Urteil des BVerwG vom 03.03.2009

Kommission, Telefonüberwachung, Gefährdung, Beschränkung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 A 4.08 (6 PKH 15.08)
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. März 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Graulich
und Dr. Bier
beschlossen:
Der Antrag des Klägers, ihm für die Klage Prozesskosten-
hilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen
und der Antrag, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen,
werden abgelehnt.
G r ü n d e :
1. Dem Kläger kann Prozesskostenhilfe nicht bewilligt und ein Rechtsanwalt
nicht beigeordnet werden, weil die erhobene Klage wegen Anordnung und Voll-
zugs von Maßnahmen nach dem Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz (G 10) kei-
ne hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 121
Abs. 1 ZPO).
Der Bundesnachrichtendienst hat mit Bescheid vom 19. Mai 2008 den Kläger
davon in Kenntnis gesetzt, dass er auf der Grundlage einer Anordnung nach § 5
Abs. 1 G 10 in der Zeit vom 15. November 2001 bis 31. Januar 2003 und vom
27. Juli 2003 bis 27. September 2003 internationale Telekommunikation
überwacht habe, um rechtzeitig die Gefahr der Begehung internationaler terro-
ristischer Anschläge mit unmittelbarem Bezug zur Bundesrepublik Deutschland
zu erkennen und ihr zu begegnen. Der Bundesnachrichtendienst sei nach § 12
Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 G 10 dazu verpflichtet, dem von einer Maßnahme nach
dem G 10 Betroffenen die Erfassung mitzuteilen, sobald ausgeschlossen wer-
den könne, dass durch die Mitteilung der Zweck der Beschränkungsmaßnahme
gefährdet werde. Angefügt war dem Bescheid eine nach Datum, Uhrzeit und
Anschlussnummern gegliederte Liste von mehr als zwei Dutzend Fällen, in de-
nen Gespräche bzw. Anwahlversuche an Anschlüssen, welche dem Kläger zu-
geordnet würden, erfasst worden waren.
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Daraufhin hat der Kläger Klage erhoben und begehrt im Wesentlichen - zum ei-
nen - die Feststellung der Rechtswidrigkeit bestimmter Beschränkungen der
Freiheit der Telekommunikation und - zum anderen - die Feststellung, dass die
Beklagte verpflichtet gewesen sei, ihm die Überwachung bereits vor dem
19. Mai 2008 mitzuteilen. Außerdem hat er einen Antrag auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe für die Klage gestellt. Zur Begründung des Prozesskosten-
hilfeantrags hat der Kläger mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2008 sich zum
einen „auf Ziffer II.1., Bl. 3 - 5, (des) Schriftsatzes vom 09.08.2007“ in dem Ver-
fahren BVerwG 6 A 1.07 bezogen. Der Sinnzusammenhang lässt erkennen,
dass damit der erste Streitgegenstand, die Rechtswidrigkeitsfeststellung der
Maßnahme selbst gemeint ist (a). Zum anderen rügt er, dass es rechtswidrig
sei, dass er erst zu einem so späten Zeitpunkt über die umfangreichen und lang
andauernden Abhörmaßnahmen durch die Beklagte unterrichtet worden sei; er
sei nicht einmal wegen einer terroristischen Straftat vorbestraft; ein Er-
mittlungsverfahren durch den Generalbundesanwalt sei eingestellt worden (b).
Die fehlende Erfolgsaussicht bezieht sich auf beide Begehren.
a) Die streitgegenständlichen strategischen Überwachungsmaßnahmen des
Bundesnachrichtendienstes sind von diesem beantragt, vom Bundesministeri-
um des Innern angeordnet und von der G 10-Kommission gebilligt worden
(§§ 9, 10, 15 Abs. 6 G 10). Gegen ihre formelle Rechtmäßigkeit sind Bedenken
nicht erhoben worden. Sie sind auch in der Sache voraussichtlich nicht zu be-
anstanden. Sie beruht auf § 5 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 3 Nr. 2 G 10. Danach
ist die strategische Telefonüberwachung u.a. zulässig zur Sammlung von In-
formationen über Sachverhalte, deren Kenntnis notwendig ist, um die Gefahr
der Begehung internationaler terroristischer Anschläge mit unmittelbarem Be-
zug zur Bundesrepublik Deutschland rechtzeitig zu erkennen und einer solchen
Gefahr zu begegnen. Diese Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall er-
füllt. Aus den auch dem Kläger zugänglich gemachten Unterlagen des Bun-
desministeriums des Innern und des Bundesnachrichtendienstes ergibt sich,
dass die im Streit stehende Maßnahme aufgrund eines Lagebildes angeordnet
und verlängert wurde, demzufolge von einer Verschärfung der Sicherheitslage
in Europa auszugehen war und sich in Deutschland aufhaltende islamistische
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Extremisten in Planungen für Terroranschläge verwickelt waren. Diesbezügliche
Erkenntnisse konnten zu einem großen Teil aus der Fernmeldeaufklärung
gewonnen werden.
Der Kläger selbst rügt keine Rechtsfehler bei der Anordnung der strategischen
Überwachungsmaßnahmen. Sein Hinweis auf die gegen das Urteil des be-
schließenden Senats vom 23. Januar 2008 (BVerwG 6 A 1.07) eingelegte Ver-
fassungsbeschwerde vermag dem vorliegenden Antrag auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe nicht zum Erfolg zu verhelfen, denn das Urteil enthält aus-
führliche Erwägungen zur Verfassungsmäßigkeit der strategischen Telekom-
munikationsüberwachung (a.a.O. Rn. 33 - 36), von deren Richtigkeit der Senat
weiterhin überzeugt ist.
b) Der Prozesskostenhilfeantrag erscheint aber auch hinsichtlich der Feststel-
lung einer verspäteten Mitteilung ohne Erfolgsaussicht. Ob und zu welchem
Zeitpunkt einem Betroffenen die strategische Telefonüberwachung mitgeteilt
wird, ist in § 12 G 10 geregelt. Gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1
G 10 sind Beschränkungsmaßnahmen nach § 5 G 10, sofern die personenbe-
zogenen Daten nicht unverzüglich gelöscht wurden, dem Betroffenen nach ihrer
Einstellung mitzuteilen, wenn eine Gefährdung des Zwecks der Beschränkung
ausgeschlossen werden kann. Lässt sich in diesem Zeitpunkt noch nicht beur-
teilen, ob diese Voraussetzung vorliegt, ist die Mitteilung gemäß § 12 Abs. 2
Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 G 10 vorzunehmen, sobald eine Gefährdung des
Zwecks der Beschränkung ausgeschlossen werden kann. Gemäß § 12 Abs. 2
Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 G 10 kann die Mitteilung unter bestimmten Voraus-
setzungen aufgrund einstimmiger Feststellung der G 10-Kommission unterblei-
ben. Auch hinsichtlich des Zeitpunkts unterliegt die Entscheidung über die Mit-
teilung der Beschlussfassung durch die G 10-Kommission. Denn nach § 15
Abs. 7 Satz 1 G 10 unterrichtet das zuständige Bundesministerium die
G 10-Kommission monatlich über Mitteilungen gemäß § 12 Abs. 1 und 2 G 10
oder über die Gründe, die einer Mitteilung entgegenstehen. Nach § 15 Abs. 7
Satz 2 G 10 ist die Mitteilung unverzüglich vorzunehmen, wenn die Kommission
sie für geboten hält. Demnach liegt die Entscheidung über die Mitteilung letzt-
lich stets in der Hand der Kommission. Maßstab für die Festlegung des Mittei-
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lungszeitpunkts ist die Frage, ob „eine Gefährdung des Zwecks der Beschrän-
kung ausgeschlossen werden kann“. Die Kommission muss sich also bei der
Prüfung des richtigen Zeitpunkts davon überzeugen, dass die Möglichkeit einer
Zweckgefährdung nicht besteht. Hat sie insoweit Zweifel, ist die Mitteilung
- noch - zu unterlassen.
Der Senat hat in der vorgenannten Entscheidung ausgeführt (a.a.O. Rn. 42),
dass das Urteil der G 10-Kommission über den richtigen Zeitpunkt der Mittei-
lung der Telefonüberwachung an den Betroffenen vom Gericht nur einge-
schränkt überprüft werden kann. Der Kommission steht insoweit eine Beurtei-
lungsermächtigung zu, die die Rechtskontrolle begrenzt. Die Beklagte hat dazu
erläuternd ausgeführt, der Zeitraum von bis zu fünf Jahren zwischen Beendi-
gung der Maßnahme und ihrer Mitteilung an den Beklagten erscheine nicht als
zu lang. Der den Kläger betreffende Teil der strategischen Aufklärung gemäß
§ 5 G 10 habe keine individuellen Absichten gegen den Kläger verfolgt, sondern
sei Teil der Erforschung eines gesamten Verdachtsfeldes gewesen. Der Zweck
der Überwachung könne daher sehr viel schneller gefährdet werden, wenn
gegenüber einer Einzelperson - zu früh - Mitteilungen von der Maßnahme
gemacht würden. Bei dem Kläger handele es sich um eine Person, die nach-
weislich Kontakt zu einem terroristischen Unterstützernetzwerk gehabt habe.
Der Bundesnachrichtendienst habe noch im August 2003 Meldungen, die ihn
betroffen hätten, an das Bundeskriminalamt übermittelt. Angesichts dieser be-
stehenden Kontakte habe es nahe gelegen, ihm auch dann noch Daten über
die Telekommunikationsbeschränkung vorzuenthalten, wenn er selbst seine
Aktivitäten eingestellt habe bzw. diese nach außen nicht mehr erkennbar ge-
wesen seien. Niemand habe wissen können, wer bei einer Mitteilung an ihn
noch von der strategischen Überwachung erfahren hätte. Nachdem der Kläger
selbst aktiv geworden sei, um seine „persönliche Wende“ zu dokumentieren
und im Oktober 2006 auf das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Ver-
fassungsschutz zugegangen sei, sei 16 Monate später die Mitteilung in die We-
ge geleitet worden. Dies sei für die vorliegende Verwaltungstätigkeit ein eher
geringer Zeitraum. Es sei abzuwarten gewesen, ob die Abwendung des Klägers
ernst gemeint gewesen sei. Außerdem habe der Kläger den Kontakt nicht zum
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Bundesnachrichtendienst, sondern zum Bundeskriminalamt und dem Bundes-
amt für Verfassungsschutz geknüpft.
Dieses durch die vorgelegten Akten gestützte Vorbringen lässt nachvollziehbare
Gründe dafür erkennen, dass die in Rede stehende Mitteilung dem Kläger nicht
früher erteilt worden ist.
2. Der Antrag auf Anordnung des Ruhens des Verfahrens ist abzulehnen, weil
es an einem darauf gerichteten Antrag der „beiden Parteien“ (§ 173 VwGO
i.V.m. § 251 ZPO) fehlt. Die Beklagte hat der Ruhensanordnung widersprochen.
Der Senat zieht aber auch keine Aussetzung des Verfahrens mit Blick auf die
gegen das Urteil vom 23. Januar 2008 (BVerwG 6 A 1.07) eingelegte Verfas-
sungsbeschwerde in Betracht (§ 94 VwGO analog). Aufgrund seiner ausführli-
chen Erwägungen zur Verfassungsmäßigkeit der strategischen Überwachung in
diesem Urteil geht er nicht davon aus, dass die einschlägigen gesetzlichen Vor-
schriften als mit der Verfassung unvereinbar erkannt werden. Bis zur etwaigen
Verwerfung einer Rechtsnorm durch das Bundesverfassungsgericht hat die
Rechtsanwendung grundsätzlich von einem gültigen Gesetz auszugehen.
Dr. Bardenhewer
Dr. Graulich
Dr. Bier
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