Urteil des BVerwG vom 10.10.2013

Künstliche Befruchtung, Bvo, Beihilfe, Fürsorgepflicht

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 5 C 32.12
VGH 2 S 3010/11
Verkündet
am 10. Oktober 2013
Werner
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 10. Oktober 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer, Dr. Häußler
und Dr. Fleuß
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Verwal-
tungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 14. Februar
2012 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof Baden-
Württemberg zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussent-
scheidung vorbehalten.
G r ü n d e :
I
Der Kläger begehrt Beihilfe zu den Aufwendungen für eine künstliche Befruch-
tung in Form der heterologen In-vitro-Fertilisation.
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Der Kläger, ein im Dienst des Beklagten stehender Beamter, leidet unter einer
Azoospermie, d.h. dem völligen Fehlen von Samenzellen. Bei seiner gesetzlich
krankenversicherten Ehefrau ist die Funktionsfähigkeit der Eileiter gestört.
Nach sechs erfolglosen Inseminationen ließen der Kläger und seine Ehefrau in
der Zeit vom 2. bis 4. Februar 2010 eine heterologe In-vitro-Fertilisation durch-
führen. Dabei wurden der Ehefrau des Klägers nach einer Hormonstimulation
Eizellen entnommen, die außerhalb des Körpers mit den Samenzellen eines
Spenders befruchtet wurden. Der so gezeugte Embryo wurde anschließend in
die Gebärmutter eingesetzt. Weitere Eizellen wurden kryokonserviert und ein-
gelagert.
Den Antrag des Klägers, ihm eine Beihilfe zu den hierfür entstandenen Aufwen-
dungen in Höhe von insgesamt 3 574,18 € zu zahlen, lehnte der Beklagte ab.
Das Verwaltungsgericht hat der nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erho-
benen Klage in Höhe von 893,55 € stattgegeben. Der Verwaltungsgerichtshof
hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Berufung des Be-
klagten das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage insgesamt
abgewiesen.
Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger könne nach der
allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des § 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m.
§ 5 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung des Finanzministeriums über die Gewährung
von Beihilfen in Geburts-, Krankheits-, Pflege- und Todesfällen - Beihilfeverord-
nung (BVO) - bezogen auf seine Person keine Beihilfe zu den im Januar/
Februar 2010 entstandenen Aufwendungen für die künstliche Befruchtung be-
anspruchen. Die aufgrund der Azoospermie vorliegende Sterilität des Klägers,
d.h. das Unvermögen, genetisch eigene Kinder zu zeugen, sei zwar unstreitig
eine Krankheit im Sinne dieser Vorschriften. Die künstliche Befruchtung in Form
der In-vitro-Fertilisation unter Verwendung der Samenzellen eines Spenders
stelle aber keine Krankenbehandlung für den Kläger im Sinne des Beihilferechts
dar. Denn durch den medizinischen Eingriff werde die vollständige und dauer-
hafte Zeugungsunfähigkeit des Klägers nicht partiell oder zeitweise gelindert
oder mit der Unfruchtbarkeit etwa zusammenhängende Schmerzen oder Be-
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schwerden beseitigt. Auch werde dadurch - anders als bei einer homologen In-
vitro-Fertilisation - das körperliche Unvermögen des Klägers, genetisch eigene
Kinder zu zeugen, nicht ersetzt. Es genüge nicht, dass der Kläger im Falle ei-
nes Erfolgs der künstlichen Befruchtung gemäß § 1592 Abs. 1 Nr. 1 BGB als
Vater des von seiner Ehefrau zur Welt gebrachten Kindes gelte. Der Umstand,
dass auch bei der Ehefrau des Klägers im Hinblick auf die gestörte Funktion der
Eileiter eine Krankheit im Sinne des Beihilferechts vorliege, führe zu keinem
anderen Ergebnis. Da die heterologe In-vitro-Fertilisation eine Gesamtmaß-
nahme darstelle, die bezogen auf den Kläger beihilferechtlich nicht als Kran-
kenbehandlung angesehen werden könne, könnten deren Kosten auch nicht als
für die berücksichtigungsfähige Ehefrau entstandene Aufwendungen erstattet
werden. Daher komme es nicht darauf an, ob die Aufwendungen nach § 5
Abs. 4 Nr. 4 BVO auch deshalb nicht beihilfefähig seien, weil der Gesamtbetrag
der Einkünfte der Ehefrau in den beiden Kalenderjahren vor der Stellung des
Beihilfeantrags jeweils 18 000 € überstiegen habe.
Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Er rügt eine
Verletzung des § 5 Abs. 1 Satz 1 und des § 6 Abs. 1 Nr. 1 BVO sowie des Art. 3
Abs. 1 und 3 Satz 2 GG.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
II
Die Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt revisi-
bles Landesrecht (§ 127 Nr. 2 BBRG i.V.m. § 63 Abs. 3 Satz 2 BeamtStG; vgl.
Urteil vom 29. April 2010 - BVerwG 2 C 77.08 - BVerwGE 137, 30 = Buchholz
271 LBeihilfeR Nr. 37 jeweils Rn. 6 m.w.N.), soweit der Verwaltungsgerichtshof
entscheidungstragend annimmt, die künstliche Befruchtung in Form der hetero-
logen In-vitro-Fertilisation sei eine Gesamtmaßnahme mit der Folge, dass die
beihilferechtliche Notwendigkeit der hierfür entstandenen Aufwendungen für die
berücksichtigungsfähige Ehefrau des Klägers nicht anders als für den beihilfe-
berechtigten Kläger selbst beantwortet werden könne. Ob Aufwendungen für
die Ehefrau des Klägers beihilfefähig sind, kann der Senat mangels ausrei-
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chender Tatsachenfeststellungen nicht entscheiden, sodass die Sache gemäß
§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entschei-
dung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen ist.
Die Rechtsgrundlage für die geltend gemachte Beihilfe findet sich in den allge-
meinen Vorschriften über die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen bei Krankheit
der Verordnung des Finanz- und Wirtschaftsministeriums des Beklagten über
die Gewährung von Beihilfe in Geburts-, Krankheits-, Pflege- und Todesfällen
- Beihilfeverordnung (BVO) - vom 28. Juli 1995 (GBl S. 561) in der Fassung
vom 30. Oktober 2008 (GBl S. 407), die auf § 101 Satz 2 und 3 in der bis zum
31. Dezember 2010 geltenden Fassung des Landesbeamtengesetzes Baden-
Württemberg vom 17. Februar 2004 (GBl S. 66) fußt. Für die rechtliche Beurtei-
lung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist die Sach- und Rechtslage zum Zeit-
punkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die Beihilfen verlangt
werden (stRspr, vgl. Urteil vom 8. November 2012 - BVerwG 5 C 2.12 - IÖD
2013, 33 m.w.N.). Die streitgegenständlichen Aufwendungen sind nach den
bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs (§ 137 Abs. 2 VwGO)
im Januar/Februar 2010 entstanden. Die Beihilfeverordnung des Beklagten ent-
hält keine spezielle Regelung über die Beihilfefähigkeit medizinischer Maßnah-
men zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, sodass auf die allgemeinen
Vorschriften zurückzugreifen ist. Zutreffend ist der Verwaltungsgerichtshof da-
von ausgegangen, dass danach dem beihilfeberechtigten Kläger für sich selbst
keine Beihilfe zu den Aufwendungen für die künstliche Befruchtung unter Ver-
wendung der Samenzellen eines Spenders zusteht (1.) Zu Unrecht hat er aber
angenommen, dass der Kläger auch für seine berücksichtigungsfähige Ehefrau
- sofern deren Aufwendungen beihilfefähig sein sollten - keine Beihilfe bean-
spruchen kann (2.)
1. Nach § 1 Abs. 4 BVO werden Beihilfen zu den beihilfefähigen Aufwendungen
der beihilfeberechtigten Personen gewährt. Dazu zählen nach § 2 Abs. 1 Nr. 1,
Abs. 2 BVO Beamte, wenn und solange sie unter anderem Dienstbezüge erhal-
ten. Beihilfefähig sind nach § 5 Abs. 1 Satz 1 und § 6 Abs. 1 Nr. 1 BVO aus An-
lass einer Krankheit unter anderem Aufwendungen für gesondert erbrachte und
berechnete ärztliche Leistungen, wenn sie dem Grunde nach notwendig und
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soweit sie der Höhe nach angemessen sind. Sofern die Voraussetzungen erfüllt
sind, besteht auf die Beihilfe ein Rechtsanspruch (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BVO). Der
Kläger ist als ein im Dienst des Beklagten stehender Beamter beihilfeberechtigt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Einklang mit revisiblem Landesrecht ent-
schieden, dass die aufgrund einer Azoospermie vorliegende Sterilität des Klä-
gers eine Krankheit im Sinne des § 6 Abs. 1 BVO darstellt (a). Er hat die Beihil-
fefähigkeit der Aufwendungen für die heterologe In-vitro-Fertilisation in Bezug
auf den Kläger der Sache nach in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender
Weise wegen ihrer fehlenden beihilferechtlichen Notwendigkeit im Sinne des
§ 5 Abs. 1 Satz 1 BVO verneint (b). Das verletzt nicht höherrangiges Recht (c).
a) Für den Krankheitsbegriff im Sinne des § 6 Abs. 1 BVO ist mangels einer ei-
genständigen Begriffsbestimmung in der Beihilfeverordnung grundsätzlich auf
den sozialversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriff nach § 27 Abs. 1 Satz 1
Fünftes Buch Sozialgesetzbuch zurückzugreifen. Danach ist Krankheit ein re-
gelwidriger Zustand des Körpers oder des Geistes, der der ärztlichen Behand-
lung bedarf oder - zugleich oder ausschließlich - Arbeitsunfähigkeit zur Folge
hat. Als regelwidrig ist ein Körper- oder Geisteszustand anzusehen, der von der
durch das Leitbild eines gesunden Menschen geprägten Norm abweicht. Dabei
ist der Begriff der Gesundheit mit dem Zustand gleichzusetzen, der dem Einzel-
nen die Ausübung körperlicher oder geistiger Funktionen ermöglicht. Jemand ist
krank, wenn er in seiner Körper- oder Geistesfunktion beeinträchtigt ist (vgl.
Urteil vom 24. Februar 1982 - BVerwG 6 C 8.77 - BVerwGE 65, 87 <91> =
Buchholz 238.4 § 30 SG Nr. 5 S. 5; Beschlüsse vom 4. November 2008
- BVerwG 2 B 19.08 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 370 Rn. 4 und vom
30. September 2011 - BVerwG 2 B 66.11 - Buchholz 270 § 5 BhV Nr. 21 Rn. 7
mit Nachweisen auf die Rechtsprechung des BSG).
Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Begriffsbestimmung zugrunde gelegt und
in deren Anwendung zu Recht dahin erkannt, dass bei dem Kläger eine Erkran-
kung im Sinne des § 6 Abs. 1 BVO vorliegt. Hierüber besteht zwischen den Be-
teiligten kein Streit. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs lei-
det der Kläger an einer Azoospermie. Infolge des völligen Fehlens von Samen-
zellen ist er auf Dauer unfähig, genetisch eigene Nachkommen zu zeugen. Sei-
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ne Unfruchtbarkeit stellt einen regelwidrigen Körperzustand dar, der vom Nor-
malzustand der Fortpflanzungsfähigkeit erwachsener Menschen im zeugungs-
fähigen Alter abweicht. Die Kinderlosigkeit an sich stellt demgegenüber keine
Krankheit im Sinne des § 6 Abs. 1 BVO dar (vgl. BGH, Urteile vom 17. Dezem-
ber 1986 - IVa ZR 78/85 - BGHZ 99, 228 und vom 12. November 1997 - IV ZR
58/97 - NJW 1998, 824; BVerfG, Urteil vom 28. Februar 2007 - 1 BvL 5/03 -
BVerfGE 117, 316; s.a. BSG, Urteil vom 21. Juni 2005 - B 8 KN 1/04 KR R -
SozR 4-2500 § 27a Nr. 2).
b) Aufwendungen sind dem Grunde nach notwendig im Sinne von § 5 Abs. 1
Satz 1 BVO, wenn sie für eine medizinisch gebotene Behandlung entstanden
sind, die der Wiedererlangung der Gesundheit, der Besserung oder Linderung
von Leiden, der Beseitigung oder dem Ausgleich körperlicher oder geistiger Be-
einträchtigungen dienen. Die Behandlung muss darauf gerichtet sein, die
Krankheit zu therapieren (vgl. Urteil vom 8. November 2012 a.a.O. Rn. 13; Be-
schluss vom 30. September 2011 a.a.O. Rn. 11). Die Beihilfefähigkeit der Maß-
nahme setzt weder einen vollständigen noch einen dauerhaften Erfolg voraus.
Eine Maßnahme dient schon dann der Linderung von Leiden oder dem Aus-
gleich körperlicher oder geistiger Beeinträchtigungen, wenn dieser Erfolg nur
partiell oder nur zeitweise erreichbar ist (vgl. Urteil vom 27. November 2003
- BVerwG 2 C 38.02 - BVerwGE 119, 265 <269> = Buchholz 240 § 69 BBesG
Nr. 6 S. 8; Urteil vom 7. November 2006 - BVerwG 2 C 11.06 - BVerwGE 127,
91 = Buchholz 237.8 § 90 RhPLBG Nr. 2 jeweils Rn. 16).
Der Verwaltungsgerichtshof hat in Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf der
Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen zu Recht angenommen, dass
die Aufwendungen für die künstliche Befruchtung unter Verwendung der Sa-
menzellen eines Spenders für den Kläger selbst nicht notwendig im Sinne des
§ 5 Abs. 1 Satz 1 BVO sind. Die ärztlichen Leistungen dienen unstreitig nicht
der Wiedererlangung der Gesundheit, d.h. der Zeugungsfähigkeit des Klägers.
Es reicht nicht aus, dass die heterologe In-vitro-Fertilisation gemäß § 1592 Nr. 1
BGB zu einer rechtlichen Vaterschaft des Klägers führen kann. Die ärztlichen
Maßnahmen zielen auch nicht auf eine Linderung seiner Unfruchtbarkeit, weil
der Kläger durch die in Rede stehende Behandlung seine Zeugungsfähigkeit
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auch nicht wenigstens teilweise oder wenigstens vorübergehend erwirbt. Eben-
so wenig ersetzen sie die gestörte Körperfunktion des Klägers dergestalt, dass
dieser in die Lage versetzt wird, sich auf einem anderen als dem natürlichen
Weg fortzupflanzen. Denn durch die heterologe In-vitro-Fertilisation kann dem
Kläger nicht zu einem vom ihm genetisch abstammenden Kind verholfen wer-
den.
c) Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Kläger keine Bei-
hilfe für sich selbst beanspruchen kann. Darin liegt - entgegen der Ansicht des
Klägers - weder eine gleichheitswidrige Benachteiligung nach Art. 3 Abs. 1 GG
(aa) noch ein Verstoß gegen das Verbot der Benachteiligung Behinderter nach
Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG (bb). Auch die dem Dienstherrn obliegende Fürsorge-
pflicht, die verfassungsrechtlich in Art. 33 Abs. 5 GG verankert ist, wird dadurch
nicht verletzt (cc).
aa) Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet, alle Menschen
vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das Grundrecht ist daher vor allem dann
verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen
Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen kei-
ne Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die
ungleiche Behandlung rechtfertigen können. Im Rahmen seines Gestaltungs-
auftrags ist der Gesetzgeber grundsätzlich frei bei seiner Entscheidung, an wel-
che tatsächlichen Verhältnisse er Rechtsfolgen anknüpft und wie er von Rechts
wegen zu begünstigende Personengruppen definiert. Eine Grenze ist jedoch
dann erreicht, wenn durch Bildung einer rechtlich begünstigten Gruppe andere
Personen von der Begünstigung ausgeschlossen werden und sich für diese
Ungleichbehandlung kein in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Un-
gleichbehandlung stehender Rechtfertigungsgrund finden lässt. Im Bereich der
gewährenden Staatstätigkeit unterliegt die Abgrenzung der begünstigten Per-
sonenkreise zwar einer weitgehenden Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers.
Aber auch hier muss die von ihm getroffene Regelung durch hinreichend ge-
wichtige Gründe gerechtfertigt sein (stRspr, vgl. BVerfG, Beschlüsse vom
10. November 1998 - 1 BvL 50/92 - BVerfGE 99, 165 <177 f.>; BVerwG, Urteil
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vom 16. Mai 2013 - BVerwG 5 C 28.12 - NJW 2013, 2775 = zur Veröffentli-
chung in der amtlichen Entscheidungssammlung Buchholz vorgesehen Rn. 30).
Der Kläger wird gegenüber beihilfeberechtigten männlichen Beamten bzw. be-
rücksichtigungsfähigen männlichen Ehegatten, hinsichtlich derer eine homologe
künstliche Befruchtung möglich ist, also die Eizellen unter Verwendung jeweils
der eigenen Samenzellen künstlich befruchtet werden können, nicht ungerecht-
fertigt benachteiligt. Im Fall einer homologen In-vitro-Fertilisation ist die beihilfe-
rechtliche Notwendigkeit deshalb zu bejahen, weil durch diese Behandlungsme-
thode eine fehlende oder beeinträchtigte Körperfunktion ersetzt wird. Es wird
- anders als bei der heterologen künstlichen Befruchtung - ein „Funktionsaus-
gleich“ geschaffen, indem die Fortpflanzung auf einem anderen als dem natürli-
chen Weg erfolgen kann. Dadurch werden die Folgen eines regelwidrigen Kör-
perzustandes überwunden, und den Eltern wird zu einem genetisch von ihnen
abstammenden Kind verholfen (vgl. Urteile vom 27. November 2003 a.a.O.
268 f. und vom 10. Oktober 2013 - BVerwG 5 C 29.12 - zur Veröffentlichung in
der amtlichen Entscheidungssammlung Buchholz vorgesehen Rn. 45). Dieser
Unterschied rechtfertigt die unterschiedliche beihilferechtliche Behandlung.
Die durch die Vorenthaltung der begehrten Beihilfe für sich selbst bewirkte Be-
nachteiligung des Klägers gegenüber beihilfeberechtigten männlichen Beamten
bzw. berücksichtigungsfähigen männlichen Ehegatten, die krankheitsbedingt
zwar ein Kind nicht auf natürlichem Wege zu zeugen vermögen, bei denen aber
Samenzellen für eine künstliche Befruchtung gewonnen werden können, ist
sachlich dadurch gerechtfertigt, dass Letztgenannten durch den ärztlichen Ein-
griff zu genetisch eigenen Nachkommen verholfen werden kann.
bb) Das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ist nicht verletzt.
Der Senat lässt dahinstehen, ob ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG
schon deshalb ausscheidet, weil das Begehren des Klägers als von dem
Grundrecht nicht gewährleisteter originärer Leistungsanspruch anzusehen wäre
(vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1997 - 1 BvR 9/97 - BVerfGE 96,
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288 <304> m.w.N.). Auch unabhängig davon ist eine Grundrechtsverletzung zu
verneinen.
Eine Benachteiligung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG liegt unter anderem
bei Regelungen und Maßnahmen vor, die die Situation des Behinderten wegen
seiner Behinderung verschlechtern, indem ihm etwa Leistungen verwehrt wer-
den, die jedermann zustehen (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2012 - BVerwG 5 C
3.12 - Buchholz 271 LBeihilfeR Nr. 43 Rn. 34; BVerfG, Beschluss vom 8. Okto-
ber 1997 a.a.O. S. 303). Dies ist hier nicht der Fall.
Die heterologe künstliche Befruchtung erfüllt im Hinblick auf den Kläger - wie
aufgezeigt - nicht die an die beihilferechtliche Notwendigkeit zu stellenden An-
forderungen und ist deshalb von diesem Anspruch nicht erfasst. Dass für Auf-
wendungen, die nach beihilferechtlichem Maßstab dem Grunde nach nicht not-
wendig sind, kein Anspruch auf Beihilfegewährung besteht, gilt für behinderte
Menschen und solche ohne Behinderung gleichermaßen. Mithin wird der Beihil-
feanspruch des Klägers von keinen anderen als den für jedermann geltenden
Voraussetzungen abhängig gemacht.
cc) Auch die verfassungsrechtliche Fürsorgepflicht (Art. 33 Abs. 5 GG) führt zu
keiner anderen Beurteilung.
Sie ergänzt die ebenfalls durch Art. 33 Abs. 5 GG gewährleistete Alimenta-
tionspflicht des Dienstherrn. Die Fürsorgepflicht fordert, dass der Dienstherr den
amtsangemessenen Lebensunterhalt der Beamten und ihrer Familien auch in
besonderen Belastungssituationen wie Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Geburt
oder Tod sicherstellt. Er muss dafür Sorge tragen, dass Beamte in diesen Le-
benslagen nicht mit erheblichen finanziellen Aufwendungen belastet bleiben,
die sie nicht mehr in zumutbarer Weise aus ihrer Alimentation bestreiten kön-
nen. Dies ist auf der Grundlage des gegenwärtig praktizierten „Mischsystems“
zu beurteilen, in dem zur Eigenvorsorge der Beamten durch Abschluss einer
auf die Beihilfevorschriften abgestimmten Versicherung die ergänzende Beihil-
fegewährung tritt. Die verfassungsrechtliche Fürsorgepflicht verlangt weder,
dass Aufwendungen der Beamten in Krankheitsfällen durch Leistungen einer
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beihilfekonformen Krankenversicherung und ergänzende Beihilfen vollständig
gedeckt werden, noch, dass die von der Beihilfe nicht erfassten Kosten in vol-
lem Umfang versicherbar sind (vgl. Urteil vom 26. Juni 2008 - BVerwG 2 C
2.07 - BVerwGE 131, 234 = Buchholz 270 § 6 BhV Nr. 17 jeweils Rn. 13
m.w.N.).
Die Fürsorgepflicht in Krankheits-, Pflege-, Geburts- und Todesfällen wird
grundsätzlich abschließend durch die Beihilfevorschriften konkretisiert. Aus der
Fürsorgepflicht ergeben sich nur dann Leistungsansprüche, wenn diese andern-
falls in ihrem Wesenskern verletzt wäre. Den Wesenskern der Fürsorgepflicht
können allenfalls unzumutbare Belastungen des Beamten berühren (stRspr,
vgl. z.B. Urteil vom 28. Mai 2003 - BVerwG 5 C 28.02 - Buchholz 232 § 72 BBG
Nr. 38 Rn. 16 m.w.N.).
Es ist weder erkennbar noch vom Kläger geltend gemacht worden, dass seine
amtsangemessene Lebensführung unzumutbar beeinträchtigt wird, weil ihm die
begehrte Beihilfe als Folge seiner Erkrankung vorenthalten wird.
2. Das Urteil verletzt revisibles Landesrecht, soweit in ihm die Gewährung von
Beihilfe für Aufwendungen der Ehefrau des Klägers abgelehnt wird. Nach § 1
Abs. 4 BVO werden Beihilfen auch zu den beihilfefähigen Aufwendungen der
berücksichtigungsfähigen Angehörigen des Beihilfeberechtigten gewährt. Zu
diesen zählt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BVO unter anderem der Ehegatte des
Beihilfeberechtigten. Der Beihilfeanspruch aus Anlass einer Krankheit des Ehe-
gatten unterliegt denselben Voraussetzungen wie der Beihilfeanspruch aus An-
lass einer Krankheit des Beihilfeberechtigten. Darüber hinaus darf die Beihilfe-
fähigkeit nicht nach § 5 Abs. 4 Nr. 4 BVO zu verneinen sein. Der Verwaltungs-
gerichtshof hat im Ergebnis zu Recht dahin erkannt, dass auch die Ehefrau des
Klägers an einer Krankheit im Sinne des § 6 Abs. 1 BVO leidet (a). Er hat aber
revisibles Landesrecht verletzt, indem er der Sache nach davon ausgegangen
ist, die beihilferechtliche Notwendigkeit der Aufwendungen für die In-vitro-
Fertilisation sei für den Kläger und seine Ehefrau zwangsläufig einheitlich zu
beantworten (b). Ob sich das angefochtene Urteil aus anderen Gründen, näm-
lich weil die Aufwendungen der Ehefrau des Klägers schon wegen der Über-
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schreitung von Einkommensgrenzen nicht beihilfefähig sind, als richtig erweist
(§ 144 Abs. 4 VwGO), kann der Senat anhand der bisher festgestellten Tatsa-
chen nicht abschließend entscheiden (c).
a) Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs leidet die Ehefrau des
Klägers an einer Funktionsstörung der Eileiter und kann infolgedessen nicht auf
natürlichem Weg Nachkommen empfangen. Dies erfüllt den beihilferechtlichen
Krankheitsbegriff des § 6 Abs. 1 BVO (vgl. Urteil vom 27. November 2003
- BVerwG 2 C 38.02 - BverwGE 119, 265 <268 f.> = Buchholz 240 § 69 BBesG
Nr. 6 S. 7 f.). Das ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
b) Sind - wie hier - sowohl der Beihilfeberechtigte als auch sein berücksichti-
gungsfähiger Ehegatte unfruchtbar, ist für beide getrennt und selbstständig zu
prüfen, ob die Aufwendungen der künstlichen Befruchtung notwendig im Sinne
des § 5 Abs. 1 Satz 1 BVO sind.
Die gegenteilige Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs findet im Gesetz kei-
ne Stütze. Sie widerspricht dem Charakter der Beihilfen als anlassbezogene
Leistungen aus öffentlichen Mitteln (vgl. Urteil vom 20. März 2008 - BVerwG
2 C 49.07 - BVerwGE 131, 20 = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 5 GG Nr. 94 jeweils
Rn. 21 und 22). Nach dem gegenwärtigen Beihilfensystem wird die Beihilfe als
Hilfeleistung, die die Eigenvorsorge der Beamten ergänzt, unabhängig von ei-
ner finanziellen Notlage gewährt, um einen bestimmten Vomhundertsatz der
Kosten in Krankheits-, Pflege-, Geburts- und Todesfällen zu erstatten. Nach
dem beihilferechtlichen Leistungsprogramm sind grundsätzlich diejenigen Auf-
wendungen beihilfefähig, die durch einen konkreten Anlass verursacht werden
(vgl. Urteil vom 29. September 2011 - BVerwG 2 C 80.10 - Buchholz 270 § 5
BhV Nr. 22 Rn. 19 m.w.N.). Konkreter Anlass für die Beihilfen im Krankheitsfall
ist die Krankheit des Beihilfeberechtigten oder - wenn dieser eine Beihilfe zu
den Aufwendungen für einen berücksichtigungsfähigen Angehörigen begehrt -
die Krankheit des berücksichtigungsfähigen Angehörigen. Die Anlassbezogen-
heit kommt nicht nur in dem Grundsatz zum Ausdruck, dass im Krankheitsfall
die Behandlungskosten im Rahmen der Notwendigkeit und der Angemessen-
heit beihilfefähig sind (vgl. Urteile vom 29. September 2011 a.a.O. und vom
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12. November 2009 - BVerwG 2 C 61.08 - Buchholz 270 § 5 BhV Nr. 19
Rn. 12). Sie hat zudem zur Folge, dass die notwendigen Behandlungskosten in
Bezug auf die Krankheit und damit die Person zu bestimmen sind, auf die das
Beihilfebegehren gestützt wird.
In Anwendung dieser rechtlichen Vorgaben sind die Aufwendungen für die hete-
rologe In-vitro-Fertilisation für die Ehefrau des Klägers grundsätzlich notwendig
im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 BVO. Denn - wie das Bundesverwaltungsgericht
ebenfalls bereits entschieden hat (vgl. Urteil vom 27. November 2003 a.a.O.) -
kann durch die In-vitro-Fertilisation die gestörte Funktionsfähigkeit der Eileiter
überwunden und jedenfalls der Frau die Möglichkeit der Empfängnis genetisch
eigener Nachkommen (wieder-)eröffnet werden.
c) Nach § 5 Abs. 4 Nr. 4 BVO sind die in §§ 6 bis 10 BVO genannten Aufwen-
dungen, die für den Ehegatten des Beilhilfeberechtigten entstanden sind, nicht
beihilfefähig, wenn der Gesamtbetrag der Einkünfte (§ 2 Abs. 3 des EStG) des
Ehegatten in den beiden Kalenderjahren vor der Stellung des Beihilfeantrags
jeweils 18 000 € übersteigt. Der Verwaltungsgerichtshof hat, von seinem
Rechtsstandpunkt aus zutreffend, insoweit keine Feststellungen getroffen. Die
Sache ist daher an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen, damit er
diese Prüfung nachholen kann. Kommt der Verwaltungsgerichtshof zu dem Er-
gebnis, dass der Gesamtbetrag der Einkünfte der Ehefrau des Klägers in den
beiden Kalenderjahren vor der Stellung des Beihilfeantrags jeweils über
18 000 € gelegen hat, wird er die im tatsächlichen Bereich angesiedelte Frage
zu klären haben, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang im Zusammen-
hang mit der heterologen In-vitro-Fertilisation berechnete Einzelleistungen me-
dizinisch indiziert und erforderlich gewesen sind. Zudem wird der Verwaltungs-
gerichtshof zu beachten haben, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeit-
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raum für die Aufwendungen berücksichtigungsfähiger Angehöriger eine Beihilfe
in Höhe von 70 v.H. beanspruchen konnte (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 14 Abs. 1
Nr. 2 BVO).
Vormeier
Stengelhofen
Dr. Störmer
Dr. Häußler
Dr. Fleuß
Sachgebiet:
BVerwGE:
ja
Beihilfe
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
BVO Ba-Wü. a.F. § 1 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4, § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1, § 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Nr. 4, § 6 Abs. 1
Nr. 1
BGB
§ 1592 Abs. 1 Nr. 1
GG
Art. 3 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2, Art. 33 Abs. 5
Stichworte:
Beihilfeberechtigter; berücksichtigungsfähiger Angehöriger; berücksichtigungs-
fähiger Ehegatte; Beihilfefähigkeit von Aufwendungen; Krankheit; Krankheits-
begriff; beihilferechtlicher Krankheitsbegriff; regelwidriger Körperzustand; kör-
perliche Beeinträchtigung; Beeinträchtigung der Körperfunktion; Azoospermie;
gestörte Funktionsfähigkeit der Eileiter; Fortpflanzungsfähigkeit; Unfruchtbar-
keit; Sterilität; Zeugungsunfähigkeit; Empfängnisunfähigkeit; Kinderlosigkeit;
genetisch eigene Nachkommen; genetisch eigenes Kind; Notwendigkeit; beihil-
ferechtliche Notwendigkeit; medizinisch gebotene Behandlung; Ausgleich kör-
perlicher Beeinträchtigungen; anlassbezogene Leistungen; Anlassbezogenheit;
Hormonstimulation; künstliche Befruchtung; heterologe In-vitro-Fertilisation;
homologe In-vitro-Fertilisation; Eizelle; Samenzellen; Samen; Fremdsamen;
Samenspender; Samenspende; Embryonentransfer; Kryokonservierung; Lage-
rung; allgemeiner Gleichheitssatz; Diskriminierungsverbot; Verbot der Benach-
teiligung Behinderter; Fürsorgepflicht.
Leitsatz:
Beamte des Landes Baden-Württemberg, die an Zeugungsunfähigkeit leiden,
können nach dem derzeitigen Beihilferecht des Landes für ihre berücksichti-
gungsfähige Ehefrau, deren Empfängnisfähigkeit gestört ist, grundsätzlich eine
Beihilfe zu den Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung unter Verwen-
dung der Samenzellen eines Spenders (heterologe In-vitro-Fertilisation) bean-
spruchen.
Urteil des 5. Senats vom 10. Oktober 2013 - BVerwG 5 C 32.12
I. VG Sigmaringen vom 26.09.2011 - Az.: VG 3 K 3899/10 -
II. VGH Mannheim vom 14.02.2012 - Az.: VGH 2 S 3010/11 -