Auslegung dieser landesrechtlichen Normen
betrifft und deshalb keinen bundesrechtlichen Bezug aufweist. Der Senat hat
schließlich klargestellt, dass die verwaltungsgerichtliche Ermittlung von Daten
im Rahmen der Überprüfung eines Vereinsverbots dem Recht auf infor-
mationelle Selbstbestimmung genügende gesetzliche Grundlagen in den allge-
meinen verwaltungsprozessualen Bestimmungen der § 86 Abs. 1, § 99 Abs. 1
VwGO und in speziellen Ermächtigungen wie § 474 Abs. 1 StPO hat. Was die
Anwendung dieser revisiblen Vorschriften anbelangt, liegt es auf der Hand und
bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, dass ein Verwaltungsge-
richt die von der Verbotsbehörde - wie im vorliegenden Fall - in nicht zu bean-
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standender Weise ermittelten und für das Vereinsverbot verwandten Daten
nach § 86 Abs. 1, § 99 Abs. 1 VwGO anfordern und für die vorzunehmende
rechtliche Prüfung verwenden darf und nicht darauf verwiesen ist, die im Zu-
sammenhang mit dem erlassenen Vereinsverbot entstandenen Verwaltungs-
vorgänge unbeachtet zu lassen und durch eigene Ermittlungen eine parallele
Materialsammlung zu erstellen.
e) Der Kläger sieht als grundsätzlich bedeutsam die Frage an,
„welche Anforderungen an die verwaltungsgerichtliche
Überprüfung des Merkmals 'Strafgesetzwidrigkeit' in Art. 9
Abs. 2 Alt. 1 GG i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 VereinsG
zu stellen (sind)“.
Zur Konkretisierung dieser in ihrer Allgemeinheit nicht klärungsfähigen Frage
verweist der Kläger auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
(Urteile vom 18. Oktober 1988 - BVerwG 1 A 89.83 - BVerwGE 80, 299
<305 ff.> = Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 13 S. 22 ff. und vom 5. August 2009
- BVerwG 6 A 3.08 - BVerwGE 134, 275 = Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 50
Rn. 17 f.), wonach ein auf den Verbotsgrund des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1
VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 1 GG gestütztes Vereinsverbot rechtlich un-
abhängig von einer strafrichterlichen Verurteilung einzelner Mitglieder oder
Funktionäre der Vereinigung ist, die Strafgesetzwidrigkeit vielmehr von der Ver-
botsbehörde und dem Verwaltungsgericht in eigener Kompetenz geprüft wer-
den muss. Der Kläger meint, es sei ungeklärt, nach welchen verfahrensrechtli-
chen Maßstäben diese Prüfung stattzufinden habe. Dies sei wegen einer dro-
henden Verkürzung der strafprozessualen Rechte der Betroffenen nicht hin-
nehmbar.
In dieser Umschreibung ist die aufgeworfene Frage nicht klärungsbedürftig.
Denn es liegt unabhängig von der Durchführung eines Revisionsverfahrens klar
zu Tage, dass die behördliche Prüfung, ob die Zwecke oder die Tätigkeit eines
Vereins im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2
Alt. 1 GG den Strafgesetzen zuwiderlaufen, nicht anders als nach den verfah-
rensrechtlichen Maßstäben des Vereinsgesetzes sowie des jeweils anzuwen-
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denden Verwaltungsverfahrensgesetzes und die verwaltungsgerichtliche Kon-
trolle dieser Prüfung nur in dem prozessualen Rahmen der Verwaltungsge-
richtsordnung vorgenommen werden können. In diesem Zusammenhang geht
der Einwand einer Beeinträchtigung strafprozessualer Rechte ins Leere. Denn
der Sinn und Zweck des Verbotstatbestandes des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1
VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 1 GG besteht nicht darin, die Verletzung der
Strafgesetze durch einzelne Personen zusätzlich vereinsrechtlich zu sanktionie-
ren. Durch ihn soll vielmehr einer besonderen Gefährdung der öffentlichen Si-
cherheit oder Ordnung begegnet werden, die sich daraus ergibt, dass Straftaten
in einem vereinsmäßig organisierten Zusammenhang begangen, hervorgerufen,
ermöglicht oder erleichtert werden (Urteil vom 19. Dezember 2012 - BVerwG
6 A 6.11 - NVwZ 2013, 870 <874>).
f) Der Kläger möchte die Frage einer grundsätzlichen Klärung zugeführt sehen,
„(ob) der nach der Rechtsprechung des Europäischen Ge-
richtshofs für Menschenrechte (EGMR) aus Art. 11 Abs. 2
Satz 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)
folgenden Beweislast der Verbotsbehörden bezüglich der
konkreten Geeignetheit eines Vereinsverbotes bzw. des
Nichtvorliegens milderer, gleich effektiver Maßnahmen ei-
ne für die tatbestandliche Feststellung der Strafgesetzwid-
rigkeit oder die Eröffnung eines behördlichen Rechtsfolge-
ermessens eigenständige Bedeutung zu(kommt), unter
Berücksichtigung der vom Bundesverfassungsgericht in
ständiger Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze zur
Rezeption der EMRK im bundesdeutschen Verfassungs-
recht“.
Diese Frage hat mangels Klärungsbedürftigkeit keine grundsätzliche Bedeu-
tung, weil sie ohne vorherige Durchführung eines Revisionsverfahrens in ein-
deutiger Weise beantwortet werden kann.
Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt Beschluss vom
29. Januar 2013 a.a.O. S. 525 m.w.N.) ist den Anforderungen des verfassungs-
rechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf der Tatbestandsseite der
Norm, das heißt bei der Prüfung Rechnung zu tragen, ob die Voraussetzungen
eines Vereinsverbotsgrundes vorliegen. Bei dem Verbotstatbestand des § 3
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Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 1 GG bildet das Erforder-
nis, dass ein unter dem Gesichtspunkt der Strafgesetzwidrigkeit relevantes
Verhalten einzelner Personen dem Verein zurechenbar sein und dessen Cha-
rakter prägen muss (Urteile vom 5. August 2009 a.a.O. Rn. 16 und vom 19. De-
zember 2012 a.a.O.), den Ansatzpunkt für die Berücksichtigung der aus dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ableitbaren Gebote. Dass der Rechtspre-
chung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 11 Abs. 2
Satz 1 EMRK weitergehende Anforderungen zu entnehmen sein könnten, legt
die Beschwerde nicht nachvollziehbar dar.
g) Grundsätzlichen Klärungsbedarf sieht der Kläger für die Frage,
„(ob) die Verbotsbehörde bei der Feststellung der Strafge-
setzwidrigkeit des Vereins im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1
Alt. 1 VereinsG sowie der HessVGH bei der Aufrechterhal-
tung der auf diesen Grund gestützten Verbotsverfügung
mit Blick auf die bisher obergerichtlich entwickelten
Grundsätze der Zurechnung strafbaren Verhaltens von
Vereinsmitgliedern das unmittelbar aus Art. 9 Abs. 2 GG
folgende Verbot strafgesetzwidriger Vereine unzulässig
ausgedehnt (haben)“.
Hierdurch wird wörtlich verstanden schon keine fallübergreifende Rechtsfrage
formuliert, sondern lediglich die Fehlerhaftigkeit der Rechtsanwendung durch
den Verwaltungsgerichtshof in dem von ihm entschiedenen Einzelfall behaup-
tet.
Soweit sich der Kläger allgemein gegen die Auslegung des Verbotsgrundes der
Strafgesetzwidrigkeit in der der vorinstanzlichen Entscheidung zu Grunde lie-
genden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wenden will, ist die
aufgeworfene Frage nicht klärungsbedürftig. Der Senat hat in seinem Beschluss
vom 29. Januar 2013 (a.a.O. S. 525) auf eine von den Prozessbevollmächtigten
des Klägers mit identischem Wortlaut und im Kern gleicher Begründung wie hier
gestellte Frage ausgeführt:
Danach erfüllt eine Vereinigung den Verbotstatbestand
grundsätzlich dann, wenn ihre Mitglieder oder Funktions-
träger Straftaten begehen, die der Vereinigung zurechen-
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bar sind und ihren Charakter prägen (Urteil vom
18. Oktober 1988 a.a.O. S. 306 f. bzw. S. 23). Der Cha-
rakter einer Vereinigung kann durch Straftaten ihrer Mit-
glieder geprägt sein, wenn die Straftaten der Selbstbe-
hauptung gegenüber einer konkurrierenden Organisation
gedient haben, es sich bei den betreffenden Mitgliedern
um Personen mit Leitungsfunktion gehandelt hat, entspre-
chende strafbare Verhaltensweisen in großer Zahl sowie
noch nach einer strafrechtlichen Ahndung entsprechender
Taten im Bereich der Vereinsmitglieder aufgetreten sind
oder die betreffenden Taten im Interesse des Vereins be-
gangen worden sind (Urteile vom 1. Februar 2000
- BVerwG 1 A 4.98 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 32
S. 26 und vom 5. August 2009 - BVerwG 6 A 3.08 -
BVerwGE 134, 275 Rn. 42 = Buchholz 402.45 VereinsG
Nr. 50). Der Kläger hält diese Kriterien für ungeeignet, den
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren, und meint,
eine den Charakter der Vereinigung prägende Kraft der
von ihren Mitgliedern begangenen Straftaten dürfe erst
dann angenommen werden, wenn die zugerechneten Ta-
ten im Sinne eines „allgemeinen Kriminalitätsnachweises“
erkennen ließen, dass sich der Verein als Ganzes gegen
die verfasste Rechtsordnung im Staat richte und daher
- so der Kläger sinngemäß - den daraus folgenden Gefah-
ren nicht mehr (allein) durch Ahndung und Verhinderung
einzelner Straftaten mit den Mitteln des Strafrechts und
Gefahrenabwehrrechts, sondern nur noch durch ein Ver-
einsverbot wirksam begegnet werden könne.
Dieses Vorbringen rechtfertigt die Zulassung der Revision
nicht. Die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungs-
gerichts herausgearbeiteten Kriterien, nach denen strafba-
res Verhalten ihrer Mitglieder einer Vereinigung zugerech-
net werden darf und unter denen dieses Verhalten die
Vereinigung zu prägen geeignet ist, bieten hinreichende
Ansatzpunkte, um auf der Tatbestandsseite der Norm bei
der Feststellung des Verbotsgrundes dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen. Dies liegt auf
der Hand und bedarf deshalb nicht erst einer Klärung in
einem Revisionsverfahren. Die dies pauschal bestreitende
gegenteilige Auffassung des Klägers läuft darauf hinaus,
dass eine Vereinigung erst dann den Verbotsgrund erfüllt,
wenn alle ihre Mitglieder straffällig werden und Zweck und
Tätigkeiten der Vereinigung ausschließlich auf die Bege-
hung von Straftaten gerichtet sind. Das wird seinerseits
der Gefährlichkeit einer Vereinigung nicht gerecht, die
durch die Straftaten ihrer Mitglieder geprägt wird. Der
Schutz bedrohter Rechtsgüter Dritter erfordert ein Verbot
auch dann, wenn die Vereinigung neben legalen Zielen
durch das Verhalten ihrer Mitglieder strafrechtlich relevan-
te Zwecke verwirklicht und dadurch geprägt wird.
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Die Beschwerdebegründung lässt nicht erkennen, woraus sich trotz dieser Dar-
legungen des Senats - und unter Berücksichtigung der sogleich (unter h) und i)
weiter folgenden Erörterungen - eine Klärungsbedürftigkeit der bezeichneten
Frage ergeben könnte. Die Ausführungen, die der Kläger zur Erläuterung an-
bringt, stimmen in ihrem allgemeinen Teil weithin mit den Ausführungen seiner
Prozessbevollmächtigten in dem Verfahren, das der Senat durch seinen Be-
schluss vom 29. Januar 2013 entschieden hat, überein und betreffen im Übri-
gen die für die Zulassung der Grundsatzrevision irrelevante Rechtsanwendung
in dem durch die Vorinstanz entschiedenen Einzelfall.
h) Für grundsätzlich bedeutsam hält der Kläger die Frage,
„(ob) der Umstand, dass ein Verein seine in Haft befindli-
chen Mitglieder durch regelmäßige systematische Besu-
che und Unterhaltszahlungen unterstützt, dazu (führt),
dass ihm die Straftaten der betroffenen Mitglieder in ver-
botsrelevanter Weise zugerechnet werden können“.
Der Kläger meint, die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage ergebe sich daraus,
dass eine Unterstützung inhaftierter Vereinsmitglieder nicht zwingend als Leis-
tung von Hilfestellung und Schutz im Zusammenhang mit der Begehung von
Straftaten angesehen werden müsse, sondern sich auch als wünschenswerter
Beitrag zur Resozialisierung der Gefangenen darstellen könne.
Der Kläger vernachlässigt dabei, dass der Verwaltungsgerichtshof (UA S. 20)
festgestellt hat, dass die von dem Kläger organisierten Unterstützungsmaß-
nahmen für inhaftierte Vereinsmitglieder und der von ihm ins Werk gesetzte
planmäßige Besuchsdienst gerade nicht als Akte legitimer Solidarität und damit
auch nicht als resozialisierungsgeeignet angesehen werden konnten, sondern
wenn nicht darauf angelegt, so doch jedenfalls geeignet waren, den Inhaftierten
ein Gefühl bedingungsloser Wertschätzung und Geborgenheit auch nach Be-
gehung schwer wiegender Straftaten zu vermitteln, ihre Loyalität gegenüber
dem Kläger während der Inhaftierung und in der Folgezeit zu sichern und die
Hemmschwelle für die Begehung künftiger Straftaten zu senken. Diese Fest-
stellung des Verwaltungsgerichtshofs hat der Kläger nicht mit durchgreifenden
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Verfahrensrügen angegriffen, so dass sie den Senat gemäß § 137 Abs. 2
VwGO bindet. Auf ihrer Grundlage ist die gestellte Frage unter Berücksichti-
gung der Rechtsprechung des Senats eindeutig zu bejahen und damit nicht
mehr klärungsbedürftig.
Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 19. Dezember 2012 a.a.O.
S. 874 f.) ist der Verbotstatbestand des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 VereinsG i.V.m.
Art. 9 Abs. 2 Alt. 1 GG innerhalb des durch seinen Wortlaut gezogenen Rah-
mens nach seinem gefahrenabwehrrechtlichen Sinn und Zweck auch dann er-
füllt, wenn Straftaten hervorgerufen, ermöglicht oder erleichtert werden. Im letz-
teren Fall ist es unerheblich, ob die Straftaten durch Funktionsträger, Mitglieder
oder Anhänger der Vereinigung oder durch Dritte begangen werden. Dass Un-
terstützungshandlungen nach Art der hier von dem Kläger geleisteten eine Her-
vorrufung, Ermöglichung oder Erleichterung von Straftaten darstellen, hat der
Senat an gleicher Stelle ebenfalls bereits entschieden.
i) Mit Grundsatzbedeutung ausgestattet sieht der Kläger die Frage,
„(ob) der Umstand, dass ein Verein Personen als Mitglie-
der aufnimmt, die in der Zeit vor der Vereinsmitgliedschaft
Straftaten begangen haben, und straffällig werdende Mit-
glieder nicht ausschließt, eine der Vereinigung zurechen-
bare strafrechtswidrige Prägung (ist)“.
Diese Frage ist, soweit sie einer verallgemeinerungsfähigen Beantwortung zu-
gänglich ist, ebenfalls durch die zuletzt bezeichnete Rechtsprechung des Se-
nats (Urteil vom 19. Dezember 2012 a.a.O. S. 874 f.) bereits geklärt und des-
halb nicht mehr klärungsbedürftig. Der Verwaltungsgerichtshof hat die durch
den Senat herausgearbeiteten allgemeinen Grundsätze auf den für den Revi-
sionszulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht bedeutsamen Einzel-
fall angewandt, indem er den Umstand, dass der Kläger straffällig gewordene
Personen - insbesondere Mitglieder anderer Charter der Hells Angels - über-
nommen und Straftäter nicht ausgeschlossen hat, als Indiz für dessen straf-
rechtswidrige Prägung gewertet hat.
j) Von grundsätzlicher Bedeutung ist nach Meinung des Klägers die Frage,
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„unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang
die Verbotsbehörde im Rahmen eines auf Art. 9 Abs. 2
Alt. 1 GG i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 VereinsG gestütz-
ten vereinsrechtlichen Verbotsverfahrens auf der Rechts-
folgenseite ausnahmsweise Erwägungen zur Verhältnis-
mäßigkeit anstellen (muss)“.
Entgegen der Ansicht des Klägers ist die Frage im vorliegenden Fall nicht klä-
rungsbedürftig und nicht klärungsfähig.
Der Senat hat in seinem Beschluss vom 29. Januar 2013 (a.a.O. S. 525) eine
ähnliche Frage der Prozessbevollmächtigten des Klägers wie folgt beschieden:
Diese Frage ist in der Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts … geklärt. Danach muss die Verbotsbehör-
de auf der Rechtsfolgenseite grundsätzlich keine Erwä-
gungen zur Verhältnismäßigkeit des Verbots anstellen.
Die Verbotsverfügung hat nicht die Funktion zu erfüllen,
der Verbotsbehörde auf der Rechtsfolgenseite der Norm
die Ausübung von Ermessen unter Berücksichtigung des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu ermöglichen. Sie
dient vielmehr - jedenfalls in der Regel - allein dazu, aus
Gründen der Rechtssicherheit klarzustellen, dass eine
Vereinigung einen oder mehrere Verbotsgründe erfüllt,
und durch die entsprechende Feststellung die gesetzlich
vorgesehene Sperre für ein Vorgehen gegen den Verein
aufzuheben. Den Anforderungen des verfassungsrechtli-
chen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist deshalb bereits
auf der Tatbestandsseite der Norm bei der Prüfung Rech-
nung zu tragen, ob die Voraussetzungen des Verbots-
grundes vorliegen (Urteile vom 5. August 2009 a.a.O.
Rn. 87, vom 18. April 2012 - BVerwG 6 A 2.10 - NVwZ-RR
2012, 648 Rn. 75 und vom 19. Dezember 2012 - BVerwG
6 A 6.11 - Rn. 56).
Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, dass hier
eine Ausnahmekonstellation bestehen könnte, die über eine durch den Grund-
satz der Verhältnismäßigkeit geleitete Prüfung des Tatbestands des Verbots-
grundes aus § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 1 GG
hinaus und letztlich in Widerspruch zur Regelungsstruktur des Art. 9 Abs. 2 GG
(vgl. dazu: BVerfG, Beschluss vom 15. Juni 1989 - 2 BvL 4/87 - BVerfGE 80,
244 <253 f.>) ausnahmsweise Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit der
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Rechtsfolge in Form des ausgesprochenen Vereinsverbots erforderte. Der Klä-
ger bringt vielmehr lediglich zum Ausdruck, dass er die von der Rechtsprechung
anerkannten Kriterien für die Bejahung der Strafrechtswidrigkeit ablehnt bzw.
nicht sämtlich erfüllt sieht, und kritisiert, dass die Frage einer zeitlichen Befris-
tung des Verbots offen geblieben sei. Die Irrelevanz des erstgenannten Ein-
wands ergibt sich bereits aus den bisherigen Darlegungen. Eine Befristung des
Vereinsverbots erforderte der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit schon deshalb
nicht, weil sich die betroffenen Vereinsmitglieder jederzeit zu einer neuen Ver-
einigung zusammenschließen können, sofern diese sich nicht im Sinne des § 8
Abs. 1 VereinsG als eine Ersatzorganisation darstellt (vgl. dazu: Urteil vom
19. Dezember 2012 a.a.O. S. 875).
k) Der Kläger sieht eine grundsätzliche Bedeutung der Frage,
„(ob) für das Verbot eines Vereins im VereinsG hinrei-
chend bestimmte Ermächtigungsgrundlagen (fehlen), um
der Verbotsbehörde eine dem unmittelbar aus Art. 2
Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG folgenden Gebot ausrei-
chender Normbestimmtheit gerecht werdende Erhebung
relevanter Daten von dritten Behörden zu erlauben und
(ob) hieraus ein Verstoß gegen das Recht auf informatio-
nelle Selbstbestimmung des Vereins und seiner Mitglieder
(folgt), der bundesverfassungsrechtlich zwingend entwe-
der die Nichtigkeit der Verbotsverfügung gem. § 44
HVwVfG oder jedenfalls seitens der Betroffenen einen An-
spruch auf Aufhebung der Verbotsverfügung gem. § 46
HVwVfG bedingt“.
Dass diese Frage nicht klärungsfähig und nicht klärungsbedürftig ist, ergibt sich
aus den obigen Darlegungen (unter c) und d).
2. Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichtshofs leidet nicht unter den
von dem Kläger geltend gemachten Verfahrensfehlern im Sinne des § 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
a) Der Kläger meint, der Verwaltungsgerichtshof habe den Überzeugungs-
grundsatz bzw. den Grundsatz der freien Beweiswürdigung des § 108 Abs. 1
Satz 1 VwGO dadurch verletzt, dass er in den Gründen seiner Entscheidung
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(UA S. 20 f.) in Gestalt der Geschehnisse anlässlich einer Jubiläumsfeier des
„MC Black Souls“ bzw. deren strafrichterlicher Behandlung auf Umstände Be-
zug genommen habe, die ihm weder zum Zeitpunkt der mündlichen Verhand-
lung, noch bei der abschließenden Beratung bekannt gewesen seien. Der Ver-
waltungsgerichtshof habe ferner zu Unrecht die den Kläger belastenden Aspek-
te des fraglichen Geschehens, nicht aber die damit verbundenen entlastenden
Gesichtspunkte - die Nichteröffnung der Hauptverhandlung durch das zuständi-
ge Strafgericht - gewürdigt.
Diese Rüge geht fehl. Der Verwaltungsgerichtshof hat ausdrücklich darauf hin-
gewiesen, dass er den in Rede stehenden Handlungskomplex, der in der münd-
lichen Verhandlung am 21. Februar 2013 zur Sprache gekommen sei, bei der
Beurteilung der angefochtenen Verbotsverfügung - vollständig - unberücksich-
tigt gelassen habe. Er hat ausgeführt, er sei in dieser Weise verfahren, weil eine
vereinsrechtliche Würdigung und Verwertung der Vorgänge eine aufwändige
und langwierige Ermittlungstätigkeit mit ungewissem Ausgang vorausgesetzt
hätte und die übrigen behördlichen Ermittlungsergebnisse das ausgesprochene
Vereinsverbot selbständig getragen hätten. Der Umstand, dass das Landgericht
Darmstadt die Eröffnung des Hauptverfahrens für die besagten Vorgänge weit-
gehend abgelehnt habe, sei auch bei der abschließenden Beratung am
28. Februar 2013 nicht bekannt gewesen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat demnach entscheidend darauf abgestellt, dass
das Vereinsverbot ungeachtet aller möglichen negativen und positiven Auswir-
kungen der bezeichneten Vorgänge auf eine hinreichende tatsächliche Grund-
lage gestützt war. Aus den Gründen seiner Entscheidung wird deutlich, dass er
sich für diese Verfahrensweise wegen des Ermittlungsaufwands, den er zu ge-
nannten Vorgängen unabhängig von der erst später bekannt gewordenen straf-
richterlichen Entscheidung über die Frage der Eröffnung des Hauptverfahrens
hätte anstellen müssen, schon vor Abschluss seiner Beratung entschieden hat.
Hiergegen bestehen keine durchgreifenden Bedenken.
b) Der Kläger wirft dem Verwaltungsgerichtshof vor, von einem falschen bzw.
unvollständigen Sachverhalt ausgegangen zu sein und dadurch die gerichtliche
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Aufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO und den Überzeugungsgrundsatz des
§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt zu haben. Entgegen der Einschätzung des
Verwaltungsgerichtshofs (UA S. 22) könne ihm, dem Kläger, das von dem Ver-
einsmitglied H. begangene Tötungsdelikt nicht zugerechnet werden.
Mit diesem Vortrag hat der Kläger weder den geltend gemachten Aufklärungs-
mangel noch einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz entsprechend
den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt. Die Aufklärungs-
rüge - und für die Rüge einer Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes kann
in dem hier gegebenen Zusammenhang nichts anderes gelten - erfordert nicht
nur die substantiierte Darlegung, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände
Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche Beweismittel hierfür in Betracht ka-
men und welche tatsächlichen Feststellungen voraussichtlich getroffen worden
wären, sondern auch konkrete Angaben darüber, dass die Nichterhebung der
Beweise vor dem Tatsachengericht rechtzeitig gerügt worden ist bzw. die un-
terbliebene Beweisaufnahme sich diesem hätte aufdrängen müssen (stRspr;
vgl. für den Senat zuletzt: Beschluss vom 19. Februar 2013 - BVerwG 6 B
37.12 - NVwZ 2013, 799 <801>). Die Beschwerdebegründung wird diesen Dar-
legungserfordernissen nicht ansatzweise gerecht.
3. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Fest-
setzung des Wertes des Streitgegenstands beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und
Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Neumann
Dr. Möller
Hahn
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