Urteil des BVerwG vom 12.11.2007

Qualifikation, Berufliche Tätigkeit, Wichtiger Grund, Staatsexamen

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 5 C 27.06
OVG 3 LB 7/05
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. November 2007
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt, Dr. Franke,
Dr. Brunn und Prof. Dr. Berlit
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-
Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom
19. Mai 2006 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Re-
visionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten um Förderung für die Fortbildung zum Handelsfachwirt.
Der Kläger legte 1986 das 1. Staatsexamen zum Lehramt in den Fächern Eng-
lisch, Französisch und Erziehungswissenschaften ab. Er trat nicht in den Refe-
rendardienst ein und legte auch kein 2. Staatsexamen ab, weil die Chancen,
eine Stelle als Lehrer zu erhalten, wegen der großen Absolventenzahl zu dieser
Zeit schlecht waren. Zudem war im Januar 1986 das erste seiner drei Kinder
geboren. Der Kläger arbeitete in der Folgezeit als Angestellter in verschiedenen
Wirtschafts- und Handelsbetrieben. Im April 2002 wurde er arbeitslos. Bewer-
bungen bei rund 20 Firmen blieben erfolglos. Von September 2002 bis März
2004 absolvierte er eine Fortbildung zum IHK-geprüften Handelsfachwirt. Vor-
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aussetzung der Zulassung war der Nachweis einer mindestens sechsjährigen
Berufspraxis in einem Handelsbetrieb. Die Lehrgangs- und Prüfungsgebühren
beliefen sich auf 2 206 €.
Den Antrag des Klägers, seine Fortbildung zum Handelsfachwirt nach dem
Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz (AFBG) zu fördern, lehnte die Beklagte
mit Bescheid vom 24. September 2002 ab. Zwar entspreche diese Fortbildung
den Anforderungen nach § 2 AFBG, doch sei nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AFBG
eine Förderung nicht zu leisten, weil der Kläger mit seinem erfolgreich abge-
schlossenen Studium zum Lehramt am Gymnasium eine berufliche Qualifikati-
on erworben habe, die dem Fortbildungsabschluss Handelsfachwirt mindestens
gleichwertig sei. Der Widerspruch des Klägers, ohne 2. Staatsexamen habe er
keine abgeschlossene Ausbildung und deshalb sei der Fortbildungsabschluss
zum Handelsfachwirt im Berufs- und Wirtschaftsleben höher einzustufen, blieb
erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 2. Januar 2003).
Auf die Klage des Klägers hat das Verwaltungsgericht durch Urteil vom 19. Ja-
nuar 2004 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte ver-
pflichtet, den Förderungsantrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauf-
fassung des Gerichts neu zu bescheiden. Zwar habe der Kläger bereits mit dem
Hochschulabschluss eine berufliche Qualifikation erworben, die dem Fort-
bildungsabschluss Handelsfachwirt mindestens gleichwertig sei, weshalb nach
§ 6 Abs. 1 Satz 2 AFBG eine Förderung im Regelfall ausscheide. Doch sei für
den Kläger, der bereits die berufliche Qualifikation eines Hochschulabschlusses
besitze, die Fortbildung zum Handelsfachwirt nicht auf das Erreichen eines ers-
ten, sondern eines weiteren bzw. eines zweiten Qualifikationsziels ausgerichtet
und komme deshalb eine Förderung nach § 6 Abs. 3 Satz 2 AFBG in Betracht,
die durch § 6 Abs. 1 Satz 2 AFBG nicht ausgeschlossen sei.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht durch Urteil
vom 19. Mai 2006 das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage
abgewiesen. Zwar sei die Fortbildung zum Handelsfachwirt auf ein Förderungs-
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ziel im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AFBG gerichtet und als Vorbereitung
auf ein erstes Fortbildungsziel nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AFBG an sich förde-
rungsfähig. Doch stehe dem Kläger nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AFBG keine Förde-
rung zu, weil er mit seinem 1. Staatsexamen einen Hochschulabschluss erwor-
ben habe, der dem Fortbildungsabschluss zum Handelsfachwirt mindestens
gleichwertig sei. Da der Kläger Förderung für ein erstes Fortbildungsziel begeh-
re, könne ein Anspruch auch nicht auf § 6 Abs. 3 AFBG gestützt werden, der
die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Förderung eines zweiten Ausbil-
dungsziels regele. Von dem Grundsatz, dass Hochschulabsolventen keine För-
derung erhalten, mache § 6 Abs. 3 AFBG keine Ausnahme.
Mit seiner Revision gegen dieses Urteil verfolgt der Kläger sein Klagebegehren
weiter. Er rügt die Verletzung des § 6 AFBG und des Gleichheitsgrundsatzes.
Im Gegensatz zum angefochtenen Urteil, wonach ein Hochschulabsolvent aus
der Förderung herausfalle, habe das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt,
dass besondere Umstände des Einzelfalles es rechtfertigten, dass ein zweites
Fortbildungsziel gefördert werde. Das gelte insbesondere dann, wenn ein wich-
tiger Grund der Ausübung des Berufes entgegenstehe. Das sei beim Kläger der
Fall. Denn der erste Berufsabschluss des Klägers sei aus Gründen wertlos ge-
worden, die der Kläger nicht zu vertreten habe.
Die Beklagte und der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwal-
tungsgericht verteidigen das Berufungsurteil.
II
Die Revision des Klägers, über die das Bundesverwaltungsgericht im Einver-
ständnis der Beteiligten gemäß § 141 Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 und
§ 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist nicht
begründet. Das Berufungsgericht hat zu Recht entschieden, dass der Kläger
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keinen Anspruch auf Förderung nach dem Aufstiegsfortbildungsförderungsge-
setz (AFBG) hat.
Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger, der
vor der im Streit stehenden Maßnahme noch an keiner Maßnahme der berufli-
chen Aufstiegsfortbildung im Sinne des Aufstiegsfortbildungsförderungsgeset-
zes teilgenommen hat, Förderung für die Teilnahme an einer einzigen Maß-
nahme zur Vorbereitung auf ein erstes Fortbildungsziel im Sinne des § 2 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 AFBG begehrt und § 6 Abs. 1 Satz 1 AFBG für eine solche Maß-
nahme an sich einen Anspruch auf Förderung einräumt.
Weiter hat das Berufungsgericht zutreffend entschieden, dass ein Anspruch des
Klägers auf Förderung hier nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AFBG ausgeschlossen ist.
Nach dieser Vorschrift wird Förderung nicht geleistet, wenn der Antragsteller
oder die Antragstellerin bereits eine berufliche Qualifikation erworben hat, die
dem von ihm oder ihr angestrebten Fortbildungsabschluss mindestens gleich-
wertig ist. Zu Recht haben sowohl das Verwaltungsgericht als auch das Ober-
verwaltungsgericht den Hochschulabschluss des Klägers (1. Staatsexamen
zum Lehrfach in den Fächern Englisch, Französisch und Erziehungswissen-
schaften) als dem Abschluss als Handelsfachwirt mindestens gleichwertige be-
rufliche Qualifikation gewertet. Das entspricht der Gesetzentwurfsbegründung
(BTDrucks 13/3698 S. 16 zu § 6 Abs. 1), die einen Hochschulabschluss als
Beispiel dafür nennt, dass eine Qualifikation vorliegt, die den in § 2 AFBG ge-
nannten Fortbildungszielen zumindest gleichwertig ist.
Der für diese Beurteilung erforderliche Niveauvergleich setzt nicht voraus, dass
die bereits erworbene berufliche Qualifikation gesetzlich oder anderweit recht-
lich verbindlich für eine bestimmte berufliche Tätigkeit festgelegt ist. Entschei-
dend ist, mit welchen Abschlüssen in der Lebenswirklichkeit grundsätzlich wel-
che Positionen im Berufsleben erreicht werden können. Dabei kommt es zwar
für bestimmte Berufe (z.B. im Handwerk) auf genau festgelegte Qualifikationen
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an. Für sehr viele Positionen im Berufsleben sind aber keine festen Qualifikati-
onen vorgegeben (z.B. Führungsebene in Unternehmen).
Zudem bescheinigen Hochschulabschlüsse nicht nur Qualifikationen in den dem
konkreten Studium zugrundeliegenden Fächern (beim Kläger in den Fächern
Englisch, Französisch und Erziehungswissenschaften), sondern belegen
grundsätzlich auch fächerübergreifend weitergehende Fähigkeiten, z.B. zum
Erfassen komplexer Vorgänge, zu analytischem Denken und zu gewandtem
mündlichen und schriftlichen Ausdruck. Dem entspricht in der Lebenswirklich-
keit, dass Hochschulabsolventen häufig nicht nur Berufstätigkeiten ausüben, die
auf ihre Studienfächer bezogen sind, sondern auch Positionen in anderen
Berufsfeldern bekleiden.
Mit einer dem angestrebten Fortbildungsabschluss mindestens gleichwertigen
beruflichen Qualifikation ist nicht nur eine Qualifikation in der gleichen Fachrich-
tung gemeint (VG Berlin, Beschluss vom 14. Oktober 1996 - 6 A 426.96 - juris
Rn. 11 und Hablitzel/Wolf WiVerw 1998, 130 <146>). Vielmehr genügt auch
eine mindestens gleichwertige Qualifikation in einer anderen Fachrichtung. Das
ergibt bereits der Wortlaut des § 6 Abs. 1 Satz 2 AFBG. Es genügt, dass der
Antragsteller oder die Antragstellerin eine berufliche Qualifikation - ohne fach-
richtungsbezogene Einschränkung - erworben hat.
§ 6 Abs. 1 Satz 2 AFBG bestimmt ohne Hinweis auf eine Ausnahme oder einen
Vorbehalt, dass Förderung, die sonst geleistet würde, nicht geleistet wird, wenn
der Antragsteller oder die Antragstellerin bereits eine berufliche Qualifikation
erworben hat, die dem von ihm oder ihr angestrebten Fortbildungsabschluss
mindestens gleichwertig ist. Damit gilt der Ausschluss grundsätzlich auch für die
Förderung der Vorbereitung auf ein zweites Fortbildungsziel. Das entspricht
auch dem Sinn und Zweck der Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung
nach dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz. Die Förderung nach diesem
Gesetz soll dem Einzelnen den beruflichen Aufstieg oberhalb des Niveaus der
Gesellen, Facharbeiter oder Gehilfen finanziell ermöglichen (BTDrucks. 13/3698
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S. 16 zu § 6 Abs. 1). Dagegen ist es nicht Ziel des Gesetzes eine Fortbildung
zu fördern, deren Fortbildungsziel nicht über eine bereits erworbene berufliche
Qualifikation hinausreicht.
Der Senat kann offen lassen, ob § 6 Abs. 1 Satz 2 AFBG der Förderung zur
Vorbereitung auf ein zweites Fortbildungsziel auch in einem Fall des § 6 Abs. 3
Satz 2 und 3 AFBG entgegensteht, in dem ein bestimmter Fortbildungsberuf
nach Erreichen eines ersten Fortbildungsabschlusses aus wichtigem Grund
nicht mehr ausgeübt werden kann und der Antragsteller nunmehr in einem an-
deren Fortbildungsberuf einen (dafür ersten, aber insgesamt) zweiten Fortbil-
dungsabschluss anstrebt, der dem ersten, früher erreichten Fortbildungsab-
schluss gleichwertig ist. Denn in Übereinstimmung mit dem Oberverwaltungs-
gericht und entgegen dem Verwaltungsgericht ist das auf das Fortbildungsziel
Handelsfachwirt gerichtete Förderungsbegehren des Klägers nach Hochschul-
abschluss und Berufstätigkeit in Wirtschafts- und Handelsbetrieben nicht auf die
Förderung zur Fortbildung auf ein zweites, sondern auf ein erstes Fortbil-
dungsziel im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AFBG gerichtet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskosten-
freiheit auf der entsprechenden Anwendung des § 188 Satz 2 VwGO.
Hund
Schmidt
Dr. Franke
Dr. Brunn
Prof. Dr. Berlit
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Aufstiegsfortbildungsförderung
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
AFBG
§ 2 Abs. 1, § 6 Abs. 1 und Abs. 3
Stichworte:
Aufstiegsfortbildung, berufliche -; Qualifikation, berufliche -; Hochschulab-
schluss als berufliche Qualifikation.
Leitsatz:
Wer bereits einen Hochschulabschluss erworben hat, hat keinen Anspruch auf
Förderung einer ersten Fortbildung nach dem Aufstiegsfortbildungsförderungs-
gesetz.
Urteil des 5. Senats vom 12. November 2007 - BVerwG 5 C 27.06
I. VG Schleswig vom 19.01.2004 - Az.: VG 15 A 31/03
II. OVG Schleswig vom 19.05.2006 - Az.: OVG 3 LB 7/05