Urteil des BVerwG vom 08.07.2004

Eltern, Rückforderung, Einkünfte, Verfassungskonforme Auslegung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 5 C 31.03
Verkündet
OVG 4 LC 1/03
am 8. Juli 2004
Schmidt
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 8. Juli 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht S c h m i d t , Dr. R o t h k e g e l ,
Dr. F r a n k e und Prof. Dr. B e r l i t
für Recht erkannt:
- 2 -
Das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts
vom 23. Juli 2003 wird aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungs-
gerichts Osnabrück vom 20. November 2002 wird zurückgewie-
sen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisi-
onsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
G r ü n d e :
I.
Die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung einer ihr nach dem Bundesaus-
bildungsförderungsgesetz in Höhe von 1 309 DM gewährten Teilförderung.
Der Beklagte hat der Klägerin gemäß Bescheid vom 6. November 1997 von Sep-
tember 1997 bis Juli 1998 unter Vorbehalt der Rückforderung Ausbildungsförderung
in Höhe von 119 DM monatlich für den Besuch der Berufsschule H. gewährt. Die
Berechnung des in Höhe von 570,84 DM angerechneten Elterneinkommens war da-
bei auf der Grundlage eines nach § 164 Abgabenordnung - AO - unter Vorbehalt der
Nachprüfung ergangenen Steuerbescheides des Finanzamts O. vom 23. Juni 1997
für das Jahr 1995 erfolgt, dem Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von
53 223 DM sowie Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 20 626 DM
zugrunde lagen. Mit Bescheid vom 20. Dezember 1999 setzte das Finanzamt die von
den Eltern der Klägerin zu leistenden Steuern für das Jahr 1995 neu fest; bei unver-
änderten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit wurden die Einkünfte aus Gewer-
bebetrieb nunmehr in Höhe von 60 429 DM berechnet. Bei dem Bescheid handelte
es sich - wie auch bei dem vorausgegangen Bescheid vom 23. Juni 1997 - im Hin-
blick auf die bei dem Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfassungsbeschwer-
deverfahren um einen vorläufigen Steuerbescheid im Sinne des § 165 AO.
In einem ebenfalls unter dem 20. Dezember 1999 ergangenen Steuerbescheid für
das Jahr 1997 wurden Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 62 054 DM und
- 3 -
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 5 506 DM zugrunde gelegt. Für
das Jahr 1998 weist ein weiterer Steuerbescheid vom 28. Juni 2000 als Einkünfte
aus Gewerbebetrieb ein Minus in Höhe von 2 685 DM und als Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit einen Betrag von 38 236 DM aus.
Durch abschließenden Bescheid vom 31. Mai 2001 lehnte der Beklagte die Bewilli-
gung von Ausbildungsförderung für den streitgegenständlichen Zeitraum mit der Be-
gründung ab, das aufgrund des Steuerbescheides vom 20. Dezember 1999 für das
Jahr 1995 nunmehr in Höhe von 672,12 DM angerechnete Elterneinkommen ergebe
bei einem Gesamtbedarf von 690 DM einen unter 20 DM monatlich liegenden Förde-
rungsbetrag, so dass Ausbildungsförderung nicht zu gewähren sei (§ 51 Abs. 4
BAföG). Zugleich forderte der Beklagte den bereits gewährten Förderungsbetrag in
Höhe von 1 309 DM zurück. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, ein
verändertes Ergebnis des Einkommens für 1995 habe nach einer Betriebsprüfung
erst im Januar 2000 vorgelegen, und beantragte, für die Berechnung der Förde-
rungsbeträge die Einkommen der Jahre 1997 und 1998 zugrunde zu legen. Es habe
für sie keine Veranlassung bestanden, zu einem früheren Zeitpunkt einen Ände-
rungsantrag zu stellen, da ihr ein Rückforderungsbescheid erst am 6. Juni 2001 zu-
gegangen sei. Die Bezirksregierung wies den Widerspruch mit der Begründung zu-
rück, gemäß § 24 Abs. 3 BAföG könnten nach dem Ende des Bewilligungszeitrau-
mes gestellte Aktualisierungsanträge nicht berücksichtigt werden (Bescheid vom
9. August 2001).
Das Verwaltungsgericht hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen. Mit der Än-
derung des § 24 Abs. 3 Satz 1 BAföG durch das 12. BAföG-Änderungsgesetz vom
22. Mai 1990 (BGBl I S. 936) sei der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge-
richts zu § 24 Abs. 3 BAföG a.F. (Fassung der Bekanntmachung vom 6. Juni 1983,
BGBl I S. 645), wonach in Fällen wie dem der Klägerin ein nachträgliches Aktualisie-
rungsbegehren zulässig gewesen sei, die Grundlage entzogen. Ausweislich der Ge-
setzesmaterialien habe der Gesetzgeber die vom Bundesverwaltungsgericht gegen-
über der Rückforderung von unter Vorbehalt gewährter Förderung für zulässig gehal-
tene Einrede der Aktualisierung mit der Gesetzesneufassung ausschließen wollen.
Nach Ende des Bewilligungszeitraumes gestellte Aktualisierungsanträge könnten da-
her keine Berücksichtigung finden. Das Oberverwaltungsgericht hingegen hat auf die
- 4 -
Berufung der Klägerin die angefochtenen Bescheide aufgehoben und dies im
Wesentlichen wie folgt begründet:
Die Voraussetzungen des vom Beklagten geltend gemachten Rückforderungsan-
spruchs gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 BAföG seien nicht erfüllt. Die Klägerin sei im Bewil-
ligungszeitraum gemäß § 11 Abs. 2 BAföG elternabhängig gefördert worden und da-
her sei auf ihren förderungsrechtlichen Bedarf im Sinne des § 12 BAföG das Ein-
kommen ihrer Eltern anzurechnen gewesen. Gemäß § 24 Abs. 1 BAföG seien für die
Anrechnung grundsätzlich die Einkommensverhältnisse im vorletzten Kalenderjahr
vor Beginn des Bewilligungszeitraumes, vorliegend also diejenigen des Jahres 1995
maßgeblich. Aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität stelle das Gesetz nicht auf
das im Bewilligungszeitraum erzielte Einkommen der Eltern ab, sondern habe einen
in der Vergangenheit liegenden Berechnungszeitraum bestimmt, für den in aller Re-
gel durch Jahreslohnbescheinigungen oder einen Steuerbescheid Nachweise über
das erzielte Einkommen erbracht werden könnten. Dieser Regelung liege die Vermu-
tung zugrunde, dass das in dem Berechnungszeitraum des § 24 Abs. 1 BAföG er-
zielte Einkommen der Eltern unverändert andauere; es werde unterstellt, dass die
Verhältnisse des vorletzten Kalenderjahres vor dem Bewilligungszeitraum noch eine
regelmäßig zutreffende Entscheidungsgrundlage für die Ausbildungsförderung bilde-
ten. Sei der Einkommensbezieher für diesen Zeitraum zur Einkommenssteuer zu
veranlagen, liege jedoch der Steuerbescheid dem Amt für Ausbildungsförderung
noch nicht vor, werde gemäß § 24 Abs. 2 BAföG unter Berücksichtigung der glaub-
haft gemachten Einkommensverhältnisse Ausbildungsförderung insoweit unter dem
Vorbehalt der Rückforderung geleistet und über den Antrag abschließend entschie-
den, sobald der Steuerbescheid dem Amt für Ausbildungsförderung vorliege. Ein
Steuerbescheid im Sinne des § 24 Abs. 2 BAföG liege vor, wenn dessen Bestands-
kraft eingetreten sei. Dies könne auch ein vorläufiger Bescheid nach § 165 Abs. 1 AO
sein, denn ein solcher Bescheid enthalte bezüglich des maßgeblichen Einkommens
in der Regel abschließende Feststellungen, lediglich die darauf gründende Steuer-
festsetzung stehe ihrerseits unter einem rechtlichen Vorbehalt, etwa dem der
Vereinbarkeit steuerrechtlicher Vorschriften mit dem Grundgesetz, welche hier Ge-
genstand von bei dem Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfassungsbe-
schwerden gewesen seien. Demgegenüber seien Steuerbescheide, die gemäß § 164
AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen seien, keine Steuerbescheide im
- 5 -
Sinne des § 24 Abs. 2 BAföG, da sie wegen ihrer umfassenden Nachprüfbarkeit,
welche sich unter anderem auf die Feststellungen des zu versteuernden
Einkommens beziehe, eine geeignete Grundlage für abschließende förderungsrecht-
liche Entscheidungen nicht seien. Auch im Falle der Klägerin sei die Ausbildungsför-
derung zunächst aufgrund eines solchen Bescheides erfolgt. Tatsächliche Grundlage
des angefochtenen abschließenden Förderungs- und Rückforderungsbescheides sei
der Steuerbescheid für das Jahr 1995 vom 20. Dezember 1999, bei dem es sich
- ungeachtet seiner Vorläufigkeit nach § 165 AO - um einen hinsichtlich der Einkom-
mensfeststellung endgültigen Bescheid im Sinne des § 24 Abs. 2 BAföG handele.
Gegenüber dem Steuerbescheid vom 20. Dezember 1999 für das Jahr 1995 wiesen
die Steuerbescheide für die Kalenderjahre 1997 und 1998 ein deutlich niedrigeres
Elterneinkommen im Bewilligungszeitraum selbst aus. Bei einer bezogen auf den
Bewilligungszeitraum aktualisierten Einkommensberechnung habe der Klägerin da-
nach jedenfalls nicht weniger Ausbildungsförderung zugestanden, als sie tatsächlich
erhalte habe, so dass für eine Rückforderung kein Raum sei.
Zwar könnten nach Ende des Bewilligungszeitraumes gestellte Anträge auf eine ak-
tualisierte Einkommensberechnung gemäß § 24 Abs. 3 Satz 1 letzter Halbsatz
BAföG nicht berücksichtigt werden, doch sei auch für die Neufassung des § 24
Abs. 3 Satz 1 BAföG durch das 12. BAföG-ÄndG vom 22. Mai 1990 (BGBl I S. 936)
an der zu § 24 Abs. 3 Satz 1 BAföG a.F. ergangenen Rechtsprechung des Bundes-
verwaltungsgerichts (BVerwGE 58, 200 und nachfolgende Entscheidungen) festzu-
halten, wonach der Auszubildende auch nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes
noch eine Aktualisierung der Berechnung verlangen könne, wenn er erst nach Vor-
liegen des Steuerbescheides seiner Eltern habe erkennen können, dass deren im
vorletzten Kalenderjahr vor dem Bewilligungszeitraum erzieltes Einkommen zu einer
höheren Anrechnung auf den Bedarf und damit zur Rückforderung von Förderungs-
beträgen führe. Der dieser Rechtsprechung zugrunde liegende sprachliche Inhalt von
§ 24 Abs. 3 Satz 1 BAföG habe sich mit der Neufassung nicht geändert. Zwar habe
der Gesetzgeber, wie sich aus der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfs
ergebe (BTDrucks 11/5961, S. 23), bei der Neufassung das weitergehende Ziel ver-
folgt, der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 24 Abs. 3 Satz 1
BAföG (a.F.) die Grundlage zu entziehen, doch habe er dabei den Sinn der bundes-
verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung entweder verkannt oder sich darüber unre-
- 6 -
flektiert hinweggesetzt. Entgegen der Gesetzentwurfsbegründung gehe es dieser
Rechtsprechung nicht darum, für einen abgeschlossenen Zeitraum, in dem Ausbil-
dung ohne staatliche Förderung tatsächlich stattgefunden habe, öffentliche Mittel
rückwirkend zufließen zu lassen, sondern darum, dem Auszubildenden bereits ge-
währte Fördermittel, mit denen in der Vergangenheit eine Ausbildung tatsächlich fi-
nanziert worden sei, nicht nachträglich zu entziehen; ein mit einem Leistungsbegeh-
ren verbundener Aktualisierungsantrag, mit dem der Auszubildende sich eine an-
fängliche Förderung überhaupt erst erschließen wolle, habe eine grundsätzlich ande-
re Funktion als eine einem Rückforderungsbegehren nachträglich entgegengehaltene
Aktualisierungseinrede. Jedenfalls stehe der Wortlaut des § 24 Abs. 3 Satz 1 zweiter
Halbsatz BAföG (n.F.) der Intention der Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts keineswegs zwingend entgegen und habe ein entgegenstehender Wille
des Gesetzgebers im Wortlaut des Gesetzes keinen Niederschlag gefunden.
Die Zulassung der Aktualisierungseinrede sei im Sinne einer verfassungskonformen
Auslegung des § 24 Abs. 3 Satz 1 BAföG (n.F.) mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG gebo-
ten, da es sonst zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung derjenigen Aus-
zubildenden, deren Eltern zu berücksichtigendes Einkommen aus selbständiger Tä-
tigkeit hätten, gegenüber denjenigen käme, deren Eltern in einem abhängigen Be-
schäftigungsverhältnis stünden. Da die Klägerin die Aktualisierungseinrede noch in-
nerhalb der Widerspruchsfrist geltend gemacht habe und angesichts des im Bewilli-
gungszeitraum gegenüber dem Vorvorjahr verringerten Einkommens der Eltern der
Klägerin jedenfalls eine Verringerung des Anspruchs der Klägerin auf Ausbildungs-
förderung in dem hier maßgeblichen Bewilligungszeitraum 1997/1998 nicht in Be-
tracht komme, sei die Rückforderung der gewährten Ausbildungsförderung rechts-
widrig und seien die angefochtenen Bescheide aufzuheben.
Gegen diese Entscheidung hat der Beklagte Revision eingelegt, mit der er die Ver-
letzung des § 24 Abs. 3 BAföG rügt.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.
- 7 -
II.
Die Revision ist begründet. Das Berufungsgericht hätte die Berufung der Klägerin
gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zurückweisen müssen, da ihr Ausbildungs-
förderung für den Besuch der Berufsschule H., ausgehend von der dem Steuerbe-
scheid vom 23. Juni 1997 für 1995 zugrunde gelegten Höhe des Elterneinkommens,
nicht zustand. Die vom Berufungsgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts zu der früher geltenden Gesetzesfassung (Fassung der
Bekanntmachung vom 6. Juni 1983, BGBl I S. 645) vorgenommene Auslegung des
§ 24 Abs. 3 BAföG in der Fassung des Zwölften Gesetzes zur Änderung des Bun-
desausbildungsförderungsgesetzes - 12. BAföG-ÄndG - vom 22. Mai 1990 (BGBl I
S. 936) dahingehend, dass diese Bestimmung der Berücksichtigung einer erst nach
Ende des Bewilligungszeitraumes gegenüber einem Rückforderungsbegehren hin-
sichtlich einer unter Vorbehalt gewährten Förderung erhobenen Aktualisierungsein-
rede nicht entgegenstehe, ist mit Bundesrecht unvereinbar (§ 137 Abs. 1 Nr. 1
VwGO).
Der vom Beklagten geltend gemachte Rückforderungsanspruch ist auf der Rechts-
grundlage des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BAföG begründet. Entgegen der Rechtsauf-
fassung der Vorinstanz haben im Falle der Klägerin "die Voraussetzungen für die
Leistung von Ausbildungsförderung an keinem Tage des Kalendermonats vorgele-
gen, für den sie gezahlt worden ist", da der Klägerin die gezahlten Förderungsbeträ-
ge nach Maßgabe des § 24 Abs. 1 und 2 BAföG nicht zustanden und der von ihr erst
nach Ende des Bewilligungszeitraumes mit ihrem Widerspruch gegen den abschlie-
ßenden Bescheid gestellte Aktualisierungsantrag gemäß § 24 Abs. 3 Satz 1 BAföG
F. 1990 nicht zu berücksichtigen war.
1. Der Umstand, dass die Steuerbescheide der Eltern der Klägerin für die Kalender-
jahre 1997 und 1998 bezogen auf den Bewilligungszeitraum ein deutlich niedrigeres
Einkommen der Eltern der Klägerin ausweisen als nach dem Steuerbescheid vom
20. Dezember 1999 für das Jahr 1995 und damit die der Regelung des § 24 BAföG
zugrunde liegende Vermutung widerlegen, das im Berechnungszeitraum des § 24
Abs. 1 BAföG erzielte Einkommen habe auch im Bewilligungszeitraum noch vorgele-
gen (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs des Bundesausbildungsförderungs-
- 8 -
gesetzes, BTDrucks VI/1975, S. 32 zu § 24), rechtfertigt es entgegen der Rechtsauf-
fassung der Vorinstanz nicht, entgegen dem Wortlaut des § 24 Abs. 3 Satz 1 BAföG
in der durch das Zwölfte Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsge-
setzes geänderten Fassung der Rückforderung der unter Vorbehalt geleisteten Aus-
bildungsförderung mit einem erst nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes - hier im
Widerspruchsverfahren gegen den Rückforderungsbescheid - gestellten Aktualisie-
rungsantrag entgegenzutreten. Der Gesetzeswortlaut ordnet nunmehr eindeutig an,
dass nach Ende des Bewilligungszeitraumes gestellte Aktualisierungsanträge "nicht
berücksichtigt" werden. Infolge der Neufassung dieser Bestimmung in Verbindung
mit der dazu gegebenen Gesetzentwurfsbegründung (BTDrucks 11/5961, S. 23)
kann an der zu § 24 Abs. 3 Satz 1 BAföG a.F. (Fassung der Bekanntmachung vom
6. Juni 1983, BGBl I S. 645) ergangenen Rechtsprechung des Senats nicht fest-
gehalten werden, wonach ein Auszubildender auch nach Ablauf des Bewilligungs-
zeitraumes noch die Aktualisierung der Berechnung verlangen konnte, wenn er erst
nach Vorliegen des Steuerbescheides seiner Eltern erkennen konnte, dass deren im
vorletzten Kalenderjahr vor dem Bewilligungszeitraum erzieltes Einkommen zu höhe-
ren Anrechnungen auf den Bedarf und damit zur Rückforderung geleisteter Förde-
rungsbeträge führte (Urteil vom 12. Juli 1979 - BVerwG 5 C 7.78 - BVerwGE 58, 200
<203 ff.> bzw. Buchholz 436.36 § 24 BAföG Nr. 1; bestätigend Urteil vom 25. April
1985 - BVerwG 5 C 42.82 - Buchholz 436.36 § 24 BAföG Nr. 6; Urteil vom 21. No-
vember 1991 - BVerwG 5 C 32.87 - Buchholz 436.36 § 24 BAföG Nr. 18). Es bedarf
daher auch jetzt keiner Entscheidung, ob diese Rechtsprechung, die nur Fälle betraf,
in denen Ausbildungsförderung unter Vorbehalt der Rückforderung in voller Höhe des
Bedarfs gewährt worden war, auch auf Fälle anzuwenden wäre, in denen - wie
vorliegend - durch vorläufigen Bescheid nach § 24 Abs. 2 Satz 1 und 2 BAföG För-
derung nicht in voller Höhe des Bedarfs bewilligt worden ist (offen gelassen in der
Entscheidung vom 21. November 1991 - BVerwG 5 C 32.87 - a.a.O.). Die geänderte
Bedeutung des § 24 Abs. 3 Satz 1 BAföG (F. 1990) gegenüber der ursprünglichen
Gesetzesfassung ergibt sich zur Überzeugung des Senats daraus, dass der Gesetz-
geber unter Bezugnahme auf die entgegenstehende Rechtsprechung und in der Ab-
sicht, seinen Willen mit dem geänderten Wortlaut nunmehr klarzustellen, ausdrück-
lich die Nichtberücksichtigung von nach Ende des Bewilligungszeitraumes gestellten
Aktualisierungsanträgen angeordnet hat.
- 9 -
Allerdings unterscheidet sich bei reiner Wortlautbetrachtung der aktuelle Gesetzes-
wortlaut nicht grundlegend von dem der Gesetzesfassung der Bekanntmachung vom
6. Juni 1983 (a.F.), welcher der genannten Rechtsprechung des Senats zugrunde
lag.
Es liegt jedoch im Belieben des Gesetzgebers, einer aus seiner Sicht verfehlten Ge-
setzesauslegung durch die Rechtsprechung - im Rahmen des verfassungsrechtlich
Zulässigen - durch eine Neufassung des Gesetzeswortlauts entgegenzutreten. Eine
Gesetzesauslegung gegen den Wortlaut, die von den Gerichten bislang in der An-
nahme praktiziert wurde, eine solche Korrektur sei aus überwiegenden systemati-
schen und teleologischen Gründen geboten, wird dadurch hinfällig.
Der Wille des Gesetzgebers, mit der Neufassung des § 24 Abs. 3 Satz 1 BAföG der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 24 Abs. 3 Satz 1 BAföG a.F.
die Grundlage zu entziehen, kommt in der amtlichen Begründung des Regierungs-
entwurfs (BTDrucks 11/5961, S. 23) hinreichend zum Ausdruck.
Selbst wenn der Einwand des Berufungsgerichts zuträfe, die Gesetzentwurfsbegrün-
dung habe den Sinn der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung entweder ver-
kannt oder sich darüber unreflektiert hinweggesetzt, stellte dies den durch eine Än-
derung des Wortlautes umgesetzten Willen des Gesetzgebers, eine von der Recht-
sprechung unter Hinweis auf den Gesetzeszweck über den Gesetzeswortlaut hinaus
bewirkte Erweiterung der Möglichkeit der Stellung von Aktualisierungsanträgen je-
denfalls künftig auszuschließen, nicht in Frage.
2. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz bestehen auch unter dem Gesichtspunkt
des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) keine durchgreifenden Beden-
ken gegen den Ausschluss von erst nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes gestell-
ten Aktualisierungsbegehren, eine verfassungskonforme Auslegung des § 24 Abs. 3
Satz 1 BAföG (n.F.) ist daher nicht geboten.
Art. 3 Abs. 1 GG ist vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten
im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen
beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen,
dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (vgl. etwa BVerfG, Be-
- 10 -
soweit hat das Oberverwaltungsgericht den Auszubildenden, deren Eltern zu berück-
sichtigendes Einkommen aus selbständiger Tätigkeit haben, diejenigen gegenüber-
gestellt, deren Eltern in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen: während
bei Letzteren das Einkommen der Eltern in dem dem Bewilligungszeitraum vo-
rausgegangenen vorletzten Kalenderjahr regelmäßig bereits frühzeitig, meist schon
vor Beginn des Bewilligungszeitraumes, feststehe und Änderungen der Einkom-
mensverhältnisse, die sich im Bewilligungszeitraum auswirkten, entsprechend früh
erkennbar seien, könnten Auszubildende, deren Eltern Einkünfte aus selbständiger
Tätigkeit hätten, bzw. deren Eltern das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Ak-
tualisierungsantrag vielfach überhaupt nicht innerhalb des Bewilligungszeitraumes
feststellen. Auch die vorsorgliche Stellung eines Aktualisierungsantrages allein im
Hinblick auf die vage Möglichkeit, dass sich die Einkommensverhältnisse der Eltern
während des Bewilligungszeitraumes nachträglich irgendwann als schlechter im Ver-
hältnis zu dem vorletzten Kalenderjahr herausstellten, führe nicht weiter, weil der
Auszubildende dann auch sofort das Vorliegen der Voraussetzungen einer Aktuali-
sierung glaubhaft zu machen habe (§ 24 Abs. 3 Satz 2 BAföG), was aber vielfach
noch nicht möglich sei.
Diese Erwägungen der Vorinstanz greifen nicht durch. Dem Auszubildenden wird
durch die Notwendigkeit, einen Aktualisierungsantrag noch vor Ablauf des Bewilli-
gungszeitraumes zu stellen, nicht etwas rechtlich oder tatsächlich Unmögliches ab-
verlangt, etwa ein Nachweis einer ungünstigen Änderung der Einkommensverhält-
nisse der Eltern noch vor dem Vorliegen eines abschließenden Steuerbescheides
oder des Ergebnisses einer Betriebsprüfung. § 24 Abs. 3 Satz 1 knüpft an das "vor-
aussichtliche" Einkommen an, und auch das Erfordernis einer Glaubhaftmachung
gemäß Satz 2 bezieht sich lediglich auf das voraussichtliche Einkommen, nicht aber
auf das erst später feststellbare (endgültige) Einkommen. Da der Auszubildende
nicht selbst der Bezieher des anzurechnenden Einkommens ist, muss er sich an sei-
ne Eltern bzw. seinen Ehegatten wenden und von ihnen eine Glaubhaftmachung
verlangen, dass die Einkommensentwicklung "voraussichtlich", d.h. nach den vorlie-
genden Erkenntnissen, im Bewilligungszeitraum gegenüber dem Vorvorjahr rückläu-
fig ist. Die Obliegenheit, von Eltern oder Ehegatten eine solche Erklärung zu verlan-
gen, welche einen aktuellen Erkenntnisstand wiedergibt, verlangt dem Auszubilden-
- 11 -
den bzw. seinen Eltern oder Ehegatten keinen nach dem Entwicklungsstand nicht
möglichen Nachweis ab; eine "endgültige" Feststellung des Einkommens wird viel-
mehr gemäß Satz 4 erst für die abschließende Entscheidung über die gemäß Satz 3
unter Vorbehalt der Rückforderung geleistete Ausbildungsförderung verlangt. Die
Förderungsämter sind daher in Fällen von Aktualisierungsanträgen - nicht anders als
in den Fällen des § 24 Abs. 2 BAföG - gehalten, auf vorläufiger Grundlage eine vor-
läufige Entscheidung zu treffen; dabei haben sie einer vorliegenden tatsächlichen
Ungewissheit Rechnung zu tragen.
Für eine Erhebung der Aktualisierungseinrede schon während des laufenden Bewilli-
gungszeitraumes und nicht erst mit dem Widerspruch gegenüber der abschließenden
Entscheidung über die Förderung nach § 24 Abs. 2 Satz 3 bestand für die Klägerin
auch deshalb Anlass, weil die Abhängigkeit der Förderung von einer Einkom-
mensanrechnung für sie von vornherein erkennbar war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit
folgt aus § 188 Satz 2 VwGO.
Dr. Säcker Schmidt Dr. Rothkegel
Dr. Franke Prof. Dr. Berlit
Sachgebiet:
BVerwGE:
ja
Ausbildungsförderungsrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquelle:
BAföG (F. 1983, 1990)
§ 24 Abs. 3
Stichworte:
Rückforderung von unter Vorbehalt gewährter Ausbildungsförderung;
Aktualisierungseinrede;
Glaubhaftmachung einer voraussichtlichen Einkommensentwicklung im Bewilli-
gungszeitraum.
Leitsatz:
Ein nach dem Ende des Bewilligungszeitraumes gestellter Aktualisierungsantrag im
Sinne des § 24 Abs. 3 Satz 1 BAföG kann nach der Neufassung dieser Bestimmung
durch das 12. BAföG-ÄndG vom 22. Mai 1990 (BGBl I S. 936) keine Berücksichti-
gung mehr finden. Die zu § 24 Abs. 3 Satz 1 BAföG (F. 1983) ergangene Rechtspre-
chung (BVerwGE 58, 200) ist durch die Neufassung überholt.
Urteil des 5. Senats vom 8. Juli 2004 - BVerwG 5 C 31.03
I. VG Osnabrück vom 20.11.2002 - Az.: VG 6 A 116/01 -
II. OVG Lüneburg vom 23.07.2003 - Az.: OVG 4 LC 1/03 -