Urteil des BVerwG vom 28.05.2015

Eltern, Erstausbildung, Besuch, Begriff

BVerwGE: nein
Fachpresse: ja
Sachgebiet:
Ausbildungs-, Graduierten- und Berufsbildungsförderung
Rechtsquelle/n:
BAföG § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1a Satz 1 Nr.1, §§ 3, 7
Abs. 1 Satz 1
GG Art. 3 Abs. 1
Titelzeile:
Anrechnung vorangegangener berufsbildender Ausbildungen auf
den zeitlichen Mindestumfang von drei Schul- oder
Studienjahren
Stichworte:
Grundanspruch auf Förderung einer Erstausbildung; Ausbildung; Erstausbildung;
berufsbildende Ausbildung; vorangegangene berufsbildende Ausbildung;
Ausbildungsbegriff; ausbildungsstättenbezogener Ausbildungsbegriff; Besuch
einer Ausbildungsstätte; Ausbildungsstätte; Zuordnung einer Ausbildung zu einer
Ausbildungsstätte; berufsqualifizierender Abschluss; zeitlicher Mindestumfang;
Anrechnung; abstrakte Förderungsvoraussetzungen; konkrete
Förderungsvoraussetzungen; persönliche Förderungsvoraussetzungen;
Wohnverhältnisse des Auszubildenden.
Leitsatz:
Es ist erforderlich, aber auch ausreichend, dass die im Rahmen des § 7 Abs. 1
Satz 1 BAföG auf den Mindestumfang von drei Schul- oder Studienjahren
anzurechnenden vorangegangenen Ausbildungen die abstrakten
Voraussetzungen erfüllen, die an eine nach dem
Bundesausbildungsförderungsgesetz förderungsfähige Ausbildung zu stellen
sind.
Urteil des 5. Senats vom 28. Mai 2015 - BVerwG 5 C 4.14
I. VG Hannover vom 19. Dezember 2011
Az: VG 10 A 80/11
II. OVG Lüneburg vom 16. Januar 2014
Az: OVG 4 LC 41/12
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 5 C 4.14
OVG 4 LC 41/12
Verkündet
am 28. Mai 2015
...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 28. Mai 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer und Dr. Fleuß und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Harms
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird der Beschluss des
Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 16. Ja-
nuar 2014 geändert. Die Berufung des Klägers gegen das
Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 19. Dezem-
ber 2011 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungs- und des Revi-
sionsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
G r ü n d e :
I
Der Kläger begehrt die Bewilligung von Ausbildungsförderung für eine einjähri-
ge Ausbildung zum staatlich geprüften Holzgestalter an einer Fachschule.
Der 1983 geborene Kläger erwarb im August 2000 an der Realschule den er-
weiterten Sekundarabschluss I. Anschließend leistete er an einer berufsbilden-
den Schule ein Berufsgrundbildungsjahr in der Fachrichtung Holztechnik ab. Im
August 2001 begann er eine dreijährige Ausbildung zum Tischler. Nach Able-
gung der Gesellenprüfung im Juli 2003 war er vier Jahre lang in seinem Beruf
tätig. Ab August 2007 besuchte er eine Fachschule für Holztechnik und Gestal-
tung, an der er zunächst eine zweijährige Ausbildung zum staatlich geprüften
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Holztechniker machte, die er im Juni 2009 erfolgreich abschloss. Von August
2009 bis Juni 2010 absolvierte er eine einjährige Ausbildung zum staatlich ge-
prüften Holzgestalter.
Den Antrag des Klägers, ihm für die letztgenannte Ausbildung Ausbildungsför-
derung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz zu bewilligen, lehnte die
Beklagte mit Bescheid vom 2. November 2009 ab. Der Förderungsanspruch für
eine berufsbildende Erstausbildung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG sei ausge-
schöpft. Nach dieser Vorschrift werde Ausbildungsförderung für zumindest drei
Schul- oder Studienjahre berufsbildender Ausbildung im Sinne der §§ 2 und 3
BAföG bis zu einem daran anschließenden berufsqualifizierenden Abschluss
geleistet. Bei der Berechnung der dreijährigen Mindestförderungsdauer sei ne-
ben der zweijährigen Ausbildung zum Holztechniker auch das Berufsgrundbil-
dungsjahr des Klägers in Ansatz zu bringen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsge-
richt hat der Berufung des Klägers stattgegeben und die Beklagte verpflichtet,
dem Kläger die beantragte Ausbildungsförderung zu gewähren. Bei dem zeitli-
chen Mindestumfang im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG seien nur Ausbil-
dungen zu berücksichtigen, die nach den materiellen Regelungen der §§ 2
und 3 BAföG grundsätzlich förderungsfähig seien. Im Falle des Besuchs einer
Ausbildungsstätte im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG sei die grund-
sätzliche Förderungsfähigkeit nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 2
Abs. 1a BAföG zu bejahen. Diese seien bezüglich des Berufsgrundbildungsjah-
res nicht erfüllt. Zwar handele es sich bei der Berufsbildenden Schule um eine
Ausbildungsstätte im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG. Jedoch habe
der Kläger während des Besuchs dieser Schule noch bei seinen Eltern ge-
wohnt.
Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter. Sie
rügt eine Verletzung des § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG und vertieft insoweit ihr bis-
heriges Vorbringen.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.
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Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht teilt in
Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung die
Rechtsauffassung der Beklagten.
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Annahme des Oberverwaltungs-
gerichts, der Kläger könne für die im Schuljahr 2009/2010 an einer Fachschule
für Holztechnik und Gestaltung absolvierte Ausbildung zum staatlich geprüften
Holzgestalter nach § 7 Abs. 1 Satz 1 des Bundesgesetzes über individuelle
Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz - BAföG) in
der Fassung der Bekanntmachung vom 6. Juni 1983 (BGBl. I S. 645, 1680), für
den hier maßgeblichen Zeitraum zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes
vom 23. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3254) - BAföG 2007 - dem Grunde nach
Ausbildungsförderung beanspruchen, verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1
VwGO).
1. Nach dieser Vorschrift wird Ausbildungsförderung - soweit hier erheblich -
zumindest für drei Schul- oder Studienjahre berufsbildender Ausbildung im Sin-
ne der §§ 2 und 3 BAföG 2007 bis zu einem daran anschließenden berufsquali-
fizierenden Abschluss geleistet. Der so umschriebene Grundanspruch auf För-
derung einer Erstausbildung kann zwar die Förderung von mehr als einer be-
rufsbildenden Ausbildung umfassen. Das setzt aber voraus, dass die zuerst
aufgenommene Ausbildung den zeitlichen Mindestumfang für die berufsbilden-
de Ausbildung von drei Schul- oder Studienjahren noch nicht voll ausgeschöpft
hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Februar 1992 - 5 B 11.92 - Buchholz
436.36 § 7 BAföG Nr. 102 S. 138 f. m.w.N.). Die insoweit zwischen den Beteilig-
ten allein streitige Frage, ob eine berufsbildende Ausbildung im Sinne des § 2
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG 2007 unabhängig vom Vorliegen der personenbezo-
genen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BAföG 2007 auf den zeit-
lichen Mindestumfang anzurechnen ist, ist - entgegen der Ansicht des Klägers -
zu bejahen. Der Begriff der berufsbildenden Ausbildung im Sinne des § 7 Abs. 1
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Satz 1 BAföG 2007 bezieht sich allein auf die gesetzlichen Merkmale, die eine
nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz förderungsfähige Ausbildung
abstrakt aufweisen muss. Für ein derartiges Normverständnis sprechen die
grammatikalische (a), die systematische (b) und die teleologische (c) Ausle-
gung. Die historisch-genetische Betrachtung rechtfertigt keinen anderen Befund
(d). Das Auslegungsergebnis wird durch verfassungsrechtliche Erwägungen
bekräftigt (e). In Anwendung dieser rechtlichen Vorgaben war der Anspruch des
Klägers nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG 2007 bei Beginn der hier im Streit ste-
henden Ausbildung zum staatlich geprüften Holzgestalter verbraucht (f). Abge-
sehen davon ist zwischen den Beteiligten - wie in der mündlichen Verhandlung
erörtert - zu Recht nicht streitig, dass diese Ausbildung auch nicht als eine wei-
tere Ausbildung nach § 7 Abs. 2 BAföG 2007 oder als eine andere Ausbildung
nach § 7 Abs. 3 BAföG 2007 zu fördern war.
a) Der Wortlaut des § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG 2007 und der dadurch hergestellte
systematische Zusammenhang zu den §§ 2 und 3 BAföG 2007 weisen deutlich
in die Richtung, dass für eine berufsbildende Ausbildung im Sinne dieser Vor-
schrift das Vorliegen der abstrakten Förderungsvoraussetzungen erforderlich,
aber auch ausreichend ist.
Mit der Formulierung "berufsbildender Ausbildung im Sinne der §§ 2 und 3"
nimmt § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG 2007 beschränkt auf den in den §§ 2 und 3
BAföG 2007 verwandten Begriff der Ausbildung Bezug. Soweit sich die Verwei-
sung auf § 2 BAföG 2007 erstreckt, nimmt sie Bezug auf den in dieser Bestim-
mung verwendeten Begriff der Ausbildung. Dieser findet sich in § 2 Abs. 1
Satz 2 und 3 BAföG 2007 und steht im Zusammenhang mit den in § 2 BAföG
2007 aufgeführten Ausbildungsstätten, für deren Besuch Ausbildungsförderung
geleistet wird. Mithin ist der in Bezug genommene Ausbildungsbegriff in der
Weise ausbildungsstättenbezogen, dass insoweit die abstrakten, d.h. von den
konkreten Voraussetzungen des Auszubildenden losgelösten gesetzlichen Vo-
raussetzungen der Förderungsfähigkeit vorliegen müssen (vgl. BVerwG, Urteil
vom 14. Dezember 1994 - 11 C 28.93 - Buchholz 436.36 § 7 BAföG Nr. 112
S. 14 m.w.N.). Eine Ausbildung im Sinne des § 2 BAföG 2007 ist gegeben,
wenn die betreffende Ausbildung oder die Teilnahme an einem Praktikum (vgl.
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§ 2 Abs. 4 BAföG 2007) einer der in Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 6 der Vorschrift auf-
gelisteten, in Abs. 2 der Vorschrift bezeichneten oder nach Abs. 3 der Vorschrift
bestimmten Ausbildungsstätten zugeordnet werden kann. Maßgebend für die
Zuordnung sind Art und Inhalt der Ausbildung (§ 2 Abs. 1 Satz 2 BAföG 2007).
Dass die Ausbildungsstätte den zentralen Bezugspunkt für den Begriff der Aus-
bildung im Sinne des § 2 BAföG 2007 bildet, unterstreicht auch dessen Über-
schrift ("Ausbildungsstätten"). Um eine Ausbildung im Sinne des § 3 BAföG
2007 handelt es sich bei der Teilnahme an einem Fernunterrichtslehrgang, so-
weit er unter denselben Zugangsvoraussetzungen auf denselben Abschluss
vorbereitet wie die in § 2 Abs. 1 BAföG 2007 bezeichneten oder nach § 2 Abs. 3
BAföG 2007 bestimmten Ausbildungsstätten. Die Anknüpfung des § 7 Abs. 1
Satz 1 BAföG 2007 an den ausbildungsstättenbezogenen Ausbildungsbegriff
des § 2 BAföG 2007 legt es nahe, dass für die berufsbildende Ausbildung in § 7
Abs. 1 Satz 1 BAföG 2007 lediglich die gesetzlichen Merkmale des § 2 BAföG
2007 begriffsbestimmend sind, die auf die Ausbildungsstätte bezogene
abstrakte Förderungsfähigkeit der Ausbildung beschreiben (vgl. so schon
BVerwG, Urteile vom 6. Dezember 1984 - 5 C 125.81 - Buchholz 436.36 § 7
BAföG Nr. 47 S. 113 f. und vom 14. Dezember 1994 - 11 C 28.93 - Buchholz
436.36 § 7 BAföG Nr. 112 S. 14 m.w.N.). Auf konkrete personenbezogene
Merkmale wie die des § 2 Abs. 1a BAföG 2007 kommt es demnach nicht an.
b) Dies wird durch weitere systematische Erwägungen bestätigt.
Im Hinblick auf die Binnensystematik des § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG 2007 ist zu
berücksichtigen, dass auch bei dem geforderten berufsqualifizierenden Ab-
schluss allein auf die objektiven Gegebenheiten abzustellen ist. Ein berufsquali-
fizierender Abschluss ist dann gegeben, wenn der Auszubildende bei objektiver
Betrachtung in dem von ihm durchlaufenen Ausbildungsgang einen Ausbil-
dungsstand erreicht hat, der ihm die Aufnahme eines Berufs ermöglicht. Die
subjektiven Vorstellungen des Auszubildenden sind für den berufsqualifizieren-
den Abschluss ohne Bedeutung (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Mai 2008
- 5 C 18.07 - Buchholz 436.36 § 7 BAföG Nr. 124 Rn. 12 m.w.N.). Des Weiteren
fügt sich die Bindung an die abstrakten Förderungsvoraussetzungen in den Re-
gelungsgehalt der Ausnahmetatbestände des § 7 Abs. 2 und 3 BAföG 2007 ein.
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Die dort formulierten Anforderungen für die Förderung einer weiteren oder einer
anderen Ausbildung sind ausschließlich abstrakter Natur.
Entsprechendes gilt für die in § 5 Abs. 4 Satz 1 BAföG 2007 angeordnete
Gleichwertigkeitsprüfung in Bezug auf die Förderung einer Ausbildung im Aus-
land. Ob der Besuch einer ausländischen Ausbildungsstätte gegenüber dem
der inländischen gleichwertig ist, ist anhand einer institutionellen Betrachtung zu
beurteilen. Bezugspunkt und Vergleichsmaßstab für die Gleichwertigkeitsprü-
fung ist die Ausbildungsstätte, d.h. die durch ihren Besuch gewährleistete Aus-
bildung im Allgemeinen. Dementsprechend ist Gleichwertigkeit anzunehmen,
wenn die Ausbildung an der ausländischen Ausbildungsstätte nach Zugangs-
voraussetzungen, Art und Inhalt der Ausbildung sowie nach dem vermittelten
Ausbildungsabschluss der Ausbildung gleichkommt, welche die für den Ver-
gleich heranzuziehende Ausbildungsstätte im Geltungsbereich des Gesetzes
vermittelt. Auf eine etwaige Förderlichkeit der Ausbildung im Einzelfall kommt
es nicht an (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2012 - 5 C 14.11 -
BVerwGE 143, 314 Rn. 22 f. m.w.N.).
c) Dieses Auslegungsergebnis entspricht dem Zweck der Vorschrift.
§ 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG 2007, der die Leistung von Ausbildungsförderung für
eine erste berufsbildende Ausbildung bis zu deren berufsqualifizierenden Ab-
schluss vorsieht, bringt den Zweck des Gesetzes zum Ausdruck, durch Ausbil-
dungsförderung jedem den Erwerb einer seiner Neigung, Eignung und Leistung
entsprechenden beruflichen Qualifikation wirtschaftlich zu ermöglichen (vgl.
BVerwG, Urteil vom 24. September 1981 - 5 C 84.79 - BVerwGE 64, 124
<126>). Ziel dieser Regelung ist es dabei nicht, jedem Auszubildenden für eine
von ihm und seiner Familie nicht selbst finanzierbare Ausbildung Förderungs-
mittel zu gewähren, sondern lediglich sicherzustellen, dass jeder Auszubildende
eine Ausbildung im Sinne des Gesetzes durchführen kann (vgl. Steinweg, in:
Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 5. Aufl. 2014, § 7 Rn. 7). Zur Verwirklichung die-
ses Ziels und zur Durchsetzung des in § 1 BAföG 2007 verankerten Nachrangs
der staatlichen Ausbildungsförderung erweist es sich als notwendig, aber auch
ausreichend, dass die im Rahmen des § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG 2007 auf den
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Mindestumfang von drei Schul- oder Studienjahren anzurechnenden, in der
Vergangenheit durchgeführten berufsbildenden Ausbildungen die abstrakten
Voraussetzungen erfüllen, die an eine nach dem Bundesausbildungsförde-
rungsgesetz förderungsfähige Ausbildung zu stellen sind. Dabei ist ohne Be-
deutung, ob diese Ausbildung ganz oder teilweise aus eigenen Mitteln finanziert
werden konnte, der Auszubildende für sie staatliche Förderungsleistungen hätte
erhalten können, weil alle, insbesondere auch die persönlichen bzw. personen-
bezogenen Förderungsvoraussetzungen vorgelegen haben, oder tatsächlich
Ausbildungsförderung geleistet worden ist.
d) Aus der Entstehungsgeschichte ergeben sich keine durchgreifenden Argu-
mente für die Auslegung, dass eine berufsbildende Ausbildung im Sinne des
§ 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG 2007 auch den Anforderungen des § 2 Abs. 1a Satz 1
Nr. 1 BAföG 2007 genügen muss. Die historisch-genetische Auslegung erweist
sich im Ergebnis vielmehr als indifferent.
Die zuletzt genannte Vorschrift wurde durch das 12. BAföG-Änderungsgesetz
vom 22. Mai 1990 (BGBl. I S. 936) eingefügt, um die zuvor in verschiedenen
Vorschriften, konkret in § 2 Abs. 1, § 10 Abs. 1 und 2, § 12 Abs. 2 und 3 und
§ 68 Abs. 2 BAföG, enthaltenen Teilregelungen über die Förderungsfähigkeit
einer Ausbildung aus Gründen der Vereinfachung und besseren Übersichtlich-
keit des Gesetzes in § 2 Abs. 1 und 1 a zusammenzufassen (vgl. die Begrün-
dung zum Regierungsentwurf, BT-Drs. 11/5961 S. 18). Bis dahin war die hier
streitgegenständliche Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG 2007 in-
haltsgleich in § 68 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 12 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BAföG zuletzt in
der Fassung vom 21. Juni 1988 (BGBl. I S. 829) enthalten, die in § 7 Abs. 1
BAföG zu keinem Zeitpunkt in Bezug genommen wurde. Der Umstand, dass mit
der Einfügung des Abs. 1a keine Änderung des Begriffs der Ausbildung im Sin-
ne des § 2 BAföG, auf den § 7 Abs. 1 BAföG in dieser Allgemeinheit auch in der
bis zum Inkrafttreten des 12. BAföG-Änderungsgesetzes geltenden Fassung
verwies, bezweckt war, könnte zwar den Schluss zulassen, dass eine berufsbil-
dende Ausbildung an einer Ausbildungsstätte im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 BAföG auf den zeitlichen Mindestumfang des § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG
unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1
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BAföG anzurechnen ist. Dies wird aber dadurch abgeschwächt, dass die von
§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG erfassten Ausbildungsstätten bis zum Inkrafttre-
ten des 12. BAföG-Änderungsgesetzes ausschließlich in § 68 Abs. 2 Nr. 1
BAföG aufgeführt, die übrigen in § 2 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BAföG enumerativ auf-
gelisteten Ausbildungsstätten hingegen schon vor dem Inkrafttreten des
12. BAföG-Änderungsgesetzes nicht nur in § 68 Abs. 2 BAföG, sondern auch in
§ 2 BAföG genannt wurden.
e) Das Auslegungsergebnis wird auch dadurch bestätigt, dass beim Abstellen
auf die personenbezogenen Förderungsvoraussetzungen des § 2 Abs. 1a
BAföG 2007 erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken bestünden.
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, wesentlich Glei-
ches gleich zu behandeln, stellt es aber dem Normgeber frei, aufgrund autono-
mer Wertungen die Differenzierungsmerkmale auszuwählen, an die er eine
Gleich- oder Ungleichbehandlung anknüpft. Je nach Regelungsgegenstand und
Differenzierungsmerkmalen ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz
unterschiedliche Grenzen für den Normgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis
zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen kön-
nen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 13. März 2007 - 1 BvF 1/05 - BVerfGE 118,
79 <100> und vom 21. Juni 2011 - 1 BvR 2035/07 - BVerfGE 129, 49 <68>
m.w.N.). Wird durch eine gesetzliche Norm eine Gruppe von Normadressaten
im Vergleich zu anderen Normadressaten verschieden behandelt, so ist zu prü-
fen, ob zwischen beiden Gruppen Unterschiede von solcher Art und solchem
Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können. Ist
dies nicht der Fall, verletzt die Norm den allgemeinen Gleichheitssatz. Zur Be-
gründung einer Ungleichbehandlung von Personengruppen reicht es nicht aus,
dass der Normgeber ein seiner Art nach geeignetes Unterscheidungsmerkmal
berücksichtigt hat. Vielmehr muss auch für das Maß der Differenzierung ein
innerer Zusammenhang zwischen den vorgefundenen Verschiedenheiten und
der differenzierenden Regelung bestehen, der sich als sachlich vertretbarer Un-
terscheidungsgesichtspunkt von hinreichendem Gewicht anführen lässt (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 2009 - 1 BvR 1164/07 - BVerfGE 124, 199
<219 f.>).
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Gemessen daran wäre es mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht zu verein-
baren, wenn eine vorangegangene berufsbildende Ausbildung an einer Ausbil-
dungsstätte im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG 2007 von der Anrech-
nung auf den zeitlichen Mindestumfang des § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG 2007 aus-
genommen würde, weil die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1
BAföG 2007 nicht vorgelegen haben. Soweit diese Vorschrift die Leistungsge-
währung davon abhängig macht, dass der Auszubildende nicht bei seinen El-
tern wohnt, stellt dies eine personenbezogene Förderungsvoraussetzung dar.
Denn es wird auf die konkreten Verhältnisse des Auszubildenden abgestellt, die
als solche die Ausbildung an der genannten Ausbildungsstätte nicht mitprägen
(vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1994 - 11 C 28.93 - Buchholz 436.36
§ 7 BAföG Nr. 112 S. 15). Es fehlt an einer hinreichenden, den Anforderungen
des Art. 3 Abs. 1 GG genügenden Rechtfertigung dafür, Auszubildende, die
eine solche Ausbildungsstätte am Wohnort ihrer Eltern besuchen konnten, in
Bezug auf den Grundanspruch auf Förderung einer Erstausbildung anders zu
behandeln als Auszubildende, die auf eine auswärtige Unterbringung angewie-
sen waren, um ihren Wunsch zur Erlangung einer ihrer Neigung, Eignung und
Leistung entsprechenden Ausbildung verwirklichen zu können. Mit Blick auf die
Zielsetzung des § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG 2007, durch Ausbildungsförderung
jedem den Erwerb einer (ersten) beruflichen Qualifikation wirtschaftlich zu er-
möglichen, bildet die Lage der elterlichen Wohnung zu einer Ausbildungsstätte
im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG 2007 kein geeignetes sachliches
Kriterium, um zu bestimmen, ob der Auszubildende den Grundanspruch auf
Förderung einer Erstausbildung in der Vergangenheit ausgeschöpft hat. Die
tatsächlichen Wohnverhältnisse des Auszubildenden sind für die insoweit erfor-
derliche Zuordnung einer Ausbildung zu einer Ausbildungsstätte im Sinne des
§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG 2007 ohne Belang, weil sie weder Art noch Inhalt
der Ausbildung berühren. Dass sie ein geeignetes Kriterium sind, um die Ge-
währung von Ausbildungsförderung für den Besuch einer der in § 2 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 BAföG 2007 genannten Ausbildungsstätten dem Willen des Ge-
setzgebers entsprechend einzuschränken, ändert daran nichts. Die Zielsetzung
des § 2 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BAföG 2007 ist mit der des § 7 Abs. 1 Satz 1
BAföG 2007 nicht identisch. § 2 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BAföG 2007 soll die unter-
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schiedliche Unterhaltsbelastung ausgleichen, die darauf zurückzuführen ist,
dass Auszubildende der in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG 2007 genannten Ar-
ten von Ausbildungsstätten, die aufgrund ihres im Allgemeinen jugendlichen
Alters im Regelfall noch bei ihren Eltern wohnen, ausnahmsweise nicht bei ih-
ren Eltern leben können, weil von deren Wohnung aus eine entsprechende zu-
mutbare Ausbildungsstätte nicht erreichbar ist. Denn in diesen Fällen haben die
Eltern wegen der notwendigen auswärtigen Unterbringung besonders hohe
Ausbildungskosten zu tragen (vgl. die Begründung zum Regierungsentwurf,
BT-Drs. 11/5961 S. 15; s.a. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 1999 - 5 C 23.98 -
Buchholz 436.36 § 2 BAföG Nr. 26 S. 4). Die Unterhaltsbelastung der Eltern in
der Vergangenheit spielt aber für die Frage, ob der Auszubildende eine im Sin-
ne des § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG 2007 erste berufsbildende Ausbildung absol-
viert hat, keine Rolle.
f) Unter Zugrundelegung des aufgezeigten Inhalts des Merkmals der "berufsbil-
denden Ausbildung" im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG 2007 ist die Beklag-
te zu Recht davon ausgegangen, dass der Anspruch auf Ausbildungsförderung
nach dieser Bestimmung bei Beginn der Ausbildung zum staatlich geprüften
Holzgestalter verbraucht war. Bei der Berechnung des Mindestumfangs von
drei Schul- oder Studienjahren muss sich der Kläger neben der zweijährigen
Ausbildung zum staatlich geprüften Holztechniker, die er im Juni 2009 berufs-
qualifizierend abschloss, auch das im Schuljahr 2000/2001 ableistete Berufs-
grundbildungsjahr anrechnen lassen. Die Beteiligten streiten zu Recht nicht
darüber, dass es sich dabei um eine berufsbildende Ausbildung an einer Aus-
bildungsstätte im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG 2007 handelte.
Rechtlich ohne Bedeutung ist, dass der Kläger in dieser Zeit - was ebenfalls
unstreitig ist - noch bei seinen Eltern wohnte und damit die Voraussetzungen
des § 2 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BAföG 2007 nicht erfüllte, da diese - wie aufge-
zeigt - personenbezogene Förderungsvoraussetzungen bezeichnen.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskosten-
freiheit folgt aus § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.
Vormeier
Stengelhofen
Dr. Störmer
Dr. Fleuß
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