Urteil des BVerwG vom 11.11.2010

Bundesamt, Verwaltung, Grundstück, Ausschluss

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 5 C 22.10
VG 1 K 3193/04
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
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am 11. November 2010
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer und Dr. Häußler
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Potsdam vom 30. Juni 2005 wird
zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Die Klägerin, vertreten durch ihren Abwesenheitspfleger, wendet sich gegen
ihren Ausschluss von einer Grundstücksentschädigung als nicht auffindbare
Miterbin nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 2 Entschädigungsgesetz (EntschG).
Der 1977 verstorbene Vater der Klägerin war Eigentümer eines in der Stadt F.
(Brandenburg) gelegenen Grundstücks. Die Klägerin ist Miterbin nach ihrem
Vater zu einem Drittel. Das Grundstück stand von 1963 bis 31. Dezember 1992
unter staatlicher Verwaltung. Anschließend wurde die Stadt F. nach § 11b
Abs. 1 Vermögensgesetz (VermG) zur gesetzlichen Vertreterin der Eigentümer
bestellt.
Im September 1999 angestellte Nachforschungen des Landkreises H. ergaben,
dass der verstorbene Eigentümer des Grundstücks verheiratet gewesen war
und drei Töchter hatte. Deren aktueller Aufenthaltsort konnte aber zunächst
nicht festgestellt werden. Im Januar 2000 eröffnete das Bundesamt zur Rege-
lung offener Vermögensfragen (heute: Bundesamt für zentrale Dienste und of-
fene Vermögensfragen) das Aufgebotsverfahren gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1
Nr. 7 EntschG i.V.m. § 15 Grundbuchbereinigungsgesetz (GBBerG). Der Ver-
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mögenswert wurde im Bundesanzeiger bekannt gegeben; die Berechtigten be-
ziehungsweise ihre Rechtsnachfolger wurden aufgefordert, sich bis zum
8. November 2001 beim Bundesamt zu melden. Im September 2000 machte
eine der Schwestern der Klägerin unter Vorlage eines entsprechenden Teilerb-
scheins fristgerecht Ansprüche für sich und eine weitere Schwester geltend. Sie
teilte zugleich mit, dass sie den Aufenthaltsort der ungefähr im Jahr 1965 nach
Großbritannien verzogenen Klägerin, die geschieden sei und zwei Kinder habe,
trotz intensiver Nachforschungen nicht habe ermitteln können. Auf Antrag der
Schwester bestimmte das Amtsgericht einen Abwesenheitspfleger für die Klä-
gerin und betraute ihn mit ihrer Vertretung bei der Beantragung des Erbscheins
nach ihrem Vater sowie der Verwaltung und Verwertung des Nachlasses. Im
Juli 2001 meldete der Abwesenheitspfleger der Klägerin ihre Ansprüche beim
Bundesamt an und legte einen Teilerbschein vor, der sie als Miterbin auswies.
Im September 2001 wurden die Klägerin und ihre beiden Schwestern als Eigen-
tümerinnen des Grundstücks in Erbengemeinschaft im Grundbuch eingetragen.
Anschließend wurde auf deren Antrag hin die Bestellung der Stadt F. zur ge-
setzlichen Vertreterin aufgehoben.
Nachdem auch weitere Recherchen nach dem Aufenthaltsort der Klägerin ohne
Erfolg geblieben waren, schloss das Bundesamt zur Regelung offener Vermö-
gensfragen mit Bescheid vom 9. September 2004 die Klägerin von ihrem Miter-
benanteil an dem Grundstück aus und stellte fest, dass dieser auf die Bundes-
republik Deutschland - Entschädigungsfonds - übergehe.
Die vom Abwesenheitspfleger der Klägerin gegen diesen Bescheid erhobene
Anfechtungsklage wies das Verwaltungsgericht Potsdam mit Urteil vom 30. Juni
2005 ab. Die Voraussetzungen eines Ausschlusses nach § 10 Abs. 1 Satz 1
Nr. 7 EntschG lägen vor. Das Grundstück sei bis zum 31. Dezember 1992 unter
staatlicher Verwaltung gestanden. Unstreitig habe die Beklagte mit hinreichend
hohem Aufwand, aber gleichwohl erfolglos versucht, den Aufenthalt der Kläge-
rin zu ermitteln. Es gebe, obgleich auch bereits ihre beiden Schwestern erhebli-
che Anstrengungen zum Auffinden der Klägerin unternommen hätten, keine
Anhaltspunkte zu ihrem Aufenthaltsort und keinen weiteren Ansatzpunkt für
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zusätzliche Nachforschungen. Lasse man das Auftreten eines gesetzlichen
Vertreters genügen, werde der Zweck des Aufgebotsverfahrens unterlaufen.
Mit der vom Bundesverwaltungsgericht zugelassenen Revision hat die Klägerin
geltend gemacht, aufgrund der Bestellung des Abwesenheitspflegers und der
Anzeige des Vertretungsverhältnisses gegenüber dem Bundesamt handele es
sich nicht mehr um einen „nicht beanspruchten Vermögenswert“ im Sinne von
§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG. Außerdem seien § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7
EntschG und § 15 GBBerG wegen Verstoßes gegen die verfassungsrechtliche
Gewährleistung des Eigentums in Art. 14 Abs. 1 GG verfassungswidrig und ver-
letzten auch Art. 3 Abs. 1 GG, weil eine Rückübertragung von Vermögenswer-
ten im Rahmen des Vermögensgesetzes an unbekannte oder unauffindbare
Miterben vorgesehen sei, während § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG bei unauf-
findbaren Miterben eine Einziehung vorsehe. Die Beklagte ist der Revision ent-
gegengetreten.
Das Bundesverwaltungsgericht hat das Verfahren mit Beschluss vom 21. Juni
2007 - BVerwG 3 C 24.06 - (NVwZ 2008, 430) ausgesetzt und dem Bundesver-
fassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Frage zur Entscheidung vorge-
legt, ob die Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 2 EntschG, soweit da-
von Rechte einzelner nicht auffindbarer Miterben betroffen sind, mit Art. 14
Abs. 1 Satz 1 GG vereinbar ist. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfas-
sungsmäßigkeit mit Beschluss vom 21. Juli 2010 - 1 BvL 8/07 - (ZOV 2010,
177) bejaht, soweit danach nicht auffindbare Miterben von ihren zur gesamten
Hand gehaltenen Rechten hinsichtlich ehemals staatlich verwalteter Vermö-
genswerte auch dann ausgeschlossen werden können, wenn zumindest ein
anderer Miterbe bekannt und aufgefunden ist.
II
Die Revision, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne münd-
liche Verhandlung entscheidet (§ 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101
Abs. 2 VwGO), ist unbegründet. Die angefochtene Entscheidung des Verwal-
tungsgerichts steht mit Bundesrecht in Einklang (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
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Der von der Beklagten mit Bescheid vom 9. September 2004 ausgesprochene
Ausschluss der Klägerin von ihren sich aus der Miterbenstellung ergebenden
Rechten und deren festgestellter Übergang auf den Entschädigungsfonds sind
rechtmäßig.
1. Rechtsgrundlage für den angegriffenen Bescheid ist § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7
EntschG i.V.m. § 15 GBBerG. Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 1 EntschG
sind an den Entschädigungsfonds Veräußerungserlöse nach § 11 Abs. 4
VermG und sonstige nicht beanspruchte Vermögenswerte abzuführen, die bis
zum 31. Dezember 1992 unter staatlicher Verwaltung standen, wenn der Eigen-
tümer oder Inhaber sich nicht nach öffentlichem Aufgebot gemäß § 15 GBBerG
gemeldet hat. Nach Satz 2 dieser Regelung sind nicht beanspruchte Vermö-
genswerte im Sinne des Satzes 1 auch Rechte, die nicht bekannten oder nicht
auffindbaren Miteigentümern oder Miterben zustehen. Dieser Satz 2 wurde
durch Art. 1 Nr. 6 Buchst. b des Entschädigungsrechtsänderungsgesetzes vom
10. Dezember 2003 (BGBl I S. 2471) angefügt. Die Voraussetzungen für den
Erlass eines Ausschlussbescheides sind in § 15 GBBerG geregelt, der die De-
tails hinsichtlich des durchzuführenden Aufgebotsverfahrens enthält und damit
auch präzisiert, wann es sich um einen „nicht beanspruchten Vermögenswert“
im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG handelt.
2. Der Ausschluss unauffindbarer Erben nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 2
EntschG ist verfassungsgemäß. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in sei-
nem Beschluss vom 21. Juli 2010 - 1 BvL 8/07 - nicht nur im Hinblick auf Art. 14
Abs. 1 GG, sondern auch auf Art. 3 Abs. 1 GG mit Gesetzeskraft und Bin-
dungswirkung für den Senat festgestellt (§ 31 Abs. 1 und 2 BVerfGG). Das Vor-
bringen der Klägerin, dass die vom Bundesverfassungsgericht gegebene Be-
gründung nicht überzeuge und die Regelung tatsächlich nicht eine verfas-
sungsgemäße Inhalts- und Schrankenbestimmung bewirke, sondern die grund-
gesetzliche Eigentumsgarantie sowie den Gleichheitssatz verletze, beachtet
nicht die Gesetzeskraft und die Bindungswirkung der Entscheidung des Bun-
desverfassungsgerichts. Es ist auch sonst unter keinem denkbaren Gesichts-
punkt geeignet, diese in Zweifel zu ziehen, zumal alle maßgeblichen Gesichts-
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punkte in dem Vorlagebeschluss vom 21. Juni 2007 (a.a.O.) und in der Ent-
scheidung des Bundesverfassungsgerichts (a.a.O.) erwogen worden sind.
3. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass eines Ausschlussbe-
scheides nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG sind im vorliegenden Fall er-
füllt. In dem Vorlagebeschluss vom 21. Juni 2007 (a.a.O.), der den Beteiligten
bekannt ist und auf den zur weiteren Begründung verwiesen wird, ist aufgeführt,
dass und aus welchen Gründen das Bundesamt für offene Vermögensfragen
ein ordnungsgemäßes Aufgebotsverfahren im Sinne des § 15 GBBerG durch-
geführt hat und ein „nicht beanspruchter Vermögenswert“ im Sinne von § 10
Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG auch dann vorliegt, wenn - wie hier - der Ab-
wesenheitspfleger der Klägerin für sie Ansprüche geltend gemacht hat. Dem
schließt sich der erkennende Senat an. Für ergänzende Erwägungen besteht
kein Anlass, zumal auch zwischen den Beteiligten außer Streit steht, dass die
tatbestandlichen Voraussetzungen von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG, § 15
GBBerG vorliegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 2 VwGO.
Hund Prof. Dr. Berlit Stengelhofen
Dr. Störmer Dr. Häußler
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