Urteil des BVerwG vom 23.07.2012

Verfügung, Ausstrahlung, Weiterverbreitung, Kontrolle

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
GERICHTSBESCHEID
BVerwG 6 A 4.11
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Juli 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge, Dr. Graulich, Dr. Möller
und Hahn
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Die gegen die Klägerin gerichtete Verfügung des Bun-
desministeriums des Innern vom 13. Juni 2008 wird auf-
gehoben, soweit die Klägerin verboten wird, soweit das
gegenüber der Klägerin angeordnete Betätigungsverbot
die Ausstrahlung und Verbreitung von Fernsehsendungen
von Dänemark aus nach bzw. in Deutschland betrifft und
soweit die Verwendung von Kennzeichen der Klägerin bei
dieser Tätigkeit verboten wird.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
G r ü n d e :
I
Die Klägerin wendet sich gegen eine von dem Bundesministerium des Innern
erlassene vereinsrechtliche Verbotsverfügung.
Die Klägerin ist eine Aktien- und Holdinggesellschaft dänischen Rechts mit Sitz
in Dänemark. Sie gehört der dänischen Aktien- und Holdinggesellschaft
M. B. A/S (im Folgenden: M.) - der Klägerin in dem Parallelverfahren zum Ak-
tenzeichen BVerwG 6 A 3.11 des Senats - an. Die Klägerin betreibt mit einer
unter dem 9. Dezember 2003 erteilten dänischen Sendelizenz, deren Inhaberin
M. ist, den Fernsehsender R. TV. Das vorwiegend in kurdischer Sprache pro-
duzierte Fernsehprogramm wird seit dem 1. März 2004 europaweit - auch nach
Deutschland - über Satellit ausgestrahlt und kann in den nahöstlichen Sied-
lungsgebieten der Kurden, insbesondere in der Türkei ebenfalls empfangen
werden. Die Klägerin ließ zeitweise Sendebeiträge durch die in Wuppertal an-
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sässige, seit November 2009 in Liquidation befindliche V. Fernsehproduktion
GmbH (im Folgenden: V.) produzieren.
Mit Verfügung vom 13. Juni 2008, die an die Klägerin, M. und V. gerichtet war,
stellte das Bundesministerium des Innern fest, dass der Betrieb des Fernseh-
senders der Klägerin durch M. sowie die Tätigkeit der Klägerin selbst den Straf-
gesetzen zuwiderliefen und sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung
richteten, weil in dem Fernsehprogramm Propaganda für die verbotene PKK
betrieben und Gewalt zur Durchsetzung der politischen Ziele der PKK sowie im
Verhältnis zwischen Türken und Kurden befürwortet werde. M. wurde verboten,
sich im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes durch den Sender der Klägerin
zu betätigen. Die Klägerin wurde ebenfalls mit einem Betätigungsverbot belegt.
Zudem wurde sie mit Blick auf die Tätigkeit der als ihre Teilorganisation be-
zeichneten V. im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes verboten. V. wurde auf-
gelöst. Ferner wurde die Verwendung von Kennzeichen der verbotenen Organi-
sationen untersagt und ihr im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes vorhande-
nes Vermögen beschlagnahmt und eingezogen.
Das Verfahren über die von der Klägerin gegen die Verbotsverfügung erhobene
Klage hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 24. Februar 2010
- BVerwG 6 A 7.08 - (Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 52) zum Zweck der Einho-
lung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union aus-
gesetzt. Der Senat hat in den Gründen dieses Beschlusses dargelegt, dass das
Bundesministerium des Innern das mit der angefochtenen Verbotsverfügung
ausgesprochene Betätigungsverbot zwar zu Unrecht auf den Verbotsgrund der
Strafgesetzwidrigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 VereinsG i.V.m.
Art. 9 Abs. 2 Alt. 1 GG gestützt hat, dieses jedoch nach nationalem Recht seine
Grundlage in § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 3 GG
findet, weil sich die Klägerin gegen den Gedanken der Völkerverständigung
richtet. Zu einer Entscheidung über die Frage, ob der Heranziehung des letzt-
genannten Verbotsgrunds die Bestimmungen der gemeinschaftsrechtlichen
Fernseh-Richtlinie entgegenstehen, hat sich der Senat ohne vorherige Anrufung
des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht im Stande gesehen. Er hat
deshalb dem Gerichtshof die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob und
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gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Anwendung einer nationa-
len Rechtsvorschrift über ein Vereinsverbot wegen Verstoßes gegen den Ge-
danken der Völkerverständigung in den durch die Richtlinie 89/552/EWG des
Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwal-
tungsvorschriften über die Ausübung der Fernsehtätigkeit (ABl EG Nr. L 298
S. 23) in der Fassung der Änderungsrichtlinie 97/36/EG vom 30. Juni 1997
(ABl EG Nr. L 202 S. 60) koordinierten Bereich fällt und daher gemäß Art. 2a
der Richtlinie ausgeschlossen ist.
Einen Beschluss mit einem ebensolchen Inhalt hat der Senat in dem von M.
gegen die Verbotsverfügung vom 13. Juni 2008 anhängig gemachten Klagever-
fahren erlassen (Beschluss vom 24. Februar 2010 - BVerwG 6 A 6.08). Die von
V. gegen die Verfügung erhobene Klage hat der Senat mit der Begründung ab-
gewiesen, dass das Bundesministerium des Innern diese Gesellschaft nach § 3
Abs. 3 Satz 2 VereinsG zu Recht als nichtgebietliche und rechtsfähige Teil-
organisation der Klägerin benannt hat (Urteil vom 24. Februar 2010 - BVerwG
6 A 5.08 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 52).
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat die Vorabentscheidungsersuchen
zu gemeinsamem Verfahren und gemeinsamer Entscheidung verbunden und
mit Urteil vom 22. September 2011 - Rs. C-244/10 und Rs. C-245/10 - (UA
Rn. 54) entschieden, dass Umstände wie die in den Ausgangsverfahren in Re-
de stehenden, die unter eine Vorschrift des nationalen Rechts fallen, nach der
Verstöße gegen den Gedanken der Völkerverständigung verboten sind, als vom
Begriff der Aufstachelung zu Hass aufgrund von Rasse, Geschlecht, Religion
oder Nationalität im Sinne des Art. 22a der Fernseh- Richtlinie umfasst anzuse-
hen sind. Dieser Artikel verwehrt es in seiner Auslegung durch den Gerichtshof
einem Mitgliedstaat nicht, in Anwendung allgemeiner Rechtsvorschriften wie
dem Vereinsgesetz Maßnahmen gegen einen in einem anderen Mitgliedstaat
niedergelassenen Fernsehveranstalter mit der Begründung zu treffen, dass die
Tätigkeiten und Ziele dieses Veranstalters dem Verbot des Verstoßes gegen
den Gedanken der Völkerverständigung zuwiderlaufen, sofern die genannten
Maßnahmen nicht die Weiterverbreitung im eigentlichen Sinne von Fernseh-
sendungen, die dieser Veranstalter von dem anderen Mitgliedstaat aus aus-
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strahlt, im Hoheitsgebiet des Empfangsmitgliedstaats verhindern; dies hat das
nationale Gericht zu prüfen.
Wegen des Vortrags der Beteiligten im Klageverfahren und der von ihnen ge-
stellten Anträge wird auf die Gründe des Beschlusses des Senats vom 24. Fe-
bruar 2010 verwiesen.
II
Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid ent-
scheiden, weil die Sache in dem bestehenden Verfahrensstadium keine beson-
deren Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art mehr aufweist und der
Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Beteiligten sind hierzu
gehört worden (§ 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist begründet, soweit die Klägerin in der Verfügung des
Bundesministeriums des Innern vom 13. Juni 2008 einem Organisationsverbot
unterworfen wird, soweit das gegenüber der Klägerin verfügte vereinsrechtliche
Betätigungsverbot die Ausstrahlung und Verbreitung von Fernsehsendungen
von Dänemark aus nach bzw. in Deutschland betrifft und soweit die Verwen-
dung von Kennzeichen der Klägerin bei dieser Tätigkeit verboten wird. In die-
sem Umfang ist die angefochtene Verfügung im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1
VwGO rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (1.). Im Übrigen
ist die angefochtene Verfügung rechtmäßig und die Klage unbegründet (2.).
1. Für das Organisationsverbot, mit dem das Bundesministerium des Innern die
Klägerin mit Blick auf die Tätigkeit von V. als ihre Teilorganisation belegt hat,
besteht kein Raum (a)). Das gegenüber der Klägerin ausgesprochene Betäti-
gungsverbot wird, soweit es sich auf die Ausstrahlung und Verbreitung von
Fernsehsendungen von Dänemark aus nach bzw. in Deutschland bezieht,
durch § 15 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1 Satz 1 des Ge-
setzes zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (Vereinsgesetz - VereinsG)
vom 5. August 1964 (BGBl I S. 593), zuletzt geändert durch Gesetz vom
21. Dezember 2007 (BGBl I S. 3198), Art. 9 Abs. 2 GG und § 18 Satz 2 Ver-
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einsG nicht getragen, da hierfür keiner der in Betracht kommenden Verbots-
gründe herangezogen werden kann (b)). Deshalb kann insoweit auch das aus-
gesprochene Kennzeichenverbot keinen Bestand haben (c)).
a) Das Bundesministerium des Innern hat gegenüber der Klägerin ein Organisa-
tionsverbot allein deshalb verfügt, um V. nach § 3 Abs. 3 VereinsG als Teil-
organisation der Klägerin erfassen zu können (Verfügung S. 24 f., 35). Hierfür
ist indes ein Organisationsverbot nicht erforderlich. Denn eine geeignete Grund-
lage für eine Erstreckung auf Teilorganisationen gemäß § 3 Abs. 3 VereinsG
stellt bereits das gegenüber der Klägerin erlassene und nach Maßgabe der fol-
genden Darlegungen - wenn auch nicht im Hinblick auf die von Dänemark aus
betriebene Sendetätigkeit der Klägerin, so doch für inländische Betätigungen -
teilweise aufrecht zu erhaltende Betätigungsverbot nach § 18 Satz 2 VereinsG
dar (vgl. Urteil vom 28. Januar 1997 - BVerwG 1 A 13.93 - Buchholz 402.45 Ve-
reinsG Nr. 26 S. 97, Urteil vom 24. Februar 2010 a.a.O. Rn. 25).
b) Die rechtlichen Gründe, die es im vorliegenden Fall ausschließen, zur Recht-
fertigung des erlassenen Betätigungsverbots auf den Verbotsgrund der Strafge-
setzwidrigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 VereinsG i.V.m. Art. 9
Abs. 2 Alt. 1 GG abzustellen, hat der Senat in seinem Beschluss vom 24. Fe-
bruar 2010 (a.a.O. Rn. 25 ff.) ausführlich dargestellt. Die Beklagte ist dem im
weiteren Verlauf des Verfahrens nicht mehr entgegengetreten. Auch auf den
Verbotsgrund des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 3
GG konnte das Bundesministerium des Innern das Verbot, was die Ausstrah-
lung und Verbreitung von Fernsehsendungen der Klägerin von Dänemark aus
nach bzw. in Deutschland anbetrifft, nicht in rechtmäßiger Weise stützen.
Die angefochtene Verbotsverfügung vom 13. Juni 2008 ist darauf gerichtet, „die
Verbreitung des Senders R. TV in das und im Bundesgebiet“ zu unterbinden
(Verfügung S. 35). Entsprechend dieser der Verfügung objektiv zukommenden
hauptsächlichen Zielsetzung hat sie der Senat im Hinblick auf den Verbots-
grund des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 3 GG in
seinem Beschluss vom 24. Februar 2010 (BA Rn. 45 ff.) überprüft. Der Senat
hat nach Inaugenscheinnahme exemplarischer Bestandteile des Fernsehpro-
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gramms der Klägerin festgestellt, dass die Klägerin sich sowohl in objektiver als
auch in subjektiver Hinsicht gegen den Gedanken der Völkerverständigung rich-
tet. Die Klägerin berichtet nicht neutral über die Auseinandersetzungen zwi-
schen türkischen und kurdischen Volkszugehörigen in der Türkei, sondern un-
terstützt den Einsatz von Guerillaeinheiten und das Verüben von Anschlägen
durch die PKK, indem sie sich deren Positionen in eindeutig erkennbarer, mas-
siver und das Fernsehprogramm prägender Weise zu eigen macht.
Aus der von dem Senat eingeholten Vorabentscheidung des Gerichtshofs der
Europäischen Union ergibt sich indes, dass das gegenüber der Klägerin ange-
ordnete Betätigungsverbot nicht auf diese Begründung gestützt werden darf.
Denn der Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 22. September 2011 (UA Rn. 44
bis 46) dargelegt, dass die von dem Senat in dem Fernsehprogramm der Kläge-
rin festgestellten Umstände dem Anwendungsbereich des Art. 22a der Fernseh-
Richtlinie unterfallen und die Beachtung dieser Vorschrift - gemäß Art. 3 Abs. 2
der Fernseh-Richtlinie - von den Behörden desjenigen Mitgliedstaats zu prüfen
ist, dessen Rechtshoheit der betreffende Fernsehveranstalter unterliegt. Dies ist
im vorliegenden Fall Dänemark. Die zuständige dänische Stelle hat eine Verlet-
zung des Art. 22a der Fernseh-Richtlinie durch die inhaltliche Ausrichtung des
Fernsehprogramms der Klägerin verneint.
Wenn nach den weiteren Darlegungen des Gerichtshofs (UA Rn. 47 ff., unter
Bezugnahme auf das Urteil vom 9. Juli 1997 - Rs. C-34/95, De Agostini -
1997, I-3843 Rn. 33 f, 38>) gleichwohl die Anwendung von Rechtsvorschriften
eines Mitgliedstaats, die - wie hier die Regelungen des Vereinsgesetzes - nicht
speziell die Ausstrahlung und Verbreitung von Fernsehprogrammen betreffen,
sondern allgemein der öffentlichen Ordnung dienen, nicht völlig und von vorn-
herein ausgeschlossen ist, so gilt dies nicht, wenn dadurch in dem Hoheitsge-
biet des betreffenden Mitgliedstaats die Weiterverbreitung im eigentlichen Sinne
von Fernsehsendungen aus einem anderen Mitgliedstaat verhindert wird. Eine
solche Verhinderung stellt es jedenfalls dar, wenn der Empfangsstaat durch die
Anwendung seiner allgemeinen ordnungsrechtlichen Regeln eine zweite Kon-
trolle von Fernsehsendungen zusätzlich zu der von dem Sendestaat durchzu-
führenden Kontrolle vornimmt. Auf Grund einer solchen unzulässigen zweiten
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Kontrolle hat das Bundesministerium des Innern der Sache nach den hier in
Rede stehenden Teil des gegen die Klägerin gerichteten Betätigungsverbots
erlassen.
An dieser eindeutigen Feststellung ändert sich nichts dadurch, dass der Ge-
richtshof weiter ausgeführt hat (UA Rn. 52), die am Verfahren beteiligte Bun-
desregierung habe geäußert, dass sie ungeachtet der Weite des von dem Bun-
desministerium des Innern verfügten Betätigungsverbots nicht in der Lage sei,
Auswirkungen von im Ausland produzierten Fernsehsendungen in Deutschland
zu verhindern, und deshalb der Empfang des Programms der Klägerin in
Deutschland tatsächlich weiterhin möglich sei. Die Beklagte missversteht diese
Darlegungen des Gerichtshofs, wenn sie meint, dieser habe zwischen dem
rechtlichen, die Sendetätigkeit betreffenden Betätigungsverbot und der tatsäch-
lichen Verhinderung der Ausstrahlung oder Weiterverbreitung als solcher unter-
schieden und lediglich in der letztgenannten Hinsicht einen Widerspruch zu den
Bestimmungen der Fernseh-Richtlinie gesehen. Dass dem nicht so ist, wird da-
ran deutlich, dass nach den Vorgaben des Gerichtshofs für die Frage der Ver-
hinderung der Weiterverbreitung im eigentlichen Sinne von Fernsehsendungen
maßgeblich auf das - hier erfüllte - rechtliche Kriterium der von dem Empfangs-
staat eingeführten zweiten Kontrolle von Fernsehsendungen abzustellen ist.
c) Da der Klägerin hiernach die von Dänemark aus vorgenommene Sendetätig-
keit zu Unrecht untersagt worden ist, muss insoweit auch das in der angefoch-
tenen Verfügung enthaltene Verbot der Verwendung von Kennzeichen der Klä-
gerin aufgehoben werden. Es kann in dieser Hinsicht nicht auf § 9 Abs. 1 Satz 1
VereinsG gestützt werden.
2. Demgegenüber hat die Klage gegen die Verfügung des Bundesministeriums
des Innern vom 13. Juni 2008 in der Sache keinen Erfolg, soweit der Klägerin
damit Betätigungen verboten werden, die von ihr im Hoheitsgebiet der Bundes-
republik Deutschland ausgehen oder dort zu ihren Gunsten vorgenommen wer-
den (a)). Gleiches gilt für die Erstreckung des Kennzeichenverbots auf diese
Tätigkeiten (b)) und die weiter angeordnete Beschlagnahme und Einziehung
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des im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes vorhandenen Vermögens der
Klägerin (c)).
a) Das mit der angefochtenen Verfügung gegenüber der Klägerin ausgespro-
chene Betätigungsverbot soll zwar nach seinem objektiven Erklärungsgehalt in
erster Linie die Ausstrahlung und Verbreitung von Fernsehsendungen unterbin-
den, die die Klägerin von Dänemark aus nach bzw. in Deutschland vornimmt.
Das Verbot greift jedoch darüber hinaus und erfasst auch Betätigungen in
Deutschland, die auf die Klägerin bezogen sind. Dabei kommt es nicht darauf
an, ob diese Tätigkeiten für sich genommen den Verbotsgrund des § 3 Abs. 1
Satz 1 Alt. 3 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 3 GG verwirklichen, da dieser
- wie dargelegt - bereits durch die von Dänemark aus betriebene Sendetätigkeit
der Klägerin erfüllt wird und insoweit lediglich auf Grund Unionsrechts nicht an-
wendbar ist.
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat als in Betracht kommende inländi-
sche Betätigungen die Produktion von Sendungen, die Organisation von Veran-
staltungen, bei denen Sendungen der Klägerin in einem öffentlichen Rahmen
gezeigt werden, sowie allgemein im deutschen Hoheitsgebiet stattfindende Un-
terstützungsaktivitäten benannt. Der Gerichtshof hat angemerkt, das Verbot
derartiger Tätigkeiten stelle - vorbehaltlich einer Überprüfung seiner konkreten
Wirkungen durch den Senat - grundsätzlich kein Hindernis für die Weiterverbrei-
tung im eigentlichen Sinne von Fernsehsendungen dar und werde deshalb
durch Art. 22a der Fernseh-Richtlinie nicht ausgeschlossen. Der Senat sieht
keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Inlandsbezug des gegenüber der Klägerin
erlassenen Betätigungsverbots zu einem solchen Weiterverbreitungshindernis
führt. Soweit die Beteiligten einschlägige inländische Betätigungen namhaft
gemacht haben, hat sie der Senat in den Gründen seines Beschlusses vom
24. Februar 2010 (a.a.O. Rn. 38 ff.) im Rahmen der Prüfung des Verbotsgrunds
des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 1 GG nicht für hin-
reichend gewichtig erachtet, den Charakter der Klägerin als strafgesetzwidrig zu
prägen. In Entsprechung dazu kann das Verbot dieser Betätigungen keine Wir-
kungen entfalten, die im Hinblick auf die Weiterverbreitung im eigentlichen Sin-
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ne der von der Klägerin von Dänemark aus ausgestrahlten Fernsehsendungen
in beachtlicher Weise ins Gewicht fallen.
b) Für die auf die Klägerin bezogenen inländischen Betätigungen findet das in
der angefochtenen Verfügung ausgesprochene Verbot der Verwendung von
Kennzeichen der Klägerin seine Rechtsgrundlage in § 9 Abs. 1 Satz 1 Ver-
einsG. Es knüpft mit seinen tatbestandlichen Voraussetzungen an das insoweit
zu Recht verhängte Betätigungsverbot an.
c) Gleiches gilt für die weiterhin angeordnete Beschlagnahme und Einziehung
des im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes vorhandenen Vermögens der
Klägerin. Diese Maßnahmen hat das Bundesministerium des Innern zu Recht
auf § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, § 11 VereinsG gestützt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Klägerin
ist mit ihrem Klagebegehren nur zu einem geringen Teil unterlegen.
Rechtsbehelfsbelehrung
Die Beteiligten können innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichts-
bescheides mündliche Verhandlung beantragen. Der Antrag ist beim Bundes-
verwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektroni-
scher Form (Verordnung vom 26. November 2004, BGBl I S. 3091) einzurei-
chen.
Hierfür besteht Vertretungszwang. Die Beteiligten müssen sich durch Bevoll-
mächtigte m Sinne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO vertreten lassen.
Neumann
Büge
Dr. Graulich
Dr. Möller
Hahn
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B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 30 000 € festgesetzt (§ 52 Abs. 1
GKG).
Neumann
Büge
Dr. Graulich
Dr. Möller
Hahn
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Vereinsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
GG
Art. 9 Abs. 2
VereinsG
§ 3 Abs. 1, §§ 14, 15, 18
Fernseh-RL
Art. 22a
Stichworte:
Aufstachelung zu Hass; Ausstrahlung und Verbreitung von Fernsehsendungen
von Dänemark aus; Betätigungsverbot; Fernsehsender; Gedanke der Völker-
verständigung; Organisationsverbot; Vereinsverbot; Vorabentscheidung des
Gerichtshofs der Europäischen Union; Weiterverbreitung im eigentlichen Sinn
von Fernsehsendungen; zweite Kontrolle.
Leitsatz:
Eine Ausstrahlung und Verbreitung von Fernsehsendungen von Dänemark aus
nach bzw. in Deutschland, die den vereinsrechtlichen Verbotsgrund des § 3
Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 3 GG erfüllt, unterfällt zu-
gleich dem Anwendungsbereich des Art. 22a der unionsrechtlichen Fernseh-
Richtlinie, dessen Einhaltung von den Behörden des Sendestaats zu prüfen ist,
und kann deshalb grundsätzlich nicht Gegenstand eines vereinsrechtlichen Be-
tätigungsverbots sein.
Gerichtsbescheid des 6. Senats vom 23. Juli 2012 - BVerwG 6 A 4.11