Urteil des BVerwG vom 19.11.2007

Haftung des Staates, Eignungsprüfung, Gemeinschaftsrecht, Beiladung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 B 23.07
OVG 7 B 28.05
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. November 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hahn
und Dr. Graulich
beschlossen:
Der Antrag auf Beiladung der Kommission der Europäi-
schen Gemeinschaften wird abgelehnt.
Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-
Brandenburg über die Nichtzulassung der Revision gegen
sein Urteil vom 20. Dezember 2006 wird aufgehoben, so-
weit die Berufung mit dem Antrag zu 13 zurückgewiesen
worden ist. Insoweit wird die Revision zugelassen.
Die weitergehende Beschwerde des Klägers gegen die
Nichtzulassung der Revision wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Hälfte der Kosten des Beschwerde-
verfahrens. Im Übrigen folgt die Entscheidung über die
Kosten der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I
Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger. Er bestand im Jahre 1994 die erste
juristische Staatsprüfung und befand sich vom 2. Oktober 1995 bis zum 1. Ok-
tober 1996 im juristischen Vorbereitungsdienst.
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Im November 1997 wurde er als Attorney-at-Law am Supreme Court des Staa-
tes New York, im Juli 2004 (nach Absolvierung einer vorgeschriebenen zweijäh-
rigen Traineezeit mit anschließenden Kursen an der Londoner Anwaltsakade-
mie mit Abschlussprüfung <„Qualified Lawyers Transfer Test“>) als Solicitor des
Supreme Court of England and Wales zugelassen.
Der Kläger beantragte im September 1998 die Zulassung zur Eignungsprüfung
für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft sowie den Erlass aller Prüfungsleis-
tungen. Das Gemeinsame Prüfungsamt der Länder Berlin, Brandenburg,
Freie Hansestadt Bremen, Freie und Hansestadt Hamburg, Mecklenburg-
Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein für die Eig-
nungsprüfung (GPA) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 24. November 1998
im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass der Kläger mit der (damals allein
vorliegenden) Zuerkennung des Titels des Attorney-at-Law des Staates New
York nicht über ein den Zugang zur Eignungsprüfung eröffnendes Diplom im
Sinne des seinerzeit noch geltenden Gesetzes über die Eignungsprüfung für die
Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verfüge.
Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben.
Die Beklagten lehnten einen erneuten Antrag des Klägers auf Zulassung zur
Eignungsprüfung und Aufhebung des Bescheides vom 24. November 1998 mit
Bescheid vom 4. Juni 2002 ab.
Der Kläger hat vor dem Verwaltungsgericht beantragt,
die Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom
24. November 1998 und vom 4. Juni 2002 zu verpflichten,
ihn zur Eignungsprüfung zuzulassen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 22. Januar 2003 abgewie-
sen.
Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt.
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Während des Berufungsverfahrens stellte der Kläger bei den Beklagten am
10. April 2006 den Antrag, ihn zur Diplomanerkennung im Wege der Eignungs-
prüfung für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zuzulassen, ihn von der Eig-
nungsprüfung vollständig freizustellen und ihm eine schriftliche Bestätigung
darüber auszustellen, dass er die für die Ausübung des Berufs eines Rechts-
anwalts in der Bundesrepublik Deutschland erforderlichen Kenntnisse habe,
sowie mehrere Hilfsanträge.
Die Beklagten haben ihn in einer mündlichen Verhandlung vor dem Oberver-
waltungsgericht am 10. August 2006 zur Eignungsprüfung zugelassen, jedoch
mit Bescheid vom 18. Oktober 2006 den darüber hinausgehenden Antrag ab-
gelehnt und den Kläger mit Schreiben vom 30. Oktober 2006 für den 5. und
6. Dezember 2006 zur Prüfung geladen.
In der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht hat der
Kläger dreizehn Anträge, teilweise mit jeweils zugehörigen Hilfsanträgen, ge-
stellt. Soweit noch von Bedeutung, handelt es sich um die Anträge,
1. das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 22. Ja-
nuar 2003 zu ändern und festzustellen, dass die Beschei-
de der Beklagten vom 24. November 1998 und 4. Juni
2002 rechtswidrig waren und die Beklagten verpflichtet
waren, ihn auf Grund seiner Berufsqualifikation als Attor-
ney-at-Law zur Eignungsprüfung für die Zulassung zur
Rechtsanwaltschaft zuzulassen,
hilfsweise,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 22. Januar
2003 zu ändern und festzustellen, dass die Bescheide der
Beklagten vom 24. November 1998 und 4. Juni 2002
rechtswidrig waren und die Beklagten verpflichtet waren,
in unmittelbarer Anwendung der Niederlassungsfreiheit
und unter Beachtung der Rechtsprechung des Europäi-
schen Gerichtshofs ihn dahingehend zu bescheiden, dass
ihm auf Grund der von ihm vorgelegten Qualifikations-
nachweise insgesamt die Zulassung zur Rechtsanwalt-
schaft in der Bundesrepublik Deutschland nicht wegen
mangelnder Qualifikation verweigert werden darf,
….
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10. den Bescheid vom 18. Oktober 2006 aufzuheben,
11. die Beklagten zu verpflichten, ihn vollständig von der
Eignungsprüfung für Rechtsanwälte freizustellen (mit
mehreren Hilfsanträgen),
13. die Beklagten zu verpflichten, ihm eine Diplomaner-
kennungsbescheinigung auszustellen, aus der hervorgeht,
dass er auf Grund seiner anerkannten Qualifikation als
englischer Solicitor gemäß der Richtlinie 89/48/EWG be-
rechtigt ist, in der Bundesrepublik Deutschland die glei-
chen reglementierten beruflichen Tätigkeiten insgesamt,
also die beruflichen Tätigkeiten des Anwaltsnotars insge-
samt, auszuüben.
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 20. Dezem-
ber 2006 der Berufung mit den Anträgen zu 10 und 11 stattgegeben, sie im Üb-
rigen zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen.
Der Kläger erstrebt mit der Beschwerde die Zulassung der Revision, soweit
seine Anträge zu 1 und 13 erfolglos geblieben sind.
II
1. Der Antrag auf Beiladung der Kommission der Europäischen Gemeinschaf-
ten ist abzulehnen. Die notwendige Beiladung soll sicherstellen, dass eine
Sachentscheidung, die in die Rechte Dritter eingreift und aus diesem Grunde
auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann, nicht ohne Beteiligung die-
ser Dritten erlassen wird, um auf diese Weise zu gewährleisten, dass sie an die
Rechtskraft des in der Sache ergehenden Urteils nach Maßgabe des § 121
VwGO gebunden sind. § 142 Abs. 1 Satz 2 VwGO lässt die notwendige Beila-
dung auch im Revisionsverfahren zu. Damit soll eine Zurückverweisung der
Sache an den Vorderrichter im Interesse unnötiger Verfahrensverzögerungen
vermieden werden, wenn der Beizuladende ein berechtigtes Interesse an der
Zurückverweisung nicht haben kann, weil weitere Tatsachenfeststellungen nicht
notwendig sind. Für eine entsprechende Anwendung des § 142 Abs. 1 Satz 2
VwGO in dem Beschwerdeverfahren nach § 133 VwGO, in dem regelmäßig nur
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über die Zulassung des Rechtsmittels entschieden wird, fehlt es an einer ver-
gleichbaren Ausgangslage. Da sich das Verfahren auf die Prüfung der Zulas-
sungsgründe gemäß § 132 Abs. 2 VwGO beschränkt, kann es den wesentli-
chen Zweck der notwendigen Beiladung, nämlich eine einheitliche Sachent-
scheidung gegenüber allen an dem streitigen Rechtsverhältnis beteiligten Per-
sonen zu ermöglichen, nicht erfüllen. Die mit der Zurückweisung der Nichtzu-
lassungsbeschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht eintretende Rechts-
kraft des angegriffenen Urteils der Vorinstanz würde den erst im Beschwerde-
verfahren beigeladenen Dritten nicht binden. Das hindert eine entsprechende
Anwendung der Vorschrift des § 142 Abs. 1 Satz 2 VwGO im Verfahren nach
§ 133 VwGO. In diesem Verfahren kann allerdings ausnahmsweise auch ein
Zugriff auf die Sache selbst, nämlich nach Maßgabe des § 133 Abs. 6 VwGO
erfolgen. In derartigen Fällen sind die Aufhebung des angefochtenen Urteils
und die Zurückverweisung der Rechtssache an die Vorinstanz möglich. Etwaige
Beteiligungsrechte Dritter können aber hier, wie auch bei einem Erfolg der
Nichtzulassungsbeschwerde, durch eine Beiladung in dem dann zu führenden
Revisionsverfahren gewahrt werden (zum Ganzen Beschluss vom 20. Oktober
2000 - BVerwG 7 B 58.00 - Buchholz 310 § 65 VwGO Nr. 136 S. 6 f.).
Davon abgesehen hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaften keine
Rechte in Bezug auf den hier in Rede stehenden Streitgegenstand, sondern nur
die ihr aus dem Vertrag über die Europäische Gemeinschaft folgenden Zustän-
digkeiten.
2. Die hilfsweise ebenfalls beantragte Anhörung der Kommission kommt eben-
falls nicht in Betracht. Eine Pflicht hierzu ist weder in der Verwaltungsgerichts-
ordnung angeordnet, noch aus dem Vertrag zur Gründung der Europäischen
Gemeinschaft abzuleiten. Die Aufgaben der Kommission sind in Art. 211 EG
aufgeführt. Die Beteiligung an Gerichtsverfahren vor den nationalen Gerichten
gehört nicht dazu. Allerdings kann die Kommission nach Maßgabe des Art. 226
EG eine begründete Stellungnahme abgeben. Diese erfolgt indessen gegen-
über der Regierung. Die Beachtung des Gemeinschaftsrechts wird durch das
Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EG gewährleistet.
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3. Die Beschwerde ist in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang
begründet. Insoweit hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne
des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. In einem Revisionsverfahren kann voraussicht-
lich geklärt werden, ob sich aus der Zulassung als Solicitor des Supreme Court
of England and Wales ein Anspruch auf Ausstellung einer Bescheinigung dar-
über ergibt, dass damit (auch) die Ausbildungsvoraussetzungen für die Zulas-
sung zum Anwaltsnotariat erfüllt sind. Entgegen den Ausführungen der Beklag-
ten im Schriftsatz vom 14. September 2007 bildet der Anspruch des Klägers auf
Ausstellung dieser Bescheinigung im Verhältnis zu dem Klageantrag zu 10,
dem das Oberverwaltungsgericht entsprochen hat, einen weiteren selbständi-
gen Streitgegenstand mit der Folge, dass die Revisionszulassung in Ermange-
lung einer ordnungsgemäßen Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten nicht,
wie von ihnen hilfsweise erstrebt, auf diesen Antrag ausgedehnt werden kann.
4. Die weitergehende, auf die Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen
Bedeutung des Rechtsstreits und eines Verfahrensmangels gestützte Be-
schwerde des Klägers ist unbegründet.
Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer
Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche
Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fort-
bildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfor-
dernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer konkre-
ten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und
einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeut-
sam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwie-
fern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich
nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann. Wegen eines
Verfahrensmangels kann die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nur zu-
gelassen werden, wenn ein Mangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem
die Entscheidung beruhen kann. Ein solcher Mangel ist nur dann im Sinne des
§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn er sowohl in Bezug
auf die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner
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rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird (Beschluss vom 19. August
1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26).
Diese Voraussetzungen zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf.
a) Das Oberverwaltungsgericht hat den Klageantrag zu 1 nebst zugehörigem
Hilfsantrag abgewiesen, weil diese Anträge wegen fehlenden Fortsetzungsfest-
stellungsinteresses unzulässig seien. Dabei hat es das Vorliegen dieses Inte-
resses unter dem Aspekt der Geltendmachung eines Amtshaftungsanspruchs
nach nationalem Recht und eines gemeinschaftsrechtlichen Haftungsanspruchs
geprüft.
aa) Im Zusammenhang mit den Ausführungen des Berufungsgerichts zu dem
gemeinschaftsrechtlichen Haftungsanspruch hält der Kläger folgende Fragen
für grundsätzlich klärungsbedürftig:
(1.) Kann sich ein Unionsbürger wegen der Anwendbarkeit von Art. 43 EG auf
die Verpflichtung zur Anerkennung einer in einem Drittstaat erworbenen Quali-
fikation auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssa-
che C-313/01 … berufen oder kann sich ein Unionsbürger nicht auf Grund des
Urteils in der Rechtssache C-313/01 auf die Verpflichtung zur Anerkennung von
in Drittstaaten erworbenen Qualifikationen berufen, weil es in der Rechtssache
C-313/01 im konkreten Ausgangsfall … darauf nicht ankam?
(2.) Ist Art. 43 EG - nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Ge-
richtshofs - dahin auszulegen und anzuwenden, dass die Berücksichtigung ei-
nes in einem Drittstaat erworbenen Diploms nur dann, wenn ein Staatsbürger
eines anderen Mitgliedstaates einen Antrag stellt, Anwendung findet, und ist es
deshalb ausgeschlossen, dass ein Unionsbürger, der ein Drittstaatendiplom
erworben hat, sich gegenüber dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger er
ist, auf Art. 43 EG beruft?
Die erste Frage kann schon deshalb nicht zur Zulassung der Grundsatzrevision
führen, weil sie entgegen § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht auf die Auslegung
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oder Anwendung von revisiblem Recht gerichtet ist. Sie betrifft vielmehr den
Inhalt der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften
vom 13. November 2003 in der Rechtssache C-313/01 (Slg. 2003, I-13467), auf
die sich der Kläger zur Untermauerung seiner in der zweiten Frage zur Über-
prüfung durch das Revisionsgericht gestellten Rechtsauffassung zu Art. 43 EG
beruft. Abgesehen davon liegt dieser Entscheidung ein Fall zugrunde, der für
die Situation des Klägers in den für den Klageantrag zu 1 maßgeblichen Jahren
vor seiner Zulassung als Solicitor nicht vergleichbar ist. Eine Aussage zu einem
Diplom, das ein Angehöriger eines Mitgliedstaates in einem Drittstaat erworben
hat und in dem Mitgliedstaat, dem er angehört, zum Nachweis seiner Qualifika-
tion geltend machen will, ist der Entscheidung nicht zu entnehmen.
Auch die zweite Frage rechtfertigt die Revisionszulassung wegen grundsätzli-
cher Bedeutung nicht, weil der Kläger nicht aufzeigt, dass diese Frage in dem
angestrebten Revisionsverfahren überhaupt zu klären wäre.
Die Erwägungen des Berufungsurteils im Zusammenhang mit Art. 43 EG betref-
fen das Feststellungsinteresse als Voraussetzung der Zulässigkeit der Fortset-
zungsfeststellungsklage unter dem Aspekt der möglichen Verfolgung eines
gemeinschaftsrechtlichen Haftungsanspruchs. Der Gerichtshof der Euro-
päischen Gemeinschaften hat entschieden, dass der Grundsatz der Haftung
des Staates für Schäden, die dem Einzelnen durch dem Staat zurechenbare
Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, untrennbar zu der durch
den EG-Vertrag geschaffenen Rechtsordnung gehört. Dabei hat er den Grund-
satz der Staatshaftung wesentlich mit der Überlegung begründet, den gemein-
schaftsrechtlichen Bestimmungen sei die ihnen nach dem Vertrag zukommende
volle Wirksamkeit zu verschaffen und die dem Einzelnen durch das Ge-
meinschaftsrecht verliehenen Rechte seien zu schützen. Er hat in diesem Zu-
sammenhang auch auf die Pflicht der Mitgliedstaaten hingewiesen, alle geeig-
neten Maßnahmen allgemeiner und besonderer Art zur Erfüllung ihrer Ver-
pflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht zu treffen (Art. 10 EG). Vor diesem
Hintergrund kommt ein gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch in
Betracht, wenn die Rechtsnorm, gegen die verstoßen worden ist, bezweckt,
dem Einzelnen Rechte zu verleihen, wenn der Verstoß hinreichend qualifiziert
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ist und wenn zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende Verpflich-
tung und dem den geschädigten Personen entstandenen Schaden ein unmit-
telbarer Kausalzusammenhang besteht (vgl. EuGH, Urteil vom 30. September
2003 - Rs. C-224/01 - Slg. 2003, I-10239 Rn. 51). Darüber hinaus kommt es für
das Vorliegen eines hinreichend qualifizierten Verstoßes auch entscheidend
darauf an, welcher Ermessensspielraum dem nationalen Gesetzgeber auf dem
in Rede stehenden Rechtsgebiet noch zusteht; soweit nur ein erheblich verrin-
gerter oder auf Null reduzierter Ermessensspielraum besteht, kann der Haf-
tungsanspruch bereits durch die bloße Verletzung des Gemeinschaftsrechts
ausgelöst werden, etwa wenn eine inhaltlich bestimmte Richtlinie nicht rechtzei-
tig umgesetzt worden ist (vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 1991 - C-6/90 -
Slg. 1991, I-5357 Rn. 40; zum Ganzen auch BGH, Urteil vom 14. Dezember
2000 - III ZR 151/99 - BGHZ 146, 153 Rn. 13 mit zahlreichen Nachweisen aus
der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften).
Das Oberverwaltungsgericht ist nach Darlegung der Voraussetzungen des ge-
meinschaftsrechtlichen Haftungsanspruchs davon ausgegangen, dass ein der-
artiger Anspruch wegen einer Verletzung des Art. 43 EG einen qualifizierten
Verstoß der Beklagten gegen das Gemeinschaftsrecht voraussetze, dieser aber
nicht vorliege, weil sich die Beklagten bei ihrer Entscheidung „im Rahmen ver-
schiedener ernsthaft vertretbarer Auslegungen“ bewegt hätten.
Der Kläger legt nicht dar, dass die Ansicht, dass ein in einem Drittstaat (hier:
USA) erworbenes Diplom eines deutschen Staatsangehörigen gemeinschafts-
rechtlich nicht als Qualifikationsnachweis anzuerkennen sei, in qualifizierter
Weise gegen Art. 43 EG verstößt. Selbst wenn seine Frage in dem von ihm be-
vorzugten Sinn zu beantworten wäre, was ohnehin nicht nahe liegt (vgl. BGH,
Beschluss vom 19. September 2003 - AnwZ (B) 74/02 - NJW 2003, 3706),
schlösse dies nicht aus, dass auch die von den Beklagten bevorzugte
Auffassung vertretbar und keineswegs offensichtlich fehlerhaft gewesen wäre
und damit ein qualifizierter Verstoß gegen Art. 43 EG ausscheidet. Die Annah-
me des Berufungsgerichts, dass es zur Annahme eines gemeinschaftsrechtli-
chen Haftungsanspruchs eines qualifizierten Verstoßes gegen Art. 43 EG be-
darf, stellt der Kläger nicht mit rechtsgrundsätzlichen Erwägungen in Frage. Er
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erhebt in diesem Zusammenhang lediglich eine Verfahrensrüge, die nicht be-
gründet ist (s. nachfolgend cc).
bb) Der Kläger macht als Verfahrensrüge geltend, das Urteil beruhe insoweit
auf einem Verstoß gegen das „gemeinschaftsrechtliche Effektivitätsgebot“ und
stelle ein Überraschungsurteil dar, als in dem Urteil unzutreffend behauptet
werde, er habe das Fortsetzungsfeststellungsinteresse damit begründet, dass
er die Beklagten infolge ihres ablehnenden Verhaltens auf Schadensersatz
nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG in Anspruch nehmen wolle. Er habe indes-
sen erklärt, Ersatzansprüche auf die Grundsätze stützen zu wollen, die für die
gemeinschaftsrechtliche Haftung der Organe der Mitgliedstaaten von der
Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften entwickelt
worden seien.
Mit diesem Vorbringen wird ein Verfahrensverstoß nicht dargetan. Abgesehen
davon, dass nicht einmal ansatzweise dargelegt wird, inwiefern die Prüfung des
Fortsetzungsfeststellungsinteresses unter dem Gesichtspunkt des Amtshaf-
tungsanspruches nach nationalem Recht ein gemeinschaftsrechtliches „Effekti-
vitätsgebot“ berühren kann, wenn das Gericht, wie hier, auch ein derartiges In-
teresse unter dem Aspekt einer gemeinschaftsrechtlichen Haftung geprüft hat,
legt der Kläger nicht dar, dass das Urteil auf dem geltend gemachten Mangel
beruhen kann. Wenn der genannte Gesichtspunkt gar nicht überprüft werden
durfte, kann die Verneinung des Fortsetzungsfeststellungsinteresses unter die-
sem Aspekt hinweggedacht werden, ohne dass sich an der Entscheidung außer
dem Prüfungsduktus etwas ändern könnte; die entsprechenden Passagen
wären dann schlicht entbehrlich gewesen. Im Übrigen prüft das Gericht den
geltend gemachten Anspruch unter allen denkbaren Gesichtspunkten und ist
dabei grundsätzlich nicht an Vorgaben der Parteien gebunden (§ 86 Abs. 1
VwGO).
cc) Der Kläger rügt eine Verletzung des gemeinschaftsrechtlichen Effektivitäts-
gebotes, das in inhaltlicher Übereinstimmung mit § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO
dahingehend auszulegen sei, dass das Gericht die für seine Anwendung des
Gemeinschaftsrechts wesentlichen Gründe anzugeben habe. In den Ausfüh-
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rungen zur Aussichtslosigkeit des gemeinschaftsrechtlichen Haftungsanspruchs
fehlten die Gründe für die konkrete Entscheidung.
Es mag auf sich beruhen, ob aus dem in entsprechender Anwendung des Art. 5
des EWG-Vertrags (Art. 10 EG) abgeleiteten Gebot der effektiven Gewährung
des Rechtsschutzes zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts (vgl. EuGH,
Urteile vom 9. März 1978 - Rs. C-106/77 - Slg. 1978, 629 Rn. 23 und vom
19. Juni 1990 - Rs. C-213/89 - Slg. 1990, I-2466 Rn. 19) überhaupt die vom
Kläger vorausgesetzte Auswirkung auf die Begründungsdichte eines Urteils
folgt. Selbst wenn entsprechend der Ansicht des Klägers unterstellt wird, dass
es außer dem in § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO bestimmten Begründungsgebot
auch ein vom Oberverwaltungsgericht zu beachtendes gemeinschaftsrechtli-
ches Effektivitätsgebot als prozessuales Verfahrensrecht dahin gehend gibt,
dass das nationale Gericht im Urteil die Gründe angeben muss, die für die Bil-
dung der richterlichen Überzeugung leitend gewesen sind, entspricht das ange-
fochtene Urteil diesen Anforderungen. Wie umfangreich und detailliert die lei-
tenden oder wesentlichen Gründe im Urteil niederzulegen sind, lässt sich nicht
abstrakt umschreiben. Im Allgemeinen genügt es, wenn der Begründung ent-
nommen werden kann, dass das Gericht eine vernünftige und der jeweiligen
Sache angemessene Gesamtwürdigung und Beurteilung vorgenommen hat.
Nicht erforderlich ist insbesondere, dass sich das Gericht mit allen Einzelheiten
des Vorbringens der Beteiligten und des festgestellten Sachverhalts in den
Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich auseinandersetzt. Aus der Nichter-
wähnung einzelner Umstände kann daher regelmäßig auch nicht geschlossen
werden, das Gericht habe diese bei seiner Entscheidung unberücksichtigt ge-
lassen (vgl. Urteil vom 25. März 1987 - BVerwG 6 C 10.84 - Buchholz 310
§ 108 VwGO Nr. 183 unter Hinweis auf die Rechtsprechung zu Art. 103 Abs. 1
GG). Dass das Gemeinschaftsrecht weitergehende Anforderungen stellen
könnte, zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf.
Das Oberverwaltungsgericht hat sich in seinen Entscheidungsgründen mit dem
vom Kläger in den Vordergrund gerückten gemeinschaftsrechtlichen Haftungs-
anspruch auseinandergesetzt. Das Gericht stellt auf S. 25 des Urteils die Vor-
aussetzungen dar, unter denen ein gemeinschaftsrechtlicher Haftungsanspruch
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gegeben sein kann. Es unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen den
Fällen, in denen bereits eine „bloße Verletzung“ des Gemeinschaftsrechts zu
einem derartigen Anspruch führen kann, und den Fällen, in denen ein sog. qua-
lifizierter Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht gefordert wird. Einen Haftungsan-
spruch wegen einer Verletzung des Art. 43 EG sieht das Gericht nach dem Ge-
samtzusammenhang nur als möglich an, wenn eine qualifizierte Verletzung die-
ser Vertragsbestimmung vorliegt. Unter diesen Umständen bedurfte es in die-
sem Zusammenhang keiner Ausführungen dazu, dass (auch) kein „bloßer Ver-
stoß“ vorlag. Das Oberverwaltungsgericht hat mithin seine Überlegungen zum
Aspekt des gemeinschaftsrechtlichen Haftungsanspruchs nachvollziehbar dar-
gelegt.
dd) Der Kläger rügt als weiteren Verfahrensmangel, dass entgegen § 104
Abs. 1 VwGO die Streitsache in der Berufungsverhandlung hinsichtlich der An-
träge in Bezug auf die Bescheide vom 24. November 1998 und vom 4. Juni
2002 nicht unter dem Aspekt eines Verstoßes „gegen Art. 43 EG in der Funkti-
on als Diskriminierungsverbot“ erörtert worden sei, obwohl er dazu ausführlich
vorgetragen habe. Auch damit wird ein beachtlicher Verfahrensverstoß nicht
aufgezeigt.
Gemäß § 104 Abs. 1 VwGO hat der Vorsitzende die Streitsache mit den Betei-
ligten tatsächlich und rechtlich zu erörtern. Der Umfang der tatsächlichen und
rechtlichen Erörterungen ist nicht formell festgelegt, sondern an der jeweiligen
konkreten Sachlage auszurichten (Beschluss vom 16. Juni 2003 - BVerwG 7 B
106.02 - Buchholz 303 § 279 ZPO Nr. 1 = NVwZ 2003, 1132). Die Erörterungs-
pflicht nach § 104 Abs. 1 VwGO ist kein Selbstzweck, sondern soll verhindern,
dass die Prozessparteien bei ihrer Argumentation und in ihrem Sachvortrag
wesentliche Gesichtspunkte übersehen und infolgedessen vor der Entschei-
dung nicht das ihnen zustehende rechtliche Gehör erhalten (vgl. Urteil vom
23. Mai 1989 - BVerwG 7 C 2.87 - Buchholz 11 Art. 4 Nr. 45 S. 8). Nach diesen
Grundsätzen liegt hier ein Verfahrensverstoß nicht vor. Der Kläger führt selbst
aus, dass er zu dem von ihm genannten Gesichtspunkt vorgetragen hat. Das
Gericht hat in seiner Entscheidung nicht auf „Art. 43 EG in der Funktion als Dis-
kriminierungsverbot“ abgehoben. Unter diesen Umständen musste es zwar den
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Vortrag des Klägers zur Kenntnis nehmen, der Vorsitzende brauchte aber in-
soweit keine Erörterung vorzunehmen. Wenn das Gericht einen von einer Pro-
zesspartei angesprochenen Aspekt nicht für entscheidungserheblich hält,
braucht es dazu Weiteres nicht zu erörtern. Eine zügige und straffe Verhand-
lungsführung liegt im Interesse aller Rechtsuchenden. Da der Kläger nach sei-
nem eigenen Vorbringen damit rechnen musste, dass das Oberverwaltungsge-
richt Art. 43 EG nicht zu seinen Gunsten anwenden würde, hat es ihm insoweit
auch nicht das rechtliche Gehör versagt.
5. Die Entscheidung über die Kosten muss, soweit die Revision zugelassen
worden ist, der Schlussentscheidung vorbehalten werden und folgt im Übrigen
aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes
beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2 GKG.
Rechtsmittelbelehrung
Soweit die Revision zugelassen worden ist, wird das Beschwerdeverfahren als
Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 6 C 40.07 fortgesetzt; der
Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu
begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simson-
platz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (Verordnung vom
26. November 2004, BGBl I S. 3091) einzureichen.
Für den Revisionskläger besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Be-
gründung der Revision. Der Revisionskläger muss sich durch einen Rechtsan-
walt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des
Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtig-
ten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behör-
den können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum
Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften
ferner durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zu-
ständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes
des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen. In derselben
Weise muss sich jeder Beteiligte vertreten lassen, soweit er einen Antrag stellt.
Dr. Bardenhewer Dr. Hahn Dr. Graulich
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