Urteil des BVerwG vom 22.05.2003

Staatliches Handeln, Öffentlich, Verfahrensmangel, Verwaltungsakt

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BESCHLUSS
BVerwG 6 B 25.03
OVG 2 L 90/01
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Mai 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. B a r d e n h e w e r und die Richter am Bundes-verwal-
tungsgericht Dr. H a h n und Dr. G r a u l i c h
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzu-
lassung der Revision in dem Urteil des Oberver-
waltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom
27. November 2002 wird zurückgewiesen.
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Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerde-
verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das
Beschwerdeverfahren auf 4 788 651 € festge-
setzt.
G r ü n d e :
Nach § 132 Abs. 2 VwGO kann die Revision nur zugelassen wer-
den, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
die Berufungsentscheidung von einer Entscheidung des Bundes-
verwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Ge-
richtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab-
weicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein Verfahrens-
mangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Beru-
fungsentscheidung beruhen kann. Wird wie hier die Nichtzulas-
sung der Revision mit der Beschwerde angefochten, muss in der
Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung dargelegt
oder die Entscheidung, von der das Berufungsurteil abweicht,
oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden (§ 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO). Die Prüfung des beschließenden Senats ist demge-
mäß auf fristgerecht geltend gemachte Beschwerdegründe im Sin-
ne des § 132 Abs. 2 VwGO beschränkt.
Die Beschwerde wird allein auf den Revisionszulassungsgrund
der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO) gestützt. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer
Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die Revisionsentschei-
dung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im
Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisi-
onsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des
§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer kon-
kreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheb-
lich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund, der ihre An-
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erkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die
Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revi-
sionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgericht-
lich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage führen
kann. Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage verleiht der
Sache keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung.
Die Klägerin macht einen Schadensersatzanspruch wegen Nichter-
füllung eines öffentlich-rechtlichen Vertrags geltend. Das Be-
rufungsgericht hat den Anspruch verneint und die Rechtsauffas-
sung vertreten, der aus dem Rechtsinstitut des mitwirkenden
Verschuldens nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB folgende Rechtsge-
danke, wonach eine Ersatzpflicht für rechtswidriges staatli-
ches Handeln nicht eintrete, wenn der Verletzte vorsätzlich
oder fahrlässig unterlassen habe, den Schaden durch Gebrauch
eines Rechtsmittels gegen das nunmehr als rechtswidrig bean-
standete staatliche Handeln abzuwenden, wenn also für den
Nichtgebrauch eines Rechtsmittels kein hinreichender Grund be-
standen habe, beanspruche im öffentlichen Recht allgemein Gel-
tung. Wenn auch dieser Grundsatz u.a. in § 839 Abs. 3 BGB sei-
ne besondere Ausprägung erfahren habe, sei er nicht auf den
Bereich der deliktischen Amtshaftung beschränkt. Es sei ange-
zeigt, im Verwaltungsvertragsrecht die den Vorrang des Primär-
rechts strikt, ohne jede Abwägung zum Ausdruck bringende Vor-
schrift des § 839 Abs. 3 BGB entsprechend anzuwenden. Jeden-
falls ergebe sich der Vorrang des Primärrechtsschutzes bei
haftungsauslösendem staatlichem Handeln aus § 254 Abs. 1 BGB.
Die dort vorgesehene regelmäßige Schadensteilung komme bei der
Unterlassung der Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen
Rechtsschutzes nicht in Betracht, da der Betroffene in solchen
Fällen in so hohem Maße zur Schadensentstehung beigetragen ha-
be, dass er die vermeidbaren Nachteile nicht ersetzt verlangen
könne. Da der Staat an Recht und Gesetz gebunden sei, lasse
ein erfolgreicher Primärrechtsschutz einen Schaden nicht ent-
stehen.
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Die Klägerin hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob der
Grundsatz des Vorranges verwaltungsgerichtlichen Primärschut-
zes bei haftungsauslösendem staatlichem Handeln auch dann
gilt, wenn dieses in der Verletzung von Pflichten aus einem
öffentlich-rechtlichen Vertragsverhältnis besteht. Diese Frage
kann nicht zur Zulassung der Grundsatzrevision führen.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung alternativ auf die
entsprechende Anwendung des § 254 BGB und diejenige des § 839
Abs. 3 BGB gestützt.
Die Beschwerde kann schon deshalb keinen Erfolg haben, weil in
Bezug auf die Anwendung des § 254 BGB der Zulassungsgrund der
grundsätzlichen Bedeutung nicht dargelegt wird. Gemäß § 62
VwVfG gelten für verwaltungsrechtliche Verträge, soweit sich
aus den §§ 54 bis 61 nichts anderes ergibt, die übrigen Vor-
schriften dieses Gesetzes. Ergänzend gelten die Vorschriften
des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechend. Zu den danach er-
gänzend und entsprechend anwendbaren Vorschriften gehören die
Vorschriften über die Verpflichtung zur Leistung und von Scha-
densersatzansprüchen aus Vertrag (vgl. Urteil vom 29. Mai 1973
- BVerwG 7 C 2.72 - Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 125, S. 65)
einschließlich des § 254 BGB (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl.
§ 62 Rn. 9; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. § 62 Rn. 22).
Das zieht die Beschwerde nicht in Zweifel, wie aus ihren Aus-
führungen (S. 4 der Beschwerdebegründung) folgt. Das Beru-
fungsgericht hat im Zusammenhang mit der entsprechenden Anwen-
dung des § 254 BGB das Mitverschulden des den Primärrechts-
schutz nicht in Anspruch nehmenden Betroffenen als so erheb-
lich angesehen, dass ein Schadensersatzanspruch nicht in Be-
tracht kommt. Diese Gewichtung der mitwirkenden Verursachung
der Klägerin nimmt die Beschwerdebegründung nicht auf. Inso-
weit werden Revisionszulassungsgründe nicht geltend gemacht.
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Die Klägerin vertritt lediglich die auf den Einzelfall bezoge-
ne Auffassung, dass der Klägerin die Geltendmachung von Pri-
märrechtsschutz unzumutbar gewesen sei.
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist außer-
dem anerkannt, dass der mit dem Rechtsinstitut des mitwirken-
den Verschuldens nahe verwandte Rechtsgedanke des § 839 Abs. 3
BGB im öffentlichen Recht Geltung beansprucht (Urteil vom
28. Mai 1998 - BVerwG 2 C 29.97 - BVerwGE 107, 29 <31>). Darin
ist eine das Recht des Verwaltungsvertrages ausnehmende Be-
grenzung nicht angelegt. Im Gegenteil wird die Anwendung des
Rechtsgedankens des § 839 Abs. 3 BGB auf das beamtenrechtliche
Gebot der Auslese nach Eignung, Befähigung und Leistung mit
dessen Nähe zum Vertragsrecht begründet ("quasivertragliche
Verbindlichkeit", s.a. Beschluss vom 5. Oktober 1998 - BVerwG
2 B 56.98 - Buchholz 237.5 § 8 HeLBG Nr. 6). Geht es wie hier
um einen Schadensersatzanspruch aus der Nichterfüllung eines
zwischen Staat und Bürger geschlossenen öffentlich-rechtlichen
Vertrags, der einen Verwaltungsakt zum Gegenstand hat, besteht
die Korrekturmöglichkeit eines in der Erfüllungsverweigerung
liegenden staatlichen Fehlverhaltens durch Rechtsverfolgung in
gleicher Weise wie im Falle des nicht vertraglich geregelten
Erlasses oder Unterlassens von Verwaltungsakten. Der Beklagte
hat mit Recht darauf hingewiesen, dass die Behörde gemäß § 54
Satz 2 VwVfG einen öffentlich-rechtlichen Vertrag schließen
kann, anstatt einen Verwaltungsakt zu erlassen. Die Auswahl
der Handlungsform kann schwerlich entscheidend dafür sein, ob
vorrangig Primärrechtsschutz in Anspruch zu nehmen ist.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO,
die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf
§ 13 Abs. 2 GKG.
Bardenhewer Hahn Graulich