Urteil des BVerwG vom 22.07.2009

Rüge, Hund, Eltern, Bindungswirkung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 PKH 11.09 (5 B 39.09)
VGH 13 S 3209/08
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Juli 2009
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen
beschlossen:
Der Antrag der Kläger, ihnen Prozesskostenhilfe für ihre
Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Verwal-
tungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 17. März 2009
zu bewilligen und Rechtsanwalt … beizuordnen, wird
abgelehnt.
G r ü n d e :
Den Klägern kann Prozesskostenhilfe nicht bewilligt und ein Rechtsanwalt nicht
beigeordnet werden; denn die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revi-
sion bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO, § 114 Satz 1,
§ 121 Abs. 1 ZPO). Ein Grund für die Zulassung der Revision nach §§ 133,
132 Abs. 2 Nr. 1 oder 3 VwGO besteht nicht.
1. Es bestehen keine hinreichenden Aussichten darauf, dass die Revision we-
gen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzu-
lassen ist.
Es kann offen bleiben, ob die Beschwerde überhaupt den Darlegungsanforde-
rungen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) hinsichtlich des Zulassungsgrundes der
Grundsatzbedeutung genügt und ob die zur Anwendung und Auslegung des
§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG aufgeworfenen Fragen, soweit sie überhaupt
Rechtsfragen betreffen, sich ohne Weiteres im Wege der Gesetzesauslegung
oder auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts beantworten lassen, ohne dass es hierfür eines Revisionsverfah-
rens bedarf. Die Beschwerde kann jedenfalls deshalb keinen Erfolg haben, weil
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das Beschwerdevorbringen nicht berücksichtigt, dass der Verwaltungsgerichts-
hof seine Entscheidung auf mehrere jeweils selbständig tragende Erwägungen
gestützt hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge-
richts kann in Fällen, in denen ein Urteil auf mehrere die Entscheidung selb-
ständig tragende Begründungen gestützt ist, die Revision gegen dieses Urteil
nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jedes dieser tragenden Gründe ein
Zulassungsgrund vorliegt (vgl. Beschlüsse vom 17. April 1985 - BVerwG 3 B
26.85 - Buchholz 451.90 EWG-Recht Nr. 53, vom 24. Mai 2007 - BVerwG 4 BN
16.07 u.a. - BauR 2007, 2041 und vom 2. Dezember 2008 - BVerwG 5 B
60.08 -). Das ist hier nicht der Fall.
Der Verwaltungsgerichtshof hat dahin entschieden, dass die Kläger den von
ihnen geltend gemachten Anspruch nicht auf die ihnen gegenüber gemachten
unanfechtbar gewordenen Einbürgerungszusicherungen vom 11. September
2006 stützen können, in denen die Einbürgerung ausdrücklich davon abhängig
gemacht worden sei, dass die Kläger den Nachweis erbringen, die äthiopische
Staatsangehörigkeit verloren zu haben (Entscheidungsgründe 1.). In diesem
Zusammenhang ist auch ausgeführt worden, dass keine ausreichenden An-
haltspunkte dafür bestünden, dass es den Klägern von vornherein unzumutbar
bzw. sogar unmöglich sein würde, einen für den Erhalt einer diesbezüglichen
Erklärung (zum Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit) erforderlichen
Identitätsnachweis zu beschaffen. Weiterhin hat der Verwaltungsgerichtshof
ausgeführt (Entscheidungsgründe 2.), dass die Kläger einen Einbürgerungsan-
spruch auch nicht unmittelbar aus § 8 oder § 10 StAG herleiten können, weil
dem Einbürgerungsanspruch nach § 10 StAG entgegenstehe, dass die Kläger
ihre Staatsangehörigkeit nicht aufgeben oder verlieren (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
StAG (Buchst. a), sie nicht die für eine Einbürgerung nach § 8 StAG erforderli-
chen Mindestaufenthaltszeiten erfüllten (Buchst. b), der Einbürgerung weiter
entgegenstehe, dass die Identität der Kläger nicht gesichert sei (Buchst. c) und
- hinsichtlich der Kläger zu 1 und 2 - jedenfalls diese nicht in der Lage seien,
ihren Lebensunterhalt und den ihrer unterhaltsberechtigten Familienangehöri-
gen zu sichern (Buchst. d).
Die von den Klägern im Rahmen der Grundsatzrüge aufgeworfenen Fragen,
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„ob die nach dem Heimatrecht des jeweils Einzubürgern-
den zu beurteilende Aufgabe oder Verlust der bisherigen
Staatsangehörigkeit von der deutschen Einbürgerungsbe-
hörde und den deutschen Gerichten zu beurteilen ist und
ob die Einbürgerungsbehörden bzw. Gerichte befugt sind,
hier ausländisches Recht nach ihren Vorstellungen und
deutschen rechtlichen Grundsätzen auszulegen, oder ob
die Einbürgerungsbehörden und auch die Gerichte an die
durch äthiopische Behörden erfolgte Auslegung des äthi-
opischen Staatsangehörigkeitsgesetzes gebunden sind,
hilfsweise inwieweit Behörden und Gerichte in der Bun-
desrepublik Deutschland diese konkreten Aussagen zum
äthiopischen Staatsangehörigkeitsrecht einer äthiopischen
Behörde und einer äthiopischen Auslandsvertretung zu-
mindest bei einer möglichen Auslegung des äthiopischen
Staatsangehörigkeitsgesetzes zu berücksichtigen haben.“
(Schriftsatz vom 8. Juni 2009, S. 2),
„ob zumindest bei der Auslegung der Artikel 19 und 20
des äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetzes die Be-
scheinigung der äthiopischen Botschaft vom 31.05.2006
berücksichtigt werden muss, und zwar von dem eindeuti-
gen Wortlaut der Äußerungen der äthiopischen Behörden,
oder ob tatsächlich entgegen diesem eindeutigen Wortlaut
das Gericht hier in Deutschland diese Auslegung missach-
ten kann und dagegen eine völligkommend entgegenge-
setzte Auslegung fremden Rechtes vornimmt, ja selbst
den eigentlich eindeutigen Wortlaut der Äußerung der
äthiopischen Behörden anderes interpretiert, als der ein-
deutige Wortlaut aussagt“ (Schriftsatz vom 8. Juni 2009,
S. 4 f.)
und
„ob bei der Auslegung des Artikel 19 und Artikel 20 des
äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetzes die deutsche
Behörde und die deutschen Verwaltungsgerichte, soweit
sie fremdes Recht auslegen können und dürfen, dann
aber mit dem entsprechenden Gewicht schriftliche Äuße-
rungen äthiopischer Behörden über die Auslegung des
Gesetzes zu beachten haben und/oder inwieweit sie an-
dernfalls verpflichtet sind, entsprechend einer ordnungs-
gemäßen Auslegung deutschen Rechts ebenfalls die Ge-
setzesmaterialien und die Rechtsprechung des ausländi-
schen Staates über das Staatsangehörigkeitsgesetz mit in
die Entscheidungsfindung mit einzubeziehen“ (Schriftsatz
vom 8. Juni 2009, S. 5).
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betreffen - wie die Kläger selbst hervorheben - ausschließlich die Vorausset-
zungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG, dass der Einzubürgernde seine bis-
herige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert. Insbesondere beziehen sich
diese Fragen nicht auf die das Ergebnis selbständig tragende Begründung
(Buchst. c), die Identität der Kläger stehe nicht mit der für eine Einbürgerung
erforderlichen Gewissheit fest. Im Übrigen beziehen sich die zweite und dritte
Frage im Kern auf die Auslegung und Anwendung ausländischen Rechts und
damit revisionsrechtlich auf Tatsachenfragen (vgl. dazu auch die Zitate nach-
folgend unter 2.2).
2. Hinreichende Erfolgsaussichten ergeben sich auch nicht mit Blick auf die wei-
terhin erhobene Verfahrensrüge, mit der die Kläger eine Verletzung ihres recht-
lichen Gehörs geltend machen.
2.1. Die Rüge, der Verwaltungsgerichtshof habe das rechtliche Gehör auch da-
durch verletzt, dass er sich auf den Standpunkt gestellt habe, „zum einen stehe
der Einbürgerung eine mangelnde Sicherung der Identität entgegen und die
Eltern seien nicht in der Lage, die gesamte Familien zu unterhalten“, genügt
jedenfalls hinsichtlich der Frage „Sicherung der Identität“ nicht den Anforderun-
gen, die nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Darlegung eines Verfahrens-
mangels zu stellen sind. Das Vorbringen, es habe „jeder Beteiligte davon aus-
gehen (können), dass mit Erteilung der Einbürgerungszusicherungen diese Vor-
aussetzungen überprüft sind, nämlich zum einen die Sicherung der Identität“,
macht - ohne eine Verletzung des rechtlichen Gehörs zu bezeichnen - der Sa-
che nach geltend, das Berufungsgericht habe bei der sachlichen Rechtsan-
wendung der Bindungswirkung der erteilten Zusicherung nicht die sachlich-
rechtlich gebotene Bedeutung beigemessen; auf einen Verfahrensfehler weist
dies um so weniger, als das Berufungsgericht auch davon ausgegangen ist,
dass die Zusicherungen erloschen seien (UA S. 17 Abs. 2).
Die auf die Sicherung der Identität bezogene Begründung des Berufungsge-
richts verletzt das rechtliche Gehör der Kläger auch nicht unter dem Gesichts-
punkt der „Überraschungsentscheidung“. Denn als unzulässiges „Überra-
schungsurteil“ stellt sich eine Entscheidung nur dar, wenn das Gericht einen bis
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dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grund-
lage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung
gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht
zu rechnen brauchten (vgl. Urteil vom 10. April 1991 - BVerwG 8 C 106.89 -
Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 235 und Beschluss vom 23. Dezember 1991
- BVerwG 5 B 80.91 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 241; s.a. Beschluss vom
4. August 2008 - BVerwG 1 B 3.08 -). So lag es hier nicht. Denn der Beklagte
hatte auch im Berufungsverfahren ausdrücklich geltend gemacht, dass die Ein-
bürgerung der Kläger daran scheitere, dass ihre Identität nicht nachgewiesen
sei (Schriftsatz vom 18. Dezember 2008, S. 5); die Kläger hatten hierauf auch
erwidert (Schriftsatz vom 26. Februar 2009, S. 3 f.).
2.2. Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, ob die Rüge, das rechtliche Gehör
sei dadurch verletzt, dass den Beweisanträgen zum Inhalt und zur Auslegung
des äthiopischen Staatsangehörigkeitsrechts sowie zur Bedeutung der dort
vorgesehenen „Ausbürgerungsbescheinigung“ nicht nachgegangen worden sei,
bei isolierter Betrachtung hinreichende Aussichten auf Erfolg bietet (zu den An-
forderungen an die Ermittlung von Inhalt und Rechtspraxis bei der Anwendung
ausländischen Rechts im Bereich des Asylverfahrens s. etwa Beschlüsse vom
10. Dezember 2004 - BVerwG 1 B 12.04 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 67,
vom 25. Juni 2004 - BVerwG 1 B 230.03 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 282
und vom 29. Juni 2001 - BVerwG 1 B 131.00 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 63
= NVwZ-RR 2002, 311; s.a. Urteil vom 20. April 2004 - BVerwG 1 C 13.03 -
BVerwGE 120, 298 = Buchholz 402.240 § 87 AuslG Nr. 2). Denn ebenso wie
die auf die Sicherung des Lebensunterhalts bezogenen Ausführungen betrifft
dies nicht die auf die fehlende Sicherung der Identität gestützte Begründung
des Verwaltungsgerichtshofs.
3. Von einer weitergehenden Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO ).
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Prof. Dr. Berlit
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