Urteil des BVerwG vom 20.09.2010

Grundsatz der Gleichbehandlung, Schutz der Ehe, Eheliche Wohnung, Zweitwohnung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 B 22.10
OVG 4 LC 7/08
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. September 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge und Dr. Graulich
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Niedersächsischen
Oberverwaltungsgerichts vom 27. Januar 2010 wird zu-
rückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 214,58 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Nichtzulas-
sungsbeschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Der Kläger begehrt die Erstattung eines Betrages in Höhe von 158,38 €
nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
Rechtshängigkeit, da die Gebührenbescheide des Beklagten vom 2. September
2006 sowie vom 2. Oktober 2006, auf die die Zahlung unter dem Vorbehalt der
Rückforderung erfolgte, rechtswidrig seien. Der Sachverhalt berührt deshalb im
vorliegenden Rechtsstreit noch irrevisibles, d.h. im Revisionsverfahren nicht
klärungsfähiges (§ 137 Abs. 1 VwGO) Landesrecht. Die Bestimmungen dieses
Staatsvertrages wurden erst durch § 10 RGebStV i.d.F. des Neunten Rund-
funkänderungsstaatsvertrages mit Wirkung vom 1. März 2007 für revisibel er-
klärt (s. Gesetz vom 14. Februar 2007, GBL. BW S. 108). Die Revisibilität gilt
noch nicht für das Staatsvertragsrecht, das für die hier umstrittene Rundfunk-
gebührenpflicht hinsichtlich eines in der Vergangenheit abgeschlossenen Zeit-
raums maßgeblich ist. Denn unter den in § 10 RGebStV nunmehr als revisibel
bezeichneten „Bestimmungen dieses Staatsvertrages“ sind die Bestimmungen
des Rundfunkgebührenstaatsvertrages in der Fassung zu verstehen, die dieser
durch Art. 7 des Neunten Rundfunkänderungsstaatsvertrages erhalten hat,
nicht hingegen das - hier noch maßgebliche - bisherige Gebührenstaatsver-
tragsrecht (vgl. Beschlüsse vom 5. April 2007 - BVerwG 6 B 15.07 - Buchholz
422.2 Rundfunkrecht Nr. 42 Rn. 4 und vom 18. Juni 2008 - BVerwG 6 B 1.08 -
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NVwZ-RR 2008, 704 Rn. 4; Urteil vom 29. April 2009 - BVerwG 6 C 28.08 - juris
Rn. 14).
2. Keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr.1 VwGO
kommt der vom Kläger aufgeworfenen Frage zu,
ob die Erhebung weiterer Rundfunkgebühren von einem
nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten, der weitere
Rundfunkgeräte in einer aus rein beruflichen Gründen er-
forderlichen Zweitwohnung am Beschäftigungsort zum
Empfang bereithält und dessen eheliche (Haupt-)Woh-
nung sich in einer anderen Gemeinde befindet, mit dem
Schutz der Ehe aus Art. 6 Abs. 1 GG, dem Grundsatz der
Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG und dem Grund-
recht auf freien Zugang zu Informationen aus Art. 5 Abs. 1
Satz 1 GG vereinbar ist.
Diese Frage ist nicht klärungsbedürftig, weil sich die Antwort auf sie bereits
unmittelbar aus den Bestimmungen des Grundgesetzes sowie der hierzu er-
gangenen Rechtsprechung ergibt und deshalb nicht erst in einem Revisionsver-
fahren gefunden werden muss.
a) Art. 6 Abs. 1 GG stellt Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der
staatlichen Ordnung. Diese Bestimmung des Grundgesetzes enthält einen be-
sonderen Gleichheitssatz. Er verbietet, Ehe und Familie gegenüber anderen
Lebens- und Erziehungsgemeinschaften schlechter zu stellen. Insbesondere
untersagt Art. 6 Abs. 1 GG eine Benachteiligung von Ehegatten gegenüber Le-
digen (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 11. Oktober 2005
- 1 BvR 1232/00, 1 BvR 2627/03 - BVerfGE 114, 316 <333>).
Dass nach § 2 Abs. 2 RGebStV in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Satz 1 RGebStV
Rundfunkgeräte in Zweitwohnungen auch dann einer Rundfunkgebührenpflicht
unterworfen werden, wenn die Zweitwohnung aus allein beruflichen Gründen
neben der Ehewohnung gehalten wird, benachteiligt Ehepartner nicht. Ledige
oder Partner nichtehelicher Lebensgemeinschaften müssen ebenfalls für Rund-
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funkgeräte in einer Zweitwohnung Rundfunkgebühren entrichten, auch wenn sie
die Zweitwohnung aus allein beruflichen Gründen unterhalten.
Eine Diskriminierung der Ehe kann namentlich nicht aus den Erwägungen her-
geleitet werden, aus denen das Bundesverfassungsgericht angenommen hat,
die Erhebung einer Zweitwohnungssteuer auf die Innehabung einer aus berufli-
chen Gründen gehaltenen Wohnung eines nicht dauernd getrennt lebenden
Verheirateten, dessen eheliche Wohnung sich in einer anderen Gemeinde be-
finde, diskriminiere die Ehe und verstoße gegen Art. 6 Abs. 1 GG (Beschluss
vom 11. Oktober 2005 - 1 BvR 1232/00, 1 BvR 2627/03 - BVerfGE 114, 316).
Die Erhebung der Zweitwohnungssteuer in dieser Lage benachteiligte die Ehe-
partner nur deshalb, weil aufgrund der Regelung der Zweitwohnungssteuer Le-
digen und Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft eine Gestal-
tungsmöglichkeit offenstand, durch die sie die Zweitwohnungssteuer für eine
allein aus beruflichen Gründen gehaltene Wohnung vermeiden konnten, wäh-
rend Ehepartnern diese Möglichkeit gerade anknüpfend an die Ehe verschlos-
sen war. Ledige oder Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft konnten
der Heranziehung zur Zweitwohnungssteuer an ihrem Beschäftigungsort da-
durch entgehen, dass sie ihre Wohnung dort zur Hauptwohnung erklärten. Da
nach den einschlägigen melderechtlichen Regelungen zwingend die vor-
wiegend genutzte Wohnung der Familie zum Hauptwohnsitz bestimmt wird, ist
es für Verheiratete ausgeschlossen, die Wohnung am Beschäftigungsort trotz
deren vorwiegender Nutzung zum Hauptwohnsitz zu bestimmen und damit der
Heranziehung zur Zweitwohnungssteuer zu entgehen (Bundesverfassungsge-
richt, Beschluss vom 11. Oktober 2005 - 1 BvR 1232/00, 1 BvR 2627/03 -
BVerfGE 114, 316 <336>). Bezogen auf das Rundfunkgebührenrecht bestehen
hingegen keine Gestaltungsmöglichkeit, die es Ledigen und Partnern nichtehe-
licher Lebensgemeinschaften bei sonst gleichen Sachverhalten im Gegensatz
zu Verheirateten ermöglicht, die Rundfunkgebührenpflicht zu vermeiden.
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b) Ehepartner werden danach gegenüber Ledigen und Partnern nichtehelicher
Lebensgemeinschaften nicht benachteiligt, sondern ihnen gleichbehandelt.
Art. 6 Abs. 1 GG gebietet nicht, Verheiratete in jeder Beziehung gegenüber Le-
digen oder Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zu bevorzugen.
Ihnen muss nicht aus Gründen des Schutzes von Ehe und Familie durch eine
auf sie zugeschnittene Ausnahmevorschrift über die ohnehin bestehende Privi-
legierung in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RGebStV hinaus die Belastung mit den Ge-
bühren für ein Rundfunkgerät in einer aus beruflichen Gründen gehaltenen
Zweitwohnung abgenommen werden. Es liegt vielmehr auch insoweit im weiten
Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, in welchen Fällen er Befreiungen von
der Rundfunkgebühr vorsehen will. Dass dieser Gestaltungsspielraum hier auch
mit Blick auf den Schutz von Ehe und Familie nicht überschritten ist, hat das
Oberverwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss dargelegt. Mehr wäre
dazu auch in einem Revisionsverfahren nicht auszuführen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestset-
zung beruht auf § 52 Abs. 3 i.V.m. § 47 GKG.
Neumann
Büge
Dr. Graulich
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