Urteil des BVerwG vom 22.04.2004

Arbeitslosenhilfe, Richterliche Rechtsfortbildung, Anrechenbares Einkommen, Einkünfte

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 5 C 68.03 (5 PKH 3.04)
Verkündet
OVG 12 A 75/02
am 22. April 2004
Schmidt
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 22. April 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht S c h m i d t , Dr. R o t h k e g e l ,
Dr. F r a n k e und Prof. Dr. B e r l i t
für Recht erkannt:
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Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Oberverwal-
tungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 26. Sep-
tember 2003 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
G r ü n d e :
I.
Der Kläger begehrt weitere Hilfe zum Lebensunterhalt für den Monat Mai 1999 ohne
Anrechnung ihm Ende April 1999 ausgezahlter Arbeitslosenhilfe als Einkommen.
Der Kläger erhielt zu Beginn des Jahres 1999 neben der laufenden Arbeitslosenhilfe
durch den Beklagten ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt. Die wöchentlich unter
Angabe eines Tagessatzes bewilligte Arbeitslosenhilfe wurde jeweils monatlich zum
Monatsende ausgezahlt. Für die Zeit ab Januar 1999 belief sich die Hilfe zum Le-
bensunterhalt nach dem Bescheid vom 3. März 1999 auf monatlich 308,75 DM (Re-
gelsatz eines Haushaltsvorstands in Höhe von 540 DM zzgl. Unterkunftskosten von
747 DM abzgl. 978,25 DM Arbeitslosenhilfe). Ein entsprechender Betrag wurde auch
für Mai 1999 durch Bescheid vom 27. April 1999 zuerkannt. Die Arbeitslosenhilfe für
April 1999 wurde dem Konto des Klägers am 29. April 1999 gutgeschrieben. Nach-
dem das Arbeitsamt für die Zeit vom 11. Mai bis 2. August 1999 eine Sperrzeit ver-
hängt hatte, verfügte der Beklagte mit Bescheid vom 18. Mai 1999 nach § 25 Abs. 2
Nr. 3 BSHG eine Kürzung der Regelsatzleistungen für diesen Zeitraum um 25 v.H.
und berechnete mit Bescheid vom 25. Mai 1999 die ergänzenden Leistungen für die
Zeit ab Juni 1999 neu. Auf den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers re-
gelte der Beklagte mit Bescheid vom 15. Juni 1999 unter Änderung des Bescheides
vom 25. Mai 1999 die Hilfe für die Monate Mai und Juni 1999 in der Weise neu, dass
er die Leistungen für den Monat Mai getrennt für die Zeitabschnitte 1. bis 10., 11. bis
16. und 17. bis 31. Mai 1999 berechnete; er berücksichtigte als Einkommen eine
Restzahlung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 1. bis 10. Mai 1999, die dem Kon-
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to des Klägers am 17. Mai 1999 in Höhe von 322,50 DM gutgeschrieben worden war,
sowie die am 29. April 1999 zugeflossene Zahlung. Mit seinem Widerspruch gegen
den Bescheid vom 15. Juni 1999 machte der Kläger erneut geltend, dass die Ende
April 1999 zugeflossene Arbeitslosenhilfe für April 1999 nicht auf seinen Hilfe-
anspruch im Mai 1999 angerechnet werden dürfe.
Das Verwaltungsgericht hat auf die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage
hin den Beklagten verpflichtet, bei der Berechnung der Hilfe zum Lebensunterhalt für
den Monat Mai 1999 die im April 1999 zugeflossene Arbeitslosenhilfe von 978,25 DM
nicht als Einkommen anzurechnen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung
des Beklagten unter teilweiser Neufassung der Urteilsformel des Verwaltungsgerichts
zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Bei verständi-
ger Auslegung sei das Begehren des Klägers, bei der Berechnung der Hilfe zum
Lebensunterhalt für Mai 1999 die im April 1999 ausgezahlte Arbeitslosenhilfe außer
Acht zu lassen, in Höhe eines Teilbetrages von 564,30 DM auf die Verpflichtung des
Beklagten zur Gewährung weiterer Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt und in
Höhe eines Teilbetrages von 308,75 DM auf die Anfechtung der Aufhebung der
erfolgten Bewilligung von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt für den Monat
Mai 1999 gerichtet. Hinsichtlich des Verpflichtungsbegehrens sei die Berufung
deswegen unbegründet, weil der Beklagte auf den zutreffend ermittelten Bedarf des
Klägers für Mai 1999 die am 29. April 1999 zugeflossene Arbeitslosenhilfe nicht
(anteilig) als anrechenbares Einkommen hätte anrechnen dürfen. Einkommen sei
sozialhilferechtlich das, was jemand in der Bedarfszeit wertmäßig dazuerhalte. Die
bereits im April 1999 zugeflossene Arbeitslosenhilfe sei einer Bedarfszeit zu-
zuordnen, die mit diesem Kalendermonat übereinstimme, und daher als Einkommen
ausschließlich im April 1999 zu werten. Der Beklagte selbst habe in seiner Bewilli-
gungspraxis gegenüber dem Kläger an den jeweiligen Kalendermonat als Bedarfszeit
angeknüpft und nicht einen mit dem tatsächlichen Zufluss beginnenden Monats-
zeitraum als Bedarfszeit festgelegt. Diese Bewilligungspraxis sei auch im vorliegen-
den Fall maßgeblich. Die "Bedarfszeit" sei bei einer Zahlung von Arbeitslosenhilfe
oder anderen regelmäßig wiederkehrenden Geldeingängen auch unter dem Blick-
winkel eines normativen Zuflusses nicht etwa von Gesetzes wegen der auf den Mo-
nat der tatsächlichen Zahlung folgende Kalendermonat oder ein mit dem tatsächli-
chen Zufluss beginnender Monatszeitraum. Eine Anerkennung des Folgemonats als
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"Bedarfszeit" entspräche einer in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung entwickel-
ten Modifikation der vom Bundesverwaltungsgericht gerade aufgegebenen "Identi-
tätstheorie", für die es nach der "Zuflusstheorie“ einer normativen Anknüpfung bedür-
fe, die sich weder im Gesetz noch in der VO zu § 76 BSHG finde. Die Übertragung
der Wertung des Verordnungsgebers in Bezug auf einmalige Einnahmen (§ 3 Abs. 3
Satz 2 der VO zu § 76 BSHG), wonach solche Einnahmen auf Zeiträume zu bezie-
hen seien, für die sie bedarfsdeckend eingesetzt werden könnten und nach der Ver-
kehrsanschauung regelmäßig eingesetzt würden, auf laufende Einnahmen sei schon
wegen der Beschränkung des Anwendungsbereichs dieser Regelung auf einmalige
Zuflüsse ausgeschlossen. Für eine Anknüpfung der Bedarfszeit an einen exakt mit
dem tatsächlichen Zufluss beginnenden (monatlichen) Bedarfszeitraum könnten zwar
der sozialhilferechtliche Nachranggrundsatz (§ 2 Abs. 1 BSHG) und der sozial-
hilferechtliche Bedarfsdeckungsgrundsatz (§ 3 Abs. 1 Satz 1 BSHG) sprechen, weil
bei regelmäßigem Einkommen, das jeweils zum Ende eines kalendarischen Monats
zufließe, der Bedarf daraus nicht für den vollen laufenden Monat, sondern vielmehr
ab dem Zeitpunkt des Zuflusses gedeckt werden könne. Eine solche obligatorische
Koppelung der Bedarfszeit an den Zeitpunkt eines Einkommenszuflusses bedürfte
indes schon wegen des Vorbehalts des Gesetzes einer eindeutigen normativen
- gesetzlichen oder auf gesetzlicher Grundlage beruhenden, durch den Verord-
nungsgeber vorgenommenen - Regelung, an der es fehle; sie könne auch nicht we-
gen verwaltungspraktischer Schwierigkeiten bei der Anwendung der "Zuflusstheorie"
durch eine die gesetzliche Grundlage ersetzende richterliche Rechtsfortbildung ge-
schaffen werden, zumal auch die Koppelung der Bedarfszeit an den Einkommenszu-
fluss verwaltungspraktische Schwierigkeiten zur Folge hätte. Der Gefahr, dass eine
Person ohne einzusetzendes Vermögen mit Einkünften jeweils zum Monatsende und
ohne durchsetzbaren Anspruch auf einen Vorschuss nicht nur für die Zeit bis zum
erstmaligen Zufluss, sondern auch für den Folgemonat grundsätzlich Hilfe zum Le-
bensunterhalt beanspruchen könnte, könne nach dem Gesetz anderweitig begegnet
werden. Dass grundsätzlich der Kalendermonat maßgebliche "Bedarfszeit" im Rah-
men der Hilfe zum Lebensunterhalt sei, entspreche auch der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts und trage der Zuordnung von Zuflüssen und Bedarfen in
der Lebenswirklichkeit Rechnung. Arbeitsentgelt, aber auch sonstige Einkünfte wie
z.B. Kindergeld und Wohngeld würden kalendermonatlich gezahlt. Auch auf der Be-
darfsseite - z.B. bei der Zahlung der Miete - erfolge grundsätzlich eine Aufteilung
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nach Kalendermonaten. Ob die"Bedarfszeit" hiernach zwingend auf den April 1999
als den Zuflussmonat fixiert sei oder ob der Sozialhilfeträger in Abweichung vom je-
weiligen Kalendermonat ausnahmsweise als Bedarfszeitraum bei entsprechenden
Zahlungen zum Monatsende einen mit dem Zufluss beginnenden Monatszeitraum im
Rahmen einer ausdrücklichen Einzelfallregelung als Bedarfszeit bestimmen könne,
bedürfe deswegen keiner abschließenden Klärung, weil der Beklagte eine entspre-
chende Regelung nicht getroffen habe.
Mit der Revision wendet sich der Beklagte gegen die Verpflichtung zu weiteren Leis-
tungen für den Monat Mai 1999; er rügt eine Verletzung von Bundesrecht, insbeson-
dere des Art. 3 Abs. 1 GG.
Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil.
II.
Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsurteil steht mit Bundesrecht im Einklang,
so dass die Revision zurückzuweisen ist (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das Oberver-
waltungsgericht hat ohne Verstoß gegen Bundesrecht dahin erkannt, dass die dem
Kläger Ende April 1999 zugeflossene Arbeitslosenhilfe nicht als Einkommen im Mo-
nat Mai 1999 anzurechnen war.
1. Zwischen den Beteiligten steht nicht im Streit, dass die Berechnungen des Beklag-
ten im Detail, insbesondere hinsichtlich der Ansätze für den berücksichtigungsfähi-
gen Bedarf, jeweils rechnerisch richtig sind und es entscheidungserheblich allein auf
die Frage ankommt, ob die dem Kläger am 29. April 1999 für den Monat April 1999
zugeflossene Arbeitslosenhilfe (ganz oder teilweise) als Einkommen für den Monat
Mai 1999 anzurechnen ist.
2. Das Berufungsgericht hat im Einklang mit Bundesrecht entschieden, dass die dem
Kläger am 29. April 1999 zugeflossene Arbeitslosenhilfe hier allein als Einkommen
für den Bedarfszeitraum April 1999 zu berücksichtigen war. Nach der Rechtspre-
chung des Senats (BVerwGE 108, 296; s.a. Urteil vom 19. Februar 2001 - BVerwG
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5 C 4.00 -, Buchholz 436.0 § 76 BSHG Nr. 32) ist sozialhilferechtlich Einkommen im
Sinne des § 76 Abs. 1 BSHG, das nach § 11 Abs. 1 BSHG auf den sozialhilferecht-
lich zu berücksichtigenden Bedarf anzurechnen ist, alles das, was jemand in der Be-
darfszeit wertmäßig dazuerhält, und Vermögen das, was er in der Bedarfszeit bereits
hat. Der Bezug zur Bedarfszeit ist von grundsätzlicher Bedeutung, weil Einkommen
und Vermögen nur dann wirksam zur Bedarfsdeckung eingesetzt werden können,
wenn sie dafür in der Zeit des Bedarfs zur Verfügung stehen (z.B. § 79 Abs. 1 BSHG:
monatliches Einkommen während des Bedarfs).
2.1. Bei der Hilfe zum Lebensunterhalt ist dabei als Bedarfszeit, an die die Abgren-
zung von Einkommen und Vermögen nach Maßgabe des Zuflusszeitpunktes an-
knüpft, jedenfalls dann, wenn dies auch im Übrigen der Berechnungs- und Anrech-
nungspraxis des jeweiligen Sozialhilfeträgers entspricht, auf den jeweiligen Kalen-
dermonat und nicht auf einen im Beginn variablen Zeitraum von 30 Tagen abzustel-
len. § 76 Abs. 1 BSHG und die zu seiner Durchführung erlassene Rechtsverordnung
enthalten allerdings keine ausdrückliche Regelung zu Dauer und Abgrenzung des für
die Bedarfsberechnung maßgeblichen Bedarfszeitraums und legen insbesondere
nicht den Kalendermonat als Bedarfszeitraum ausdrücklich fest. Wesentlich für den
Kalendermonat als Regelbedarfszeit spricht indes, dass die Regelsatzleistungen, die
bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigen sind, als Monatsleistung bemessen
sind (§ 22 Abs. 4 BSHG; VO zu § 22 BSHG). In der Hilfe in besonderen Lebenslagen
wird ausdrücklich auf das monatliche Einkommen während der Dauer des Bedarfs
abgestellt (§ 79 Abs. 1 BSHG). Die Verordnung zur Durchführung des § 76 BSHG
legt ebenfalls eine auf den Kalendermonat bezogene Betrachtung nahe, steht dieser
jedenfalls nicht entgegen. Für die Berechnung des anzurechnenden Arbeitseinkom-
mens ist grundsätzlich von den "monatlichen" Bruttoeinnahmen auszugehen (§ 3
Abs. 3 Satz 1 VO zu § 76 BSHG), von denen nach § 3 Abs. 5 und 6 VO zu § 76
BSHG u.a. näher bezeichnete monatliche Pauschalbeträge abzusetzen sind. Gemäß
§ 11 Abs. 1 Satz 1 VO zu § 76 BSHG gilt, soweit die Einkünfte als Jahreseinkünfte
berechnet werden, der zwölfte Teil dieser Einkünfte zusammen mit den monatlich
berechneten Einkünften als monatliches Einkommen im Sinne des Gesetzes; diese
Aufteilung und Zuordnung stellt erkennbar und ungeachtet der unterschiedlichen
Dauer der einzelnen Monate auf die zwölf Kalendermonate des Jahres ab. Der Be-
zug auf den Monatszeitraum besteht auch bei einmaligen Einnahmen, Sonderzu-
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wendungen, Gratifikationen und gleichartigen Bezügen und Vorteilen, die in größeren
als monatlichen Zeitabständen gewährt werden; sie sind nach § 3 Abs. 3 Satz 2
und 3 VO zu § 76 BSHG auf einen angemessenen Zeitraum aufzuteilen und monat-
lich mit einem entsprechenden Teilbetrag anzusetzen (s.a. § 8 Abs. 1 Satz 3 VO zu
§ 76 BSHG). Außerhalb der Regelungen zur Einkommensanrechnung gehen von
einer auf den Kalendermonat bezogenen Betrachtung etwa die Bestimmungen über
den Übergang von Ansprüchen gegen nach bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtige
(§ 91 Abs. 2 und 3 BSHG) sowie die Regelungen über die zeitraumübergreifende An-
rechnung von Einkommen (§ 21 Abs. 2 Satz 2, § 84 Abs. 3 BSHG) aus. Auch die
instanzgerichtliche Rechtsprechung stellt für die Bemessung des Bedarfszeitraums,
welcher der Berechnung der Hilfe zum Lebensunterhalt zu Grunde zu legen ist, auf
den Kalendermonat als Regelbedarfszeitraum ab (s. etwa BayVGH, Beschluss vom
22. Januar 2003 - 12 CE 02.3048 -, FEVS 54, 514; OVG Bremen, Beschluss vom
22. August 2002 - 2 S 299/02 -, NordÖR 2002, 479; VG Neustadt, Urteil vom
16. Januar 2003 - 4 K 2259/02.NW -, info also 2003, 165; VG Schleswig, Beschluss
vom 16. Oktober 2002 - 13 B 153/02 -, juris; VG Karlsruhe, Beschluss vom 17. Juni
2002 - 8 K 1374/02 -, juris). Ob oder unter welchen Voraussetzungen ein Sozialhilfe-
träger generell oder im Einzelfall einen anderen Zeitraum als den jeweiligen Kalen-
dermonat als für die Berechnung der Hilfe zum Lebensunterhalt maßgeblichen Be-
darfszeitraum bestimmen kann, bedarf hier keiner abschließenden Beurteilung; denn
nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hat auch der Beklagte
in seiner Bewilligungspraxis gegenüber dem Kläger an den jeweiligen Kalendermonat
als Bedarfszeit angeknüpft.
2.2. Das Berufungsgericht hat im Einklang mit Bundesrecht die am 29. April 1999
zugeflossene Arbeitslosenhilfe dem Bedarfszeitraum April 1999 zugeordnet; entge-
gen der von dem Beklagten vertretenen Rechtsauffassung war sie nicht als Ein-
kommen im Monat Mai 1999 zu berücksichtigen.
Aus der Festlegung auf den jeweiligen Kalendermonat als den für die Bedarfsbe-
rechnung im Regelfall maßgeblichen Bedarfszeitraum folgt, dass dem Bedarf für den
Monat Mai 1999 nur das in diesem Monat zugeflossene Einkommen gegenüberzu-
stellen ist. Die Arbeitslosenhilfe für den Monat April 1999 ist dem Kläger noch in dem
Kalendermonat April 1999 zugeflossen und daher als Einkommen nur in dem durch
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diesen Kalendermonat bestimmten Bedarfszeitraum zu berücksichtigen. Die Arbeits-
losenhilfe, die hier als Einkommen einem bestimmten Bedarfszeitraum zuzuordnen
ist, ist kein einmaliger Einkommenszufluss oder ein solcher, der in größeren als mo-
natlichen Zeitabständen gewährt wird; sie ist daher nicht in unmittelbarer oder ent-
sprechender (§ 8 Abs. 1 Satz 3 VO zu § 76 BSHG) Anwendung des § 3 Abs. 3
Satz 2 und 3 VO zu § 76 BSHG normativ teilweise einem anderen Bedarfszeitraum
als dem des Zuflusszeitpunktes zuzuordnen. Auch sonst ergibt sich aus der zur
Durchführung des § 76 BSHG ergangenen Verordnung keine ausdrückliche Bestim-
mung, nach der dieser Einkommenszufluss normativ einem anderen Bedarfszeitraum
als demjenigen zuzuordnen ist, in dem er tatsächlich erfolgt ist.
Eine Zuordnung der Arbeitslosenhilfe, die nach § 337 SGB III regelmäßig nachträg-
lich für den Monat, für den sie bestimmt ist, ausgezahlt wird, erst zu dem auf die
Auszahlung folgenden Bedarfszeitraum ist entgegen der Auffassung des Beklagten
normativ auch nicht deswegen geboten, weil dieser Zufluss nach der Lebenserfah-
rung regelmäßig tatsächlich noch in dem Folgebedarfszeitraum zur Verfügung stehe,
während er für den Bedarfszeitraum, in den der Zufluss falle, regelmäßig nicht oder
allenfalls zu einem geringen Teil zur Bedarfsdeckung habe eingesetzt werden kön-
nen. Allerdings sind für einen bestimmten Bedarfszeitraum bereits als Einkommen
nicht anzurechnen solche Ansprüche des Hilfesuchenden gegen Dritte, die tatsäch-
lich nicht durchsetzbar sind, oder ein Anspruch, der zeitlich nicht rechtzeitig zur Be-
darfsdeckung durchsetzbar ist, weil er im günstigsten Falle mehrere Monate nach
Eintritt des Bedarfsfalles erfüllt wird (BVerwGE 38, 307 <309>). Der Hilfesuchende
darf wegen seines gegenwärtigen Bedarfs nicht auf Mittel verwiesen werden, die ihm
erst in der Zukunft tatsächlich zur Verfügung stehen (BVerwGE 39, 261 <267> - für
den Fall lediglich möglicher Einkünfte auf einen tatsächlich nicht gestellten Renten-
antrag hin; s.a. BVerwGE 21, 208 <212>). Für die Berücksichtigung eines anderwei-
tigen Anspruchs als Einkommen im Sinne des § 76 Abs. 1 BSHG, das nach § 11
Abs. 1 BSHG dem für einen bestimmten Bedarfszeitraum zu berücksichtigenden Be-
darf gegenüberzustellen ist, ist dabei für die Frage, ob dieser rechtzeitig durchsetzbar
ist, grundsätzlich darauf abzustellen, ob nach Lage des einzelnen Falles davon
auszugehen ist, dass die Ansprüche noch innerhalb des Bedarfszeitraums zu einem
Einkommenszufluss führen werden. Bei der Berechnung von Sozialhilfe wird das im
Bedarfszeitraum verfügbare Einkommen dem in dieser Zeit bestehenden Bedarf ge-
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genübergestellt (BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2001, a.a.O.). Die Zuordnung eines
Einkommenszuflusses zu einem bestimmten Bedarfszeitraum, nämlich dem des Zu-
flusses, und seine Berücksichtigung als Einkommen hängt dabei grundsätzlich nicht
davon ab, zu welchem Zeitpunkt das Einkommen innerhalb des Bedarfszeitraums
tatsächlich zufließt und ob innerhalb des Bedarfszeitraums die bis zu dem Zufluss-
zeitpunkt aufgelaufenen Bedarfe jeweils durch bis zum Zeitpunkt der Bedarfsentste-
hung zugeflossene Einkünfte vollständig haben gedeckt werden können.
Steht innerhalb des Bedarfszeitraums zufließendes und daher für den Bedarfszeit-
raum anzurechnendes Einkommen für die Deckung innerhalb des Bedarfszeitraums
entstehender unaufschiebbarer gegenwärtiger Bedarfe nicht (hinreichend) zur Verfü-
gung, weil es erst zu einem späteren Zeitpunkt innerhalb des Bedarfszeitraums zu-
fließt, berührt dies nicht schon die Anrechnung als Einkommen, sondern betrifft allein
die Frage, inwieweit trotz des anzurechnenden Einkommens zur Überbrückung vo-
rübergehend Leistungen der Sozialhilfe zu gewähren sind. Hierzu ist der Sozialhilfe-
träger allerdings dann verpflichtet, wenn ein unaufschiebbarer gegenwärtiger Bedarf
ansonsten nicht rechtzeitig gedeckt werden kann und es dem Hilfesuchenden nicht
möglich oder zuzumuten ist, einen zur Deckung des unaufschiebbaren gegenwärti-
gen Bedarfs rechtzeitigen Einkommenszufluss zu bewirken, bei der Arbeitslosenhilfe
etwa in Gestalt einer Abschlagszahlung nach § 337 Abs. 4 SGB III. Der Sozialhilfe-
träger kann dabei den Nachrang der Sozialhilfe unter Vermeidung der von dem Be-
klagten besorgten gleichheitswidrigen Doppelleistungen, in Bezug auf die Arbeitslo-
senhilfe etwa durch Geltendmachung eines entsprechenden Erstattungsanspruchs,
hinreichend sicherstellen. Ein Hilfeempfänger, der an sich auf eine solche Überbrü-
ckung angewiesen gewesen wäre und diese hätte beanspruchen können, tatsächlich
aber nicht in Anspruch genommen oder erhalten, sondern den bis zum Einkom-
menszufluss auflaufenden Bedarf in Erwartung des Einkommenszuflusses anderwei-
tig kurzfristig vorfinanziert hat, verwendet dabei einen Einkommenszufluss zum Mo-
natsende für diesen Bedarfszeitraum bedarfsbezogen; denn er stellt für den Be-
darfszeitraum durch Rückführung der Vorfinanzierung im Ergebnis nur die finanzielle
Lage her, die der Deckung vorhandenen Bedarfs durch vorhandene Mittel entspricht
(s.a. BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2001, a.a.O.); in diesem Falle steht der Ein-
kommenszufluss zum Monatsende auch rein tatsächlich nicht zur Deckung des not-
wendigen Lebensunterhalts in dem dem Zufluss folgenden Bedarfszeitraum zur Ver-
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fügung, ohne dass dies dem Hilfeempfänger sozialhilferechtlich entgegengehalten
werden könnte. Die entgegenstehende Betrachtung des Beklagten, die in bestimm-
ten Fallkonstellationen den Verwaltungsaufwand reduzieren mag, findet im Gesetz
keine hinreichende Stütze.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit
folgt aus § 188 Satz 2 VwGO.
Dr. Säcker Schmidt Dr. Rothkegel
Dr. Franke Prof. Dr. Berlit
Sachgebiet:
BVerwGE:
ja
Sozialhilferecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
BSHG
§§ 2, 11, 76
VO zu § 76 BSHG §§ 3, 8, 11
SGB III
§ 337
Stichworte:
Arbeitslosenhilfe, Anrechnung als Einkommen;
Bedarfszeitraum, Einkommenszufluss im -;
Bedarfszeitraum, Kalendermonat als regelmäßiger -;
Einkommen, Zuordnung zu Bedarfszeitraum;
Einkommensanrechnung;
Einkommenszufluss;
Kalendermonat als Regelbedarfszeitraum;
Monatsende, Einkommenszufluss zum -;
Sozialhilfe, Zufluss von Einkommen;
Zufluss, normativer;
Zuflusszeitpunkt.
Leitsätze:
1. Bei der Hilfe zum Lebensunterhalt ist "Bedarfszeitraum", in Bezug auf den die Hilfe
zu berechnen und innerhalb dessen zufließendes Einkommen als Einkommen zu
berücksichtigen ist, grundsätzlich der jeweilige Kalendermonat.
2. Auch Einkommen, das regelmäßig erst zum Ende eines Kalendermonats zufließt,
ist grundsätzlich nur als Einkommen des Kalendermonats anzurechnen, in dem es
tatsächlich zugeflossen ist.
Urteil des 5. Senats vom 22. April 2004 - BVerwG 5 C 68.03
I. VG Köln vom 30.10.2001 - Az.: VG 5 K 11067/00 -
II. OVG Münster vom 26.09.2003 - Az.: OVG 12 A 75/02 -