Urteil des BVerwG vom 17.04.2014

Private Krankenversicherung, Beihilfe, Vag, Krankenversicherer

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 5 C 16.13
VG 7 K 91.11
Verkündet
am 17. April 2014
Werner
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 17. April 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer, Dr. Häußler
und Dr. Fleuß
für Recht erkannt:
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Verwal-
tungsgerichts Berlin vom 12. Dezember 2012 wird zurück-
gewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten um die Höhe von Beihilfeleistungen für im Basistarif ver-
sicherte Beamte.
Der Kläger ist Ruhestandsbeamter des beklagten Landes Berlin. Er erhält
grundsätzlich für 70 Prozent seiner krankheitsbedingten Aufwendungen Beihil-
fe. Für die übrigen 30 Prozent der Behandlungskosten ist er bei einer privaten
Krankenversicherung zum Basistarif versichert. Nach der für den Rechtsstreit
maßgeblichen Bestimmung der Berliner Landesbeihilfeverordnung orientiert
sich die Höhe der staatlichen Beihilfeleistung bei im Basistarif versicherten Be-
amten an den für die private Krankenversicherung geltenden gesetzlichen Leis-
tungspflichten. Die privaten Krankenversicherer müssen für medizinische Leis-
tungen im Basistarif geringere als die im privatärztlichen Bereich nach der Ge-
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bührenordnung für Ärzte vorgesehenen Schwellen- und Höchstwerte (2,3facher
bzw. 3,5facher Satz) erstatten.
Der Kläger beantragte für mehrere bis März 2010 durchgeführte ärztliche Be-
handlungen Beihilfe und reichte Arztrechnungen im Gesamtwert von 259,97 €
ein. Die Beihilfestelle kürzte mit Bescheid vom 16. September 2010 die Beihilfe-
leistung unter Berufung auf die Basistarifklausel um 42,01 €, weil die behan-
delnden Ärzte bei den eingereichten Honorarrechnungen im Basistarif nicht
vorgesehene Erhöhungsbeträge bis zum 2,3fachen Satz angesetzt hätten. Der
dagegen erhobene Widerspruch wurde mit Bescheid vom 9. März 2011 zurück-
gewiesen.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage des Ruhestandsbeamten auf ungekürzte
Beihilfe mit Urteil vom 12. Dezember 2012 stattgegeben. Zur Begründung hat
es ausgeführt, dass die Basistarifklausel in der Beihilfeverordnung des Landes
Berlin unwirksam sei. Ihr fehle schon die erforderliche Ermächtigungsgrundlage
in einem Parlamentsgesetz. Das Landesbeamtengesetz lasse bei der Beihilfe-
bemessung nur die Einführung von absoluten Höchstbeträgen oder Pauschal-
beträgen zu. Relative, von der Wahl des Gebührensatzes abhängige Erstat-
tungsgrenzen sehe das Gesetz nicht vor. Die Basistarifklausel stelle auch keine
zulässige Regelung von beihilferechtlichen Einzelheiten dar, sondern eine quali-
tativ neue Form der Leistungskürzung. Ferner führe die Basistarifklausel zu ei-
ner sachlich nicht gerechtfertigten Benachteiligung von Beamten mit einer Ba-
sistarifversicherung gegenüber Beamten mit einem umfassenden Beihilfeer-
gänzungstarif.
Die Revision des Beklagten begründet dieser im Wesentlichen damit, dass die
Basistarifklausel eine im Landesbeamtengesetz ausdrücklich zugelassene
Höchstbetragsregelung darstelle. Sie begrenze den beihilfefähigen Höchstbe-
trag auf das Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung. Damit werde eine
ausreichende Absicherung im Krankheitsfall gewährleistet. Die Regelung ver-
stoße auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Es stelle einen sach-
lichen Grund dar, bei dem Umfang der Beihilfeleistungen auf den Umfang der
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ergänzenden Krankenversicherung, die der Beamte selbst gewählt habe, abzu-
stellen.
Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteres-
ses schließt sich der Rechtsauffassung des Beklagten an.
II
Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Die angegriffene Entscheidung
des Verwaltungsgerichts steht mit revisiblem Recht in Einklang. Dabei lässt der
Senat dahingestellt, ob die von dem Beklagten versagte Erstattung von Auf-
wendungen schon deshalb zu beanstanden ist, weil es insoweit an einer dem
verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalt, der auch im Beihilferecht Geltung
beansprucht, genügenden gesetzlichen Ermächtigung fehlt (vgl. dazu Urteil
vom 19. Juli 2012 - BVerwG 5 C 1.12 - BVerwGE 143, 363 = Buchholz 271
LBeihilfeR Nr. 42, jeweils Rn. 12 f. m.w.N.). Die streitige Versagung der Erstat-
tung von Aufwendungen verstößt jedenfalls gegen den allgemeinen Gleich-
heitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
1. Die umstrittene Beschränkung des Beihilfeanspruchs beruht auf § 6 Abs. 5
der Verordnung über die Gewährung von Beihilfen in Krankheits-, Pflege-, Ge-
burts- und sonstigen Fällen (Landesbeihilfeverordnung - LBhV) in der im hier
maßgeblichen Zeitraum des Entstehens der Aufwendungen (vgl. Urteil vom
8. November 2012 - BVerwG 5 C 2.12 - IÖD 2013, 33 m.w.N.) geltenden Fas-
sung vom 8. September 2009 (GVBl S. 436). Nach § 6 Abs. 5 Satz 1 LBhV be-
urteilt sich die Angemessenheit der Aufwendungen von Beihilfeberechtigten und
ihrer berücksichtigungsfähigen Angehörigen, die unter anderem in einem Basis-
tarif nach § 12 Abs. 1a des Gesetzes über die Beaufsichtigung der Versiche-
rungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz - VAG) in der Fassung der
Bekanntmachung vom 17. Dezember 1992 (BGBl I 1993 S. 2), vor dem hier
maßgeblichen Zeitraum zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. November 2007
(BGBl I S. 2631), versichert sind, nach den in den Verträgen nach § 75 Abs. 3b
Satz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch vom 20. Dezember 1988 (BGBl I
S. 2477) - SGB V -, vor dem maßgeblichen Zeitraum zuletzt geändert durch Ge-
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setz vom 26. März 2007 (BGBl I S. 378), vereinbarten Gebührenregelungen.
Solange keine vertraglichen Gebührenregelungen vorliegen - was für den ent-
scheidungserheblichen Zeitraum der Fall ist - gelten nach § 6 Abs. 5 Satz 2
LBhV unter anderem die Maßgaben des § 75 Abs. 3a Satz 2 SGB V. Nach die-
ser Vorschrift werden ärztliche Leistungen wie folgt vergütet: Für die in Ab-
schnitt M des Gebührenverzeichnisses der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ)
genannten Leistungen sowie für die Leistung nach Nummer 437 des Gebüh-
renverzeichnisses der Gebührenordnung für Ärzte nur bis zum 1,16fachen des
Gebührensatzes der Gebührenordnung für Ärzte, für die in den Abschnitten A,
E und O des Gebührenverzeichnisses der Gebührenordnung für Ärzte genann-
ten Leistungen nur bis zum 1,38fachen des Gebührensatzes der Gebührenord-
nung für Ärzte und für die übrigen Leistungen des Gebührenverzeichnisses der
Gebührenordnung für Ärzte nur bis zum 1,8fachen des Gebührensatzes der
Gebührenordnung für Ärzte. Damit steht die streitige Ablehnung der Erstattung
von Aufwendungen im Einklang.
2. Die Basistarifklausel des § 6 Abs. 5 LBhV verstößt jedenfalls in den Fällen
gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, in
denen der Beihilfeberechtigte oder der berücksichtigungsfähige Angehörige
unfreiwillig im Basistarif versichert ist. So liegt es, wenn er aufgrund des allge-
meinen Krankenversicherungsrechts gehalten ist, eine private Krankenversiche-
rung abzuschließen und er sich zu zumutbaren Bedingungen nur zum Basistarif
versichern kann. Dies ist bei dem Kläger nach den Senat bindenden Feststel-
lungen des Verwaltungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) der Fall.
a) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, wesentlich
Gleiches gleich zu behandeln, stellt es aber dem Normgeber frei, aufgrund
autonomer Wertungen die Differenzierungsmerkmale auszuwählen, an die er
eine Gleich- oder Ungleichbehandlung anknüpft. Je nach Regelungsgegen-
stand und Differenzierungsmerkmalen ergeben sich aus dem allgemeinen
Gleichheitssatz unterschiedliche Grenzen für den Normgeber, die vom bloßen
Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserforder-
nisse reichen können (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 13. März 2007 - 1 BvF 1/05
- BVerfGE 118, 79 <100> und vom 21. Juni 2011 - 1 BvR 2035/07 - BVerfGE
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129, 49 <68> m.w.N.). Knüpft die Ungleichbehandlung nicht an ein personen-
bezogenes, d.h. von den Betroffenen gar nicht oder nur schwer beeinflussbares
Merkmal, sondern an Lebenssachverhalte an oder hängt sie von freiwilligen
Entscheidungen der Betroffenen ab, hat der Normgeber grundsätzlich einen
weiten Gestaltungsspielraum. Ein Gleichheitsverstoß ist nur dann anzunehmen,
wenn sich im Hinblick auf die Eigenart des geregelten Sachbereichs ein ver-
nünftiger, einleuchtender Grund für die Regelung schlechthin nicht finden lässt,
die Regelung also willkürlich erscheint. Bei der Ungleichbehandlung von Perso-
nengruppen unterliegt der Normgeber dagegen regelmäßig engen rechtlichen
Bindungen. Dies gilt auch, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten
mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt (vgl. BVerfG,
Beschluss vom 13. März 2007 a.a.O. m.w.N.). Ein Verstoß gegen den Gleich-
heitsgrundsatz kann in diesen Fällen schon dann angenommen werden, wenn
für die Differenzierung keine Gründe von solcher Art und solchem Gewicht be-
stehen, dass sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können. Für beide
Fallgruppen gilt, dass die vom Normgeber für eine Differenzierung im Beihilfe-
recht angeführten Gründe auch vor der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht
des Dienstherrn Bestand haben müssen, in der die Beihilfe ihre Grundlage hat
(vgl. zu Vorstehendem insgesamt Urteile vom 13. Dezember 2012 - BVerwG
5 C 3.12 - Buchholz 271 LBeihilfeR Nr. 43 Rn. 29 und vom 5. Mai 2010
- BVerwG 2 C 12.10 - ZBR 2011, 126 Rn. 10 f. jeweils m.w.N.). Zwar begründet
die Durchbrechung einer vom Gesetz selbst statuierten Sachgesetzlichkeit für
sich genommen noch keine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG. Sie kann jedoch
ein Indiz für eine objektiv willkürliche Regelung oder das Fehlen eines nach Art
und Gewicht hinreichenden Rechtfertigungsgrundes darstellen (vgl. BVerfG,
Beschluss vom 16. September 2009 - 1 BvR 2275/07 - ZOV 2009, 291 <295>
m.w.N.). Solange der Gesetzgeber am gegenwärtig praktizierten „Mischsystem“
aus privat finanzierter Vorsorge und ergänzender Beihilfe festhält, ist daher eine
Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes indiziert, wenn eine bestimmte
Regelung die im Beihilfesystem angelegte Sachgesetzlichkeit, dass notwendige
und angemessene Aufwendungen beihilfefähig sind, ohne zureichenden Grund
verlässt (Urteil vom 2. April 2014 - BVerwG 5 C 40.12 - juris Rn. 16).
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b) § 6 Abs. 5 LBhV bewirkt eine Ungleichbehandlung der Gruppe der basistarif-
versicherten Beihilfeberechtigten und berücksichtigungsfähigen Angehörigen
gegenüber der Gruppe der Beihilfeberechtigten und berücksichtigungsfähigen
Angehörigen, die im Normaltarif krankenversichert sind.
Die ungleiche Behandlung besteht zunächst darin, dass der Erstattungsan-
spruch der zuerst genannten Gruppe für Aufwendungen im Zusammenhang mit
der Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen geringer ausfällt als derjenige des
anderen Personenkreises. Für die nach § 6 Abs. 5 LBhV basistarifversicherten
Beihilfeberechtigten und berücksichtigungsfähigen Angehörigen findet der für
die Gruppe der anderen Beihilfeberechtigten geltende Grundsatz des § 6 Abs. 3
LBhV keine Anwendung, nach dem unter anderem Aufwendungen für ärztliche
Leistungen grundsätzlich dann angemessen und erstattungsfähig sind, wenn
sie den Gebührenrahmen der einschlägigen Gebührenordnungen für Ärzte ent-
sprechen. Während also der im Normaltarif versicherte Beihilfeberechtigte oder
berücksichtigungsfähige Angehörige etwa bei ärztlichen Leistungen durch-
schnittlicher Schwierigkeit in der Regel den nach § 5 Abs. 2 GOÄ festgelegten
Schwellenwert des 2,3fachen Betrages (vgl. Urteil vom 17. Februar 1994
- BVerwG 2 C 10.92 - BVerwGE 95, 117 <122 f.> = Buchholz 270 § 5 BhV Nr. 5
S. 6) und in Ausnahmefällen sogar den Höchstwert des 3,5fachen Betrages
erstattet bekommt, erhielt der basistarifversicherte Beamte oder berücksichti-
gungsfähige Angehörige im hier maßgeblichen Behandlungszeitraum (Oktober
2009 bis März 2010) - wie aufgezeigt - höchstens den 1,8fachen Betrag ersetzt.
Werden dem im Basistarif Versicherten für eine ärztliche Leistung etwa Gebüh-
ren nach dem 2,3fachen des Gebührensatzes berechnet, hat er die Differenz zu
dem geringeren Gebührensatz nach § 75 Abs. 3a Satz 2 SGB V selbst zu tra-
gen.
Die im Basistarif krankenversicherten Beihilfeberechtigten und berücksichti-
gungsfähigen Angehörigen vermögen dieser Ungleichbehandlung in finanzieller
Hinsicht auch nicht auszuweichen, ohne dass dies mit einer anderen Ungleich-
heit einhergeht. Nimmt der im Basistarif Versicherte ärztliche Leistungen auf der
Grundlage der Gebührensätze seines Tarifs in Anspruch, die erheblich unter
dem liegen, was für Privatpatienten üblicherweise abgerechnet wird, muss er
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befürchten, dass er die Behandlung, die er als Privatpatient im Normaltarif er-
halten würde, nicht erfährt (vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 10. Juni 2009 - 1 BvR
706, 814, 819, 832, 837/08 - BVerfGE 123, 186 <240>). Will er dies vermeiden,
ist er auf die Bereitschaft eines Arztes angewiesen, ihm trotz der im Basistarif
geringeren Vergütungssätze die gleiche Behandlung zuteil werden zu lassen
wie dem im Normaltarif Versicherten. Dies führt zu einer Beschränkung der
freien Arztwahl. Soweit es sich um faktische Auswirkungen des § 6 Abs. 5
Satz 2 LBhV handelt, sind auch diese am allgemeinen Gleichheitssatz zu mes-
sen, weil diese ungleiche Auswirkung gerade auf die rechtliche Gestaltung zu-
rückzuführen ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 3. Dezember 1968 - 2 BvE 1, 3, 5/67 -
BVerfGE 24, 300 <358> und Beschluss vom 9. August 1978 - 2 BvR 831/76 -
BVerfGE 49, 148 <165>).
c) Die Ungleichbehandlung ist nicht durch hinreichende Differenzierungsgründe
gerechtfertigt. Der Senat ist insoweit nicht auf eine Überprüfung am Willkür-
maßstab beschränkt. Da eine Ungleichbehandlung von Personengruppen vor-
liegt und diese auch nicht auf einer freiwilligen Entscheidung des Klägers be-
ruht, wäre die ungleiche Behandlung nur gerechtfertigt, wenn für sie Gründe
von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die verschiedenen
Rechtsfolgen legitimieren können. Solche Gründe sind weder vorgetragen noch
ersichtlich.
aa) Bei dem Kläger kann die Unterscheidung nicht damit gerechtfertigt werden,
dass sich die Betroffenen bei der Wahl des Basistarifs freiwillig für ein niedrige-
res Krankenbehandlungsniveau entschieden hätten und in der Konsequenz
dieser autonomen Entscheidung im Krankheitsfall auch vom Dienstherr nur ent-
sprechend niedrigere Erstattungsleistungen erwarten könnten. Dies gilt glei-
chermaßen für die Erwägung, die Beamten und Versorgungsempfänger sollten
in ihrem eigenen Interesse dazu angehalten werden, sich für eine über den Ba-
sistarif hinausgehende umfassendere Krankheitsvorsorge zu entscheiden.
Denn die unfreiwillig im Basistarif versicherten Beihilfeberechtigten haben gera-
de keine autonome Entscheidung getroffen, und ihnen fehlt die Möglichkeit, sich
zu zumutbaren Bedingungen in einem umfassenderen privaten Krankenversi-
cherungstarif zu versichern.
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Die Unterscheidung kann auch nicht damit begründet werden, dass es sich bei
den unfreiwillig im Basistarif versicherten Personen um eine vergleichsweise
kleine Personengruppe handele, die der Normgeber in Ausübung seiner Pau-
schalierungsbefugnis beim Erlass der Beihilfeverordnung hätte vernachlässigen
dürfen. Denn die Basistarifversicherung ist gerade für Personen eingeführt wor-
den, die bislang in zulässiger Weise nicht krankenversichert waren und auf-
grund ihres Alters oder ihrer Vorerkrankungen keine Möglichkeit zum Abschluss
einer bezahlbaren Krankenversicherung hatten (vgl. § 12 Abs. 1b Satz 1 Nr. 2
VAG, vgl. auch BTDrucks 16/3100 S. 207).
bb) Die Differenzierung nach dem vom Beihilfeberechtigten oder berücksichti-
gungsfähigen Angehörigen abgeschlossenen Versicherungstarif kann auch
nicht damit gerechtfertigt werden, dass sie eine bereits im Beihilfesystem ange-
legte Sachgesetzlichkeit wahre. Über Jahrzehnte ist im Hinblick darauf, dass
der Beamte nicht gesetzlich verpflichtet gewesen ist, eine private Krankenversi-
cherung abzuschließen, die Beihilfe unabhängig vom Nachweis einer Versiche-
rung in vollem Umfang gewährt worden. Art und Umfang der die Beihilfe ergän-
zenden privaten Krankenversicherung blieben als Teil der privaten Lebensfüh-
rung der allgemeinen Handlungsfreiheit (Vertragsfreiheit) des Beamten überlas-
sen (vgl. Urteile vom 25. Juni 1987 - BVerwG 2 C 57.85 - BVerwGE 77, 331
<336> = Buchholz 271 LBeihilfeR Nr. 3 S. 15 und vom 24. November 1988
- BVerwG 2 C 17.88 - Buchholz 270 § 15 BhV Nr. 2 S. 4). Dies entspricht dem
beamtenrechtlichen Grundsatz der Vorsorgefreiheit (vgl. BVerfG, Kammerbe-
schluss vom 13. Februar 2008 - 2 BvR 613/06 - ZBR 2008, 318 <320> m.w.N.),
so dass eine Leistungskürzung aufgrund des vom Beamten gewählten Versi-
cherungstarifs nicht als im derzeitigen Beihilfesystem bereits angelegt anzuse-
hen ist (vgl. auch Urteil vom 19. Juli 2012 - BVerwG 5 C 1.12 - BVerwGE 143,
363 = Buchholz 271 LBeihilfeR Nr. 42, jeweils Rn. 14). § 76 Abs. 3 Satz 5 des
Landesbeamtengesetzes - LBG - vom 19. März 2009 (GVBl S. 70) lässt eine
Kürzung der Beihilfe im Hinblick auf die privaten Versicherungsleistungen nur
zu, wenn die Beihilfe zusammen mit den von dritter Seite zustehenden Erstat-
tungen die beihilfefähigen Aufwendungen überschreitet.
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cc) Ferner sind für die beihilferechtliche Benachteiligung basistarifversicherter
Beamter und berücksichtigungsfähiger Angehöriger auch keine Differenzie-
rungsgründe von solcher Art und solchem Gewicht erkennbar, die zwar nicht im
bestehenden Beihilfesystem angelegt sind, aber die Unterscheidung gleichwohl
ausnahmsweise rechtfertigen können. Insbesondere kann die Beschränkung
der Beihilfeleistungen nicht mit den Gründen gerechtfertigt werden, die zur
Festlegung einer niedrigeren Vergütungspflicht der privaten Krankenversiche-
rungen in § 73 Abs. 3a Satz 2 und 3 SGB V bei Basistarifversicherten geführt
haben.
Diese Regelungen stehen im Zusammenhang mit der Einführung der allgemei-
nen Krankenversicherungspflicht. Da die Zahl der nicht krankenversicherten
Personen in Deutschland stark zugenommen hatte und diese Personen im Falle
einer schwerwiegenden Erkrankung letztlich auf staatliche Hilfe angewiesen
waren, entschloss sich der Gesetzgeber im Zuge des Gesetzes zur Stärkung
des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 26. März 2007
(BGBl I S. 378) zur Einführung einer Krankenversicherungsoption für alle im
Bundesgebiet dauerhaft lebenden Personen. Durch eine Änderung des Versi-
cherungsaufsichtsgesetzes (VAG) wurden die privaten Versicherungsunter-
nehmen verpflichtet, allen Personen mit Wohnsitz in Deutschland, die nicht in
der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtig waren, eine priva-
te Krankenversicherung zum Basistarif anzubieten (§ 12 Abs. 1b Satz 1 Nr. 2
VAG). Dieser Basistarif sollte in Bezug auf seine Leistungen der gesetzlichen
Krankenversicherung vergleichbar sein (§ 12 Abs. 1a VAG; BTDrucks 16/3100
S. 81). Der maximale Beitrag sollte - unabhängig von Alter und Vorerkrankun-
gen - dem Höchstbeitrag der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen
(vgl. § 12 Abs. 1c VAG). Mit Wirkung ab dem 1. Januar 2009 wurden alle nicht
gesetzlich krankenversicherungspflichtigen Personen durch eine Änderung des
Versicherungsvertragsgesetzes zudem gesetzlich verpflichtet, mindestens eine
Krankenversicherung zum Basistarif abzuschließen. Der Kontrahierungszwang
der privaten Krankenversicherung wurde damit durch die jetzt in § 193 des Ge-
setzes über den Versicherungsvertrag vom 23. November 2007 (BGBl I
S. 2631), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. September 2013 (BGBl I
S. 3642), verankerte Krankenversicherungspflicht ergänzt (zur Entstehungsge-
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schichte BVerfG, Urteil vom 10. Juni 2009 - 1 BvR 706, 814, 819, 832, 837/08 -
BVerfGE 123, 186 <193>; Sodan, NJW 2007, 1313 f.).
Die Beschränkung der Vergütungspflicht der privaten Krankenversicherer dient
dazu, diesen die Refinanzierung des Basistarifs zu erleichtern. Die privaten
Krankenversicherer können die Mehrkosten, die bislang nicht versicherte, häu-
fig ältere und kranke Neukunden mit sich bringen, systembedingt nicht wie die
gesetzliche Krankenversicherung durch Umlagen abdecken. Ihnen fehlen auch
die Rückstellungen, die bei der Versicherung von jungen und gesunden Neu-
kunden bis zum Eintritt schwerer Erkrankungen typischerweise gebildet werden.
Wären sie verpflichtet, die im Privatpatientenbereich üblichen Entgelte für Kran-
kenbehandlungen zu erbringen, hätte die Einführung der Krankenversiche-
rungspflicht hohe Verluste bei den privaten Krankenversicherungen erwarten
lassen. Um dies zu verhindern, hat der Gesetzgeber nicht nur neue Risiko-
Umlageverfahren für Basistarifversicherungen geschaffen (vgl. § 12g VAG;
BVerfG, Urteil vom 10. Juni 2009 a.a.O. <239>), sondern auch die Vergütungs-
pflicht der privaten Krankenversicherer durch § 75 Abs. 3a SGB V im Bereich
des Basistarifs auf ein aus seiner Sicht auch den behandelnden Ärzten zumut-
bares Maß reduziert. Dabei wurde der ursprüngliche Regelungsansatz, dass die
ärztlichen Leistungen mindestens auf dem Ersatzkassenniveau zu vergüten
sind (BTDrucks 16/3100 S. 16, 116), im Gesetzgebungsverfahren aufgegeben.
Die vom Gesetzgeber vorgegebenen Vergütungssätze wurden ausgehend von
dem im bisherigen PKV-Standardtarif üblichen Niveau im zahnärztlichen Be-
reich leicht erhöht, aber nach oben wie nach unten disponibel ausgestaltet (vgl.
BTDrucks 16/4200 S. 36 f.; BTDrucks 16/4247 S. 37).
Es liegt auf der Hand, dass die auf eine finanzielle Schonung der privaten Kran-
kenversicherer abzielenden Überlegungen bei der Einführung der Basistarifver-
sicherungspflicht einer speziellen Problemlage geschuldet sind und dass die
Refinanzierungsprobleme der privaten Krankenversicherer bei der Aufnahme
von bislang unversicherten Risikopatienten in keiner Weise mit den
Finanzierungsproblemen der öffentlichen Hand bei der Beihilfeerbringung ver-
gleichbar sind. Dies folgt schon daraus, dass der Staat die Kosten der Beihilfe
aus Steuern und damit über eine Umlage finanziert, also anders als private
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Krankenversicherer gerade keine Rückstellungen aus Versicherungsbeiträgen
bildet. Außerdem mögen bislang nicht krankenversicherte Beamte für die priva-
ten Krankenversicherungen Neukunden sein, für die jedwede Risikorückstellun-
gen fehlen. Sie sind aber für den Staat keine „Neukunden“, sondern stehen
- wie der Fall des hier klagenden Ruhestandsbeamten zeigt - häufig seit Jahren
in einem gegenseitigen Treueverhältnis zum Staat, so dass ein geringerer Bei-
hilfebemessungssatz nicht unter dem Gesichtspunkt unerwarteten Risikozu-
wachses gerechtfertigt werden kann.
dd) Soweit der Beklagte in der mündlichen Verhandlung die niedrigeren beihilfe-
rechtlichen Erstattungen damit begründet hat, dass der basistarifversicherte
Beamte oder berücksichtigungsfähige Angehörige geringere Krankenkassen-
beiträge zu entrichten habe, überzeugt dies ebenfalls nicht. Denn den niedrige-
ren Krankenversicherungsbeiträge der basistarifversicherten Beamten stehen
entsprechend geringere Krankenversicherungsleistungen gegenüber, so dass
der basistarifversicherte Beamte den „Vorteil“ niedrigerer Beiträge bereits mit
dem „Nachteil“ gekürzter Erstattungsleistungen der privaten Krankenversiche-
rung erkauft. Für eine doppelte Anrechnung dieses „Vorteils“ bei der Beihilfe-
gewährung ist damit kein Raum.
ee) Ebenso wenig kann die geringere Erstattungshöhe mit der vom Oberverwal-
tungsgericht Rheinland-Pfalz (Urteil vom 15. März 2013 - 10 A 11153/12.OVG -
juris Rn. 30) angeführten Erwägung begründet werden, der Basistarifversicherte
habe auf einfache Weise die Möglichkeit, durch einen Hinweis auf sein geringe-
res Versicherungsniveau eine Absenkung der Honorarrechnung zu erwirken
und damit beim Dienstherrn eine Ersparnis zu erzielen. Diese Argumentation
vermag schon deswegen nicht zu überzeugen, weil es auch der „normal“ versi-
cherte Beamte jederzeit in der Hand hat, durch Hinnahme von Einschränkun-
gen des gewohnten medizinischen Versorgungsstandards in einen Basistarif zu
wechseln und auf diese Weise Einsparungen beim Dienstherrn zu bewirken. Es
leuchtet aber nicht ein, dass nur diejenigen zur Leistung eines solchen Erspar-
nisbeitrags verpflichtet sein sollen, die aufgrund ihrer Vorerkrankungen oder
ihres Alters von den privaten Krankenversicherern gegen ihren Willen nur zum
Basistarif versichert werden. Damit wird im Ergebnis einer Beamtengruppe ein
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Sonderopfer allein deswegen abverlangt, weil sie auf dem Markt der privaten
Krankenversicherungen aufgrund ihres Alters oder ihrer Vorerkrankungen be-
reits benachteiligt ist. Dies ist mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar.
3. Da die Regelung des § 6 Abs. 5 LBhV jedenfalls bei unfreiwillig im Basistarif
versicherten Beihilfeberechtigten und berücksichtigungsfähigen Angehörigen
gegen den Gleichheitssatz verstößt und zumindest in diesem Teilbereich un-
wirksam ist, kann der zu diesem Personenkreis zählende Kläger - wie vom
Verwaltungsgericht entschieden - nach § 6 Abs. 3 LBhV die Erstattung der nach
den einschlägigen Gebührenordnungen üblichen Entgelte verlangen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Vormeier
Stengelhofen
Dr. Störmer
Dr. Häußler
Dr. Fleuß
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Sachgebiet:
BVerwGE: nein
Beihilferecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
GG
Art. 3 Abs. 1
LBG Berlin 2009
§ 76 Abs. 5 Satz 3
LBhV Berlin 2009 § 6 Abs. 3 und 5
SGB V
§ 75 Abs. 3a Satz 2 und 3
VAG
§ 12 Abs. 1a und 1b Satz 1 Nr. 2 und Abs. 1c; § 12g
VVG
§ 193
Stichworte:
Aufwendungen, beihilfefähige -; Beihilfe, Leistungseinschränkungen -; Basista-
rif; Basistarifversicherte, unfreiwillige -; Beihilfe; Gebührenordnung für Ärzte;
Gleichbehandlungsgebot; allgemeiner Gleichheitssatz; Grundsatz des Geset-
zesvorbehalts; Höchstbetrag; Krankenversicherung, private -; Krankenversiche-
rungspflicht; Parlamentsvorbehalt; Sachgesetzlichkeit des Beihilfensystems;
Schwellenwert; Vorsorgefreiheit.
Leitsatz:
Die Basistarifklausel des § 6 Abs. 5 der Beihilfeverordnung des Landes Berlin
verstößt jedenfalls in den Fällen gegen den allgemeinen Gleichbehandlungs-
grundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, in denen der Beihilfeberechtigte oder der be-
rücksichtigungsfähige Angehörige unfreiwillig im Basistarif versichert ist. Dies ist
der Fall, wenn er aufgrund der allgemeinen Krankenversicherungspflicht gehal-
ten ist, eine private Krankenversicherung abzuschließen und er sich zu zumut-
baren Bedingungen nur zum Basistarif versichern kann.
Urteil des 5. Senats vom 17. April 2014 - BVerwG 5 C 16.13
I. VG Berlin vom 12.12.2012 - Az.: VG 7 K 91.11 -