Urteil des BVerwG vom 19.02.2009

Serbien Und Montenegro, Leistungsbezug, Arglistige Täuschung, Genfer Flüchtlingskonvention

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 5 C 22.08
VGH 13 S 1487/06
Verkündet
am 19. Februar 2009
Wahl
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 19. Februar 2009
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Brunn, Prof. Dr. Berlit,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Verwal-
tungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 12. März 2008
geändert.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwal-
tungsgerichts Sigmaringen vom 25. Januar 2006 wird zu-
rückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und des
Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
Der Kläger begehrt die Zusicherung seiner Einbürgerung in den deutschen
Staatsverband.
Der 1942 geborene Kläger ist albanischer Volkszugehöriger aus dem Kosovo.
Er reiste im Jahre 1991 zusammen mit seiner Ehefrau und seinen vier Kindern
in die Bundesrepublik Deutschland ein und wurde im Mai 1994 als Asylberech-
tigter anerkannt. Im Jahre 2004 wurde die Asylanerkennung aufgehoben. In der
Folgezeit wurde ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG in Be-
zug auf Serbien und Montenegro festgestellt. Der Kläger besitzt seit September
1994 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.
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Nach der Einreise war der Kläger in folgenden Zeiträumen beschäftigt: 4. Feb-
ruar 1992 bis 6. November 1992, 5. April 1994 bis 15. April 1994, 22. Oktober
1996 bis 24. Dezember 1996, 2. Juni 1998 bis 31. August 1999, 23. Februar
2000 bis 29. Februar 2000 und 23. Oktober 2001 bis 30. November 2001. Eine
amtsärztliche Untersuchung im Jahre 1997 führte zur Feststellung, dass er we-
gen eines Bandscheibenvorfalls auf Dauer keine körperlich schweren und wir-
belsäulenbelastenden Tätigkeiten ausüben könne, sondern nur noch solche in
temperierten Räumen mit Bewegungswechsel und mit zumindest zeitweilig sit-
zender Körperhaltung. Das Arbeitsamt hielt am 25. Juni 2003 eine Vermittlung
des Klägers auf Grund seines Alters und der Arbeitsmarktlage für seinerzeit
unmöglich.
Von 1992 an erhielten der Kläger und seine Familie, abgesehen von kurzen
Unterbrechungen in den Jahren 1997 und 1998, (ergänzend) laufende Hilfe
zum Lebensunterhalt, einmalige Sozialhilfeleistungen, Arbeitslosengeld bzw.
Sozialgeld. Seit dem 1. Mai 2007 bezieht der Kläger eine Altersrente in Höhe
von seinerzeit 120,98 €. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsge-
richtshofs bekam er zwar für sich selbst keine Leistungen nach dem Zweiten
oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB II oder XII); seine Ehefrau und sein
jüngster Sohn, der bei ihm im Haushalt wohnt und zur Schule geht, erhielten
jedoch Leistungen nach SGB II. Der Kläger selbst hatte aber zu diesem Zeit-
punkt wieder Grundsicherung im Alter nach SGB XII beantragt, nachdem das
Kindergeld für seine Tochter, weswegen sein entsprechender Antrag im Jahr
2007 abgelehnt worden war, weggefallen war.
Der Beklagte lehnte den Einbürgerungsantrag des Klägers vom November
2002 mit der Begründung ab, der Kläger habe den Bezug von Sozial- bzw. Ar-
beitslosenhilfe in der Vergangenheit und bis zum Entscheidungszeitpunkt im
Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG zu vertreten (Bescheid vom 26. März
2004).
Das Verwaltungsgericht hat auf die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren
erhobene Klage hin den Beklagten verpflichtet, dem Kläger eine Einbürge-
rungszusicherung zu erteilen, weil - abgesehen von der Aufgabe oder dem Ver-
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lust der bisherigen Staatsangehörigkeit - alle Voraussetzungen eines Einbürge-
rungsanspruchs erfüllt seien. Der Kläger habe den Bezug von Leistungen nach
dem SGB XII nicht zu vertreten. Er sei wegen seines Alters oder seines Ge-
sundheitszustandes sozial(hilfe)rechtlich nicht erwerbsverpflichtet oder er-
werbsfähig. Offen bleiben könne, ob der Verlust des Arbeitsplatzes im Jahre
1999 von ihm zu vertreten gewesen sei. Dieser könne ihm jedenfalls nicht mehr
entgegengehalten werden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat auf die Berufung des Beklagten die Klage ab-
gewiesen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof im Wesentlichen
ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine Einbürgerungszusiche-
rung, weil er die Voraussetzungen der sog. Anspruchseinbürgerung nach § 10
Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG nicht erfülle. Denn es sei zu erwarten, dass der Kläger
für seinen eigenen Lebensunterhalt und den seiner Ehefrau sowie seines
jüngsten Sohnes auf Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII angewiesen
sei. Zwar habe er nicht zu vertreten, dass er aktuell kein Erwerbseinkommen
erziele, weil er dem Arbeitsmarkt aus Alters- und Gesundheitsgründen nicht
mehr zur Verfügung stehe. Er habe aber zu vertreten, dass er sich in dem Zeit-
raum zwischen der Asylanerkennung im Mai 1994 und dem Beginn des Ar-
beitsverhältnisses im Juni 1998 nicht ausreichend um einen Arbeitsplatz be-
müht habe. Er habe in diesen etwa vier Jahren lediglich einmal für etwa acht
Wochen bei einer Reinigungsfirma gearbeitet. Dieses Arbeitsverhältnis habe er
von sich aus gekündigt, weil er täglich zwei bis drei unbezahlte Überstunden
habe machen müssen. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger in dem ge-
nannten Zeitraum mit angemessenen Bemühungen auch für längere Zeit Arbeit
gefunden und aufgrund der Renteneinzahlungen heute einen höheren Renten-
anspruch hätte. Zu den Versicherungszeiten in der deutschen Rentenversiche-
rung und den zurückgelegten Versicherungszeiten in Serbien wären dann noch
weitere Versicherungszeiten hinzuzurechnen. Durch seine unzureichenden
Bemühungen um einen Arbeitsplatz habe er damit adäquat-kausal die (Mit-)Ur-
sache für seinen jetzigen Leistungsbezug gesetzt. Entscheidender Grund der
Arbeitslosigkeit seien auch nicht andere Gründe (Alter, Gesundheitszustand,
Sprachprobleme, Benachteiligung am Arbeitsmarkt als Asylbewerber) gewesen.
Die Abhängigkeit von Leistungen nach dem SGB II/XII beruhe auch heute noch
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auf dieser zu vertretenden Arbeitslosigkeit. Beim Kläger werde der Zurech-
nungszusammenhang weder durch die erneute Beschäftigung im Jahr 2001
noch durch den Herzinfarkt im Jahr 2004 noch durch den Eintritt ins Rentenalter
unterbrochen. Bei einer anderen Betrachtung liefe die Einbürgerungsvor-
aussetzung der eigenständigen Sicherung des Lebensunterhalts ab Eintritt in
das Rentenalter praktisch leer, weil dann alle Ausländer, die sich aus eigenem
Verschulden nicht wirtschaftlich integriert hätten, bei Vorliegen der übrigen Vor-
aussetzungen mit Erreichen des Rentenalters eingebürgert werden müssten.
Unerheblich sei, dass es ihm wegen seines fortgeschrittenen Alters bei der Ein-
reise wohl nicht gelungen wäre, Rentenansprüche oberhalb des Regelbedarfs-
satzes zu verdienen; denn die Inanspruchnahme von Sozialleistungen nach
dem SGB II oder XII sei auch dann einbürgerungsschädlich, wenn der Auslän-
der sie nur teilweise zu vertreten habe.
Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Begehren auf Erteilung einer Ein-
bürgerungszusicherung weiter. Er rügt eine Verletzung des § 10 Abs. 1 Satz 1
Nr. 3 StAG.
Der Beklagte verteidigt das angegriffene Berufungsurteil.
Der Vertreter des Bundesinteresses bei dem Bundesverwaltungsgericht betei-
ligt sich am Verfahren. Er ist insbesondere der Ansicht, eine unbegrenzte Auf-
rechterhaltung des Zurechnungszusammenhangs sei abzulehnen.
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Die Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Berufungsurteil ver-
letzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof ist
zwar zu Recht davon ausgegangen, dass auch ein erhöhter Bezug von Leis-
tungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (§§ 41 ff.
SGB XII) einem Anspruch auf Einbürgerung(szusicherung) nach § 10 Abs. 1
Satz 1 Nr. 3 StAG entgegenstehen kann, wenn und soweit er zu verantworten
ist (1.). Das angefochtene Urteil ist jedoch insoweit mit Bundesrecht nicht ver-
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einbar, als der Verwaltungsgerichtshof für die Frage, ob der Kläger aufgrund
seiner Arbeitslosigkeit den erhöhten Bezug von Leistungen der Grundsicherung
im Alter und bei Erwerbsminderung zu vertreten hat, einen zu strengen Maß-
stab gebildet und weder geprüft hat, ob der Kläger auch eine prägende Ursache
für den Leistungsbezug insgesamt gesetzt hat (2.), noch hinreichend be-
rücksichtigt hat, dass der erforderliche Verantwortungszusammenhang auch
allein durch Zeitablauf entfallen kann (3.).
1. Das Begehren des Klägers auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung
beurteilt sich nach § 10 Abs. 1 StAG (hier in der Fassung des Richtlinienumset-
zungsgesetzes vom 19. August 2007, BGBl I S. 1970). Zwischen den Beteilig-
ten steht dabei auch im Revisionsverfahren nicht im Streit, dass bis auf die
Aufgabe oder den Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit (§ 10 Abs. 1
Satz 1 Nr. 4 StAG) und die selbständige Unterhaltsfähigkeit (§ 10 Abs. 1 Satz 1
Nr. 3 StAG) alle Voraussetzungen eines Einbürgerungsanspruchs erfüllt sind
und dem Kläger allenfalls ein Anspruch auf Einbürgerungszusicherung zusteht,
weil er keinen Anspruch auf Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit
hat. Nicht zu vertiefen ist weiterhin, dass der Kläger einen etwaigen Bezug von
Sozialhilfe- oder Grundsicherungsleistungen durch unterhaltsberechtigte Ange-
hörige nicht zu vertreten hat.
Im Streit steht allein, ob der Kläger die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1
Nr. 3 StAG erfüllt, dass er den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsbe-
rechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach
dem SGB II oder dem SGB XII bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme
nicht zu vertreten hat.
1.1 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach
dem SGB XII, auf die der Kläger mangels hinreichend anderweitig gesichertem
Lebensunterhalt angewiesen ist, sind Leistungen zur Sicherung des Lebensun-
terhalts im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG. Sie unterscheiden sich in
nichts von der Hilfe zum Lebensunterhalt (a.A. HK-AuslR/Geyer, § 10 StAG
Rn. 17; s.a. Hailbronner, in: Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht,
4. Aufl., § 10 Rn. 22). Nach § 41 Abs. 1 SGB XII können zur Sicherung des Le-
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bensunterhalts im Alter und bei dauerhafter Erwerbsminderung Personen mit
gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die das 65. Lebensjahr vollendet haben
oder nach Vollendung des 18. Lebensjahres in vollem Umfang erwerbsgemin-
dert sind, Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
erhalten, wenn und soweit sie ihren Lebensunterhalt nicht aus ihrem Einkom-
men und Vermögen beschaffen können. Die Leistungen dienen mithin ebenso
wie die Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 17 ff. SGB XII) oder die Leistungen der
Grundsicherung für Arbeitssuchende der Sicherung des (notwendigen) Le-
bensunterhalts. Sie sind steuerfinanziert und „bedürftigkeitsabhängig“, weil sie
nur und erst dann gewährt werden, wenn der eigene Lebensunterhalt nicht aus
eigenem Einkommen oder Vermögen bestritten werden kann, und sind auch
materiell der Sozialhilfe im Sinne des § 9 Satz 1 SGB I zuzuordnen (so bereits
zur Grundsicherung nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsiche-
rung im Alter und bei Erwerbsminderung vom 26. Juni 2001
[1335]> BSG, Urteil vom 26. August 2008 - B 8 SO 26/07 - juris).
1.2 Dem Berufungsgericht ist im Ansatz auch darin zu folgen, dass die zu ver-
tretende Inanspruchnahme von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung den Anspruch auf Einbürgerung(szusicherung) auch dann
ausschließen kann, wenn es nur um eine die Altersrente ergänzende Leistung
geht und der Einbürgerungsbewerber es zu verantworten hat, dass er wegen
der von ihm zu vertretenden Arbeitslosigkeit geringere Rentenansprüche als
von ihm zu erwarten erworben hat. Entgegen der Rechtsauffassung des
Klägers ist die Inanspruchnahme von Grundleistungen hier nicht schon deswe-
gen unschädlich, weil er auch bei gehöriger Anspannung seiner Kräfte durch
Erwerbstätigkeit in dem ihm verbliebenen Zeitraum nach der Einreise nicht
Rentenansprüche in einer Höhe hätte erwerben können, dass er im Alter und
bei Erwerbsminderung seinen Lebensunterhalt selbstständig hätte bestreiten
können.
Der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG gibt eine Beschränkung auf die
Tatsache des Leistungsbezuges oder darauf nicht vor, dass ein Einbürge-
rungsbewerber den Leistungsbezug in vollem Umfang und ausnahmslos zu
vertreten habe. Der Sinn und Zweck der Regelung, grundsätzlich eine eigen-
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ständige Sicherung des Lebensunterhalts als Beleg auch wirtschaftlicher Integ-
ration zu verlangen, spricht gegen eine solche Auslegung. Bei den in § 10
Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG genannten, der Höhe nach teilbaren und bedürftig-
keitsabhängigen Sozialleistungen kann die Frage, ob ein Leistungsbezug nicht
zu vertreten ist, auch in Bezug auf die Leistungshöhe beurteilt werden. Dies
rechtfertigt eine Anwendung auch in solchen Fällen, in denen der Einbürge-
rungsbewerber eine wesentliche Erhöhung eines nicht insgesamt abzuwenden-
den Leistungsbezuges zu vertreten hat.
Keine andere Beurteilung rechtfertigt der Hinweis des Klägers auf Art. 34 des
Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskon-
vention GFK) vom 28. Juli 1951 (BGBl 1953 II S. 559) sowie darauf, dass es
Flüchtlingen, die erst im fortgeschrittenen Alter in das Bundesgebiet gelangten,
in der nach der Einreise verbleibenden Zeit häufig nicht werde gelingen können,
durch Erwerbstätigkeit eine eigenständige, von ergänzenden Grundsiche-
rungsleistungen unabhängige Alterssicherung aufzubauen. Art. 34 Satz 1 GFK
gebietet den Konventionsstaaten allerdings, soweit wie möglich die Eingliede-
rung und Einbürgerung der Flüchtlinge zu erleichtern. Diese völkervertrags-
rechtliche Vorgabe gebietet aber unabhängig von der Frage, inwieweit Art. 34
GFK subjektiv-öffentlich-rechtliche Ansprüche vermittelt (s. zu Art. 34 Satz 2
GFK, Urteil vom 16. November 2006 - BVerwG 5 C 27.05 - NVwZ-RR 2007,
205) und sich der Kläger noch auf einen Flüchtlingsstatus berufen kann, nicht,
von nichtdiskriminierenden Einbürgerungsvoraussetzungen abzusehen, die un-
abhängig vom Flüchtlingsstatus sind. Den vom Kläger bezeichneten Besonder-
heiten ist bei der Prüfung Rechnung zu tragen, ob ein Leistungsbezug „zu ver-
treten“ ist. Dass der Flüchtlingsstatus nicht von der Obliegenheit enthebt, sich
selbst um die Sicherung des Lebensunterhalts zu bemühen, unterstreichen
Art. 17 ff. GFK (Zugang zum Erwerb) und Art. 23 f. GFK (soziale Stellung).
1.3 Der Bezug von Leistungen der Grundsicherung im Alter ist auch nicht des-
wegen stets und notwendig nicht zu vertreten, weil Personen, welche die sach-
lichen Voraussetzungen für diese Sozial(hilfe)leistung erfüllen, gerade wegen
ihres Alters oder der Erwerbsunfähigkeit aktuell nicht in der Lage sind, ihren
Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln zu bestreiten. Als subsidiäre
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Sozialleistung, die bedürftigkeitsabhängig ist, ist die Grundsicherung im Alter
nur dann zu gewähren, wenn der Hilfebedürftige nicht über hinreichendes Ein-
kommen oder Vermögen verfügt, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Zu
dem einzusetzenden Einkommen gehören auch Ansprüche aus der Rentenver-
sicherung. Das Sozialsystem der Bundesrepublik Deutschland geht dabei für
den Regelfall davon aus, dass erwerbsfähige Personen grundsätzlich auch
selbst für ihre Altersversorgung aufzukommen und diese durch Begründung von
Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Sozialversicherung, gegebenenfalls
ergänzt durch weitere Formen der privaten Vorsorge, sicherzustellen haben.
Die Grundsicherung im Alter hat lediglich ergänzende Auffangfunktion in den
Fällen, in denen dies - aus welchen Gründen auch immer - nicht gelungen ist.
Die Leistungen werden zwar sozialhilferechtlich zur Deckung des anerkannten
Bedarfs unabhängig davon gewährt, ob das Nichtvorhandensein zur Sicherung
des Lebensunterhalts hinreichenden Einkommens oder Vermögens zu
verantworten ist; als Regelfall vorausgesetzt ist indes eine lediglich ergänzende,
aufstockende Funktion. Einbürgerungsrechtlich hingegen kann es darauf
ankommen, ob und inwieweit das Nichtvorhandensein hinreichenden Einkom-
mens oder Vermögens dem Hilfebedürftigen zuzurechnen ist. In dem Umfang,
in dem einem Einbürgerungsbewerber aus Gründen, die er zu verantworten hat,
Rentenansprüche oder sonst bedarfsdeckende Einkünfte nicht zur Verfügung
stehen, ist dies auch für den Bezug von Leistungen der Grundsicherung im
Alter ursächlich und grundsätzlich (zu Begrenzungen s.u.) zu vertreten.
1.4 Das Berufungsgericht hat einbürgerungsrechtlich zutreffend die Prüfung
auch auf die Frage erstreckt, aus welchen Gründen ein Einbürgerungsbewerber
nicht über Rentenansprüche in einer Höhe verfügt, welche den Lebensunterhalt
zu decken geeignet sind, und dabei auch die nunmehr nicht mehr abzuändern-
den Fernwirkungen eines in der Vergangenheit liegenden Verhaltens in den
Blick genommen. Es ist daher im Einklang mit Bundesrecht davon ausgegan-
gen, dass allein der Umstand, dass der Kläger inzwischen wegen seines Alters
und aus gesundheitlichen Gründen seinen Lebensunterhalt nicht selbst durch
Einsatz seiner Arbeitskraft bestreiten kann, den einbürgerungshindernden Zu-
rechnungszusammenhang nicht unterbricht.
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Die Einbürgerungsbehörde ist dabei grundsätzlich befugt, selbstständig und
eigenverantwortlich zu prüfen, ob ein Einbürgerungsbewerber in der Vergan-
genheit in einem solchen Maße gegen die Obliegenheit, durch Einsatz seiner
Arbeitskraft für seine Altersversorgung vorzusorgen, verstoßen hat, dass ihm
Fernwirkungen auf die spätere Altersversorgung im Sinne des § 10 Abs. 1
Satz 1 Nr. 3 StAG auch zuzurechnen sind. Die Verhängung von Sperrzeiten
durch die Arbeitsverwaltung oder sonstige leistungsrechtliche Reaktionen auf
die Verletzung sozialrechtlicher Obliegenheiten können hierfür zwar eine ge-
wisse Indizwirkung haben (s. Berlit, GK-StAG § 10 StAG Rn. 246), sind aber
nicht zwingende Voraussetzung. Sind solche Maßnahmen nicht verhängt wor-
den, entfaltete dies keine die Einbürgerungsbehörde bindende Feststellungs-
oder Tatbestandswirkung, dass ein Einbürgerungsbewerber den sozialrechtli-
chen Obliegenheiten zum Einsatz der eigenen Arbeitskraft stets in vollem Um-
fang nachgekommen ist. Bei ihrer Prüfung hat die Einbürgerungsbehörde indes
zu berücksichtigen, dass bei einer solchen einbürgerungsrechtlichen Neube-
wertung des in der Vergangenheit liegenden Verhaltens ein Einbürgerungsbe-
werber keine Möglichkeit hat, ein etwa für den Einbürgerungsanspruch schädli-
ches Verhalten aufgrund behördlicher Hinweise zu erkennen und zu ändern.
Die Verletzung der Obliegenheit, durch Einsatz der eigenen Arbeitskraft auch
langfristig die eigene Altersversorgung sicherzustellen, muss daher nach Art,
Umfang und Dauer von einigem Gewicht sein. An den nach allgemeinen
Grundsätzen dem Einbürgerungsbewerber obliegenden Nachweis, dass er Zei-
ten der Nichtbeschäftigung nicht zu vertreten hat, sind auch deswegen keine
überspannten Anforderungen zu stellen, weil der Einbürgerungsbewerber bei
einer nachträglichen einbürgerungsrechtlichen Neubewertung seiner zurücklie-
genden Bemühungen um Arbeit in Beweisnot geraten kann, da er keinen An-
lass hatte, entsprechende Bemühungen systematisch zu erfassen und beweis-
sicher zu dokumentieren.
Der vorliegende Fall gibt dabei keinen Anlass zu einer vertiefenden Erörterung
der Frage, welche Anforderungen in Fällen, in denen - wie hier - Fernwirkungen
von in der Vergangenheit liegender Arbeitslosigkeit zu beurteilen sind, an die
Zurechnung zu stellen sind. Die Bewertung des Berufungsgerichts, dass es
dem Kläger in den Jahren 1994 bis 1998 zuzurechnen gewesen ist, dass er
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nicht erwerbstätig gewesen ist, ist aufgrund der - nicht mit beachtlichen Verfah-
rensrügen angegriffenen - tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts
revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.
2. Eine von einem Einbürgerungsbewerber zu verantwortende Erhöhung des
Leistungsbezuges, den er dem Grunde nach nicht hätte vermeiden können und
der daher insoweit nicht von ihm zu verantworten ist, schließt den Anspruch auf
Einbürgerung(szusicherung) indes dann nicht aus, wenn diese Erhöhung für
den Leistungsbezug insgesamt nicht prägend ist.
Der Begriff des „Vertretenmüssens“ beschränkt sich - wie das Berufungsgericht
zutreffend ausgeführt hat - zwar nicht auf vorsätzliches oder fahrlässiges Han-
deln (§ 276 Abs. 1 Satz 2 BGB). Erforderlich, aber auch ausreichend ist viel-
mehr, dass der Ausländer durch ein ihm zurechenbares Handeln oder Unter-
lassen adäquat-kausal die Ursache für den - fortdauernden - Leistungsbezug
gesetzt hat (s. Berlit, GK-StAR § 10 Rn. 242 m.w.N.; Hailbronner, in:
Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 4. Aufl., § 10 StAG Rn. 23). Der
vom Begriff des Vertretenmüssens vorausgesetzte objektive Zurechnungs-
zusammenhang zwischen zu verantwortendem Verhalten und Leistungsbezug
erfordert aber, dass das Verhalten des Verantwortlichen für die Verursachung
oder Herbeiführung des in Bezug genommenen Umstandes zumindest nicht
nachrangig, sondern hierfür wenn schon nicht allein ausschlaggebend, so doch
maßgeblich bzw. prägend ist (s. etwa Urteile vom 28. Januar 1965 - BVerwG
8 C 293.63 - BVerwGE 20, 211, vom 19. Februar 1998 - BVerwG 2 C 12.97 -
Buchholz 239.1 § 10 BeamtVG Nr. 12 und vom 24. November 1998 - BVerwG
1 C 8.98 - BVerwGE 108, 21 <25 f.>). Steht lediglich eine Erhöhung des Bezu-
ges von Sozial(hilfe)leistungen bzw. einen anderweitig nur teilweise gesicherten
Lebensunterhalt aufstockende Leistung in Rede, folgt aus dieser quantitativen
Betrachtung zugleich, dass auch der dem Einbürgerungsbewerber zurechenba-
re Verursachungsbeitrag zu gewichten ist.
Dies entspricht auch der Zielsetzung des Gesetzes, einer Zuwanderung in die
Sozialsysteme entgegenzuwirken, dementsprechend für den Anspruch auf Ein-
bürgerung auch eine gewisse wirtschaftliche Integration zu verlangen und hier-
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von grundsätzlich abzusehen, wenn der Bezug der bezeichneten steuerfinan-
zierten Sozialleistungen nicht zu vertreten ist. Diese Zielsetzung wird regelmä-
ßig indes bereits dadurch gefördert, dass bei zurechenbar unzureichender wirt-
schaftlicher Integration die erforderliche Voraufenthaltszeit eines achtjährigen
rechtmäßigen Aufenthalts oder der für den Einbürgerungsanspruch erforderli-
che Aufenthaltsstatuts (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG) nicht erreicht werden
kann, weil regelmäßig bereits das Aufenthaltsrecht (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG)
einen gesicherten Lebensunterhalt verlangt. Kann oder soll indes aufenthalts-
rechtlich diesem Umstand nicht (mehr) Rechnung getragen werden, verliert
auch für das Staatsangehörigkeitsrecht der Gesichtspunkt an Gewicht, dass
einer „Zuwanderung in die Sozialsysteme“ vorgebeugt werden soll. Bei einem
für den Einbürgerungsanspruch hinreichenden, verfestigten Aufenthaltsstatus
ist der Bezug der Sozial(hilfe)leistung unabhängig von der Staatsangehörigkeit.
Der Gesetzgeber hat zudem den (auch) fiskalischen Interessen, die mit dem
Erfordernis der eigenständigen Sicherung des Lebensunterhalts verfolgt wer-
den, in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG insoweit geringeres Gewicht beigemes-
sen als im Aufenthaltsrecht (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG; dazu
jüngst Urteil vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - InfAuslR 2009, 8), als
er nicht jeglichem Bezug von Sozial(hilfe)leistungen die Wirkung beigemessen
hat, den Einbürgerungsanspruch auszuschließen, und selbst bei den Leistun-
gen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II und SGB XII den nicht zu vertre-
tenden Bezug ausgenommen hat. Sinn und Zweck dieser Regelung werden bei
einer nur unwesentlichen Erhöhung nicht berührt, wenn ein Leistungsbezug nur
anteilig auf ein dem Einbürgerungsbewerber zuzurechnendes Verhalten zu-
rückzuführen ist. Sind - wie vorliegend - die grundsicherungsrechtlichen Fern-
wirkungen eines in der Vergangenheit liegenden Verhaltens zu beurteilen, hat
der Einbürgerungsbewerber vielmehr erhöhte Sozial(hilfe)leistungen nur zu ver-
treten, wenn er bei einer Gesamtbetrachtung aller Umstände mit seinem Ver-
halten eine wesentliche, prägende Ursache für den Leistungsbezug insgesamt
gesetzt hat. Bei Sozialhilfe- oder Grundsicherungsleistungen, welche die an-
derweitige Sicherung des Lebensunterhalts durch Einkommen lediglich ergän-
zen, sind dabei nicht allein die aufstockenden Leistungen, sondern die Siche-
rung des Lebensunterhalts insgesamt in den Blick zu nehmen.
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Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - kei-
ne Feststellungen zu der Frage getroffen, in welcher Höhe der Kläger während
der Zeit der ihm zurechenbaren Arbeitslosigkeit (1994 bis 1998) bei gehöriger
Anstrengung um Arbeit sich zusätzliche Rentenansprüche hätte erarbeiten
können. Der Senat kann daher nicht beurteilen, ob die dem Kläger zuzurech-
nende Erhöhung des Grundsicherungsbezuges bereits nach Vorstehendem
dem Einbürgerungs(zusicherungs)anspruch nicht entgegensteht. Er hat daher
auch keinen Anlass zur vertiefenden Erörterung, auf welche Erwerbsmöglich-
keiten hinsichtlich der Frage, welche zusätzlichen Rentenansprüche der Kläger
durch gehörige Anspannung seiner Kräfte hätte erlangen können, abzustellen
wäre.
3. Der Kläger hat eine nach Vorstehendem etwa erhebliche Erhöhung der ihm
zu gewährenden Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsmin-
derung hier jedenfalls deswegen nicht im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
StAG zu vertreten, weil der erforderliche Zurechnungszusammenhang zwischen
den unzureichenden Eigenbemühungen um eine sozialversicherungspflichtige
Beschäftigung in der Vergangenheit und dem gegenwärtigen Bezug von
Grundsicherungsleistungen durch Zeitablauf entfallen ist.
Der Begriff „Vertretenmüssen“ in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG birgt neben
dem quantitativen Element der prägenden Bedeutung nach dem Sinn und
Zweck der Regelung auch ein qualitativ-zeitliches Moment. Die Sicherung des
Lebensunterhalts ohne zurechenbaren Bezug von Leistungen nach dem
SGB II/SGB XII stellt darauf ab, ob ein Einbürgerungsbewerber im Zeitpunkt der
Einbürgerung entsprechende Leistungen in Anspruch nimmt oder hierauf in
einem überschaubaren Zeitraum in der Zukunft angewiesen sein wird. Ein ge-
wisser Gegenwartsbezug wird bei dem Vertretenmüssen der in § 10 Abs. 1
Satz 1 Nr. 3 StAG genannten Sozialleistungen auch deswegen verlangt, weil es
sich um Leistungen handelt, die voraussetzen, dass der Einbürgerungsbewer-
ber im Zeitpunkt des Leistungsbezuges seinen Lebensunterhalt nicht aus eige-
nen Kräften und Mitteln bestreiten kann (Gegenwärtigkeitsprinzip; s. Rothkegel,
in: Rothkegel (Hrsg.), Sozialhilferecht, Baden-Baden 2005, Teil II Kap. 3
Rn. 11 ff.). Die Regelvorstellung ist, dass der Einbürgerungsbewerber, der ei-
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nen gegenwärtigen Leistungsbezug zu vertreten hat, dies durch eine Verhal-
tensänderung (z.B. hinreichend intensive Bemühungen um eine Beschäftigung)
(dazu Nr. 10.1.1.3. der Vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeri-
ums des Innern vom 19. Oktober 2007 zum Staatsangehörigkeitsgesetz in der
Fassung des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtli-
nien der Europäischen Union vom 19. August 2007 ) auch soll
beeinflussen können.
Die aktuelle Beeinflussbarkeit des Leistungsbezuges ist zwar nicht Anwen-
dungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG, nach dem - wie darge-
legt - dem Grunde nach auch sozial(hilfe)rechtliche Fernwirkungen eines in der
Vergangenheit liegenden Verhaltens, die durch eine Änderung nicht mehr be-
einflussbar und in diesem Sinne unabänderlich sind, den Einbürgerungs(zusi-
cherungs)anspruch ausschließen können. Diese strenge Auslegung des § 10
Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG gestattet und gebietet indes keine unbegrenzte Zu-
rechnung. Nach dessen Sinn darf er nicht dazu führen, dass der nach einem
langjährigen und rechtmäßigen Daueraufenthalt regelmäßig (bei Erfüllung aller
weiteren Anforderungen) vorgesehene Einbürgerungsanspruch praktisch leer-
läuft. Dies wäre der Fall, wenn aktuell nicht rückgängig zu machende Fernwir-
kungen vergangenen zurechenbaren Verhaltens einem Einbürgerungsbewerber
ohne jede zeitliche Grenze entgegengehalten werden könnten. Der von § 10
Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG geforderte Zusammenhang zwischen zu verantwor-
tendem vergangenen Verhalten und späteren Fernwirkungen verliert vielmehr
nach Sinn und Zweck der Regelung, einer Zuwanderung in die Sozialsysteme
entgegenzuwirken, im Zeitverlauf an Gewicht und Dichte und tritt hinter dem
Anliegen zurück, Personen mit langjährigem rechtmäßigen Inlandsaufenthalt
einen Anspruch auf Zugang zur deutschen Staatsangehörigkeit einzuräumen.
Die nunmehr vom Gesetzgeber in § 35 Abs. 3 StAG (in der Fassung des Ge-
setzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 5. Februar 2009,
BGBl I S. 158) vorgesehene Frist von fünf Jahren, innerhalb derer eine durch
arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrich-
tige oder unvollständige Angaben bewirkte Einbürgerung zurückgenommen
werden kann, und der Umstand, dass auch Verurteilungen wegen Straftaten
nach Ablauf der Tilgungsfrist dem Einbürgerungsanspruch nicht mehr entge-
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genstehen, bestätigen ebenso wie etwa die Regelung in § 3 Abs. 2 Satz 1
StAG, dass im Gesamtgefüge des Staatsangehörigkeitsgesetzes sich allein
durch Zeitablauf das Gewicht abwägungserheblicher Belange verändern kann.
Mit der in § 10 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 StAG genannten Mindestdauer des
rechtmäßigen und gewöhnlichen Aufenthalts hat der Gesetzgeber selbst hier
einen Anhaltspunkt dafür gesetzt, wie lang der Zeitraum zu bemessen ist, der
zur Auflösung des Zurechnungszusammenhangs seit dem zu vertretenden Ver-
halten verstrichen sein muss. Ein Einbürgerungsbewerber hat dementspre-
chend für ein ihm zurechenbares und für aktuelle Sozialhilfeleistungen mitur-
sächliches Verhalten nach Ablauf einer Frist von acht Jahren nicht mehr einzu-
stehen. Dieser Zeitraum war bei dem Kläger, dem nach den tatsächlichen Fest-
stellungen des Berufungsgerichts unzureichende Arbeitsbemühungen in den
Jahren 1994 bis 1998 zuzurechnen waren, im Zeitpunkt der Entscheidung des
Berufungsgerichts (März 2008) bereits verstrichen.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Hund Dr. Brunn Prof. Dr. Berlit
Stengelhofen Dr. Störmer
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Sachgebiet:
BVerwGE:
ja
Staatsangehörigkeitsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
StAG
§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
GFK
Art. 34
SGB XII
§§ 41 ff.
Stichworte:
Anspruch auf Einbürgerung, Ausschluss - bei Sozialhilfebezug;
Arbeitslosigkeit, zu verantwortende -;
Ausschluss des Einbürgerungsanpruchs;
Einbürgerung, Anspruch auf -;
Einbürgerungszusicherung;
Fernwirkungen, Zurechnung von - vergangenen Verhaltens;
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung;
Grundsicherungsleistungen, Inanspruchnahme von - als Einbürgerungshinder-
nis;
Lebensunterhalt, eigenständige Sicherung des -;
Rentenanwartschaften, zurechenbarer Nichterwerb von -;
Sozialhilfeleistungen, Inanspruchnahme von - als Einbürgerungshindernis;
Verantwortenmüssen des Bezuges von Grundsicherungs- oder Sozialhilfeleis-
tungen.
Leitsätze:
1. Der Bezug von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsmin-
derung (§§ 41 ff. SGB XII) kann einem Anspruch auf Einbürgerung oder Ein-
bürgerungszusicherung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG auch dann entge-
genstehen, wenn der Einbürgerungsbewerber lediglich eine wesentliche Erhö-
hung des Leistungsbezuges zu vertreten hat.
2. Die Einbürgerungsbehörde ist grundsätzlich befugt, selbstständig und eigen-
verantwortlich zu prüfen, ob ein Einbürgerungsbewerber in der Vergangenheit
in einem solchen Maße gegen die Obliegenheit, durch Einsatz seiner Arbeits-
kraft für seine Altersversorgung vorzusorgen, verstoßen hat, dass ihm Fernwir-
kungen auf die spätere Altersversorgung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
StAG auch zuzurechnen sind.
3. Ein Einbürgerungsbewerber hat in Fällen, in denen die grundsicherungs-
rechtlichen Fernwirkungen eines in der Vergangenheit liegenden Verhaltens zu
beurteilen sind, erhöhte Sozialhilfeleistungen nur zu vertreten, wenn er bei einer
Gesamtbetrachtung aller Umstände mit seinem Verhalten eine wesentliche,
prägende Ursache für den Leistungsbezug insgesamt gesetzt hat.
4. Ein Einbürgerungsbewerber hat für ein ihm zurechenbares und für aktuelle
Sozialhilfeleistungen mitursächliches Verhalten nach Ablauf einer Frist von acht
Jahren nicht mehr einzustehen.
Urteil des 5. Senats vom 19. Februar 2009 - BVerwG 5 C 22.08
I. VG Sigmaringen vom 25.01.2006 - Az.: VG 5 K 1868/04 -
II. VGH Mannheim vom 12.03.2008 - Az.: VGH 13 S 1487/06 -