Urteil des BVerwG vom 20.10.2005

Allein Erziehender Vater, Stand der Technik, Aufenthalt im Ausland, Kommunikation

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 5 C 8.05
Verkündet
VGH 13 S 2549/03
am 20. Oktober 2005
Hänig
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 20. Oktober 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht S c h m i d t , Dr. R o t h k e g e l ,
Dr. F r a n k e und Prof. Dr. B e r l i t
für Recht erkannt:
Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg
vom 12. Januar 2005 wird aufgehoben, soweit der Berufung der
Beklagten stattgegeben worden ist. Die Berufung der Beklagten
gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 22. Juli
2003 wird auch insoweit zurückgewiesen.
Die Anschlussrevision der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisi-
onsverfahrens.
G r ü n d e :
I.
Der Kläger begehrt eine Zusicherung zur Einbürgerung. Im Streit stehen
die Anforderungen, die an "ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache" i.S.d.
§ 11 Satz 1 Nr. 1 StAG zu stellen sind.
Der am 1. Mai 1963 in der Türkei geborene Kläger ist türkischer Staats-
angehöriger und Vater einer im Jahre 1992 in der Bundesrepublik Deutschland ge-
borenen Tochter, für die ihm nach der Ehescheidung die elterliche Sorge übertragen
worden war. Der Kläger lebt seit 1978 in S. Seit dem Jahre 1986 ist er im Besitz einer
Aufenthaltsberechtigung. Der Kläger ist im Bundesgebiet seit längerem als selb-
ständiger Gastwirt und Hotelbesitzer tätig. Der Kläger beantragte am 23. November
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1999 für sich und seine Tochter die Einbürgerung. Am 23. November 2000 überprüf-
te die Beklagte die Deutschkenntnisse des Klägers und befand sie als nicht ausrei-
chend. Bei einer Sprachprüfung vor der Volkshochschule am 27. April 2001 erreichte
der Kläger nach dem dort zugrunde gelegten Berechnungsmodell ein Ergebnis von
55 v.H. Bei einer weiteren Sprachprüfung am 21. September 2001 erzielte der Kläger
70 Punkte, wobei 71 Punkte ausreichend gewesen wären; der Testteil "Schriftlicher
Ausdruck" wurde mit 0 Punkten bewertet. Das Angebot zur Teilnahme an einer
weiteren Sprachprüfung nahm der Kläger mit der Begründung nicht wahr, er habe
durch die praktische Anwendung seine ausreichenden Deutschkenntnisse hinrei-
chend dadurch nachgewiesen, dass er seit langem in Deutschland lebe, erfolgreich
sein Geschäft betreibe und als allein erziehender Vater seine schulpflichtige Tochter
begleite; auch helfe er oft Landsleuten, die bereits eingebürgert worden seien, und
übernehme für diese die Dolmetscherrolle.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 15. Mai 2002 die Einbürgerung
des Klägers mit der Begründung ab, dass er nicht über ausreichende Kenntnisse der
deutschen Sprache verfüge. Auf die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren (Wi-
derspruchsbescheid vom 28. November 2002) erhobene Klage hat das Verwal-
tungsgericht die Beklagte verpflichtet, dem Kläger eine Einbürgerungszusicherung zu
erteilen. Auf die Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof das Urteil
des Verwaltungsgerichts geändert und die Beklagte unter Aufhebung entgegenste-
hender Bescheide verpflichtet, über den Einbürgerungsantrag des Klägers unter Be-
achtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden; die weitergehende
Klage auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung wurde abgewiesen. Zur Be-
gründung hat der Verwaltungsgerichtshof im Wesentlichen ausgeführt:
Der Kläger erfülle zwar mit Ausnahme der Aufgabe der bisherigen
Staatsangehörigkeit alle die Voraussetzungen, die in dem hier anzuwendenden § 10
Abs. 1 StAG für den Anspruch auf Einbürgerung geregelt seien. Dem grundsätzlich
gegebenen Einbürgerungsanspruch des Klägers stehe als Ausschlussgrund entge-
gen, dass er nicht i.S.d. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG über "ausreichende Kenntnisse der
deutschen Sprache" verfüge. Ob dieser Ausschlussgrund vorliege, habe das Gericht
nach der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung geltenden Sach- und Rechtslage in
eigener Verantwortung zu entscheiden; der Einbürgerungsbehörde stehe kein Beur-
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teilungsspielraum zu. Für die Anforderungen, die an die "ausreichenden Kenntnisse
der deutschen Sprache" zu stellen seien, sei jedenfalls seit In-Kraft-Treten des Zu-
wanderungsgesetzes zum 1. Januar 2005 davon auszugehen, dass eine Einbürge-
rung nicht nur (ausreichende) mündliche, sondern auch im schriftlichen Bereich aus-
reichende Kenntnisse der deutschen Sprache voraussetze und dies auch ein Min-
destmaß an Schreibfähigkeit erfordere. Es könne offen bleiben, inwieweit bereits auf
der Grundlage der bis zum 31. Dezember 2004 gültigen Rechtslage schriftliche deut-
sche Sprachkenntnisse zu fordern gewesen seien. Die zum 1. Januar 2005 in Kraft
getretenen und anzuwendenden Zuwanderungsvorschriften hätten zur vorher noch
strittigen Frage mündlicher oder (auch) schriftlicher sprachlicher Fähigkeiten von
Einbürgerungsbewerbern neue Akzente gesetzt. Es seien die bis dahin geltenden
ausländerrechtlichen Regelungen zur (erleichterten) Einbürgerung unmittelbar in das
Staatsangehörigkeitsgesetz übernommen worden und zugleich neue ausländerrecht-
liche Vorschriften in Kraft getreten, die dazu dienen sollten, die Integration von
rechtmäßig auf Dauer im Bundesgebiet lebenden Ausländern in das wirtschaftliche,
kulturelle und gesellschaftliche Leben in Deutschland künftig verstärkt zu fördern und
zu stützen. Insbesondere seien Integrationskurse vorgesehen, welche die Ausländer
(u.a.) an die Sprache in Deutschland heranführen sollten (§ 43 AufenthG). Nach der
in Ausfüllung der hinreichend bestimmten Ermächtigungsgrundlage erlassenen In-
tegrationskursverordnung sei das Kursziel, ausreichende Kenntnisse der deutschen
Sprache i.S.v. § 43 Abs. 3 AufenthG und § 9 Abs. 1 Satz 1 Bundesvertriebenenge-
setz zu vermitteln, erreicht, "wenn sich ein Kursteilnehmer im täglichen Leben in sei-
ner Umgebung selbständig sprachlich zurechtfindet und entsprechend seinem Alter
und Bildungsstand ein Gespräch führen und sich schriftlich ausdrücken kann". Un-
geachtet dessen, dass die Regelung der Integrationskursverordnung nicht die Ein-
bürgerung betreffe, sondern im systematischen Zusammenhang zum Aufenthalts-
recht stehe, spreche alles dafür, jedenfalls nach In-Kraft-Treten der neuen zuwande-
rungsrechtlichen Regelungen bei Einbürgerungsbewerbern im Zusammenhang mit
der Prüfung der von ihnen zu verlangenden deutschen Sprachkenntnisse nicht unter
dem Niveau zu bleiben, das die Integrationskursverordnung für sonstige Ausländer-
gruppen vorsehe. Bei der Überprüfung der konkreten Sprachkenntnisse des Klägers
habe sich zwar zur Überzeugung des Senats ergeben, dass der Kläger im mündli-
chen Bereich zu ausreichender Kommunikation in deutscher Sprache fähig sei. In
Bezug auf seine Schreibfähigkeit habe sich jedoch ergeben, dass der Kläger zwar
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einfache Informationen wie seine Anschrift und seine Telefonnummer relativ fehlerfrei
und verständlich schriftlich wiedergeben könne, er aber nicht (ohne fremde Hilfe)
ausreichend in der Lage sei, auch einfache Sachverhalte in eigenen Worten schrift-
lich wiederzugeben bzw. auf schriftlich gestellte Fragen im erforderlichen Umfang
verständlich schriftlich zu antworten.
Dem Kläger stehe allerdings ein Anspruch auf fehlerfreie Ermes-
sensausübung zu. Denn es seien die Voraussetzungen einer sog. Ermessensein-
bürgerung nach § 8 StAG (n.F.) gegeben, und es fehle bisher an einer nach dieser
Vorschrift erforderlichen (fehlerfreien) Ermessensausübung. Der Kläger erfülle tat-
bestandlich die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 StAG (n.F.). Soweit die Beklagte
und der ergangene Widerspruchsbescheid insoweit unter Bezugnahme auf die hierzu
ergangenen Verwaltungsvorschriften geltend machten, die Sprachkenntnisse des
Klägers reichten auch für eine Ermessenseinbürgerung nicht aus, werde dies der
Problematik des zu entscheidenden Einzelfalles nicht gerecht, sodass die Beklagte
zu einer erneuten Sachentscheidung zu verpflichten sei.
Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch auf Erteilung
einer Einbürgerungszusicherung weiter und macht der Sache nach eine Verletzung
des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG geltend. Gegenüber der von der Beklagten eingelegten
Anschlussrevision verteidigt der Kläger das angefochtene Berufungsurteil.
Die Beklagte verteidigt in Bezug auf die Revision des Klägers das ange-
fochtene Berufungsurteil. Mit ihrer Anschlussrevision richtet sie sich gegen die Ver-
pflichtung zur Neubescheidung des Klägers in Bezug auf eine Ermessenseinbürge-
rung nach § 8 StAG und rügt eine Verletzung des § 8 StAG.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht
verteidigt das angefochtene Urteil.
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II.
Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Das Berufungsurteil
verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO), soweit es aufgrund zu hoher Anforde-
rungen dem Kläger ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache abgesprochen
und deswegen der Berufung der Beklagten stattgeben hat. Dem Kläger steht der
geltend gemachte Anspruch auf Erteilung einer Zusicherung zu, im Falle der Aufgabe
seiner bisherigen Staatsangehörigkeit eingebürgert zu werden (§ 10 Abs. 1 StAG).
Der Anspruch ist nicht nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ausgeschlossen. Denn der
Kläger verfügt über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache.
1. Der von dem Kläger geltend gemachte Anspruch auf Zusicherung
der Einbürgerung ist nach den §§ 10, 11 StAG in der ab dem 1. Januar 2005 gelten-
den Fassung des Art. 5 des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl I
S. 1950) zu beurteilen. Wird mit der Verpflichtungsklage der Erlass eines Verwal-
tungsakts begehrt, darf die Behörde zu dessen Erlass nur verpflichtet werden, wenn
sie dazu nach der geltenden Rechtslage verpflichtet bzw. befugt ist; ändern sich die
maßgeblichen Rechtsvorschriften, ist die neue Rechtslage vorbehaltlich abweichen-
der Übergangsregelungen auch dann zu berücksichtigen, wenn sie dem Kläger
nachteilig ist (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1996 - BVerwG 1 B 82.95 - In-
fAuslR 1996, 399 m.w.N.; zur Einbürgerung s.a. BayVGH, Urteil vom 17. Februar
2005 - 5 BV 04.1225 - NVwZ-RR 2005, 856; Urteil vom 14. April 2005 - 5 BV
03.3089 -). Die im Zeitpunkt der Antragstellung und der Entscheidung des Verwal-
tungsgerichts für die Beurteilung des streitgegenständlichen Einbürgerungsan-
spruchs maßgeblichen Regelungen der §§ 85 ff. AuslG sind zum 1. Januar 2005 in
dem hier entscheidungserheblichen Kern dem Wortlaut nach unverändert in das
Staatsangehörigkeitsgesetz eingegliedert worden (§§ 10 ff. StAG) und der Beurtei-
lung des Begehrens des Klägers zu Grunde zu legen. Eine entgegenstehende Über-
gangsvorschrift, welche insoweit die Fortgeltung des bisherigen Rechts für anhängi-
ge Einbürgerungsanträge anordnete, enthält das Zuwanderungsgesetz nicht; da der
Kläger seine Einbürgerung erst am 23. November 1999 beantragt hatte, unterfällt er
auch nicht der Übergangsregelung des § 40c StAG (s. Art. 5 Nr. 18 Zuwanderungs-
gesetz). § 104 Abs. 2 AufenthG ist eine Übergangsregelung allein zu § 9 Abs. 2 Auf-
enthG und auf § 11 StAG weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden.
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Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, die zwischen den Be-
teiligten auch nicht im Streit stehen, erfüllt der Kläger mit Ausnahme der Aufgabe der
bisherigen Staatsangehörigkeit (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG) alle Tatbestandsvor-
aussetzungen für einen Anspruch auf Einbürgerung, die in § 10 Abs. 1 StAG genannt
sind, und liegen Anhaltspunkte für sicherheitsrelevante Aktivitäten i.S.d. § 11 Satz 1
Nr. 2 oder 3 StAG bei dem Kläger nicht vor.
2. Zwischen den Beteiligten steht allein im Streit, ob dem Anspruch des
Klägers auf Zusicherung der Einbürgerung der Anspruchsausschlussgrund des § 11
Satz 1 Nr. 1 StAG entgegensteht, da er "nicht über ausreichende Kenntnisse der
deutschen Sprache verfügt". Dies ist nicht der Fall.
2.1 Mit der Voraussetzung "ausreichender Kenntnisse der deutschen
Sprache" bezeichnet § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG das für die Anspruchseinbürgerung er-
forderliche Sprachniveau durch einen auslegungsbedürftigen und auslegungsfähigen
unbestimmten Rechtsbegriff. Für die Auslegung dieses Ausschlussgrundes kommt
es entscheidend auf eine Abgrenzung der "ausreichenden Kenntnisse der deutschen
Sprache" gegenüber einem geringeren Sprachniveau an. Der vorliegende Fall gibt
dabei keinen Anlass zu näheren Ausführungen zur Frage, welche Anforderungen an
die Kenntnisse der deutschen Sprache hinsichtlich der Fähigkeit zu mündlicher
Kommunikation zu stellen sind; zu beurteilen ist allein, ob bzw. in welchem Umfang
"ausreichende Sprachkenntnisse" auch Kenntnisse der deutschen Schriftsprache,
mithin die Fähigkeit voraussetzen, einen Text in deutscher Sprache zu lesen und zu
schreiben.
Der Wortlaut erlaubt allerdings noch keinen sicheren Aufschluss, ob die
für die Einbürgerung nach § 10 StAG zu verlangenden Sprachkenntnisse auch
Kenntnisse und Fähigkeiten der deutschen Schriftsprache umfassen. Der Begriff der
Sprache als Mittel der Kommunikation kann gegebenenfalls lediglich die gesproche-
ne bzw. gehörte Sprache und nicht auch die Schriftsprache bezeichnen; dass das
Staatsangehörigkeitsgesetz - anders als z.B. § 6 Abs. 2 des Bundesvertriebenenge-
setzes für die Spätaussiedlereigenschaft - nicht die Fähigkeit zu einem einfachen
Gespräch auf Deutsch genügen lässt, weist allerdings darauf, dass der Gesetzgeber
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neben mündlichen grundsätzlich auch gewisse schriftliche Kenntnisse der deutschen
Sprache als erforderlich sieht. Auch die Entstehungsgeschichte erlaubt keinen klaren
Rückschluss. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG übernimmt insoweit wortgleich § 86 Nr. 1 AuslG
in der Fassung, die diese Regelung zum 1. Januar 2000 durch Art. 2 Nr. 1 des Ge-
setzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts (vom 15. Juli 1999, BGBl I
S. 1618) erhalten hatte. Bereits zu § 86 Nr. 1 AuslG war umstritten, ob bzw. in wel-
chem Umfang "ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache" auch Kenntnisse
der deutschen Schriftsprache umfassten (s. etwa VG Stuttgart, Urteil vom 9. Oktober
2002 - 7 K 2494/01 - InfAuslR 2003, 164; HessVGH, Urteil vom 19. August 2002 - 12
UE 1473/02 - NVwZ 2003, 762, aufgehoben durch BVerwG, Urteil vom 20. April 2004
- BVerwG 1 C 16.03 - BVerwGE 120, 305; s.a. GK-StAR, § 11 StAG Rn. 23 ff.;
Hailbronner/ Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 4. Aufl., § 11 StAG Rn. 3, 5, § 8
StAG Rn. 54a ff.; Renner, ZAR 2002, 339; Meireis, StAZ 2003, 1; Göbel-
Zimmermann, ZAR 2003, 65 <72 f.>). Die Begründung der Bundesregierung zu dem
Entwurf eines Zuwanderungsgesetzes, durch dessen Art. 5 Nr. 8 die Vorschriften des
Siebten Abschnitts des bisherigen Ausländergesetzes über einen Einbürge-
rungsanspruch für Ausländer mit längerem Aufenthalt im Bundesgebiet in das
Staatsangehörigkeitsgesetz eingegliedert wurden, verhält sich nicht zur Frage der
nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG zu stellenden Sprachanforderungen (BTDrucks 15/420
S. 116) und weist für § 11 StAG lediglich redaktionelle Änderungen aus; die weiteren
Änderungen des § 11 StAG im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens haben nicht die
in Nr. 1 übernommene Regelung betroffen.
Eine an Sinn und Zweck des Ausschlussgrundes orientierte Auslegung
ergibt, dass nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG gewisse Kenntnisse der deutschen Schrift-
sprache erforderlich sind. Die Regelung ist bezogen auf den in § 10 StAG geregelten
Einbürgerungsanspruch und soll sicherstellen, dass Personen, die sich auf diesen
Einbürgerungsanspruch berufen, auch sprachlich hinreichend in die Lebensverhält-
nisse im Bundesgebiet allgemein und in ihre Lebens-, Berufs- und Wohnumgebung
integriert sind. Ausreichende Möglichkeiten sprachlich vermittelter Kommunikation
auf der Grundlage der deutschen Sprache sind typischerweise Voraussetzung für die
Integration in die grundlegenden Bereiche der Bildung, der Beschäftigung und der
Teilhabe am politischen Leben und damit für die soziale, politische und gesellschaft-
liche Integration; ohne die Fähigkeit, hiesige Medien zu verstehen und mit der deut-
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schen Bevölkerung zu kommunizieren, ist eine Integration wie auch die Beteiligung
am politischen Willensbildungsprozess nicht möglich (s. BTDrucks 14/533 S. 18).
Wegen der Bedeutung, welche im Arbeits- und Berufsleben, aber auch bei der
Kommunikation mit der gesellschaftlichen Umwelt einschließlich der Kontakte mit
Behörden und Institutionen der schriftlichen Kommunikation zukommt, erfordert dies
auch gewisse Grundkenntnisse der deutschen Schriftsprache. Keine andere Beurtei-
lung rechtfertigt der Umstand, dass in der Bundesrepublik Deutschland als deutsche
Staatsangehörige geborene und aufgewachsene Personen leben, arbeiten und am
gesellschaftlichen sowie sozialen Leben teilnehmen, die des Lesens oder Schreibens
nicht (hinreichend) kundig sind; nach den Angaben des Bundesverbands Al-
phabetisierung e.V. können über vier Millionen Menschen in Deutschland nicht richtig
lesen und schreiben. Ungeachtet der Personen, die (absolute und funktionale) Anal-
phabeten sind, ist eine hinreichende Schriftsprachenbeherrschung jedoch gleichwohl
der gesellschaftliche Regelfall und bildet Analphabetismus ein Integrationshindernis;
der Gesetzgeber, dem für die Ausgestaltung der Einbürgerungsanspruchsvorausset-
zungen ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen ist, kann für die typisierende Festle-
gung der an einen Einbürgerungsbewerber zu stellenden Sprachanforderungen die-
sen gesellschaftlichen Regelfall zu Grunde legen. Die nach dem Integrationszweck
zu fordernden Kenntnisse der deutschen Schriftsprache müssen den Einbürge-
rungsbewerber in die Lage versetzen, im familiär-persönlichen, beruflichen und ge-
sellschaftlichen Umfeld sowie im Umgang mit Behörden und Ämtern in deutscher
Sprache schriftlich zu verkehren. Dies setzt - jedenfalls bei geschäftsfähigen Einbür-
gerungsbewerbern - die Fähigkeit voraus, selbständig in deutscher Sprache verfass-
te Schreiben, Formulare und sonstige Schriftstücke zu lesen und - nach Maßgabe
von Alter und Bildungsstand - den sachlichen Gehalt zumindest von Texten einfa-
cheren Inhalts aufgrund der Lektüre auch so zu erfassen, dass hierauf zielgerichtet
und verständig reagiert werden kann. Hinsichtlich der Fähigkeit, sich in deutscher
Schriftsprache auszudrücken, kann nicht verlangt werden, dass der Einbürgerungs-
bewerber einen Diktattext in deutscher Sprache selbst und eigenhändig im Wesentli-
chen fehlerfrei schreiben kann. Allerdings muss es dem Einbürgerungsbewerber
möglich sein, sich eigenverantwortlich und eigenverantwortet im familiär-
persönlichen, beruflichen und geschäftlichen Umfeld sowie im Umgang mit Behörden
und Ämtern aktiv schriftlich in deutscher Sprache zu verständigen. Bei schriftlicher
Kommunikation, bei der nach dem heutigen Stand der Technik zumindest im beruf-
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lich-geschäftlichen Umfeld sowie im Umgang mit Behörden und Ämtern für die Tex-
terstellung Hilfsmittel (Computer; Schreibmaschine; Diktiergerät) genutzt werden, ist
es regelmäßig weder erkennbar noch entscheidend, ob ein Text eigenhändig ge-
schrieben ist; entscheidend ist die durch die Schriftform sichergestellte Authentifizie-
rung und Identifikationsfunktion, die durch eine Unterschrift bzw. eine elektronische
Signatur gewährleistet wird, sowie der hierdurch dokumentierte Umstand, dass sich
der Unterzeichnende den Inhalt des Textes zu Eigen macht. Hierfür muss der Ein-
bürgerungsbewerber sich nicht selbst schriftlich ausdrücken können, wenn und so-
lange er in eigener Verantwortung eine schriftliche Kommunikation sicherzustellen
vermag, ohne diese vollständig und ohne eigene Kontrollmöglichkeit auf Dritte zu
übertragen. Kann der Einbürgerungsbewerber nicht selbst ausreichend deutsch
schreiben, ist es erforderlich, aber auch ausreichend, wenn er deutschsprachige
Texte des täglichen Lebens lesen und diktieren sowie das von Dritten oder mit tech-
nischen Hilfsmitteln (z.B. unter Nutzung elektronisch verfügbarer Mustertexte oder
von Spracherkennungsprogrammen) Geschriebene auf seine Richtigkeit überprüfen
kann und somit die schriftliche Äußerung als seine "trägt".
Weitergehende Anforderungen an das staatsangehörigkeitsrechtlich
durch § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG für die Anspruchseinbürgerung vorausgesetzte
Sprachniveau folgen nicht aus dem Umstand, dass der Rechtsbegriff "ausreichende
Kenntnisse der deutschen Sprache" bereits in § 24 Abs. 1 Nr. 4, § 27 Abs. 2 Nr. 5
i.V.m. § 24 Abs. 1 Nr. 4 AuslG genutzt worden war, dass seit dem In-Kraft-Treten des
Aufenthaltsgesetzes zum 1. Januar 2005 "ausreichende Kenntnisse der deutschen
Sprache" u.a. Voraussetzung für die Erteilung der Niederlassungserlaubnis (§ 9
Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AufenthG), das eigenständige, unbefristete Aufenthaltsrecht noch
minderjähriger Kinder (§ 35 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AufenthG) und die Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis für einen ehemaligen Deutschen, der seinen gewöhnlichen
Aufenthalt im Ausland hat (§ 38 Abs. 2 AufenthG) sind oder daraus, dass der nach
§ 43 AufenthG zu schaffende Integrationskurs zur Heranführung u.a. an die Sprache
in Deutschland auch einen Basis- und einen Aufbausprachkurs "zur Erlangung
ausreichender Sprachkenntnisse" umfasst (§ 43 Abs. 3 Satz 1 AufenthG), wobei der
Anspruch auf Teilnahme an einem Integrationskurs nicht besteht, wenn der
Ausländer bereits über "ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache" verfügt
(§ 44 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG), und gemäß § 3 Abs. 2 der Verordnung über die Durch-
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führung von Integrationskursen für Ausländer und Spätaussiedler (Integrationskurs-
verordnung - IntV) (vom 13. Dezember 2004) das Kursziel, ausreichende Kenntnisse
der deutschen Sprache nach § 43 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes und § 9 Abs. 1
Satz 1 des Bundesvertriebenengesetzes zu erwerben, erreicht ist, wenn sich ein
Kursteilnehmer im täglichen Leben in seiner Umgebung selbständig sprachlich zu-
rechtfinden und entsprechend seinem Alter und Bildungsstand ein Gespräch führen
und sich schriftlich ausdrücken kann, wobei § 17 Abs. 1 IntV für den am Ende des
Integrationskurses durchzuführenden Abschlusstest zum Nachweis der Kenntnisse
nach § 3 Abs. 2 IntV auf die Sprachprüfung zum Zertifikat Deutsch (B 1) verweist.
Der Senat kann offen lassen, ob der Begriff der "ausreichenden Kenntnisse der
deutschen Sprache" in § 11 StAG denselben Bedeutungsinhalt hat wie im Aufent-
haltsrecht im Allgemeinen oder in der Regelung zur Niederlassungserlaubnis (§ 9
Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AufenthG) im Besonderen oder er etwa wegen des unterschiedli-
chen Regelungskontextes einschließlich der Regelungen zur Frage, unter welchen
Voraussetzungen es "ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache" über-
gangsweise (§ 104 Abs. 2 AufenthG) oder dauerhaft (§ 9 Abs. 2 Satz 3 bis 5 Auf-
enthG) nicht bedarf oder von ihnen abgesehen werden kann, sowie des Umstandes,
dass nach § 10 StAG der erfolgreiche Abschluss eines Integrationskurses lediglich
die erforderliche Inlandsaufenthaltsdauer verkürzt, nicht aber Einbürgerungsan-
spruchsvoraussetzung ist, staatsangehörigkeitsrechtlich eigenständig auszulegen ist.
Der Senat hat auch nicht zu entscheiden, ob im Aufenthaltsrecht der unbestimmte
Gesetzesbegriff der "ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache" durchweg
durch § 3 Abs. 2 IntV auszufüllen ist, ob diese Bestimmung in der von dem Beru-
fungsgericht gefundenen Auslegung die Grenzen der dem Verordnungsgeber erteil-
ten Ermächtigung wahrt oder ob sie - ggf. i.V.m. der in § 17 IntV in Bezug genom-
menen "Sprachprüfung zum Zertifikat Deutsch (B 1)" - dahin auszulegen ist, dass die
Fähigkeit vorausgesetzt wird, sich eigenhändig schriftlich auszudrücken. Denn die
Fähigkeit, sich schriftlich auszudrücken (§ 3 Abs. 2 IntV), und der gemäß § 17 Abs. 1
Satz 2 Nr. 1 IntV durch die Sprachprüfung zum Zertifikat Deutsch (B 1) geführte
Nachweis der Kenntnisse nach § 3 Abs. 2 IntV bezeichnen, unter welchen Voraus-
setzungen ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache (positiv) vorliegen und
hinreichend nachgewiesen sind. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsge-
richts legen diese Regelungen nicht fest, dass die Fähigkeit, sich eigenhändig schrift-
lich auszudrücken, oder gar damit die Fähigkeit, einen fremden Text nach Diktat zu
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schreiben oder fremde Gedanken schriftlich in deutscher Sprache wiederzugeben,
nicht nur hinreichende, sondern notwendige Voraussetzung ausreichender Kenntnis-
se der deutschen Sprache bildeten. Für die Festlegung eines zu beachtenden Min-
destniveaus fehlen hinreichende Anhaltspunkte.
2.2 Nach diesen Grundsätzen steht § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG dem Be-
gehren des Klägers auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung nicht entgegen.
Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts tragen die Bewertung, dass
der Kläger seinem mündlichen Ausdrucksvermögen und seinen sonstigen Fähigkei-
ten nach jedenfalls in der Lage ist, Dritten eigene Gedanken in deutscher Sprache zu
diktieren, und dass er des Lesens auch hinreichend kundig ist, um das so Geschrie-
bene auf seine Richtigkeit zu prüfen und sich als eigene schriftliche Äußerung zu
Eigen zu machen. Die von dem Berufungsgericht bezeichneten gewissen Einschrän-
kungen in Bezug auf die im Übrigen anzunehmende Fähigkeit des Klägers, einen
deutschsprachigen Text des alltäglichen Lebens zu lesen, zu verstehen und die we-
sentlichen Inhalte mündlich wiederzugeben, erreichen nicht das Gewicht, dass es
diesbezüglich weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf.
3. Die Anschlussrevision der Beklagten, die sich gegen ihre Verpflich-
tung richtet, über den Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Einbürgerungszusi-
cherung nach § 8 StAG neu zu entscheiden, kann nach Vorstehendem keinen Erfolg
haben, weil der Kläger der Sache nach bereits mit seinem weitergehenden Begehren
durchdringt, die Beklagte nach § 10 StAG zur Erteilung der Einbürgerungszusiche-
rung zu verpflichten. Für den einheitlich auf (Zusicherung der) Einbürgerung gerich-
teten Anspruch eines Einbürgerungsbewerbers ist es grundsätzlich unerheblich, ob
er auf die Anspruchsnorm des § 10 StAG gestützt wird oder die Einbürgerung nach
§ 8 StAG im Ermessen der zuständigen Behörde steht; eine auf § 8 StAG gestützte
Einbürgerung(szusicherung) ist insbesondere kein aliud zu einer Einbürge-
rung(szusicherung) nach § 10 StAG. Kehrseite des Grundsatzes, dass ein Einbürge-
rungs(zusicherungs)begehren grundsätzlich hinsichtlich aller in Betracht kommender
Einbürgerungsgrundlagen zu prüfen ist (s.a. BVerwG, Urteil vom 17. März 2004
- BVerwG 1 C 5.03 - NVwZ 2004, 997; Urteil vom 20. April 2004 - BVerwG 1 C
16.03 - BVerwGE 120, 305), ist, dass bei einer weitergehenden Verpflichtung zur
Erteilung der Einbürgerung(szusicherung) für eine selbständige Überprüfung, ob
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aufgrund einer anderen Norm ein Anspruch lediglich auf Neubescheidung besteht,
oder gar für eine Aufhebung eines entsprechenden Entscheidungsausspruchs kein
Raum ist.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Dr. Säcker Schmidt Dr. Rothkegel
Dr. Franke Prof. Dr. Berlit
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 10 000 € fest-
gesetzt.
Dr. Säcker Dr. Franke Prof. Dr. Berlit
Sachgebiet:
BVerwGE:
ja
Staatsangehörigkeitsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
StAG
§§ 10, 11
AuslG (F. 1999)
§§ 85, 86
Stichworte:
Deutschkenntnisse, ausreichende; Einbürgerung, Zusicherung auf -; Schriftsprache,
Kenntnisse; Sprache, ausreichende Kenntnisse der deutschen -; Zusicherung der
Einbürgerung.
Leitsätze:
1. Für eine Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG "ausreichende Kenntnisse der
deutschen Sprache" i.S.d. § 11 StAG erfordern neben mündlichen grundsätzlich
auch gewisse schriftliche Kenntnisse der deutschen Sprache.
2. Der Einbürgerungsbewerber muss sich nicht eigenhändig schriftlich ausdrücken
können.
3. Ein Einbürgerungsbewerber, der selbst nicht deutsch schreiben kann, muss
deutschsprachige Texte des täglichen Lebens lesen und diktieren sowie das von
Dritten mit technischen Hilfsmitteln Geschriebene auf seine Richtigkeit überprüfen
und so die schriftliche Äußerung als seine "tragen" können.
Urteil des 5. Senats vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 5 C 8.05
I. VG Stuttgart vom 22.07.2003 - Az.: VG 7 K 10/03 -
II. VGH Mannheim vom 12.01.2005 - Az.: VGH 13 S 2549/03 -