Urteil des BVerwG vom 08.07.2004

Rücknahme, Darlehen, Beihilfe, Treu Und Glauben

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 5 C 5.03
Verkündet
OVG 4 LB 2089/01
am 8. Juli 2004
Schmidt
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 8. Juli 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht S c h m i d t , Dr. R o t h k e g e l ,
Dr. F r a n k e und Prof. Dr. B e r l i t
für Recht erkannt:
Das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts
vom 13. Februar 2002 wird aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsge-
richts Hannover vom 4. Januar 2001 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisi-
onsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
G r ü n d e :
I.
Die Parteien streiten um die Rechtmäßigkeit eines Sozialhilferücknahme- und
-rückforderungsbescheides.
Die Klägerin ist aufgrund eines im Jahre 1993 erlittenen Verkehrsunfalls erwerbsun-
fähig. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte lehnte eine entsprechende
Rentenzahlung jedoch zunächst ab. Daraufhin beantragte die Klägerin am 18. März
1996 bei der für den Beklagten handelnden Gemeinde A. die Gewährung von Hilfe
zum Lebensunterhalt.
Die Klägerin war seinerzeit Eigentümerin eines Zweifamilienhauses in A., das sie
gemeinsam mit ihrer pflegebedürftigen Mutter bewohnte. Am 3. Februar 1996 hatte
sie einen notariellen Kaufvertrag über ein Hausgrundstück im französischen S. ab-
geschlossen und auf den Kaufpreis von umgerechnet 220 000 DM einen Betrag von
120 000 DM angezahlt. Dem französischen Vertragstext zufolge sollte der Restkauf-
preis innerhalb von zwei Jahren zahlbar sein, das Eigentum jedoch - gemäß franzö-
sischem Recht - bereits mit Vertragsschluss auf die Klägerin übergehen. Die Verkäu-
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fer behielten sich vor, bei Zahlungsverzug auf Vertragsauflösung zu klagen; laut einer
handschriftlich beigefügten Vertragsklausel sollte in diesem Fall die gesamte An-
zahlungssumme an die Verkäufer fallen. Zur Finanzierung der Anzahlung hatte die
Klägerin ein Bankdarlehen aufgenommen und die Eintragung einer Grundschuld auf
ihrem bereits hoch belasteten Grundstück in A. bewilligt. Auf dem Antragsformular
des Beklagten gab sie als Vermögen das Haus in A. an, erwähnte jedoch nicht den
Kaufvertrag über das Grundstück in Frankreich und die darauf geleistete Anzahlung.
Mit Bescheid vom 9. Mai 1996 bewilligte der Beklagte ab 18. März 1996 bis auf wei-
teres Hilfe zum Lebensunterhalt sowie Wohngeld, wobei die Hauslasten als Aufwen-
dungen für die Unterkunft und die Mietzahlungen der Mutter als Einkommen berück-
sichtigt wurden.
Am 15. Januar 1998 verstarb die Mutter der Klägerin. Ab 1. März 1998 vermietete die
Klägerin das Haus in A. zu einem monatlichen Mietzins von 2 000 DM, wohnte aber
zunächst noch weiter dort und bezog auch weiterhin Hilfe zum Lebensunterhalt, da
die Mieteinnahmen fast vollständig von den Hauslasten aufgezehrt wurden. Nach-
dem die Mieter ihr anfängliches Versprechen, das Haus in Kürze käuflich zu erwer-
ben, nicht einhielten, kam es zu einem Streit, der im Juni 1998 in einer Aussperrung
der Klägerin kulminierte. Die Klägerin zog daraufhin in eine Ferienwohnung, deren
Kosten der Beklagte übernahm. Ab 1. Juli 1998 wurde ihr die Hilfe - im Hinblick auf
das nunmehr nicht mehr geschützte Grundeigentum - nur noch als erweiterte Hilfe
gegen Aufwendungsersatz und Bewilligung einer Sicherungshypothek über
50 000 DM gewährt.
Am 3. September 1998 sprachen die Mieter der Klägerin unaufgefordert bei der Ge-
meinde A. vor und berichteten, dass die Klägerin ein Haus in Frankreich besitze, das
nach einer Zahlung von 120 000 DM im Jahre 1997 und einer weiteren in Höhe von
100 000 DM im April 1998 inzwischen auch voll finanziert sei. Die Klägerin gab dar-
aufhin an, sie habe zwar im Jahre 1996 eine Anzahlung von 120 000 DM geleistet,
jedoch den Restkaufpreis noch nicht gezahlt und daher bislang auch kein Eigentum
an der Immobilie erworben. Am 28. Oktober 1998 legte sie den notariellen Kaufver-
trag in französischer Sprache einschließlich einer auszugsweisen deutschen Über-
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setzung vor, in der es hieß: "… die verkaufte Immobilie bleibt grundsätzlich im Eigen-
tum des Verkäufers …" Im Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin wegen Sozialhil-
febetruges ließ die Staatsanwaltschaft B. den Kaufvertrag in die deutsche Sprache ü-
bersetzen.
Mit Bescheid vom 12. Februar 1999 gewährte die Bundesversicherungsanstalt für
Angestellte (BfA) der Klägerin, die ihre Rentenansprüche zwischenzeitlich auf sozial-
gerichtlichem Wege weiterverfolgt hatte, rückwirkend zum 1. März 1998 eine Er-
werbsunfähigkeitsrente. Der Beklagte stellte daraufhin die Hilfe zum Lebensunterhalt
ab 1. April 1999 ein und machte für den Zeitraum vom 1. März 1998 bis 31. März
1999 einen Erstattungsanspruch gegen die BfA geltend, den diese bis auf einen Be-
trag von 401,08 DM erfüllte.
Zum 1. November 1999 meldete die Klägerin sich nach Frankreich ab. Am 18. No-
vember 1999 erhielt der Beklagte von der Staatsanwaltschaft die deutsche Überset-
zung des Kaufvertrages, aus der hervorging, dass die Klägerin bereits mit Vertrags-
schluss Eigentümerin des Grundstücks in S. geworden war. Am 25. November 1999
teilte der für die Klägerin tätige Notar mit, dass diese ihr Grundstück in A. tags zuvor
veräußert habe und er beauftragt sei, zwecks lastenfreier Übertragung auf den Käu-
fer die noch ausstehenden Forderungen der Grundpfandgläubiger zu begleichen.
Daraufhin erließ der Beklagte unter dem 16. Dezember 1999 den streitgegenständli-
chen Rücknahme- und Rückforderungsbescheid, mit dem er die für den Zeitraum
vom 18. März 1996 bis 28. Februar 1998 ergangenen Bewilligungsbescheide aufhob
und die gewährten Leistungen in Höhe von 33 560,18 DM zurückforderte. Zur Be-
gründung führte er aus, die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt als nicht zu-
rückzahlbare Leistung sei rechtswidrig gewesen und die fraglichen Bescheide daher
nach § 45 SGB X zurückzunehmen. Aus der Übersetzung des französischen Kauf-
vertrages gehe hervor, dass die Klägerin im maßgeblichen Zeitraum über verwertba-
res und ungeschütztes Vermögen in Form eines Hausgrundstücks in Frankreich ver-
fügt habe. Vor diesem Hintergrund habe ihr nur ein Anspruch auf darlehensweise
Hilfe nach § 89 BSHG zugestanden, da eine sofortige Verwertung nicht möglich ge-
wesen wäre. Auf Vertrauensschutz könne die Klägerin sich nicht berufen, da sie die
französische Immobilie bei Antragstellung verschwiegen und damit grob fahrlässig in
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wesentlicher Hinsicht unvollständige Angaben gemacht habe. Besondere Umstände,
die nach pflichtgemäßem Ermessen dennoch dafür sprechen könnten, von der
Rücknahme ganz oder teilweise abzusehen, lägen nicht vor. Nach Aufhebung der
vorgenannten Bescheide sei die Klägerin nunmehr gemäß § 50 Abs. 1 SGB X ver-
pflichtet, die empfangenen Leistungen zu erstatten. Gleichzeitig ordnete der Beklagte
die sofortige Vollziehung an, um auf den Erlös aus dem Verkauf des Hauses in A.
zugreifen zu können.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte zurück (Widerspruchsbe-
scheid vom 7. Juni 2000), nachdem inzwischen seine Forderungen durch den Notar
der Klägerin in voller Höhe beglichen worden waren und der Beklagte in die Lö-
schung der entsprechenden Sicherungshypothek eingewilligt hatte. Gegenüber den
Einwänden der Klägerin führte der Beklagte aus, wenn sich die Klägerin bei einem so
weitreichenden Rechtsgeschäft wie dem Erwerb einer ausländischen Immobilie nicht
hinreichend Klarheit über die maßgeblichen vertraglichen Bestimmungen verschaffe,
erfülle bereits diese Unterlassung den Tatbestand der groben Fahrlässigkeit. Zudem
sei der diesbezügliche Vortrag der Klägerin in sich widersprüchlich. Auch die aktuelle
Bedürftigkeit der Klägerin sei nicht glaubhaft dargetan. Es frage sich bereits, warum
aus dem beurkundeten Kaufpreis von 550 000 DM nur 465 300 DM zur Verteilung
auf das Notaranderkonto gelangt seien. Zudem habe der Notar einen Betrag von
100 000 DM statt an die bekannten Gläubiger ohne ersichtlichen Grund an einen
Herrn K. ausgekehrt.
Die hiergegen erhobene Klage hat vor dem Verwaltungsgericht keinen Erfolg gehabt.
Das Oberverwaltungsgericht hingegen hat auf die Berufung der Klägerin, mit der die-
se u.a. einen Anspruch auf darlehensweise Belassung des streitigen Rückforde-
rungsbetrages unter Bewilligung einer ratenweisen Rückzahlung geltend gemacht
hat, die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentli-
chen ausgeführt:
Der Beklagte habe die Bewilligungsbescheide nicht ersatzlos zurücknehmen, son-
dern die gewährten Leistungen lediglich von einer nicht zurückzahlbaren Leistung in
ein Darlehen nach § 89 BSHG oder eine erweiterte Hilfe gegen Aufwendungsersatz
nach § 11 Abs. 2 BSHG umwandeln dürfen. Zwar lägen die Voraussetzungen einer
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Rücknahme gemäß § 45 SGB X dem Grunde nach vor. Die Bewilligung von Sozial-
hilfe in Form nicht zurückzahlbarer Leistungen sei rechtswidrig gewesen, weil die
Klägerin im maßgeblichen Zeitraum über verwertbares Vermögen in Form des
Hausgrundstückes in Frankreich verfügt habe. Der Verwertbarkeit dieses Grund-
stücks habe auch weder die Finanzierung über ein Bankdarlehen noch die kaufver-
tragliche "Verfallklausel" entgegengestanden. Auf Vertrauensschutz könne die Klä-
gerin sich ebenfalls nicht mit Erfolg berufen, da sie bei Antragstellung den nur einen
Monat zuvor abgeschlossenen Kaufvertrag verschwiegen und damit zumindest grob
fahrlässig in wesentlicher Beziehung unvollständige Angaben gemacht habe. Es ha-
be sich ihr unabhängig von der Gestaltung des Antragsformulars und selbst ohne
vertiefte Kenntnisse im französischen Immobiliarsachenrecht aufdrängen müssen,
dass die Investition von immerhin 120 000 DM in ein Hausgrundstück von wesentli-
cher Bedeutung für die Sozialhilfegewährung sein musste. Schließlich sei die Rück-
nahme auch rechtzeitig innerhalb der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X er-
folgt, denn der Beklagte habe erst mit Eingang der vollständigen deutschen Überset-
zung des Kaufvertrages im November 1999 positive Kenntnis von der Eigentümer-
stellung der Klägerin erlangt. Gleichwohl verbiete sich eine ersatzlose Aufhebung der
Bewilligungsbescheide, weil der Klägerin seinerzeit zumindest darlehensweise Hilfe
zum Lebensunterhalt oder - wahlweise - erweiterte Hilfe gegen Aufwendungsersatz
zugestanden habe. Denn es sei nicht anzunehmen, dass das französische Grund-
stück im fraglichen Zeitraum tatsächlich hätte verwertet werden können. Folglich
komme vorliegend lediglich eine Teilaufhebung in Form der Umwandlung des verlo-
renen Zuschusses in eine der genannten Hilfeformen in Betracht. Der fehlerhafte
Bescheid könne insoweit aber nicht im Wege der Umdeutung nach § 43 SGB X auf-
rechterhalten werden, denn die Rückforderung einer zu Unrecht erbrachten Leistung
und die Rückforderung eines rechtmäßig gewährten Darlehens seien nicht auf das-
selbe Ziel gerichtet. Die Umdeutung in einen Bescheid nach § 92a BSHG scheitere
bereits daran, dass die Klägerin ihre Hilfebedürftigkeit nicht auf sozialwidrige Weise
herbeigeführt habe. Ob der Beklagte nach Rechtskraft des Urteils noch fristgerecht
einen Umwandlungs- und Rückforderungsbescheid erlassen könne, ließ das Ober-
verwaltungsgericht offen.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten, der eine Verletzung des
§ 45 SGB X rügt und geltend macht, eine rückwirkende Darlehensbewilligung ver-
stoße gegen Prinzipien des Sozialhilferechts; jedenfalls habe die Klägerin im Zeit-
punkt der Widerspruchsentscheidung aus dem Verkauf ihres Hauses in A. über hin-
reichendes Vermögen verfügt und wäre auch bei darlehensweiser Hilfegewährung
eine Rückforderung möglich gewesen.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.
II.
Die Revision ist begründet. Das Berufungsgericht hätte die Berufung der Klägerin
gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zurückweisen müssen, da der Klägerin
nach dem inzwischen erfolgten Verkauf ihres Hauses in A. im rechtlich maßgeblichen
Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung ein Anspruch, die im streitgegenständlichen
Zeitraum gewährte Hilfe zum Lebensunterhalt als Darlehen nach § 89 BSHG oder
erweiterte Hilfe gegen Aufwendungsersatz nach § 11 Abs. 2 BSHG behalten zu
können, nicht mehr zustand. Die Auffassung des Berufungsgerichts, bei der
Ersetzung einer nicht zurückzahlbar gewährten Hilfe zum Lebensunterhalt durch ein
Darlehen oder eine erweiterte Hilfe gegen Aufwendungsersatz handle es sich
rechtlich um eine nach § 45 Abs. 1 SGB X zu beurteilende Teilaufhebung der ur-
sprünglichen Hilfegewährung und die vom Beklagten ausgesprochene Gesamtrück-
nahme der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt sei deshalb rechtswidrig, ver-
stößt gegen Bundesrecht. Falls die Klägerin im Zeitpunkt der Widerspruchsentschei-
dung einen Anspruch auf Ersetzung der Beihilfe durch ein Darlehen gehabt hätte,
wäre dem im Rahmen der Ausübung des Rücknahmeermessens Rechnung zu tra-
gen gewesen. Da jedoch nach den Feststellungen des Beklagten berücksichtigungs-
fähige Tatsachen, die eine Ermessensentscheidung im Sinne der Klägerin geboten
hätten, im Entscheidungszeitpunkt nicht vorlagen, war die ersatzlose Rücknahme der
Sozialhilfebescheide und Rückforderung der geleisteten Hilfe nicht ermessensfehler-
haft.
1. Das Berufungsgericht hat für die der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum
gewährte Hilfe zum Lebensunterhalt die rechtlichen Voraussetzungen einer Rück-
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nahme mit Wirkung für die Vergangenheit gemäß § 45 SGB X grundsätzlich zutref-
fend bejaht.
Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein begünstigender Verwaltungsakt, soweit er rechts-
widrig ist, auch nach Eintritt der Unanfechtbarkeit ganz oder teilweise mit Wirkung für
die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden. Eine Aufhebung ist
ausgeschlossen, wenn der Begünstigte auf den Bestand der Regelung vertraut hat
und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an der Rück-
nahme schutzwürdig ist (§ 45 Abs. 2 SGB X). Die Gewährung von Hilfe zum Le-
bensunterhalt in Form einer nicht zurückzahlbaren Leistung war rechtswidrig, weil der
Klägerin lediglich ein Anspruch auf darlehensweise Hilfe zugestanden hätte, da sie
im Hilfezeitraum über verwertbares Vermögen in Form des Hausgrundstücks in
Frankreich verfügte, das allerdings kurzfristig voraussichtlich nicht oder nur unter un-
verhältnismäßigen Verlusten hätte verwertet werden können. Ebenfalls zutreffend hat
das Berufungsgericht für die Klägerin einen Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 2
Satz 3 Nr. 2 SGB X mit der Begründung verneint, dass sie bei Antragstellung mit
dem Verschweigen des nur einen Monat zuvor abgeschlossenen Kaufvertrages zu-
mindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unvollständige Angaben gemacht
habe. Die Rücknahme ist auch fristgemäß innerhalb der Jahresfrist des § 45 Abs. 4
Satz 2 SGB X erfolgt, denn erst mit Eingang der amtlichen Übersetzung des Kaufver-
trages am 18. November 1999 hatte der Beklagte hinreichend sichere Kenntnis von
der die Rücknahme begründenden Eigentümerstellung der Klägerin.
2. Zu Unrecht hat das Oberverwaltungsgericht jedoch die Rechtmäßigkeit des Rück-
nahme- und Rückforderungsbescheides mit der Begründung verneint, wegen des der
Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum zustehenden Anspruchs auf eine dar-
lehensweise Hilfegewährung oder eine erweiterte Hilfe nach § 11 Abs. 2 BSHG hätte
der Beklagte die gewährte Hilfe zum Lebensunterhalt nicht zurückfordern dürfen,
sondern hätte sie in ein Darlehen umwandeln und dann eine weitere Entscheidung
über eine Rückforderung des - rechtmäßig gewährten - Darlehens treffen müssen.
Vom ursprünglichen Bestehen eines solchen Anspruchs auf darlehensweise Hilfe
zum Lebensunterhalt nach § 89 BSHG sind beide Vorinstanzen - insoweit von den
Beteiligten nicht beanstandet - ausgegangen, da die Klägerin mit dem - damals von
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ihr noch nicht bewohnten - Hausgrundstück in Frankreich zwar über einzusetzendes
Vermögen verfügte, dieses Vermögen aber nicht sofort hätte verwerten können.
Die vom Oberverwaltungsgericht mit Blick auf den Anspruch auf eine darlehensweise
Hilfegewährung angenommene Teilrechtswidrigkeit der nicht zurückzahlbaren Hilfe-
gewährung mit der Folge, dass statt einer ersatzlosen Aufhebung nur eine Teilrück-
nahme hinsichtlich der Hilfegewährung als nicht zurückzahlbare Leistung hätte ver-
fügt werden dürfen, ist jedoch konstruktiv nicht haltbar. Eine Teilrücknahme setzt
voraus, dass die Rechtswidrigkeit des zur Überprüfung gestellten Verwaltungsaktes
sich auf einen abtrennbaren Teil der Gesamtregelung beschränkt. Dies ist dann der
Fall, wenn der verbleibende Teil rechtmäßiger- und sinnvollerweise bestehen bleiben
könnte (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Februar 1984 - BVerwG 4 C 70/80 - NVwZ
1984, 366), aber entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht, soweit es um die
Umwandlung einer Sozialhilfeleistung von einer Beihilfe in eine darlehensweise Ge-
währung geht. Wird Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt, so handelt es sich um eine
einheitliche Gesamtregelung, die rechtlich nicht in der Weise teilbar ist, dass zwi-
schen einer Entscheidung über die Gewährung von Hilfe in einer bestimmten Höhe
als Grundentscheidung und der Entscheidung über die Leistung als Beihilfe oder
Darlehen als rechtlich abtrennbarer Entscheidungsbestandteil unterschieden werden
könnte. Bei einer rein wirtschaftlich-finanziellen Betrachtung mag ein Darlehen zwar
im Verhältnis zu einer Beihilfe ein Minus sein, doch steht einer solchen Betrachtung
im Rahmen des § 45 SGB X entgegen, dass eine Leistungsgewährung als Beihilfe
andere Voraussetzungen hat als eine darlehensweise Hilfegewährung. Mit der Frage,
ob Sozialhilfe gewährt werden soll, ist stets auch die Frage des "Wie" zu entscheiden
und unmittelbar im Leistungsbescheid deutlich zu machen. Während es sich bei der
Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt in Form von Beihilfe nach § 11 Abs. 1
i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 BSHG um eine gebundene Entscheidung handelt, beruht die
darlehensweise Gewährung nach § 89 BSHG auf einer "Soll"-Vorschrift und die von
der Vorinstanz ebenfalls angesprochene Hilfe gegen Aufwendungsersatz nach § 11
Abs. 2 BSHG auf einer "Kann"-Bestimmung. Schon aus rechtlichen Gründen ist die
Behörde deshalb gehalten, ihre gebundene Entscheidung nach § 11 Abs. 1 BSHG
insgesamt aufzuheben und sie gegebenenfalls - bei
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Vorliegen der Voraussetzungen - durch eine Hilfegewährung nach § 11 Abs. 2 oder
§ 89 BSHG zu ersetzen.
Der enge Zusammenhang zwischen der Rücknahme der Gewährung einer Beihilfe
und einer rückwirkenden Gewährung bereits geleisteter Hilfe als Darlehen gebietet
grundsätzlich eine einheitliche Entscheidung, denn es wäre ermessensfehlerhaft,
Sozialleistungen zurückzufordern, die dem Hilfeempfänger - wenn auch auf anderer
Rechtsgrundlage - gewährt werden könnten oder müssten. Im Rahmen des Rück-
nahmeermessens nach § 45 Abs. 1 SGB X ist daher abzuwägen, ob aufgrund der
Umstände des Einzelfalles die Rücknahme der Hilfegewährung mit einer darlehens-
weisen Belassung der geleisteten Mittel zu verbinden und insoweit die Beihilfe durch
ein Darlehen zu ersetzen ist. Auf der Grundlage entsprechender Erwägungen hat
auch das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 9. Dezember 1998 (B 9 V 41/97
R - HVBG-INFO 1999, 973) es als geboten angesehen, bei der Entscheidung über
die Rücknahme einer rechtswidrigen Rentenbewilligung mit Wirkung für die Zukunft
im Rahmen des Rücknahmeermessens nach § 45 Abs. 1 SGB X nicht außer Be-
tracht zu lassen, dass zwischenzeitlich die Leistungsvoraussetzungen eingetreten
sind, und hierzu ausgeführt:
"Das ergibt sich allerdings nicht schon daraus, dass der rechtswidrige Bescheid
nur zurückzunehmen ist, s o w e i t er rechtswidrig ist. ... Eine 'isolierte' Rück-
nahme des rechtswidrigen Altbescheides in einem solchen Fall würde aber gegen
Treu und Glauben und gegen die in § 2 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch
aufgestellte Ermessensrichtlinie verstoßen, wonach bei der Ausübung von Ermes-
sen sicherzustellen ist, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht
werden. Diesem Grundsatz würde die Rücknahme eines Bescheides über eine
langfristige wiederkehrende Leistung wie eine Versorgungsrente für einen Zeit-
raum, in dem dieselbe Leistung wegen der inzwischen eingetretenen Sach- und
Rechtslage ... doch gewährt werden müsste, so stark zuwiderlaufen, dass jede
andere Art der Ermessensausübung als fehlerhaft angesehen werden müsste …"
3. In Anwendung dieser Grundsätze hat der Beklagte sich ermessensfehlerfrei für
eine ersatzlose Rücknahme der Gewährung der geleisteten Hilfe zum Lebensunter-
halt ohne darlehensweise Belassung der der Klägerin zugeflossenen Mittel entschie-
den. Er hat - wie die Begründungen von Ausgangs- und Widerspruchsbescheid zei-
gen - sein Ermessen gesehen und mit der seinerzeitigen Einkommens- und Vermö-
genssituation der Klägerin, dem Verkauf ihres Hauses in A. sowie ihrem bevorste-
henden Umzug nach Frankreich die für die Rückabwicklung maßgeblichen Umstände
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in seine Abwägung eingestellt. Auch die Gewichtung der einzelnen Belange ist nicht
zu beanstanden. Insbesondere war es nicht geboten, der Klägerin durch eine
darlehensweise Belassung der zugeflossenen Mittel einen Immobilienerwerb in
Frankreich zu finanzieren, auf den sie sozialhilferechtlich keinen Anspruch hatte. Ei-
ne Ersetzung der geleisteten Beihilfe durch ein Darlehen wäre nur dann geboten ge-
wesen, wenn im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung noch ein Anspruch auf
eine darlehensweise Belassung der als Hilfe zum Lebensunterhalt geleisteten Beträ-
ge bestanden hätte, weil entweder eine Verwertung des einzusetzenden Vermögens
der Klägerin zeitweise nicht möglich war oder die Rückforderung sie erneut sozialhil-
febedürftig machen würde. Diese Voraussetzungen lagen jedoch nicht vor, denn die
im streitgegenständlichen Hilfezeitraum bestehende Notlage der Klägerin war durch
die Bewilligung ihrer Erwerbsunfähigkeitsrente und den Verkauf des Hauses in A.
zwischenzeitlich weggefallen und die Klägerin durch den Mittelzufluss aus dem
Hausverkauf auch in der Lage, ihre Außenstände gegenüber dem Sozialamt zu be-
gleichen.
4. Der Rückforderung der geleisteten Hilfe zum Lebensunterhalt auf der Rechts-
grundlage des § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X stehen nach alldem keine durchgreifenden
rechtlichen Einwände entgegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit
folgt aus § 188 Satz 2 VwGO.
Dr. Säcker Schmidt Dr. Rothkegel
Dr. Franke Prof. Dr. Berlit
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Sozialhilferecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
BSHG § 89
SGB X § 45
Stichworte:
Ersetzung als Beihilfe geleisteter Hilfe zum Lebensunterhalt durch eine darlehens-
weise Hilfegewährung;
Rücknahme, rückwirkende, der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt und Er-
setzung durch eine darlehensweise Hilfegewährung;
Teilrücknahme, keine - bei Ersetzung als Beihilfe geleisteter Hilfe zum Lebensunter-
halt durch eine darlehensweise Hilfegewährung;
Hilfe zum Lebensunterhalt, Ersetzung als Beihilfe geleisteter Hilfe durch ein Darle-
hen.
Leitsätze:
1. Die Gewährung von Sozialhilfe (Hilfe zum Lebensunterhalt) ist kein teilbarer Ver-
waltungsakt in dem Sinne, dass eine Rücknahme gemäß § 45 SGB X auf die Form
der Mittelgewährung als Beihilfe beschränkt werden könnte mit der Folge, dass - bei
Vorliegen der Voraussetzungen - ein Darlehen als Restverwaltungsakt übrig bliebe;
vielmehr wäre im Falle eines Anspruchs auf eine darlehensweise Belassung der ge-
leisteten Hilfe die Rücknahme der Hilfegewährung mit einer Entscheidung über eine
Darlehensgewährung zu verbinden.
2. Liegen im Zeitpunkt der Behördenentscheidung über die Rücknahme die Voraus-
setzungen einer Darlehensgewährung nicht mehr vor, so dass auch ein Darlehen
zurückzuzahlen wäre, ist die Behörde zu einer solchen rückwirkenden Darlehensge-
währung nicht mehr verpflichtet.
Urteil des 5. Senats vom 8. Juli 2004 - BVerwG 5 C 5.03
I.
VG Hannover vom 04.01.2001 - Az.:
VG 9 A 3101/00 -
II. OVG Lüneburg vom 13.02.2002 - Az.: OVG 4 LB 2089/01 -