Urteil des BVerwG vom 05.07.2007

Uvg, Unterhaltsleistung, Höchstdauer, Rückzahlung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 5 C 40.06
OVG 6 B 11.05
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. Juli 2007
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt, Dr. Franke, Dr. Brunn
und Prof. Dr. Berlit
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Ober-
verwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 25. Oktober
2006 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien
Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
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Die Beteiligten streiten darüber, ob die bei ihrer Mutter lebenden Kläger weitere
Zahlungen an Unterhaltsvorschuss über den 20. März 2002 hinaus verlangen
dürfen, und hierbei ausschließlich um die Frage, ob die Kläger sich entgegen-
halten lassen müssen, dass die Unterhaltsleistung nach § 3 UVG längstens für
72 Monate gezahlt wird.
Mit Bescheiden vom 31. Januar 2002 in der Fassung des Widerspruchsbe-
scheides vom 28. Februar 2002 stellte das Bezirksamt des Beklagten die Zah-
lung weiterer Unterhaltsvorschussleistungen zugunsten der Kläger mit der Be-
gründung ein, die nach § 3 UVG zu beachtende Höchstdauer für die zu erbrin-
genden Unterhaltsleistungen werde mit Ablauf des 20. März 2002 überschritten.
Dabei rechnete das Bezirksamt auch erbrachte Leistungen für den Zeitraum
Oktober 1997 bis März 1998 an, obgleich die Bewilligungsbescheide zwischen-
zeitlich aufgehoben worden sind und die Mutter der Kläger die für den
fraglichen Zeitraum erhaltenen Unterhaltsvorschüsse zurückerstattet hatte, um
ihren mit bestandskräftigen Bescheiden vom 2. November 1999 geltend ge-
machten Rückzahlungspflichten nach § 5 Abs. 1 UVG zu entsprechen.
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Die auf Leistungsgewährung gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht durch
Urteil vom 15. März 2004 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen
ausgeführt: Die in dem erörterten Zeitraum erbrachten Leistungen seien nicht
im Rechtssinne rückabgewickelt worden. Auf die Erfüllung des Anspruchs aus
§ 5 Abs. 1 UVG durch die Mutter könnten sich die Kläger hierbei deshalb nicht
stützen, weil das klägerische Vermögen durch die Zahlung der Mutter nicht ge-
schmälert worden und deshalb nach wie vor um den geleisteten Unterhaltsvor-
schuss gemehrt sei. Die Aufhebung der Bewilligungsbescheide für den streiti-
gen Zeitraum sei im Hinblick auf § 3 UVG ebenfalls ohne rechtliche Bedeutung,
weil die Leistungen nicht von den Klägern zurückgefordert worden seien.
Auf die Berufung der Kläger hat das Oberverwaltungsgericht den Beklagten
unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide dazu verpflichtet, den Klägern
für weitere sechs Monate ab dem 21. März 2002 Unterhaltsvorschussleistungen
in gesetzlicher Höhe zu bewilligen. Seine Entscheidung hat es hauptsächlich
darauf gestützt, dass die in dem Zeitraum Oktober 1997 bis März 1998 er-
brachten Leistungen außer Betracht bleiben müssten, weil die Bewilligungsbe-
scheide aufgehoben und die erbrachten Unterhaltsvorschüsse von der Mutter
der Kläger an den Beklagten zurückerstattet worden seien. Da für die streitigen
Zahlungen nach alledem kein im Unterhaltsvorschussgesetz liegender Rechts-
grund mehr bestehe, sei die Bewilligungshöchstdauer nach § 3 UVG nicht erfüllt
gewesen.
Mit ihrer Revision rügt der Beklagte eine fehlerhafte Auslegung und Anwendung
des § 3 UVG.
Die Kläger verteidigen das angegriffene Urteil.
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Die Revision des Beklagten, über die das Bundesverwaltungsgericht im Einver-
ständnis der Beteiligten gemäß § 141 Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 und
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§ 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist nicht
begründet.
Das Oberverwaltungsgericht hat im Einklang mit dem Bundesrecht (§ 137
Abs. 1 VwGO) dahin erkannt, dass der Zeitraum von Oktober 1997 bis März
1998 nicht auf die nach § 3 UVG bestimmte Leistungshöchstdauer anzurech-
nen und der Beklagte deshalb verpflichtet ist, den Klägern die beantragten Leis-
tungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für weitere sechs Monate nach
Ablauf des 20. März 2002 in der gesetzlichen Höhe zu gewähren.
Nach § 3 UVG wird die Unterhaltsleistung längstens für insgesamt 72 Monate
gezahlt. Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass zur umfassenden Klärung aller
mit der Anrechnung von Leistungszeiten auf die Leistungshöchstdauer verbun-
denen Fragen; zu beurteilen ist hier allein der Fall, dass vor Erreichen der Leis-
tungshöchstdauer der Bescheid über die Bewilligung der Unterhaltsleistung für
einen gewissen Zeitabschnitt gegenüber dem Leistungsempfänger aufgehoben
worden ist und der geleistete Betrag von dem mit dem Leistungsempfänger zu-
sammenlebenden Elternteil nach § 5 Abs. 1 UVG an den Träger der Leistung
zurückerstattet worden ist. Jedenfalls in einem solchen Fall ist eine Unterhalts-
leistung nicht mehr i.S.d. § 3 UVG „gezahlt“, so dass die Bewilligungsbehörde
entsprechende Leistungszeiträume bei der Berechnung der Bewilligungs-
höchstdauer außer Betracht zu lassen hat.
Allerdings ist der Wortlaut des § 3 UVG nicht eindeutig. Der Begriff der „Unter-
haltsleistung“ verweist auf die Leistungsvoraussetzungen des § 1 UVG und
kann so gedeutet werden, dass es nicht allein auf den tatsächlichen Zufluss der
Leistungen und die dadurch bewirkte Verbesserung der finanziellen Situation
der Kinder ankommt, sondern darauf, ob die gewährte Unterhaltsleistung recht-
lich und wirtschaftlich als rechtmäßig gewährte Leistung nach § 1 UVG den Be-
rechtigten auch verblieben und nicht nach § 5 Abs. 1 oder 2 UVG rückabgewi-
ckelt worden ist. Demgegenüber könnte das Tatbestandsmerkmal „gezahlt“
darauf weisen, dass allein auf die Auszahlung im Verhältnis zwischen dem Trä-
ger der Leistung und dem Leistungsempfänger abzustellen und eine spätere
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Rückabwicklung der Leistung unerheblich ist (vgl. in diesem Sinne Helmbrecht,
Unterhaltsvorschussgesetz, 5. Aufl. 2004, § 3 Anm. 2).
Nach dem Sinn und Zweck des Unterhaltsvorschussgesetzes ist die erste Aus-
legungsmöglichkeit vorzuziehen. Ausweislich der Gesetzesmaterialien be-
zweckt das Unterhaltsvorschussgesetz, den Schwierigkeiten zu begegnen, „die
alleinstehende Eltern und ihre Kinder haben, wenn sich ein Elternteil den Zah-
lungsverpflichtungen gegenüber einem unterhaltsberechtigten Kind entzieht,
hierzu ganz oder teilweise nicht in der Lage ist oder ein Elternteil verstorben ist“
(BTDrucks 8/1952 S. 1). Die hiermit einhergehenden finanziellen Belastungen,
die dadurch entstehen, dass der mit dem Kind zusammenlebende Elternteil im
Rahmen seiner eigenen Leistungsfähigkeit auch für den vom anderen Elternteil
geschuldeten Unterhalt aufkommen soll, sollen durch die Einführung der Unter-
haltsvorschussleistung gemildert werden (BTDrucks 8/1952 S. 6; ebenso
BTDrucks 8/2774 S. 11). Die Höchstdauer der öffentlichen Unterhaltsleistung
soll dabei auch die wirtschaftliche Belastung der Unterhaltsvorschusskasse be-
grenzen, wenn auch unabhängig von der Durchsetzung nach § 7 UVG überge-
gangener Ansprüche.
Die Rechtfertigung für eine Anrechnung auf die vom Gesetzgeber zur Kosten-
begrenzung eingeführte Höchstdauer der öffentlichen Unterhaltsleistung entfällt
aber jedenfalls dann, wenn die Behörde den im Unterhaltsvorschussgesetz lie-
genden Rechtsgrund mit der Aufhebung des Bewilligungsbescheides beseitigt
und der Leistungsempfänger nach § 5 Abs. 2 UVG oder der Elternteil, mit dem
er zusammenlebt, nach § 5 Abs. 1 UVG die auf der Grundlage des Bescheides
gewährten Beträge an den Träger der Unterhaltsleistung zurückerstattet. Liegt
ein solcher Fall - wie hier im Falle der Kläger - vor, können die zwar ausbezahl-
ten, aber rückwirkend ohne Rechtsgrund erbrachten und vollständig zurücker-
statteten Beträge nicht mehr als gezahlte Unterhaltsleistungen nach dem Un-
terhaltsvorschussgesetz i.S.d. § 3 UVG betrachtet werden. Durch die Rückab-
wicklung einer erbrachten, aber nach den Leistungsvoraussetzungen des Un-
terhaltsvorschussgesetzes nicht zustehenden Leistung, der nach dem systema-
tischen Zusammenhang auch die Ersatzpflicht nach § 5 Abs. 1 UVG zuzuord-
nen ist, bringt der bei bewirkter Rückzahlung auch wirtschaftlich wieder entlas-
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tete Träger der Unterhaltsleistung selbst zum Ausdruck, dass mangels Leis-
tungsvoraussetzungen rechtlich der Unterstützungseffekt für den allein erzie-
henden Elternteil nicht hat bewirkt werden können. Dann ist es aber auch nicht
mehr gerechtfertigt, die entsprechenden Zeiträume in die Berechnung der Leis-
tungshöchstdauer des § 3 UVG einzubeziehen und den Kindern die Leistungen
in Höhe der rückabgewickelten Zahlungen bei erneutem Vorliegen der Bewilli-
gungsvoraussetzungen vorzuenthalten.
Der Senat kann offen lassen, ob bei der Berechnung der Leistungshöchstdauer
nach § 3 UVG Leistungszeiten bereits dann unberücksichtigt zu bleiben haben,
wenn entweder nur die Bewilligung der Unterhaltsleistung aufgehoben worden
ist oder nur die Unterhaltsleistung von dem Berechtigten selbst nach § 5 Abs. 2
UVG zurückzuzahlen oder der geleistete Betrag von einem Haftenden nach § 5
Abs. 1 UVG an den Träger der Leistung zu erstatten ist, ohne dass zuvor der
Bewilligungsbescheid aufgehoben wurde, und ob in Fällen bestands- oder
rechtskräftig festgesetzter Ersatz- und Rückzahlungspflicht die Berücksichti-
gung nach § 3 UVG erst dann entfällt, wenn die festgesetzte Ersatzleistung o-
der Rückzahlung auch erbracht worden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten wer-
den nach § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben.
Hund Schmidt Dr. Franke
Dr. Brunn Prof. Dr. Berlit
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Jugendhilferecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
UVG §§ 3, 5 Abs. 1, Abs. 2
Stichworte:
Leistungshöchstdauer von Unterhaltsvorschussleistungen; Anrechnung von
Leistungszeiten nach Aufhebung der Bewilligung und Rückforderung/Rück-
zahlung von Unterhaltsleistungen.
Leitsatz:
Auf die Leistungshöchstdauer nach § 3 Abs. 1 UVG sind erbrachte Unterhalts-
vorschussleistungen jedenfalls dann nicht anzurechnen, wenn der zu Grunde
liegende Bewilligungsbescheid aufgehoben worden und die Leistung von dem
Berechtigten (§ 5 Abs. 2 UVG) oder einem Elternteil, mit dem dieser zusam-
menlebt, zurückerstattet (§ 5 Abs. 1 UVG) worden ist.
Urteil des 5. Senats vom 5. Juli 2007 - BVerwG 5 C 40.06
I. VG Berlin vom 15.03.2004 - Az.: VG 37 A 90.02 -
II. OVG Berlin-Brandenburg vom 25.10.2006 - Az.: OVG 6 B 11.05 -