Urteil des BVerwG vom 29.03.2006

Aufenthaltserlaubnis, Ablauf der Frist, Geburt, Unterbrechung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 5 C 4.05
VGH 13 S 2709/02
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. März 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt, Dr. Rothkegel,
Dr. Franke und Prof. Dr. Berlit
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-
Württemberg vom 5. November 2003 wird aufgehoben.
Ferner werden das Urteil des Verwaltungsgerichts
Sigmaringen vom 21. Oktober 2002 sowie der Bescheid
des Landratsamts Zollernalbkreis vom 1. Februar 2001
und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums
Tübingen vom 13. Juli 2001 aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, die Kläger einzubürgern.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
G r ü n d e :
I
Die 1991 und 1993 in der Bundesrepublik Deutschland geborenen Kläger wol-
len eingebürgert werden. Ihr Vater ist jugoslawischer Staatsangehöriger; er be-
sitzt seit dem 19. Juli 2001 eine bis zum 19. Juli 2003 befristet gewesene Auf-
enthaltsbefugnis, über deren Verlängerung bis zum Zeitpunkt der Berufungs-
verhandlung in der vorliegenden Sache noch nicht entschieden war. Die Mutter
der Kläger hat als ehemalige Deutsche aufgrund einer Adoption in ihrer Kindheit
die Staatsangehörigkeit der Vereinigten Staaten von Amerika erworben. Nach
ihrer Einreise ins Bundesgebiet im Jahre 1976 erhielt sie am 12. Dezember
1978 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Ihr amerikanischer Reisepass war
bis zum 13. April 1987 gültig. Am 15. Juni 1987 wurde der Mutter der Kläger ein
neuer Reisepass ausgestellt, nachdem sie - wie die Kläger behaupten - den
abgelaufenen Reisepass am 19. April 1987 dem amerikanischen General-
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konsulat zur Verlängerung übersandt hatte; in den neuen Pass wurde am
16. Juli 1987 die unbefristete Aufenthaltserlaubnis übertragen.
Die Kläger beantragten am 8. Mai 1998 die Erteilung einer Aufenthaltsgeneh-
migung. Am 19. April 2000 beantragten sie durch ihre für sie sorgeberechtigte
Mutter ihre Einbürgerung nach § 40b StAG. Der Beklagte lehnte dies durch Be-
scheid vom 1. Februar 2001 ab, weil die Mutter der Kläger sich nicht seit acht
Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte; sie habe in der Zeit vom 14. April
1987 bis zum 14. Juni 1987 keinen gültigen Pass besessen, so dass nach § 9
Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1965 die ihr erteilte Aufenthaltserlaubnis erloschen und da-
mit ihr rechtmäßiger Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland unterbro-
chen gewesen sei. Im Zeitpunkt der mündlichen Berufungsverhandlung war
über den Antrag der Kläger auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung noch
nicht entschieden, weil die Kläger keine gültigen amerikanischen Pässe vorge-
legt hatten und der Ausgang ihres Einbürgerungsverfahrens abgewartet werden
sollte.
Das Verwaltungsgericht hat die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage
abgewiesen (Urteil vom 21. Oktober 2002). Der Verwaltungsgerichtshof hat die
Berufung der Kläger zurückgewiesen (Urteil vom 5. November 2003) und dies
wie folgt begründet:
Die Kläger erfüllten jedenfalls nicht die durch § 40b Satz 1 StAG in Bezug ge-
nommenen Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG; denn weder ihr Vater
noch ihre Mutter hätten bei der Geburt der Kläger, wie von § 4 Abs. 3 Satz 1
Halbs. 2 StAG gefordert, seit acht Jahren ihren rechtmäßigen Aufenthalt im
Bundesgebiet gehabt. Zwar sei der Aufenthalt der Mutter der Kläger aufgrund
der ihr am 12. Dezember 1978 erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis zu-
nächst rechtmäßig gewesen; doch sei diese Aufenthaltserlaubnis am 14. April
1987 gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1965 erloschen, weil die Mutter der Kläger
ab diesem Zeitpunkt keinen gültigen Pass besessen habe. Auf ein Verschulden
daran komme es nicht an. In der Übertragung der unbefristeten Aufenthaltser-
laubnis in den am 15. Juni 1987 neu ausgestellten Pass könne allenfalls eine
Neuerteilung der Aufenthaltserlaubnis gesehen werden, nicht aber eine auf den
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Zeitraum der zweimonatigen Passlosigkeit rückwirkende Erteilung. Über die
Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts könne auch nicht unter He-
ranziehung von § 89 Abs. 3 oder § 97 AuslG hinweggesehen werden, wonach
Unterbrechungen der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts außer Betracht bleiben
können; diese Vorschriften seien angesichts von Wortlaut und Entstehungsge-
schichte des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StAG wie auch ihrer Systematik als Son-
derregelungen gegenüber den allgemeinen Regelungen des Staatsangehörig-
keitsrechts hier weder entsprechend noch im Sinne eines allgemeinen Rechts-
gedankens anwendbar. Sie unterschieden sich nach Voraussetzungen (weniger
streng hinsichtlich des Aufenthaltstitels) wie nach Rechtsfolge (Einbürge-
rungsanspruch bzw. -ermessen hier, Staatsangehörigkeitserwerb kraft Geset-
zes dort) von § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StAG beträchtlich.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Kläger, mit der sie die Verlet-
zung von §§ 40b, 4 Abs. 3 StAG und §§ 97, 89 Abs. 3 AuslG rügen.
Der Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.
II
Die Revision, über die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 141 Satz 1
i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhand-
lung entscheiden kann, ist begründet. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beru-
fung der Kläger zu Unrecht zurückgewiesen; die Kläger sind auf der Grundlage
des § 40b StAG antragsgemäß einzubürgern. Die Ansicht des Berufungsge-
richts, der Einbürgerung der Kläger stehe entgegen, dass ihre Mutter sich bei
Geburt der Kläger nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Sinne des § 4 Abs. 3
Satz 1 StAG in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten habe, ist mit dem
Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) nicht vereinbar.
1. Nach § 40b StAG (BGBl 1999 I S. 1618) ist ein Ausländer, der am 1. Januar
2000 rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und das 10. Le-
bensjahr noch nicht vollendet hat, auf Antrag einzubürgern, wenn bei seiner
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Geburt die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG vorgelegen haben und
weiter vorliegen (Satz 1); der Antrag kann bis zum 31. Dezember 2000 gestellt
werden (Satz 2). Die Kläger haben ihre Einbürgerung am 19. April 2000, also
vor Ablauf der Frist des Satzes 2 beantragt; sie erfüllen auch die Voraus-
setzungen des § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG.
Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG - hier anzuwenden in der im Zeitpunkt des In-
Kraft-Tretens des § 40b StAG geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes
zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15. Juli 1999 (BGBl I
S. 1618) -
erwirbt ein Kind ausländischer Eltern durch die Geburt im Inland die
deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig
seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat (Nr. 1) und eine Aufenthaltsbe-
rechtigung oder seit drei Jahren eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt
(Nr. 2). Diese Voraussetzungen sind bei der Mutter der Kläger - die insoweit
allein als Bezugsperson in Betracht kommt, da der Vater der Kläger nur eine ab
dem 19. Juli 2001 gültige, befristete Aufenthaltsbefugnis besitzt - erfüllt.
a) Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar zu Recht den gewöhnlichen Aufenthalt
der Mutter der Kläger in der Zeit zwischen dem Ablauf der Gültigkeit ihres
US-amerikanischen Passes (14. April 1987) „jedenfalls“ bis zu dessen Neuer-
teilung (15. Juni 1987), nach Auffassung des Beklagten sogar bis zur Übertra-
gung der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis in den neuen Pass (16. Juli 1987)
als nicht rechtmäßig beurteilt. Bis zum 31. Dezember 1990 hatte der Ablauf der
Gültigkeit eines Passes kraft Gesetzes u.a. das Erlöschen einer Aufenthaltser-
laubnis zur Folge; denn nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1965 erloschen die Auf-
enthaltserlaubnis und die Aufenthaltsberechtigung, wenn der Ausländer keinen
gültigen Pass oder Passersatz mehr besaß. Deshalb hatte der Ablauf der Gül-
tigkeit des Passes der Mutter der Kläger am 14. April 1987 dazu geführt, dass
ihre unbefristete Aufenthaltserlaubnis vom 12. Dezember 1978 erlosch; in der
Folgezeit bis zur Geburt der Kläger wurde der Achtjahreszeitraum des § 4
Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht mehr erreicht.
b) Mit der Feststellung, dass der Inlandsaufenthalt der Mutter der Kläger bei
deren Geburt nicht acht Jahre lang rechtmäßig gewesen, sondern seine
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Rechtmäßigkeit nach damaliger Rechtslage unterbrochen war, hat es bei der
Anwendung des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StAG jedoch nicht sein Bewenden. Hier
kann dahinstehen, ob über eine geringfügige Dauer der Unterbrechung
hinweggesehen werden kann, wie dies der seinerzeit für das Staatsangehörig-
keitsrecht zuständige 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil
vom 18. November 2004 - BVerwG 1 C 31.03 - (BVerwGE 122, 199) bei einer
Unterbrechung von nur wenigen Tagen angenommen hat. Jedenfalls im Rah-
men der Verweisung auf § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StAG durch § 40b StAG als der
hier einschlägigen Rechtsgrundlage eines Einbürgerungsanspruchs und be-
zogen auf das Fehlen eines gültigen Passes ist - entgegen der Ansicht der
Vorinstanz - gesetzlichen Regelungen Rechnung zu tragen, die bestimmen,
dass Unterbrechungen der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts unschädlich sind.
Zu solchen Bestimmungen gehört § 89 Abs. 3 AuslG in der Fassung des Ge-
setzes zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9. Juli 1990 (BGBl I S. 1354)
- AuslG 1990 -. Danach bleiben Unterbrechungen der Rechtmäßigkeit des Auf-
enthalts außer Betracht, wenn sie darauf beruhen, dass der Ausländer nicht
rechtzeitig die erstmals erforderliche Erteilung oder die Verlängerung der Auf-
enthaltsgenehmigung beantragt hat oder nicht im Besitz eines gültigen Passes
war. Dieser Regelung entspricht jetzt der durch Art. 5 Nr. 8 des Zuwanderungs-
gesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950) eingefügte § 12b Abs. 3 StAG. Bei
dessen Schaffung hat der Gesetzgeber davon abgesehen, durch einen ent-
sprechenden Zusatz klarzustellen, dass die Vorschrift nur für Einbürgerungsver-
fahren gilt, nicht aber auch im Rahmen eines gesetzlichen Erwerbstatbestandes
wie des § 4 Abs. 3 StAG Anwendung findet (s. dazu Hailbronner, in:
Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 4. Auflage 2005, § 12b StAG
Rn. 8). Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem bereits genannten Urteil vom
18. November 2004 (a.a.O., S. 204) offen gelassen, welche Schlüsse daraus zu
ziehen sind, dass das Staatsangehörigkeitsgesetz weder in § 4 Abs. 3 StAG
noch an anderer Stelle eine ausdrückliche Bestimmung wie die des § 89 Abs. 3
AuslG 1990 enthält (ebenso schon Urteil vom 28. September 1993 - BVerwG
1 C 1.93 - Buchholz 133 AG-StlMindÜbk Nr. 2 zu Art. 2 Satz 1 AG-StlMindÜbk).
Diese Frage ist nunmehr dahin zu entscheiden, dass jedenfalls im Rahmen des
§ 40b StAG die Rechtsfolgen einer auf Passlosigkeit beruhenden Unterbre-
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chung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nicht anders zu beurteilen sind als
im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 89 Abs. 3 AuslG 1990 (jetzt § 12b
Abs. 3 StAG). Dies beruht auf folgenden Erwägungen:
Der Einbürgerungsanspruch nach § 40b StAG steht in engem sachlichem Zu-
sammenhang mit dem Staatsangehörigkeitserwerb kraft Geburtsortsprinzips
des § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG (ebenso Marx, in: GK-StAR, § 40b Rn. 3). Diese
Vorschrift zielt darauf ab, den im Bundesgebiet aufwachsenden Kindern aus-
ländischer Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit frühzeitig zuzuerkennen, um
ihre Integration in die deutschen Lebensverhältnisse zu verbessern (BVerwG,
Urteil vom 18. November 2004, a.a.O., S. 205 unter Hinweis auf BTDrucks
14/533, S. 14). Mit § 40b StAG wollte der Gesetzgeber offensichtlich den
Kindern, die im Zeitpunkt der Einführung des Geburtsortsprinzips bereits ge-
boren waren, eine staatsangehörigkeitsrechtlich vergleichbare Position wie den
durch § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG begünstigten Kindern gewähren (ebenso Marx,
a.a.O., Rn. 4). Das Geburtsortsprinzip (s. dazu BTDrucks 14/533, S. 11) ist
durch die Hinzufügung des Absatzes 3 zu § 4 StAG durch Art. 1 Nr. 3 des
Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15. Juli 1999 (BGBl I
S. 1618) mit Wirkung vom 1. Januar 2000 eingeführt worden und also gleich-
zeitig mit § 40b StAG in Kraft getreten. Zu diesem Zeitpunkt war die Passlosig-
keit als Grund für die Unrechtmäßigkeit eines gewöhnlichen Inlandsaufenthalts
(innerhalb der letzten acht Jahre) bereits seit mehr als acht Jahren entfallen;
denn § 9 AuslG 1965, der u.a. die Beendigung der Aufenthaltserlaubnis infolge
Ungültigkeit eines Passes oder Passersatzes geregelt hatte, war ab dem
1. Januar 1991 durch die Regelung des § 43 AuslG 1990 (BGBl I S. 1354) über
den Widerruf der Aufenthaltsgenehmigung abgelöst worden. § 43 Abs. 1 AuslG
1990 regelte die Widerrufsgründe abschließend und führte unter Nr. 1 den Fall
auf, dass der Ausländer keinen gültigen Pass oder Passersatz mehr besitzt. Ab
dem 1. Januar 1991 stellte dieser Umstand keinen Erlöschensgrund für den
Aufenthaltstitel mehr dar; vielmehr ließ er als Folge des Fortbestands des
Aufenthaltstitels bis zu dessen Widerruf die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts
unberührt. Deshalb wurde ab dem Außer-Kraft-Treten des § 9 AuslG 1965 zum
31. Dezember 1990 die Rechtmäßigkeit eines Inlandsaufenthalts bei einer
unbefristet erteilten Aufenthaltserlaubnis nicht mehr kraft Gesetzes dadurch
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unterbrochen, dass die Gültigkeit des Passes auslief, sondern war der
Fortbestand der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts mittelbar in das Ermessen der
Behörde gestellt. Nicht der Pass und dessen Gültigkeit, sondern der jeweilige
Aufenthaltstitel sind seitdem der rechtliche Anknüpfungspunkt für die Recht-
mäßigkeit des Aufenthalts; am Besitz eines (ausländischen) Passes orientiert
sich auch nicht, ob und inwieweit - was gesetzgeberisches Motiv der Schaffung
des § 4 Abs. 3 Nr. 1 StAG war (vgl. BTDrucks 14/533, S. 14) - der Passinhaber
in die deutschen Lebensverhältnisse integriert ist. Passlosigkeit des maßgeb-
lichen Elternteils in den letzten acht Jahren vor ihrer Geburt konnte somit auch
einen Einbürgerungsanspruch aufgrund des § 40b StAG i.V.m. § 4 Abs. 3
Satz 1 Nr. 1 StAG nur bei solchen ausländischen, aber im Inland geborenen
Kindern berühren, die bei In-Kraft-Treten dieser Vorschrift (1. Januar 2000)
zwar ihr zehntes Lebensjahr noch nicht vollendet hatten (also am 1. Januar
1991 oder später geboren waren), aber mindestens zwei Jahre alt (also am
31. Dezember 1998 oder früher geboren) waren.
Dem hiernach noch für die Anwendung des § 9 AuslG 1965 im Rahmen des § 4
Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StAG in Betracht kommenden Personenkreis des § 40b
StAG kommt aber in Bezug auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts eines El-
ternteils der in § 89 Abs. 3 AuslG (jetzt § 12b Abs. 3 StAG) enthaltene Rechts-
gedanke zugute.
Eine Analogie scheitert hier nicht daran, dass weder in § 4 Abs. 3 StAG noch in
§ 40b StAG eine § 89 Abs. 3 AuslG 1990 vergleichbare Regelung aufgenom-
men wurde. Aus ihrem Fehlen kann nicht gefolgert werden, dass eine entspre-
chende, durch Auslegung des Gesetzes zu schließende Regelungslücke nicht
bestehe. Es ist nicht erkennbar, dass sich der Gesetzgeber bei der Schaffung
des § 40b i.V.m. § 4 Abs. 3 StAG für den Personenkreis des § 40b StAG des
Problems bewusst gewesen sein könnte, dass der rechtmäßige Aufenthalt ei-
nes Elternteils von acht Jahren im Zeitpunkt der Geburt durch vorübergehende
Passlosigkeit unterbrochen gewesen sein könnte. Denn bei der in Bezug ge-
nommenen Regelung des § 4 Abs. 3 StAG konnte dies nicht erheblich werden,
weil § 9 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1965 bereits mehr als acht Jahre außer Kraft getre-
ten war. Mit § 89 Abs. 3 AuslG hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht,
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dass eine vorübergehende Passlosigkeit - ungeachtet ihrer in der Vergangen-
heit angeordneten aufenthaltsrechtlichen Folgen - für den Anspruch auf Erwerb
der deutschen Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung unerheblich sein sollte,
ohne dass insoweit ein Nichtberücksichtigungsermessen eingeräumt war. Die
an den rechtmäßigen Aufenthalt anknüpfende Integrationsvermutung bei der
Anspruchseinbürgerung nach §§ 85 ff. AuslG, dem Einbürgerungsanspruch
nach § 40b StAG und den Geburtserwerb nach § 4 Abs. 3 StAG unterscheiden
sich nicht. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass eine in die-
sem Sinne einschränkende Auslegung der Tatbestandsvoraussetzung eines
„seit acht Jahren rechtmäßig(en) … gewöhnlichen Aufenthalts im Inland“ in § 4
Abs. 3 Nr. 1 StAG dem Willen des Gesetzgebers widerspräche. Angesichts des
dargestellten Gesetzesziels, als Reaktion auf „einen verfestigten Aufenthalt in
der Bundesrepublik … den hier aufwachsenden Kindern ausländischer Eltern
die deutsche Staatsangehörigkeit frühzeitig (zuzuerkennen) …, um ihre Integra-
tion in die deutschen Lebensverhältnisse zu verbessern“ (BTDrucks 14/533,
S. 14), ist das Gegenteil der Fall.
Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass § 89 Abs. 3 AuslG 1990 nicht im
Staatsangehörigkeitsgesetz verortet, sondern formal eine Vorschrift des Aus-
länderrechts ist. Der Sache nach handelt es sich vielmehr (zumindest auch) um
eine staatsangehörigkeitsrechtliche Bestimmung; denn sie regelt nach ihrer
systematischen Stellung innerhalb des Siebenten Abschnitts („Erleichterte Ein-
bürgerung“) des Ausländergesetzes 1990 für ihren sachlichen und persönlichen
Geltungsbereich den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Einbür-
gerung. Die staatsangehörigkeitsrechtliche Natur des § 89 Abs. 3 AuslG 1990
erweist sich auch daran, dass die Vorschrift sich nunmehr mit der Maßgabe im
Staatsangehörigkeitsgesetz in dessen § 12b Abs. 3 wiederfindet, dass die bei
In-Kraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes seit über 20 Jahren außer Kraft
getretene Unterbrechung eines rechtmäßigen Aufenthalts allein wegen Passlo-
sigkeit nicht mehr erwähnt ist.
Der Heranziehung des Rechtsgedankens aus § 89 Abs. 3 AuslG im Rahmen
des § 40b StAG steht auch nicht entgegen, dass § 4 Abs. 3 StAG, auf dessen
Voraussetzungen § 40b StAG Bezug nimmt, einen gesetzlichen Erwerbstatbe-
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stand darstellt, während § 89 Abs. 3 AuslG 1990 lediglich Einbürgerungen auf
Antrag und aufgrund eines Regelanspruchs („… ist in der Regel einzubürgern,
wenn …“) betrifft. Auch § 40b StAG regelt nur eine Einbürgerung auf Antrag.
Da die Beteiligten nicht darüber streiten, dass die Kläger die sonstigen Voraus-
setzungen eines Anspruchs aus § 40b StAG erfüllen, muss der Beklagte sie
antragsgemäß einbürgern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Dr. Säcker Schmidt Dr. Rothkegel
Dr. Franke Prof. Dr. Berlit
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 16 000 €
festgesetzt (vgl. § 72 Nr. 1 des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom
5. Mai 2004 BGBl I S. 718).
Dr. Säcker Dr. Rothkegel Prof. Dr. Berlit
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Staatsangehörigkeitsrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
StAG
§ 4 Abs. 3 Nr. 1, § 40b
AuslG F. 1965
§ 9
AuslG F. 1990
§ 89 Abs. 3
Stichworte:
A:
Aufenthalt, Rechtmäßigkeit des - als Einbürgerungsvoraussetzung;
Aufenthaltserlaubnis, Erlöschen infolge Ungültigkeit des Passes;
E:
Einbürgerung, erleichterte - von Kindern;
K:
Kinder, erleichterte Einbürgerung von -;
P:
Pass, Ablauf der Gültigkeit des - und Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis;
Passlosigkeit, Auswirkungen auf Einbürgerungsanspruch;
R:
Rechtmäßigkeit des Aufenthalts ausländischer Eltern als Voraussetzung
für erleichterte Einbürgerung ihrer Kinder;
Rechtmäßigkeit, Unterbrechung der - des Aufenthalts wegen
Passlosigkeit;
U:
Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts infolge Passlosigkeit.
Leitsatz:
Für eine Einbürgerung eines Kindes nach § 40b i.V.m. § 4 Abs. 3 StAG bleibt
eine Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts eines Elternteils außer
Betracht, wenn die Unterbrechung darauf beruht, dass der Elternteil zeitweise
nicht im Besitz eines gültigen Passes war (§ 89 Abs. 3 AuslG 1990 analog).
Urteil des 5. Senats vom 29. März 2006 - BVerwG 5 C 4.05
I. VG Sigmaringen vom 21.10.2002 - Az.: VG 9 K 1317/01 -
II. VGH Mannheim vom 05.11.2003 - Az.: VGH 13 S 2709/02 -