Urteil des BVerwG vom 02.04.2015

Passives Wahlrecht, Option, Unternehmen, Gemeinschaftsrecht

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 PB 22.14
OVG PB 8 A 189/13
In der Personalvertretungssache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. April 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Fleuß und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Harms
beschlossen:
Die Beschwerde des Beteiligten gegen die Nichtzulassung
der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des Sächsi-
schen Oberverwaltungsgerichts vom 17. Juli 2014 wird
verworfen.
G r ü n d e :
Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung einer
Rechtsfrage gestützte Beschwerde nach § 83 Abs. 2 BPersVG i.V.m. § 92a
Satz 1 ArbGG gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Be-
schluss des Oberverwaltungsgerichts vom 17. Juli 2014 ist unzulässig.
1. Die Beschwerde zeigt nicht in einer den Darlegungsanforderungen gerecht
werdenden Weise auf, dass die Rechtsbeschwerde wegen einer entschei-
dungserheblichen Rechtsfrage mit grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen ist.
Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 83 Abs. 2 BPersVG i.V.m. § 92
Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG kommt einer Rechtsfrage nur zu,
wenn mit ihr eine für die erstrebte Rechtsbeschwerdeentscheidung erhebliche
Frage aufgeworfen wird, die im Interesse der Einheit und Fortbildung des
Rechts der Klärung bedarf. Die Rechtsfrage muss zudem klärungsfähig sein,
was der Fall ist, wenn sie in der Rechtsbeschwerdeinstanz beantwortet werden
kann.
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Nach § 83 Abs. 2 BPersVG i.V.m. § 92a Satz 2 i.V.m. § 72a Abs. 3 Nr. 1 ArbGG
muss die Begründung der auf den Zulassungsgrund des § 72 Abs. 2 Nr. 1
ArbGG gestützten Nichtzulassungsbeschwerde die Darlegung der grundsätzli-
chen Bedeutung einer Rechtsfrage und deren Entscheidungserheblichkeit ent-
halten. Dieses Darlegungserfordernis setzt die Formulierung einer bestimmten,
höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Rechtsbeschwerdeentscheidung
erheblichen Rechtsfrage sowie die Angabe voraus, worin die allgemeine, über
den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss sub-
stantiiert erläutern, dass und inwiefern die Rechtsbeschwerdeentscheidung zur
Klärung einer bisher vom Bundesverwaltungsgericht nicht beantworteten, fall-
übergreifenden und entscheidungserheblichen Rechtsfrage führen kann. Die
Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen
des angefochtenen Beschlusses, auf die sich die aufgeworfene Frage von an-
geblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt. Es
bedarf auch der substantiierten Auseinandersetzung mit den Gründen bereits
ergangener einschlägiger Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts.
Soweit sich die Vorinstanz mit der von der Beschwerde als grundsätzlich ange-
sehenen Frage beschäftigt hat, gehört zu der erforderlichen Durchdringung des
Prozessstoffes die Erörterung sämtlicher Gesichtspunkte, die im Einzelfall für
die erstrebte Zulassung der Rechtsbeschwerde rechtlich Bedeutung haben
können. In der Begründung ist auch substantiiert aufzuzeigen, aus welchen
Gründen der Rechtsauffassung, die der aufgeworfenen Frage von angeblich
grundsätzlicher Bedeutung zugrunde liegt, zu folgen ist (zum Vorstehenden vgl.
BVerwG, Beschluss vom 28. Juli 2014 - 5 PB 1.14 - juris Rn. 4). Diesen Anfor-
derungen genügt die Begründung der Beschwerde nicht.
Die Beschwerde wirft als rechtsgrundsätzlich die Frage auf,
ob "§ 14 Abs. 1 AÜG i.V.m. der Richtlinie 2008/104/EG des Euro-
päischen Parlaments und des Rates auf die Zuweisung von Be-
schäftigten der Bundesagentur für Arbeit zu einer gemeinsamen
Einrichtung Anwendung" findet.
Damit möchte sie sinngemäß geklärt wissen, ob die Richtlinie 2008/104/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leihar-
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beit (ABl. L 327 S. 9) - RL 2008/104/EG - es gebietet, bei der Berechnung des
Schwellenwertes für die Einrichtung der Personalvertretung einer Agentur für
Arbeit auch solche Beschäftigte der Bundesagentur für Arbeit (im Folgenden:
Bundesagentur) zu berücksichtigen, denen Tätigkeiten in einer gemeinsamen
Einrichtung zugewiesen worden sind. Gemäß Art. 7 Abs. 1 RL 2008/104/EG
werden Leiharbeitnehmer unter Bedingungen, die die Mitgliedstaaten festlegen,
im Leiharbeitsunternehmen bei der Berechnung des Schwellenwertes für die
Einrichtung der Arbeitnehmervertretungen berücksichtigt, die nach Gemein-
schaftsrecht und nationalem Recht oder in den Tarifverträgen vorgesehen sind.
Die Mitgliedstaaten können nach Art. 7 Abs. 2 RL 2008/104/EG unter den von
ihnen festgelegten Bedingungen vorsehen, dass Leiharbeitnehmer im entlei-
henden Unternehmen bei der Berechnung des Schwellenwertes für die Einrich-
tung der nach Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht oder in den Tarifver-
trägen vorgesehenen Arbeitnehmervertretungen im gleichen Maße berücksich-
tigt werden wie Arbeitnehmer, die das entleihende Unternehmen für die gleiche
Dauer unmittelbar beschäftigen würde. Die Mitgliedstaaten, die die Option nach
Absatz 2 in Anspruch nehmen, sind gemäß Art. 7 Abs. 3 RL 2008/104/EG nicht
verpflichtet, Absatz 1 umzusetzen.
Ginge man von der nicht zweifelsfreien Annahme der Beschwerde aus, dass
der Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/104/EG auch die Konstellation er-
fasst, dass Beschäftigten der Bundesagentur Tätigkeiten in gemeinsamen Ein-
richtungen zugewiesen werden, so dürften die Vorgaben des Art. 7 Abs. 1
RL 2008/104/EG für den Fall verfehlt werden, dass diese Beschäftigten bei der
Bemessung der Größe der Personalräte der Dienststellen der Bundesagentur
unberücksichtigt bleiben. Eine Verpflichtung, diese Vorgaben umzusetzen, be-
stünde indes gemäß Art. 7 Abs. 3 RL 2008/104/EG nicht, falls die Bundesre-
publik Deutschland von der Option des Art. 7 Abs. 2 RL 2008/104/EG Gebrauch
gemacht hätte. Für diesen Fall bedürfte es einer Hinzurechnung der der ge-
meinsamen Einrichtung zugewiesenen Beschäftigten der Bundesagentur bei
der Bestimmung der nach § 16 BPersVG maßgeblichen Anzahl der Beschäftig-
ten nicht. Das Oberverwaltungsgericht hat diese Frage ausdrücklich offengelas-
sen, ein Gebrauchmachen von der Option des Art. 7 Abs. 2 RL 2008/104/EG
indes als "vom Wortlaut her offensichtlich" bezeichnet. Die Beschwerde war ge-
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halten, sich auch mit dieser Problematik substantiiert auseinanderzusetzen. Sie
erschöpft sich insoweit in der Annahme, soweit Art. 7 Abs. 2 RL 2008/104/EG
den Mitgliedstaaten eine anderweitige, vom Grundsatz abweichende Rege-
lungsbefugnis einräume, habe der nationale Gesetzgeber "im Rahmen der Um-
setzung der [Richtlinie] 2008/104/EG" hiervon "ausdrücklich" keinen Gebrauch
gemacht. Dies genügt den Darlegungsanforderungen nicht.
Die Beschwerde hätte sich substantiiert dazu verhalten müssen, ob das natio-
nale Recht den unionsrechtlichen Anforderungen an ein Gebrauchmachen von
der Option im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie bereits genügte. Dazu
hätte auch deshalb Anlass bestanden, weil in der Rechtsprechung des Bundes-
verwaltungsgerichts geklärt ist, dass nach Maßgabe dieses Rechts (§ 16
Abs. 1, § 13 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1, 3 und 4 BPersVG) Beschäftigte der
Bundesagentur für Arbeit, denen eine Tätigkeit bei einer gemeinsamen Einrich-
tung zugewiesen ist, bei der Bemessung der Größe des Personalrats der Agen-
tur für Arbeit nicht berücksichtigt werden (BVerwG, Beschluss vom 11. Oktober
2013 - 6 PB 27.13 - Buchholz 250 § 88 BPersVG Nr. 1 Rn. 8-15). Mit dieser ge-
setzgeberischen Konzeption setzt sich die Beschwerde mit Blick auf Art. 7
Abs. 2 RL 2008/104/EG nicht auseinander.
Es fehlt auch eine substantiierte Auseinandersetzung mit der Frage, ob der na-
tionale Gesetzgeber nach Inkrafttreten dieser Richtlinie von der Option des
Art. 7 Abs. 2 RL 2008/104/EG Gebrauch gemacht hat. Insoweit könnte sich ein
Hinweis aus § 44h Abs. 2 des Sozialgesetzbuches Zweites Buch - Grundsiche-
rung für Arbeitssuchende - in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Mai
2011 (BGBl. I S. 850) - SGB II 2011 - ergeben. Danach besitzen die Beamtin-
nen und Beamten sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der gemein-
samen Einrichtung für den Zeitraum, für den ihnen Tätigkeiten in der gemein-
samen Einrichtung zugewiesen worden sind, ein aktives und passives Wahl-
recht zu der Personalvertretung der gemeinsamen Einrichtung. § 44h Abs. 2
SGB II 2011 nimmt insoweit eine spezielle personalvertretungsrechtliche Zu-
ordnung des von den Leistungsträgern gestellten Personals zu den gemeinsa-
men Einrichtungen im Sinne des § 44b Abs. 1 SGB II 2011 vor (BVerwG, Be-
schluss vom 11. Oktober 2013 - 6 PB 27.13 - Buchholz 250 § 88 BPersVG Nr. 1
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Rn. 15 und 19). Mithin werden diese Personen bei der Berechnung des Schwel-
lenwertes für die Personalvertretung der gemeinsamen Einrichtung berücksich-
tigt. Auch dies könnte darauf hinweisen, dass der Gesetzgeber von der Option
des Art. 7 Abs. 2 RL 2008/104/EG Gebrauch gemacht und eine (zusätzliche)
Berücksichtigung des in Rede stehenden Personenkreises bei der Bemessung
der Größe des Personalrats bei der Agentur für Arbeit ausgeschlossen hat.
Dem setzt die Beschwerdebegründung allein entgegen, dass die Regelungen
der §§ 44g ff. SGB II 2011 keinerlei Bezug zu einer anderweitigen nationalen
Umsetzungsmöglichkeit im Sinne des Art. 7 Abs. 2 RL 2008/104/EG hätten und
sich etwas anderes auch nicht den Gesetzesmaterialien und dem Gesetzge-
bungsverfahren entnehmen lasse. Maßgeblich ist indes nicht, ob der Gesetzge-
ber bei der Schaffung des § 44h Abs. 2 SGB II 2011 ausdrücklich auf die Richt-
linie Bezug genommen hat, sondern ob die Regelung den Anforderungen des
Art. 7 Abs. 2 RL 2008/104/EG genügt.
2. Von einer weiteren Begründung wird nach § 83 Abs. 2 BPersVG i.V.m. § 92a
Satz 2 i.V.m. § 72a Abs. 5 Satz 5 Alt. 1 ArbGG abgesehen.
Vormeier
Dr. Fleuß
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