Urteil des BVerwG vom 15.06.2010

Befreiung, Zustellung, Hauptsache, Form

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 B 18.10 (6 C 10.10)
VGH 2 S 507/09
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. Juni 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge und Dr. Graulich
beschlossen:
Dem Kläger wird hinsichtlich der Versäumung der Be-
schwerdefrist sowie der Beschwerdebegründungsfrist
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-
Württemberg über die Nichtzulassung der Revision gegen
sein Urteil vom 2. Juli 2009 wird aufgehoben, soweit es
den Zeitraum der Gebührenbefreiung vom 1. März 2007
bis 31. Juli 2007 betrifft. Insoweit wird die Revision zuge-
lassen.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Gerichtsgebühren, die für die Zurück-
weisung der Beschwerde angefallen sind; im Übrigen ist
das Beschwerdeverfahren gerichtsgebührenfrei. Von den
sonstigen Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der
Kläger zwölf Siebzehntel. Die Entscheidung über die rest-
lichen Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kos-
tenentscheidung in der Hauptsache.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren insgesamt auf 289,51 €, für den erfolglos ge-
bliebenen Teil der Beschwerde auf 204,36 € und für das
Revisionsverfahren vorläufig auf 85,15 € festgesetzt.
G r ü n d e :
1. Der Kläger hat die Fristen für die Einlegung und Begründung der Nichtzulas-
sungsbeschwerde (vgl. § 133 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 VwGO) zwar ver-
säumt. Ihm ist jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren,
weil er im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO „ohne Verschulden“ verhindert war, die
Fristen einzuhalten. Aufgrund des Beschlusses über die Bewilligung von Pro-
zesskostenhilfe steht nämlich fest, dass der Kläger mittellos und somit nicht in
der Lage war, die Kosten für die Beauftragung eines zum Auftreten vor dem
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Bundesverwaltungsgericht befugten Bevollmächtigten aufzubringen. Der Kläger
hat darüber hinaus mit der rechtzeitigen Stellung eines ordnungsgemäßen Pro-
zesskostenhilfeantrags alles getan, was von ihm innerhalb der Rechtsmittelfrist
erwartet werden konnte. Die Wiedereinsetzungsfrist (§ 60 Abs. 2 VwGO) ist
gewahrt, denn auf die Zustellung des Beschlusses über die Bewilligung der
Prozesskostenhilfe vom 2. März 2010 hat der Kläger den am 11. März 2010
beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenen Wiedereinsetzungsantrag gestellt
und zugleich die versäumten Rechtshandlungen nachgeholt.
2. Die auf die Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde
hat in dem ausgesprochenen Umfang Erfolg. Sie kann zur Klärung der Frage
beitragen, ob ein besonderer Härtefall zur Befreiung von der Rundfunkgebühr
im Sinne von § 6 Abs. 3 RGebStV auch dann vorliegen kann, wenn der Rund-
funkteilnehmer Arbeitslosengeld II einschließlich Leistungen nach § 22 SGB II
erhält und der ihm gewährte Zuschlag nach § 24 SGB II zwecks Erfüllung ge-
setzlicher Unterhaltspflichten gepfändet wird.
3. Die Nichtzulassungsbeschwerde war aber ungeachtet der von ihr aufgewor-
fenen Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zurückzuweisen, soweit die
streitgegenständliche Befreiung von der Rundfunkgebühr für die Zeit vor dem
1. März 2007 begehrt wurde. Die Nichtzulassungsbeschwerde betrifft den
Rechtsstreit um eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht für den Zeit-
raum von März 2006 bis Juli 2007. Der Umfang ihrer Zulassung hängt von der
Auslegung revisiblen Rechts ab. Durch § 10 RGebStV in der Fassung des
Neunten Rundfunkänderungsstaatsvertrages, in Kraft getreten am 1. März
2007, wurde das Rundfunkgebührenrecht für revisibel erklärt. Dabei bezieht
sich die Revisibilität aber erst auf das ab diesem Zeitpunkt geltende Recht
(s. Beschluss vom 5. April 2007 - BVerwG 6 B 15.07 - Buchholz 422.2 Rund-
funkrecht Nr. 42). Dieses ist zwar für die Beurteilung eines Teils des Streitfalls
schon maßgeblich. Allerdings erstreckt die gesetzlich erst ab dem 1. März 2007
begründete Revisibilität sich nicht auf den zwar auch im Streit befindlichen, aber
vor diesem Zeitpunkt liegenden Zeitraum (vgl. Urteil vom 28. April 2010
- BVerwG 6 C 6.09 - Rn. 11 ff.). Insoweit ist daher die Nichtzulassungsbe-
schwerde unbegründet.
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4. Soweit über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden war, be-
ruht die Kostenentscheidung auf § 154 Abs. 2 VwGO. Im Verfahren der Nicht-
zulassungsbeschwerde entsteht eine Gerichtsgebühr nur, soweit die Be-
schwerde verworfen oder zurückgewiesen wird. Die sonstigen Kosten des Be-
schwerdeverfahrens, namentlich die außergerichtlichen Kosten, waren verhält-
nismäßig zu teilen, und zwar in der Weise, dass der Kläger die Kosten im Maße
seines Unterliegens trägt und die Entscheidung über die restlichen Kosten, die
dem Anteil der erfolgreichen Beschwerde am gesamten Beschwerdeverfahren
entsprechen, der Kostenentscheidung in der Hauptsache folgt (Beschlüsse vom
10. November 1980 - BVerwG 1 B 802.80 - Buchholz 310 § 155 VwGO Nr. 7
und vom 3. April 2006 - BVerwG 7 B 95.05 - juris Rn. 52).
5. Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 47 Abs. 1
Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG. Dabei wurde von einem Gebühren-
betrag von 17,03 € im Monat und von einem insgesamt streitigen Zeitraum von
17 Monaten ausgegangen.
Die vorläufige Streitwertfestsetzung für das Revisionsverfahren folgt aus § 47
Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 52 Abs. 3, § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG. Dabei wurde von
einem Gebührenbetrag von 17,03 € im Monat und von einem insgesamt für das
Revisionsverfahren noch zugelassenen streitigen Zeitraum von 5 Monaten aus-
gegangen.
Rechtsbehelfsbelehrung
Soweit die Revision zugelassen worden ist, wird das Beschwerdeverfahren als
Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 6 C 10.10 fortgesetzt. Der
Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu
begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simson-
platz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (Verordnung vom
26. November 2004, BGBl I S. 3091) einzureichen.
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Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung
der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von
§ 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO vertreten lassen.
Neumann
Büge
Dr. Graulich