Urteil des BVerwG vom 05.10.2009

Beschwerdeschrift, Zukunft, Berechnungsgrundlage, Beschwerdefrist

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 B 17.09
VG 1 K 1823/99
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. Oktober 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bier und Dr. Möller
beschlossen:
Die Beschwerden der Beklagten und der Beigeladenen ge-
gen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Ver-
waltungsgerichts Köln vom 27. November 2008 werden zu-
rückgewiesen.
Die Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des
Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerde-
verfahren auf 1 000 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
1. Die Beschwerden sind zulässig.
Dies gilt auch für die Beschwerde der Beigeladenen, obwohl deren auf den
19. Dezember 2008 datierte Beschwerdeschrift erst nach Ablauf der Beschwer-
defrist (§ 133 Abs. 2 Satz 1 VwGO), mit Telefax vom 24. Februar 2009, zur Ge-
richtsakte gelangt ist. Hierzu macht der Prozessbevollmächtigte der Beigelade-
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nen geltend, der Eingang des Schriftsatzes sei rechtzeitig gewesen, wie seiner
Büroangestellten - ausweislich eines von ihr aufgenommenen Aktenvermerks
vom 23. Dezember 2008 - durch die Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts
an diesem Tag telefonisch bestätigt worden sei. Ob der Hinweis auf diesen Ak-
tenvermerk ausreicht, um den fristgerechten Eingang der Beschwerdeschrift zu
belegen, kann auf sich beruhen. Denn der Beigeladenen ist, die Versäumnis
der Beschwerdefrist unterstellt, auf ihren innerhalb der Frist des § 60 Abs. 2
Satz 1 VwGO unter Beifügung der Beschwerdeschrift vorsorglich gestellten An-
trag jedenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Pro-
zessbevollmächtigte der Beigeladenen hat unter dieser Prämisse nach seinem
glaubhaften Vorbringen alles getan, um für einen rechtzeitigen Eingang der Be-
schwerdeschrift zu sorgen, und befand sich aufgrund des erwähnten Akten-
vermerks seiner Büroangestellten in einem unverschuldeten Irrtum über die
Einhaltung der Beschwerdefrist, der erst durch den Hinweis des Verwaltungs-
gerichts vom 11. Februar 2009 beseitigt wurde.
2. Die Beschwerden, die sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen
Bedeutung der Rechtssache stützen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), sind unbe-
gründet. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechts-
sache nur, wenn eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Frage
des revisiblen Rechts im Interesse der Einheit oder Fortbildung des Rechts re-
visionsgerichtlicher Klärung bedarf. Daran fehlt es im vorliegenden Fall.
Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass der Regulierungsbehörde bei
der Beurteilung der Kostenorientierung nach Art. 3 Abs. 3 der Verordnung (EG)
Nr. 2887/2000 vom 18. Dezember 2000 über den entbündelten Zugang zum
Teilnehmeranschluss sowie bei der Anwendung des daran inhaltlich anknüp-
fenden Maßstabes der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung nach § 24
Abs. 1 Satz 1 TKG 1996 i.V.m. § 3 Abs. 2 TEntgV 1996 zwar grundsätzlich ein
gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Spielraum zustehe. Dieser gelte
aber nicht für die Prüfung des Investitionswertes als Berechnungsgrundlage der
Kosten. Wie sich im Einzelnen aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs
vom 24. April 2008 - Rs. C-55/06 - (MMR 2008, 523) ergebe, sei insoweit so-
wohl eine Kostenberechnungsmethode unzulässig, die ausschließlich auf die-
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jenigen Kosten abstelle, die einem anderen Betreiber für die Errichtung einer
vollständig neuen Infrastruktur entständen (aktuelle Kosten), als auch eine sol-
che, die ausschließlich an den dem Betreiber der Teilnehmeranschlussleitung
entstandenen Kosten unter Berücksichtigung bereits erfolgter Abschreibungen
(historische Kosten) anknüpfe. Die Regulierungsbehörde müsse vielmehr die
tatsächlichen Kosten berücksichtigen, die sich aus den historischen Kosten des
Betreibers sowie den - aufgrund des Wiederbeschaffungswertes zu kalkulie-
renden - voraussichtlichen Kosten zusammensetzten.
Die Fragen, die die Beschwerdeführer daran anknüpfen, verleihen der Rechts-
sache keine grundsätzliche Bedeutung und können daher die Zulassung der
Revision nicht rechtfertigen.
a) Die Beigeladene will grundsätzlich geklärt wissen:
„Hat die Regulierungsbehörde bei der Bestimmung des Invests für die
Berechnung der kalkulatorischen Abschreibungen und kalkulatorischen
Zinsen im Rahmen der Ermittlung der Kosten der effizienten Leistungs-
bereitstellung nach § 24 Abs. 1, 2 TKG 1996 einen gerichtlich nur ein-
geschränkt überprüfbaren Entscheidungsspielraum?“
Diese Frage verhilft der Beschwerde - von dem noch zu vertiefenden Gesichts-
punkt des auslaufenden Rechts abgesehen - schon deshalb nicht zum Erfolg,
weil sie die tragenden Gründe des angefochtenen Urteils nicht zutreffend er-
fasst. Rechtsfragen, die sich für die Vorinstanz nicht gestellt haben oder auf die
sie nicht entscheidend abgehoben hat, können regelmäßig nicht zur Zulassung
der Revision führen (s. Beschlüsse vom 18. Mai 2006 - BVerwG 6 B 14.06 -
juris Rn. 11 und vom 14. November 2008 - BVerwG 6 B 61.08 - Buchholz 422.2
Rundfunkrecht Nr. 47 Rn. 3). Entgegen der Ansicht der Beigeladenen hat das
Verwaltungsgericht den von ihm hinsichtlich der Prüfung der Kostenorientierung
nach Art. 3 Abs. 3 VO (EG) Nr. 2887/2000 grundsätzlich befürworteten Beurtei-
lungsspielraum der Regulierungsbehörde nicht „negiert“, soweit es um die Be-
stimmung des Investitionswerts als Berechnungsgrundlage der Kosten geht.
Insoweit hat es der Sache nach vielmehr angenommen, dass die Behörde die
Grenzen des ihr zugebilligten Spielraums überschreite, wenn sie - wie hier ge-
schehen - bei der Berechnung des Investitionswerts ausschließlich auf die ak-
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tuellen Kosten abstelle und die historischen Kosten gänzlich unberücksichtigt
lasse. Zur Klärung der grundsätzlichen Frage, ob ein Beurteilungsspielraum bei
der Bestimmung des Investitionswerts bzw. - weitergehend - bei der Ermittlung
der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung überhaupt besteht, könnte
das erstrebte Revisionsverfahren daher nicht beitragen.
b) Auch in Bezug auf die vom Verwaltungsgericht beschriebene Grenze eines
etwaigen Beurteilungsspielraums bei der Bestimmung des Investitionswerts ist
ein grundsätzlicher Klärungsbedarf nicht dargelegt. Insoweit fragt die Beigela-
dene weiter:
„Bedeutet die Verpflichtung für die Regulierungsbehörde, sowohl die
historischen Kosten als auch die voraussichtlichen Kosten bei der Er-
mittlung von kalkulatorischen Abschreibungen und kalkulatorischen
Zinsen bei den Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung nach § 24
Abs. 1, 2 TKG 1996 zu berücksichtigen, dass die Behörde bei ihrer
Entscheidung die Methoden abstrakt mit Bezug auf die Regulierungs-
ziele berücksichtigen muss, oder geht die Verpflichtung dahin, die kon-
kreten sich bei den unterschiedlichen methodischen Ansätzen erge-
benden Kosten mit Bezug auf die Regulierungsziele berücksichtigen zu
müssen?
Bedeutet 'Berücksichtigen der historischen Kosten und der voraussicht-
lichen Kosten' in dem oben dargestellten Zusammenhang, dass beide
in einen auf die Regulierungsziele bezogenen Abwägungsvorgang ein-
fließen müssen, wobei im Ergebnis die nach einer Methode kalkulierten
Kosten bei entsprechender Begründung auch völlig zurücktreten kön-
nen, oder müssen die nach beiden Methoden kalkulierten Kosten eine
Auswirkung auf das Ergebnis haben?“
Die Beklagte hält für klärungsbedürftig:
„Darf die Beklagte die Kapitalkosten der TAL im Rahmen eines Beurtei-
lungsspielraums auch ausschließlich auf Basis von Wiederbeschaf-
fungswerten ermitteln?
Darf die Beklagte bei der Bestimmung des Investitionswertes ein analy-
tisches Bottom-up-Kostenmodell heranziehen, für das ausschließlich
Wiederbeschaffungswerte herangezogen werden müssen?“
Beide Beschwerdeführer rügen, dass das Verwaltungsgericht mit seinen Erwä-
gungen zur Pflicht der Regulierungsbehörde, bei der Prüfung des Investitions-
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wertes die „historischen Kosten“ und zusätzlich die „voraussichtlichen Kosten“
zu berücksichtigen, von den Grundsätzen abgewichen sei, die der Europäische
Gerichtshof in seinem oben erwähnten Urteil vom 24. April 2008 aufgestellt hat.
Dies rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Um unter dem Gesichtspunkt
einer Abweichung von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, die
als solche nicht divergenzfähig im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist
(s. Beschluss vom 23. Januar 2001 - BVerwG 6 B 35.00 - juris Rn. 10), einen
grundsätzlichen Klärungsbedarf darzutun, muss nicht nur aufgezeigt werden,
welche von dieser Rechtsprechung abweichenden Rechtssätze die Vorinstanz
aufgestellt hat. Es bedarf darüber hinaus der Darlegung, inwieweit diese geeig-
net sein könnten, die mit der erwähnten Rechtsprechung erreichte Klärung mit
Wirkung für die Zukunft wieder infrage zu stellen und deshalb Anlass zu erneu-
ter Klärung in einem Revisionsverfahren und gegebenenfalls in einem
Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EG zu geben (Beschluss vom
17. Juli 2008 - BVerwG 9 B 15.08 - Buchholz 451.91 Europ.UmweltR Nr. 35
Rn. 11).
Hier ist jedenfalls die letztgenannte Voraussetzung nicht erfüllt. Das folgt dar-
aus, dass die gemeinschaftsrechtlichen Normen, auf die der europäische Ge-
richtshof hinsichtlich der Berechnungsgrundlage der Kosten abgehoben hat
- „die Richtlinien 97/33/EG und 98/10/EG, die durch die Verordnung (EG)
Nr. 2887/2000 ergänzt werden sollen“ (s. Urteil vom 24. April 2008 a.a.O.
Rn. 88, 110) - mittlerweile außer Kraft getreten sind. Deshalb sind die Regeln
einschlägig, die für die grundsätzliche Bedeutung von Rechtsfragen aufgrund
ausgelaufenen Rechts gelten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundes-
verwaltungsgerichts haben solche Rechtsfragen trotz anhängiger Fälle regel-
mäßig keine grundsätzliche Bedeutung mehr, da die Zulassungsvorschrift des
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur eine Klärung für die Zukunft herbeiführen soll (vgl.
etwa Beschlüsse vom 30. März 2005 - BVerwG 6 B 3.05 - juris Rn. 5 f. und vom
13. Juli 2007 - BVerwG 3 B 16.07 - Buchholz 451.511 § 6 MOG Nr. 9 Rn. 9,
jeweils m.w.N.). Etwas anderes kann zwar ausnahmsweise dann gelten, wenn
sich die als rechtsgrundsätzlich aufgeworfene Frage bei den gesetzlichen
Bestimmungen, die den außer Kraft getretenen Vorschriften nachgefolgt sind, in
gleicher Weise stellt. Das muss aber offensichtlich sein; es ist nicht Aufgabe
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des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, in diesem Zusammenhang mehr
oder weniger komplexe Fragen des jetzt geltenden Rechts zu klären und die
frühere mit der geltenden Rechtslage zu vergleichen (Beschluss vom 30. März
2005 a.a.O.). An dieser Offensichtlichkeit fehlt es hier. Insbesondere ist nicht
evident, dass sich aus Art. 13 der Richtlinie 2002/19/EG vom 7. März 2002
- Zugangsrichtlinie -, die in Wortlaut und Systematik von den außer Kraft getre-
tenen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften nicht unerheblich abweicht, die
gleichen Anhaltspunkte für die etwaige Notwendigkeit einer kumulativen Be-
rücksichtigung verschiedener Kostenarten entnehmen lassen wie aus dem vom
Europäischen Gerichtshof herangezogenen früheren Gemeinschaftsrecht.
Die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der
Rechtssache lässt sich auch nicht daraus herleiten, dass in einem etwaigen
Revisionsverfahren gegebenenfalls eine (erneute) Vorabentscheidung des Eu-
ropäischen Gerichtshofs gemäß Art. 234 Abs. 3 EG zur ergänzenden Ausle-
gung der entscheidungsrelevanten Regelungen des früheren Gemeinschafts-
rechts einzuholen sein könnte. Der Umstand, dass die dort normierte Vorlage-
pflicht auslaufendes oder ausgelaufenes Gemeinschaftsrecht nicht ausnimmt,
ändert nichts daran, dass der Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
die erst erstrebte Grundsatzrevision regelmäßig nur zukunftsorientiert im Inte-
resse der Einheit oder Fortbildung des geltenden Rechts eröffnet (s. Beschlüs-
se vom 13. Juli 2007 a.a.O. Rn. 15 und vom 8. Oktober 2007 - BVerwG 3 B
16.07 - juris Rn. 3).
Die von der Beklagten und von der Beigeladenen als rechtsgrundsätzlich ange-
sehenen Fragen des ausgelaufenen Gemeinschaftsrechts können schließlich
nicht deshalb ausnahmsweise als rechtsgrundsätzlich im Sinne des Zulas-
sungsgrundes gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO angesehen werden, weil ihre
Klärung für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zu-
kunft von Bedeutung ist (vgl. Beschlüsse vom 30. März 2005 a.a.O. Rn. 9 und
vom 13. Juli 2007 a.a.O. Rn. 9). Die engen Voraussetzungen dieses Ausnah-
megrundes, von denen abzuweichen auch im Telekommunikationsrecht kein
Anlass besteht, liegen angesichts der begrenzten Anzahl der interessierten Un-
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ternehmen wie auch der beim Verwaltungsgericht noch anhängigen Altfälle er-
sichtlich nicht vor.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3 VwGO. Die Streit-
wertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m.
§ 52 Abs. 1 GKG; dabei setzt der Senat - in Anlehnung an den Streit-
wertbeschluss des Verwaltungsgerichts - 50 000 € für jedes der 20 umstrittenen
Monatsentgelte an.
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