Urteil des BVerwG vom 22.04.2004

Nationalität, Besondere Härte, Ausreise, Familie

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Verkündet
am 22. April 2004
Schmidt
BVerwG 5 C 27.02
Justizhauptsekretärin
OVG 2 A 2674/99
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 22. April 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht S c h m i d t , Dr. R o t h k e g e l ,
Dr. F r a n k e und Prof. Dr. B e r l i t
für Recht erkannt:
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 13. September 2001 wird aufgeho-
ben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entschei-
dung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-
Westfalen zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentschei-
dung vorbehalten.
G r ü n d e :
I.
Der im Jahre 1960 in Kirgisistan geborene Kläger zu 1 stammt von einem russischen
Vater und einer Mutter deutscher Volkszugehörigkeit ab. Die Eltern sind am
13. November 1992 in der Bundesrepublik Deutschland registriert worden. Die Klä-
gerin zu 2 ist russische Volkszugehörige; die im Jahre 1984 in Kirgisistan geborene
Klägerin zu 3 stammt aus der Ehe der Kläger zu 1 und 2.
In seinem am 15. Januar 1992 gestellten ersten Aufnahmeantrag hatte der Kläger
zu 1 seine Volkszugehörigkeit mit "Russe" bezeichnet; seine Muttersprache und jet-
zige Umgangssprachen in der Familie seien "Deutsch, Russisch". Er verstehe, spre-
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che und schreibe die deutsche Sprache. In dem in Ablichtung überreichten, am
2. Dezember 1976 ausgestellten Inlandspass des Klägers war als seine Nationalität
"Russe" eingetragen. Der Aufnahmeantrag der Kläger wurde vom Bundesverwal-
tungsamt mit der Begründung abgelehnt, der Kläger zu 1 sei kein deutscher Volks-
zugehöriger, da aus dem Nationalitäteneintrag in seinem Inlandspass ersichtlich sei,
dass er auf eigenen Wunsch die russische Nationalität habe eintragen lassen (Be-
scheid vom 18. März 1992).
Im April 1994 stellten die Kläger erneut einen Aufnahmeantrag, in dem der Kläger
zu 1 seine Volkszugehörigkeit nunmehr als "Deutscher" bezeichnete. Seine Mutter-
sprache sei Deutsch, seine jetzige Umgangssprache in der Familie sei "Deutsch -
Russisch". Im Pass sei er jetzt als Deutscher eingetragen. Durch Schreiben seiner
Prozessbevollmächtigten trug er weiter vor, er habe sein Wahlrecht bei der Eintra-
gung der Nationalität im ersten Inlandspass nicht ausgeübt, vielmehr sei ihm die
nichtdeutsche Nationalität nach seinem Vater "verfügt" worden.
Im November 1994 reisten die Kläger mit einem bis zum 13. Januar 1995 befristeten
Visum in die Bundesrepublik Deutschland ein und erhielten auf ihren Antrag vom
13. März 1995 von der zuständigen Ausländerbehörde zunächst jeweils eine auf ein
Jahr befristete und seit dem 25. August 2000 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis
zur Pflege der Eltern des Klägers zu 1. Das Bundesverwaltungsamt lehnte den er-
neuten Aufnahmeantrag wegen der Eintragung der russischen Nationalität im ersten
Inlandspass ab (Bescheid vom 6. Februar 1995, Widerspruchsbescheid vom
16. März 1995).
Die Klage auf Erteilung eines Aufnahmebescheides wurde vom Verwaltungsgericht
mit der Begründung abgewiesen, infolge der Eintragung der russischen Nationalität
in dem ersten Inlandspass, die der Kläger akzeptiert habe, sei von einem Gegenbe-
kenntnis auszugehen; die 1992 abgegebene Erklärung, die im zeitlichen Zusammen-
hang mit dem Aufnahmeantrag des Klägers zu sehen sei, reiche daher für ein Be-
kenntnis nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG F. 1993 nicht aus (Urteil vom 6. Mai
1999). Das Oberverwaltungsgericht hingegen hat auf die Berufung der Kläger die
Beklagte verpflichtet, den Klägern einen Aufnahmebescheid zu erteilen (Urteil vom
13. September 2001).
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Zur Begründung hat das Berufungsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Rechts-
grundlage für den vom Kläger zu 1 geltend gemachten Anspruch auf Erteilung eines
Aufnahmebescheides sei § 27 Abs. 2 BVFG. Bei Vorliegen einer besonderen Härte
werde der Aufnahmebescheid nachträglich, und zwar in der Regel bezogen auf den
Zeitpunkt des Verlassens des Aussiedlungsgebiets, erteilt. Eine die nachträgliche
Erteilung des Aufnahmebescheides rechtfertigende besondere Härte sei in der Pfle-
ge der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden erkrankten Eltern des Klägers
zu sehen; sie seien wohl schon bei der Einreise der Kläger, in jedem Fall aber ab
Mitte 1995 erheblich pflegebedürftig gewesen. Da der Aufnahmebescheid bezogen
auf den Zeitpunkt des Eintritts des Härtefalls erteilt werde, sei das bei Ausreise bzw.
kurz danach geltende Recht - hier § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG in der Fassung der Be-
kanntmachung vom 2. Juni 1993, BGBl I S. 829 - anzuwenden. Das Vorliegen der
Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 BVFG a.F. sei nicht in Zweifel
gestellt worden. Auch die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG a.F.
seien erfüllt; die Eintragung der russischen Nationalität im ersten Inlandspass könne
dem Kläger nicht als Gegenbekenntnis entgegengehalten werden, da diese Eintra-
gung nach den glaubhaften Erklärungen des Klägers und der durchgeführten Zeu-
genvernehmung nicht aufgrund einer Erklärung des Klägers erfolgt sei und allein in
der Entgegennahme des Passes auf einer Schulfeier keine Erklärung zu einem
fremden Volkstum liege. Durch den Antrag auf Änderung der Nationalitäteneintra-
gung im Jahre 1992, dem durch Ausstellung des neuen Inlandspasses entsprochen
worden sei, habe der Kläger ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum abgelegt. Die
Erklärung sei auch rechtzeitig, da die Worte "bis zum Verlassen der Aussiedlungsge-
biete" nicht im Sinne eines ununterbrochenen Bekenntnisses vom Beginn der Erklä-
rungs- bzw. Bekenntnisfähigkeit bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete auszu-
legen seien, sondern dahin, dass die Erklärung zur deutschen Nationalität spätes-
tens im Zeitpunkt des Verlassens des Aussiedlungsgebietes vorgelegen haben müs-
se. Besondere Anforderungen seien an die im Jahre 1992 abgegebene Erklärung
nicht zu stellen, da der Kläger zuvor kein Gegenbekenntnis abgegeben habe. Entge-
gen der Auffassung des Verwaltungsgerichts könne ihm auch nicht vorgehalten wer-
den, dass er die Änderung der Nationalität nicht früher habe vornehmen lassen.
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Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 26, 27 Abs. 1 Satz 1
i.V.m. Abs. 2 sowie § 4 Abs. 1, § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG in der seit dem 1. Januar
1993 bzw. seit dem 7. September 2001 geltenden Fassung.
Die Kläger verteidigen das angefochtene Urteil.
II.
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundes-
recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), weil es für die vorliegende Verpflichtungsklage auf
Erteilung eines Aufnahmebescheides nach § 27 Abs. 2 BVFG für die "sonstigen Vor-
aussetzungen" im Sinne dieser Bestimmung - hier die deutsche Volkszugehörigkeit
gemäß § 6 Abs. 2 BVFG - nicht auf die im Entscheidungszeitpunkt geltende Geset-
zesfassung - die Fassung des Gesetzes zur Klarstellung des Spätaussiedlerstatus
(Spätaussiedlerstatusgesetz - SpStatG) vom 30. August 2001 (BGBl I S. 2266) -,
sondern auf die im Zeitpunkt der Entstehung des Härtegrundes geltende Fassung
der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993 (BGBl I S. 829) abgestellt hat, so dass die
Beurteilung der Voraussetzungen für ein wirksames Bekenntnis zum deutschen
Volkstum nicht den rechtlichen Maßstäben des § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG (F. 2001)
entspricht. Das führt zur Aufhebung der Entscheidung und mangels Entscheidungs-
reife zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
1. Nach der Rechtsprechung des Senats sind Verpflichtungsbegehren grundsätzlich
nach der im Entscheidungszeitpunkt maßgeblichen Rechtslage zu beurteilen (vgl.
Urteile vom 12. März 2002 - BVerwG 5 C 2.01 und 5 C 45.01 -
bzw. 119>). Der Senat hat diese Auffassung auch für die Entscheidung über Auf-
nahmebescheide nach § 27 Abs. 2 BVFG in mehreren Beschlüssen bestätigt (vgl.
nur Beschlüsse vom 7. März und 19. April 2002 - BVerwG 5 B 60.01 bzw. 5 B
33.02 -).
In Übereinstimmung damit geht das Berufungsurteil davon aus, Rechtsgrundlage für
den Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides sei § 27 Abs. 2 BVFG in der
durch das Spätaussiedlerstatusgesetz geänderten Fassung. Bei der Prüfung der
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sonstigen Voraussetzungen im Sinne des § 27 Abs. 2 BVFG hält es jedoch nicht an
diesem Ausgangspunkt fest, sondern folgert aus der Aussage in verschiedenen Ent-
scheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, der Aufnahmebescheid sei nachträg-
lich bezogen auf den Zeitpunkt des Verlassens des Aussiedlungsgebietes bzw. der
Entstehung des Härtegrundes zu erteilen (Urteile vom 19. April 1994 - BVerwG 9 C
343.93 - und vom 18. November 1999 - BVerwG 5 C 3.99 -
und - BVerwG 5 C 6.99 - ),
dass bei der Prüfung der sonstigen Voraussetzungen im Sinne des § 27 Abs. 2
BVFG auf das bei Eintritt des Härtefalls - der hier "in jedem Fall ab Mitte 1995" vor-
liege (S. 12 des Urteils) - geltende Recht, also für die Beurteilung der deutschen
Volkszugehörigkeit auf § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG F. 1993 abzustellen sei. Soweit den
genannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts entgegen dem Grund-
satz der Beurteilung von Verpflichtungsbegehren gemäß der im Entscheidungszeit-
punkt geltenden Rechtslage rechtliche Aussagen dahingehend zu entnehmen sein
sollten, es komme bei Klagen auf Erteilung eines Aufnahmebescheides nach § 27
Abs. 2 BVFG entscheidungserheblich auf eine zu einem früheren Zeitpunkt beste-
hende Rechtslage an, hält der Senat daran nicht fest. Maßgeblich für die Beurteilung
der "sonstigen Voraussetzungen" im Sinne des § 27 Abs. 2 BVFG ist vielmehr die im
Entscheidungszeitpunkt geltende Fassung des § 6 Abs. 2 BVFG durch das Spätaus-
siedlerstatusgesetz. Dass auch verfassungsrechtliche Gesichtspunkte des Vertrau-
ensschutzes einer Berücksichtigung der durch das Spätaussiedlerstatusgesetz geän-
derten Voraussetzungen für die deutsche Volkszugehörigkeit nach § 6 Abs. 2 Satz 1
BVFG nicht entgegenstehen, hat der Senat bereits geklärt (vgl. für Bescheinigungs-
verfahren nach § 15 BVFG BVerwGE 116, 114 und für laufende Aufnahmeverfahren
Beschlüsse vom 7. März 2002 - BVerwG 5 B 60.01 - sowie vom 19. April 2002
- BVerwG 5 B 33.02 -).
2. Ist somit bei der Beurteilung des Antrages des Klägers zu 1 auf Erteilung eines
Aufnahmebescheides nach § 27 Abs. 2 BVFG für die Prüfung der deutschen Volks-
zugehörigkeit und des Bekenntniserfordernisses auf § 6 Abs. 2 BVFG in der Fassung
des Spätaussiedlerstatusgesetzes abzustellen, rechtfertigen die tatsächlichen Fest-
stellungen der Vorinstanz nicht die Annahme, der Kläger zu 1 habe sich - wie § 6
Abs. 2 Satz 1 BVFG n.F. für die Eigenschaft als deutscher Volkszugehöriger voraus-
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setzt - nach Erreichen der Bekenntnisfähigkeit bis zur Ausreise "nur" zum deutschen
Volkstum bekannt.
2.1 Entgegen der vom Oberverwaltungsgericht zugrunde gelegten früheren Rechts-
lage erfordert die Neufassung des Gesetzes ein ununterbrochenes Bekenntnis vom
Beginn der Erklärungs- bzw. Bekenntnisfähigkeit bis zum Verlassen der Aussied-
lungsgebiete, so dass es nicht ausreicht, dass im Zeitpunkt des Verlassens des Aus-
siedlungsgebietes die Erklärung zur deutschen Nationalität vorgelegen hat. Zu dem
Bekenntniserfordernis gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG F. 2001 hat der Senat in sei-
nem den Beteiligten bekannten Urteil vom 13. November 2003 - BVerwG 5 C 40.03 -
(zur Veröffentlichung in der amtlichen Entscheidungssammlung bestimmt; vgl. auch
die am gleichen Tage ergangenen Urteile in den Verfahren BVerwG 5 C 41.03 und
5 C 14.03) ausgeführt:
"Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist mit der Einfügung des Wortes
'nur' durch das Spätaussiedlerstatusgesetz nicht allein die Möglichkeit der Revidie-
rung eines so genannten 'Gegenbekenntnisses' ausgeschlossen worden. Vielmehr
ist die von der Vorinstanz zugrunde gelegte, auf den Zeitpunkt des Verlassens der
Aussiedlungsgebiete als Endzeitpunkt für die Abgabe der Nationalitätenerklärung
(bzw. des Bekenntnisses auf andere Weise) bezogene Betrachtungsweise, nach
der es ausreichte, dass die Erklärung zum deutschen Volkstum zu einem beliebi-
gen Zeitpunkt bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete abgegeben wurde,
durch eine jedenfalls an der Bekenntnisfähigkeit ansetzende zeitraumbezogene
Betrachtung abgelöst worden. Ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum in engem
zeitlichen Zusammenhang mit der Ausreise genügt den rechtlichen Anforderungen
des § 6 Abs. 2 BVFG n.F. danach nicht (zur Rechtslage nach § 6 Abs. 2 Satz 1
Nr. 3 BVFG a.F. vgl. BVerwGE 99, 133 <145 f.>). Bei Personen im bekenntnisfä-
higen Alter muss vielmehr grundsätzlich für den gesamten Zeitraum zwischen Ein-
tritt der Bekenntnisfähigkeit und Ausreise ein positives Bekenntnis zum deutschen
Volkstum im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG n.F. feststellbar sein.
Nach dem Wortlaut der Neufassung des § 6 Abs. 2 BVFG ist ein positives Be-
kenntnis 'nur' zum deutschen Volkstum erforderlich. Durch die Einfügung des Wor-
tes 'nur' haben die bereits in der früheren Gesetzesfassung enthaltenen Worte 'bis
zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete' eine Bedeutungsänderung dahin erhal-
ten, dass damit nicht mehr der Endzeitpunkt für die Abgabe der Erklärung als
rechtlich allein maßgeblich bezeichnet wird. Die Prüfung, ob sich eine Person bis
zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete 'nur' zum deutschen Volkstum bekannt
hat, erfordert vielmehr eine Einbeziehung des gesamten Zeitraumes vom Eintritt
der Bekenntnisfähigkeit bis zur Ausreise. Die für die im Gesetz vorgesehenen
Formen des Bekenntnisses - die Nationalitätenerklärung (1. Alternative) und das
Bekenntnis auf vergleichbare Weise (2. Alternative) - erforderliche Erklärungs-
bzw. Bekenntnisfähigkeit liegt jedenfalls mit Eintritt der Volljährigkeit vor, wobei die
Bekenntnisreife auch schon ab Vollendung des 16. Lebensjahres angenommen
- 8 -
werden kann und sich die Erklärungsfähigkeit nach dem Recht des Herkunftsstaa-
tes richtet (vgl. Urteil vom 29. August 1995 - BVerwG 9 C 391.94 - BVerwGE 99,
133 <141>). In dem Zeitraum zwischen dem Eintritt der Bekenntnis- bzw. Erklä-
rungsfähigkeit bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete muss mithin - positiv -
ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum erfolgt sein und darf - negativ - kein 'Ge-
genbekenntnis' vorliegen; der ausschließliche ('nur') Charakter des Bekenntnisses
zum deutschen Volkstum schließt es aber auch aus, in Fällen schicksalhaft unter-
bliebener deutscher Bewusstseinsbildung und erfolgter rechtlicher Zuordnung zu
einem anderen Volkstum die daraus resultierenden Erklärungsakte als rechtsu-
nerheblich anzusehen."
Demgegenüber hat die Vorinstanz - der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge-
richts zu § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG a.F. folgend - es für den Bekenntnistatbe-
stand als ausreichend angesehen, dass der Kläger durch den Antrag auf Änderung
der Nationalitäteneintragung im Jahre 1992, dem durch Ausstellung eines neuen In-
landspasses entsprochen worden ist, ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum abge-
legt habe, da ihm die Eintragung der russischen Nationalität im ersten Inlandspass
aus dem Jahre 1976, die nicht aufgrund einer Erklärung des Klägers erfolgt sei, nicht
als "Gegenbekenntnis" entgegengehalten werden könne. Nach der Neufassung des
Gesetzes genügt es indes nicht, dass eine - mit dem Begriff des "Gegenbekenntnis-
ses" verbundene - bewusste Entscheidung "gegen" das deutsche Volkstum nicht vor-
liegt, vielmehr bedarf es der Feststellung eines durchgängigen positiven Bekenntnis-
ses ausschließlich zum deutschen Volkstum schon vom Eintritt der Erklärungs- bzw.
Bekenntnisfähigkeit an. Hierzu hat der Senat in seinem genannten Urteil vom
13. November 2003 - BVerwG 5 C 40.03 - weiter ausgeführt:
"Diese Auslegung wird durch die Entstehungsgeschichte bestätigt (s. BTDrucks
14/6310, S. 6). Die Neufassung des Absatzes 2 sollte ausweislich der Gesetz-
entwurfsbegründung zwar auch die Revidierung eines 'Gegenbekenntnisses'
ausschließen (BTDrucks 14/6310, S. 6), beschränkt sich hierauf indes nicht. Die
Gesetzentwurfsbegründung knüpft vielmehr an die im Regierungsentwurf des
Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes sowie in dem Ausschussbericht hierzu
(BTDrucks 12/3597) bekundeten Intentionen an und führt hierzu aus:
'Dem Ausschussbericht zufolge soll es nicht genügen, wenn das Bekenntnis
zum deutschen Volkstum kurz vor oder gar nur zum Zwecke der Aussiedlung
abgegeben wurde. Die Prägung in der Familie muss vielmehr im Verhalten
außerhalb der Familie ihren Ausdruck gefunden und dazu geführt haben, dass
sich die Person nach Erreichen der Bekenntnisfähigkeit oder nach der Erklä-
rungsfähigkeit nach dem Recht des Herkunftsgebietes auch zum deutschen
Volkstum bekannt hat (vgl. Drucksache 12/3597 S. 53)' (BTDrucks 14/6310,
S. 6; s.a. BTDrucks 14/6573, S. 6).
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Die Begründung geht erkennbar von der - nunmehr im Gesetzeswortlaut zum
Ausdruck gekommenen - Vorstellung aus, dass Bekenntnis bzw. Erklärung
grundsätzlich bereits bei Erreichen der Bekenntnis- oder Erklärungsfähigkeit ab-
gegeben werden und dann in der Folgezeit nicht mehr geändert worden sind.
Dies bestätigen folgende Erwägungen der Gesetzentwurfsbegründung:
'Als Form des Bekenntnisses kommt dabei regelmäßig die in vielen Aussied-
lungsgebieten mögliche amtliche Registrierung zur deutschen Nationalität in
Betracht (vgl. Ausschussbericht zum KfbG [Drucksache 12/3597], S. 53). Im
territorialen Bereich der ehemaligen UdSSR ist dies vor allem die Nationalitä-
tenerklärung für die Eintragung in amtliche Dokumente (z.B. erster Inlands-
pass). Sie muss nunmehr erstmals nach Eintritt der Bekenntnisfähigkeit (vgl.
hierzu Urteil des BVerwG vom 31. Januar 1989 - 9 C 78.87 - [Buchholz 412.3
§ 6 BVFG Nr. 59]) bzw. der Erklärungsfähigkeit nach dem insoweit grundsätz-
lich maßgeblichen innerstaatlichen Recht (vgl. BVerwGE 99, 133, 141) zu
Gunsten der deutschen Nationalität erfolgen und in der Folge nicht mehr zu
Gunsten einer anderen Nationalität abgeändert worden sein.'
Das Erfordernis eines durchgängigen positiven Bekenntnisses wird durch § 6
Abs. 2 Satz 5 letzter Halbsatz BVFG n.F. bestätigt. Nach dieser Regelung wird
ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum unter den dort näher bezeichneten Vor-
aussetzungen (nur) unterstellt, wenn 'aufgrund der Gesamtumstände der Wille
unzweifelhaft ist, der deutschen Volksgruppe und keiner anderen anzugehören'.
Die dem Begriff des 'Willens' immanente subjektive Dimension erfordert, dass die
Zugehörigkeit nur und ausschließlich zum deutschen Volkstum auch subjektiv
wahrgenommen und gelebt worden ist. Dass hier der positive Wille, ausschließ-
lich der deutschen Volksgruppe ('und keiner anderen …') anzugehören, voraus-
gesetzt wird, unterstreicht, dass mit Blick auf das Verhalten in Erklärungssituatio-
nen ein ununterbrochenes, durchgängiges Volkstumsbewusstsein verlangt wird,
das nur infolge einer Zwangslage keinen außenwirksamen Ausdruck gefunden
hat.
Reicht mithin für die Zeit nach Eintritt der Erklärungs- bzw. Bekenntnisfähigkeit
das Fehlen eines Gegenbekenntnisses nicht mehr aus, um das Erfordernis eines
ausschließlichen ('nur') Bekenntnisses zum deutschen Volkstum bis zum Zeit-
punkt des Verlassens der Aussiedlungsgebiete auszufüllen, schließt dies nach
Eintritt der Bekenntnis- oder Erklärungsfähigkeit und Abgabe der nach sowjeti-
schem Recht erforderlichen Erklärung zur Nationalität die Annahme eines gleich-
wohl fortbestehenden längeren Zeitraumes eines 'bekenntnislosen' Zustandes
aus. Ein Bekenntnis 'nur' zum deutschen Volkstum kann allein derjenige ablegen,
dessen nach außen tretende Erklärungen oder Handlungen von einem entspre-
chenden (inneren) Volkstumsbewusstsein getragen werden (vgl. Urteil vom
16. Februar 1993 - BVerwG 9 C 25.92 - BVerwGE 92, 70 <73 f.>; Urteil vom
12. November 1996 - BVerwG 9 C 8.96 - BVerwGE 102, 214 <217 ff.>), und der
Gesetzgeber setzt voraus, dass sich mit Erreichen des bekenntnisfähigen Alters
ein 'inneres Bewusstsein', einem bestimmten Volkstum anzugehören, bilden
kann und gebildet hat. Dies schließt die rechtliche Möglichkeit aus, dass eine
nach ihrem Alter bekenntnisfähige Person über einen längeren Zeitraum ohne
jegliches (inneres) Volkstumsbewusstsein sein kann. Die Bekenntnisfähigkeit be-
stimmt sich dabei grundsätzlich nach dem Alter und der altersentsprechenden in-
tellektuellen Fähigkeit, ein entsprechendes Bewusstsein bilden zu können.
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Auch nach der Neufassung des § 6 Abs. 2 BVFG wirkt allerdings ein einmal ab-
gegebenes Bekenntnis zum deutschen Volkstum im Regelfall fort und deckt da-
rum auch Folgezeiträume ab, solange kein Gegenbekenntnis erfolgt. Ein einmal
nach § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung
oder auf vergleichbare Weise wirksam abgegebenes Bekenntnis zum deutschen
Volkstum nach Erreichen der Bekenntnisfähigkeit muss bis zur Ausreise nicht
kontinuierlich oder periodisch bekräftigt oder wiederholt werden."
Mit Blick auf Fälle einer unzutreffenden Dokumentation eines Bekenntnisses zu ei-
nem fremden Volkstum, wie der Kläger sie für die Verleihung des ersten Inlandspas-
ses auf einer Schulfeier im Jahre 1976 für sich in Anspruch nimmt, ist auch auf den
Bericht des Innenausschusses vom 4. Juli 2001 hinzuweisen, wo es am Ende der
Ausführungen zu § 6 Abs. 2 heißt (BTDrucks 14/6573, 7):
"Ergänzend zu diesen Ausführungenhat der Ausschuss im Zuge seiner Bera-
tungen auf Grund von Eingaben von Verbänden klargestellt, dass durch die
Wendung '… nur zum deutschen Volkstum bekannt' in § 6 Abs. 2 Satz 1
SpStatG nicht ausgeschlossen ist, dass in einem Fall von Behördenwillkür, der
zur Dokumentation eines anderen Volkstumsbekenntnisses geführt hat, der An-
tragsteller gleichwohl glaubhaft machen kann und muss, sich tatsächlich zum
deutschen Volkstum bekannt zu haben."
2.2. Nach diesen Grundsätzen, die das Berufungsgericht seiner Prüfung nicht
zugrunde gelegt hat, kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger zu 1 sich in der
Zeit ab Erreichen der Bekenntnisfähigkeit, also ab 1976, fortdauernd "nur" zum deut-
schen Volkstum bekannt habe. Zwar ist die beweisliche Würdigung der Umstände
der Verleihung des ersten Inlandspasses im Jahre 1976 mit dem Eintrag der russi-
schen Nationalität revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, doch hat die Vorinstanz
- von ihrem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine weiteren Feststellungen zum
Bekenntnisverhalten des Klägers in der Zeit zwischen der Ausstellung des ersten
Inlandspasses und dem 1992 gestellten Antrag auf Änderung der Nationalitätenein-
tragung im Inlandspass getroffen. Es wird nunmehr zu beurteilen sein, ob der Kläger
zu 1, der sich nach seinen Angaben bereits 1988 um eine Änderung der Nationalität
im Inlandspass bemüht hat, damals aber vom KGB verhört und bedroht worden sei,
sich bei der ersten sich ihm zumutbar bietenden Gelegenheit durch ein nach außen
hin erkennbares Verhalten im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG n.F. zum deutschen
Volkstum bekannt hat bzw. inwieweit die Feststellung eines Bekenntnisverhaltens
nach § 6 Abs. 2 Satz 5 BVFG entbehrlich ist. Das Berufungsgericht wird schließlich
- 11 -
auch festzustellen haben, ob beim Kläger zu 1 die sprachlichen Voraussetzungen
gemäß § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG F. 2001 vorliegen.
Dr. Säcker Schmidt Dr. Rothkegel
Dr. Franke Prof. Dr. Berlit
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 12 000 € fest-
gesetzt.
Dr. Säcker Schmidt Dr. Franke
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Recht der Vertriebenen
Fachpresse:
ja
Rechtsquelle:
BVFG (F. 2001) § 27 Abs. 2, § 6 Abs. 2
Stichworte:
Aufnahmebescheid, nachträgliche Erteilung eines -es in Härtefällen;
Aufnahmebescheid, Maßgeblichkeit der materiellen Rechtslage im Entscheidungs-,
nicht im Ausreise- oder Härtezeitpunkt;
Bekenntnis zum deutschen Volkstum, durchgängiges -;
Verpflichtungsklage, Maßgeblichkeit der materiellen Rechtslage im Entscheidungs-
zeitpunkt.
Leitsatz:
Bei Entscheidungen über die nachträgliche Erteilung von Aufnahmebescheiden in
Fällen besonderer Härte nach § 27 Abs. 2 BVFG sind auch die Anforderungen an die
deutsche Volkszugehörigkeit gemäß § 6 Abs. 2 BVFG nach der im Entscheidungs-
zeitpunkt geltenden Rechtslage zu beurteilen.
Urteil des 5. Senats vom 22. April 2004 - BVerwG 5 C 27.02
I. VG Köln vom 06.05.1999 - Az.: VG 19 K 2032/95 -
II. OVG Münster vom 13.09.2001 - Az.: OVG 2 A 2674/99 -