Urteil des BVerwG vom 22.10.2009

Jugendhilfe, Stiftung, Beratung, Krasses Missverhältnis

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 5 C 16.08
VG 13 K 1163/07
Verkündet
am 22. Oktober 2009
von Förster
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 22. Oktober 2009
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Brunn, Prof. Dr. Berlit,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer
für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Verwal-
tungsgerichts Hamburg vom 13. März 2008 wird zurück-
gewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten über die Erstattungsfähigkeit der Kosten für die entgelt-
liche Beauftragung eines Trägers der freien Jugendhilfe mit der Durchführung
der Aufgabe der Beratung und Unterstützung der Pflegeperson nach § 37
Abs. 2 SGB VIII.
Der Kläger, ein Träger der öffentlichen Jugendhilfe, und die W.-Stiftung, ein
Träger der freien Jugendhilfe, schlossen unter dem 15. Juni 2001 eine Verein-
barung über die Wahrnehmung von Aufgaben des Pflegekinderdienstes nach
dem Sozialgesetzbuch Achtes Buch. Die W.-Stiftung unterstützt danach den
Kläger u.a. bei der Wahrnehmung der Aufgaben nach § 37 SGB VIII im Rah-
men der Durchführung der Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege. Ihr
Pflegekinderdienst verpflichtet sich insbesondere zur Wahrnehmung der Auf-
gabe der Unterstützung, Betreuung und Beratung der Pflegefamilie durch eine
qualifizierte Fachkraft. Die Wahrnehmung dieser Aufgabe soll durch regelmäßi-
ge Hausbesuche, Einzel- und Gruppengespräche, erforderlichenfalls auch er-
gänzend durch telefonische Beratung erfolgen. Die zeitliche und inhaltliche
Ausgestaltung der Kontakte ist entsprechend der in der Hilfeplanung festgeleg-
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ten monatlichen Betreuungspauschale frei zu vereinbaren, soweit der Kläger im
Einzelfall keine besonderen Vorgaben macht. Stellt die Fachkraft der W.-Stif-
tung Auffälligkeiten in der Entwicklung in der Pflegefamilie fest, die eine Ge-
fährdung des Kindeswohls bedeuten können, ist die W.-Stiftung verpflichtet,
den Kläger sofort zu informieren, und soll erste Vorgaben für das weitere Vor-
gehen machen. Hierfür erhält die W.-Stiftung die „Betreuungspauschale Dauer-
pflege“ im Umfang von fünf Fachleistungsstunden pro Pflegeverhältnis im Mo-
nat. Seit dem 1. August 2002 wird eine Fachleistungsstunde mit 38,26 € vergü-
tet. Die W.-Stiftung schließt ihrerseits mit der jeweiligen Pflegefamilie eine Ver-
einbarung, in der die Zusammenarbeit zwischen ihr und der Pflegefamilie be-
schrieben wird.
Seit dem 8. Mai 1998 gewährte der Kläger für die am 26. Mai 1987 geborene
N. R., deren Mutter am 21. April 1998 verstorben war, gemäß §§ 27, 33
SGB VIII Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege in einer in seinem Zu-
ständigkeitsbereich lebenden Pflegefamilie. Die Pflegeeltern hatten das Kind
bereits im Oktober 1996 auf Bitten der personensorgeberechtigten Mutter, die
vor ihrem Tod ebenfalls im Zuständigkeitsbereich des Klägers wohnte, in ihren
Haushalt aufgenommen. Seit dem 1. August 2001 wurden die Pflegeeltern von
der W.-Stiftung beraten und unterstützt.
Mit Schreiben vom 11. Januar 1999 erkannte die Beklagte auf ein entspre-
chendes Ersuchen des Klägers mit Rücksicht auf den gewöhnlichen Aufenthalt
des Vaters in ihrem Zuständigkeitsbereich ihre Kostenerstattungspflicht gemäß
§ 89a SGB VIII dem Grunde nach an und erstattete dem Kläger in der Folgezeit
die insoweit geltend gemachten Kosten. Mit Wirkung zum 15. März 2003 gab
der Vater seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland auf, woraufhin die Beklagte
die Zahlungen an den Kläger einstellte.
Nachdem der Kläger Kenntnis davon erlangt hatte, dass der Vater seit dem
1. Februar 2004 wieder im Zuständigkeitsbereich der Beklagten polizeilich ge-
meldet war, machte er mit Schreiben vom 28. Juli 2004 rückwirkend zu diesem
Zeitpunkt einen Anspruch auf Anerkennung der Kostenerstattungspflicht nach
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§ 89a SGB VIII geltend. Die Beklagte kam diesem Begehren mit Schreiben vom
20. September 2004 nach.
Nachdem weitere Ermittlungen ergeben hatten, dass der Vater bereits seit dem
1. April 2003 seinen gewöhnlichen Aufenthalt wieder im Zuständigkeitsbereich
der Beklagten gehabt hatte, erweiterte der Kläger mit Schreiben vom 15. No-
vember 2004 seinen Kostenerstattungsanspruch auf diesen Zeitpunkt. Die Be-
klagte berief sich insoweit allerdings auf die Ausschlussfrist des § 111 SGB X
und erkannte mit Schreiben vom 24. November 2004 ihre Kostenerstattungs-
pflicht dem Grunde nach nur ab dem 19. November 2003 an, d.h. ab dem Zu-
gang des Schreibens vom 15. November 2003. Für den ab dem 19. November
2003 beginnenden Zeitraum lehnte die Beklagte jedoch die Erstattung der vom
Kläger an die W.-Stiftung geleisteten „Betreuungspauschale Dauerpflege“ ab
und machte einen Rückerstattungsanspruch nach § 112 SGB X geltend, soweit
diese Kosten von ihr in der Vergangenheit erstattet worden seien. Der Sache
nach handele es sich dabei um nicht erstattungsfähige Verwaltungskosten des
Klägers im Sinne des § 109 Satz 1 SGB X.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 13. März 2008 antrags-
gemäß verurteilt, für die Zeiträume vom 1. Januar bis 15. März 2003 und vom
19. November 2003 bis 26. Mai 2005 an den Kläger 3 964,23 € nebst Zinsen in
Höhe von 5 v. H. über dem Basiszinssatz seit dem 23. März 2007 zu zahlen.
Der Erstattungsanspruch finde seine Rechtsgrundlage in § 89a Abs. 1 Satz 1
SGB VIII. Der Kläger habe aufgrund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6
SGB VIII im Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Pflegefall Leistungen
erbracht, für die zuvor die Beklagte zuständig gewesen wäre. Die in die Be-
rechnung des Kostenerstattungsanspruchs eingestellte „Betreuungspauschale
Dauerpflege“ gehöre auch zu den erstattungsfähigen Kosten und nicht zu den
Verwaltungskosten nach § 109 Satz 1 SGB X. Es handele sich um klar ab-
grenzbare und dem konkreten Hilfefall zuzuordnende Kosten. Sie beträfen nicht
die allgemeinen Vorhaltepflichten im Rahmen der Organisation von Familien-
pflegestellen. Der Sache nach gehe es um die Frage, ob der Kläger seine Hilfe-
leistung in der geschehenen Weise habe organisieren und insbesondere die
Aufgabe der Beratung und Unterstützung der Pflegeperson nach § 37 Abs. 2
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SGB VIII auf einen Dritten habe übertragen dürfen. Dies sei zu bejahen. Die
„Betreuungspauschale Dauerpflege“ sei angesichts der zu bearbeitenden
schwerwiegenden Beziehungs- und Entwicklungsprobleme auch der Höhe nach
nicht unangemessen.
Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision verfolgt die Be-
klagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter. Sie rügt eine Verletzung der § 37
Abs. 2, § 89a Abs. 1 und § 89f SGB VIII sowie des § 109 Satz 1 SGB X.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.
II
Die zulässige Sprungrevision der Beklagten ist unbegründet und deshalb zu-
rückzuweisen. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger von
der Beklagten nach § 89a Abs. 1 Satz 1 und § 89f SGB VIII die an die W.-Stif-
tung für die Durchführung der Beratung und Unterstützung der Pflegeperson im
Sinne des § 37 Abs. 2 SGB VIII gezahlte „Betreuungspauschale Dauerpflege“
erstattet verlangen kann, verletzt Bundesrecht nicht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
1. Zwischen den Beteiligten steht zu Recht nicht im Streit, dass dem Kläger für
die hier allein (noch) streitgegenständlichen Zeiträume vom 1. Januar bis
15. März 2003 sowie vom 19. November 2003 bis 26. Mai 2005 dem Grunde
nach gegen die Beklagte ein Anspruch auf Kostenerstattung nach § 89a Abs. 1
Satz 1 SGB VIII zusteht. Die Beklagte hat ihre Kostenerstattungspflicht dem
Grunde nach auch anerkannt.
Nach § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind Kosten, die ein örtlicher Träger auf-
grund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII aufgewendet hat, von dem
örtlichen Träger zu erstatten, der zuvor zuständig war oder gewesen wäre. Auf
der Grundlage der gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen
Feststellungen ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Verwal-
tungsgericht das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen bejaht hat. Der Klä-
ger gewährte seit 1998 gemäß §§ 27, 33 SGB VIII Hilfe zur Erziehung in Form
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der Vollzeitpflege. Er war für diese Leistung nach § 86 Abs. 6 SGB VIII örtlich
zuständig. Denn im Zeitpunkt des Beginns der Jugendhilfeleistung lebte das
Pflegekind bereits zwei Jahre bei einer Pflegefamilie, die ihren gewöhnlichen
Aufenthalt im Gebiet des Klägers hatte, und sein Verbleib bei dieser Pflegefa-
milie war auf Dauer zu erwarten. Vor der Begründung der Zuständigkeit des
Klägers wäre die Beklagte nach § 86 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII örtlich zuständig
gewesen, weil der bei Leistungsbeginn allein noch lebende Vater zu diesem
Zeitpunkt seinen gewöhnlichen Aufenthalt in deren Gebiet hatte.
2. Der geltend gemachte Erstattungsanspruch ist auch dem Umfang nach be-
gründet. Dieser bemisst sich nach § 89f SGB VIII. Nach Absatz 1 Satz 1 dieser
Vorschrift sind die aufgewendeten Kosten zu erstatten, soweit die Erfüllung der
Aufgaben den Vorschriften dieses Buches entspricht (2.1). Die hier allein noch
strittigen Aufwendungen sind auch keine nichterstattungsfähigen Verwaltungs-
kosten im Sinne des § 109 Satz 1 SGB X (2.2).
2.1 Aufgaben werden nur dann nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuches
Achtes Buch erfüllt, wenn auch die Vorschriften über die örtliche und sachliche
Zuständigkeit eingehalten sind. Dies ist hier der Fall. Die Beratung und Unter-
stützung der Pflegeperson im Sinne des § 37 Abs. 2 SGB VIII ist eine in die
Zuständigkeit des Klägers fallende Aufgabe (a). Er war befugt mit ihrer Durch-
führung einen Träger der freien Jugendhilfe zu beauftragen (b).
a) Die Zuständigkeit des Klägers nach § 86 Abs. 6 SGB VIII erstreckt sich auf
die Beratungs- und Unterstützungsleistungen nach § 37 Abs. 1 und 2 SGB VIII.
Denn § 86 Abs. 6 SGB VIII begründet eine (Gesamt-)Zuständigkeit des Trägers
der öffentlichen Jugendhilfe für alle Jugendhilfeleistungen, die im Rahmen eines
Pflegeverhältnisses erbracht werden. Sie erfasst mithin nicht nur die „reinen“
Pflegeleistungen in Form der laufenden Leistungen („Pflegegeld“) und
einmaligen Leistungen zum Unterhalt des Kindes oder Jugendlichen nach
Maßgabe des § 39 SGB VIII sowie der Krankenhilfe gemäß § 40 SGB VIII, son-
dern auch die ergänzenden pädagogischen Leistungen der Hilfe zur Erziehung.
Zu Letzteren gehören nach § 2 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII auch die Beratungs- und
Unterstützungsleistungen nach § 37 Abs. 1 und 2 SGB VIII.
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b) Der Erstattungsfähigkeit steht auch nicht entgegen, dass der Kläger die
Durchführung der Beratung und Unterstützung der Pflegeperson nach § 37
Abs. 2 SGB VIII im Wege der Auslagerung von Dienstleistungen (sog. „Out-
sourcing“) auf die W.-Stiftung übertragen hat.
Zwar richtet sich die Verpflichtung zur Erbringung der in Rede stehenden
Dienstleistung (vgl. § 11 SGB I) gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII an den Klä-
ger als Träger der öffentlichen Jugendhilfe mit der Folge, dass dieser im Ver-
hältnis zur betroffenen Pflegeperson in der Pflicht und Verantwortung steht.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Aufgabe der Beratung und Unterstützung
nach § 37 Abs. 2 SGB VIII auch zwingend von Mitarbeitern des Klägers zu er-
füllen wäre. Aus der Organisations- und Personalhoheit folgt das Recht des
Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zu bestimmen, wie er die seiner Zustän-
digkeit unterliegenden Aufgaben im Einzelnen wahrnimmt und deren ordnungs-
gemäße und effektive Erledigung sicherstellt. Dies schließt grundsätzlich die
Entscheidung darüber ein, ob eine bestimmte Sach- und Dienstleistung durch
eigene Mitarbeiter erbracht oder ein Dritter mit der Durchführung einer Aufgabe
beauftragt wird. Letzteres ist dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe verwehrt,
wenn die Übertragung der Aufgabenwahrnehmung auf Dritte im Einzelfall ge-
setzlich ausdrücklich oder sie aus anderen Gründen ausgeschlossen ist, etwa
weil eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nach der Natur der Aufgabe oder
ihren inhaltlichen oder organisatorischen Anforderungen nur durch Mitarbeiter
des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe gewährleistet ist. Beides ist hinsichtlich
der hier allein in Rede stehenden Beratungs- und Unterstützungsleistungen im
Sinne des § 37 Abs. 2 SGB VIII nicht der Fall. Zwar stellen die Beratung und
Unterstützung der Pflegeperson im Sinne des § 37 Abs. 2 SGB VIII während
des Pflegeverhältnisses, einschließlich der Vorbereitungs- und Einleitungspha-
se, mit Rücksicht auf die Bindungs- und Trennungsproblematik bei der Pflege
und Betreuung fremder Kinder sowie den Erziehungsprozess hohe fachliche
Anforderungen an die mit dieser Aufgabe betrauten Personen. Diese sind aber
weder in inhaltlicher noch in organisatorischer Hinsicht von solcher Art und
Qualität, dass sie in der Regel nicht auch von einem Träger der freien Jugend-
hilfe mit entsprechend fachlich qualifiziertem Personal erfüllt werden können.
Letzteres ist auch im konkreten Fall vorgesehen, da sich die W.-Stiftung ge-
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genüber dem Kläger unter Ziffer II Nr. 5 der Vereinbarung vom 15. Juni 2001
ausdrücklich dazu verpflichtet hat, die Unterstützung, Betreuung und Beratung
der Pflegefamilie durch eine qualifizierte Fachkraft vorzunehmen.
Dass ein Träger der öffentlichen Jugendhilfe grundsätzlich befugt ist, sich zur
Erfüllung der ihm obliegenden Aufgaben der Hilfe Dritter zu bedienen, ent-
spricht auch dem Subsidiaritätsgrundsatz in § 4 Abs. 2 SGB VIII. Danach soll
die öffentliche Jugendhilfe von eigenen Maßnahmen absehen, soweit geeignete
Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen von anerkannten Trägern der
freien Jugendhilfe betrieben werden oder rechtzeitig geschaffen werden kön-
nen. Die Erfüllung dieser Verpflichtung setzt aber zwingend voraus, dass der
Träger der öffentlichen Jugendhilfe einem anerkannten Träger der freien Ju-
gendhilfe die Durchführung von Aufgaben der Jugendhilfe überlässt. Der Vor-
rang des § 4 Abs. 2 SGB VIII erfasst grundsätzlich alle Handlungsfelder der
Jugendhilfe (vgl. W. Schellhorn, in: Schellhorn/Fischer/Mann, SGB VIII/KJHG,
3. Aufl. 2007, § 4 SGB VIII Rn. 17). Der Begriff der Dienste bezieht sich dabei
auf Aufgaben, deren Erfüllung außer personellem Einsatz keine aufgabenspezi-
fischen Sachmittel (Räume, Geräte) erfordert (vgl. Papenheim, in:
LPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2006, § 4 Rn. 31; Wiesner, SGB VIII, 3. Aufl. 2006, § 4
Rn. 19). Hierunter fällt begrifflich auch die Aufgabe der Beratung und Unterstüt-
zung der Pflegeperson im Sinne des § 37 Abs. 2 SGB VIII. Aus der Beschrän-
kung der Verpflichtung des § 4 Abs. 2 SGB VIII auf die als Träger der freien
Jugendhilfe anerkannten juristischen Personen und Personenvereinigungen
lässt sich nicht herleiten, dass es einem Träger der öffentlichen Jugendhilfe
nicht gestattet wäre, einen (noch) nicht anerkannten Träger der freien Jugend-
hilfe mit der Erbringung einer im Übrigen übertragbaren Sach- und Dienstleis-
tung zu betrauen. Dagegen spricht vor allem, dass diesen gemäß § 75 Abs. 2
SGB VIII nach dreijähriger Tätigkeit auf dem Gebiet der Jugendhilfe unter den
Voraussetzungen des § 75 Abs. 1 SGB VIII ein Rechtsanspruch auf Anerken-
nung als Träger der freien Jugendhilfe zusteht. Bis zu ihrer Anerkennung ist der
Träger der öffentlichen Jugendhilfe diesen gegenüber allerdings lediglich be-
rechtigt, nicht aber nach Maßgabe des § 4 Abs. 2 SGB VIII auch verpflichtet,
die Durchführung eigener Maßnahmen zu unterlassen. Vor diesem Hintergrund
ist es nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht keine Feststellungen
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dazu getroffen hat, ob es sich bei der W.-Stiftung um einen anerkannten Träger
der freien Jugendhilfe handelt.
Verlagert der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Durchführung der Bera-
tung und Unterstützung der Pflegeperson nach § 37 Abs. 2 SGB VIII auf einen
Träger der freien Jugendhilfe, hat dies lediglich zur Folge, dass damit die
Durchführungsverantwortung übertragen wird. Die Aufgaben- bzw. Steuerungs-
verantwortung verbleibt indessen bei dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe,
der auch sonst die fach- und bedarfsgerechte sowie rechtmäßige Aufgaben-
durchführung zu gewährleisten hat (Gewährleistungsverantwortung). Dieser
Verantwortung (hier für die Gewährleistung des Kindeswohls nach § 37
SGB VIII) darf er sich nicht dadurch entziehen, dass er die Beratung und Unter-
stützung der Pflegeperson einem Träger der freien Jugendhilfe zu unkontrollier-
ter Ausführung überlässt. Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe hat vielmehr
durch geeignete Vorkehrungen sicherzustellen, dass er seiner Aufgaben- bzw.
Steuerungsverantwortung gerecht werden kann und wird. Derartige Vorkehrun-
gen sind - wie hier zwischen den Beteiligten nicht umstritten war - im konkreten
Fall insbesondere durch die Regelungen unter Ziffer III der zwischen dem Klä-
ger und der W.-Stiftung unter dem 15. Juni 2001 geschlossenen Vereinbarung
getroffen worden.
2.2 Bei den aus der Beauftragung der W.-Stiftung entstandenen Kosten handelt
es sich um erstattungsfähige, d.h. aufgewendete Kosten im Sinne des § 89f
Abs. 1 Satz 1 SGB VIII und nicht um Verwaltungskosten im Sinne des § 109
Satz 1 SGB X (a). Die hierfür erforderliche individuelle konkrete Zuordenbarkeit
dieser Kosten scheitert nicht daran, dass der für die Leistungserbringung ange-
fallene Kostenaufwand im Wege der Schätzung und Pauschalierung ermittelt
und in Gestalt eines Pauschalsatzes abgerechnet wird (b).
a) Aufgewendete Kosten im Sinne des § 89f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind die
Ausgaben eines Trägers der öffentlichen Jugendhilfe, die eindeutig abgrenzbar
einer bestimmten Jugendhilfemaßnahme individuell konkret zugeordnet werden
können. Hierunter fällt grundsätzlich auch ein Entgelt, das einem Träger der
öffentlichen Jugendhilfe von einem Träger der freien Jugendhilfe für die diesem
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im Einklang mit dem Gesetz übertragene Durchführung einer Aufgabe in Rech-
nung gestellt wird (s.a. Urteil vom 5. April 2007 - BVerwG 5 C 25.05 -
BVerwGE 128, 301 <302>).
Zu den hiervon zu unterscheidenden Verwaltungskosten im Sinne des § 109
Satz 1 SGB X gehören demgegenüber alle Aufwendungen, die ein Träger der
öffentlichen Jugendhilfe für Personal und Sachmittel aufbringt, um einen funkti-
onsfähigen Dienstleistungsapparat vorzuhalten. Sie dienen der Finanzierung
des Personal- und Sachaufwandes, der losgelöst von einer konkret-indivi-
duellen Maßnahme abstrakt und generell im Hinblick auf die übertragenen Auf-
gaben im Rahmen des alltäglichen Verwaltungsbetriebes kontinuierlich entsteht
und auch sonst nicht einzelnen Maßnahmen zugeordnet werden kann. Sie sind
aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und Verwaltungsökonomie von der
Erstattung ausgeschlossen, um Streitigkeiten über Kosten zu vermeiden, die
bezogen auf einen einzelnen Verwaltungsvorgang häufig nur einen geringen
Betrag ausmachen und schwer feststellbar sind, sodass sie der erstattungsbe-
rechtigte Träger nur schwer spezifizieren und der erstattungspflichtige Träger
sie nur schwer auf ihre Berechtigung überprüfen kann (Urteil vom 22. Oktober
1992 - BVerwG 5 C 23.89 - Buchholz 436.51 § 83 JWG Nr. 1 unter Be-
zugnahme auf die Regierungsbegründung zu § 109 SGB X, BTDrucks 9/95
S. 26 zu § 115)
.
Im Einklang mit diesem Begriffsverständnis hat das Verwaltungsgericht die vom
Kläger an die W.-Stiftung gezahlte „Betreuungspauschale Dauerpflege“ zutref-
fend als aufgewendete Kosten im Sinne des § 89f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ein-
geordnet. Denn diese Pauschale dient dazu, einen zusätzlichen und gesondert
abgrenzbar, außerhalb des dem Kläger zur Verfügung stehenden Verwaltungs-
apparats entstehenden Personal- und Sachaufwand zu decken. Der Kläger
zahlt die „Betreuungspauschale Dauerpflege“ zweckgerichtet, um die von der
W.-Stiftung erbrachten Beratungs- und Unterstützungsleistungen nach § 37
Abs. 2 SGB VIII abzugelten.
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b) Die individuelle Zuordenbarkeit und damit die Erstattungsfähigkeit ist schließ-
lich nicht dadurch in Frage gestellt, dass es sich bei den geltend gemachten
Kosten um einen Pauschalbetrag handelt. Denn gegen die Pauschalierung bei
der Vereinbarung des Entgelts zwischen dem Kläger und der beauftragten
W.-Stiftung bestehen weder dem Grunde noch der Höhe nach durchgreifende
rechtliche Bedenken.
Dem abstrakt-generellen Charakter der Vereinbarung entsprechend bezieht
sich die Beauftragung der W.-Stiftung auf eine Vielzahl von Pflegefällen, wobei
der Beratungs- und Unterstützungsbedarf von Fall zu Fall variieren kann. Im
Interesse der Praktikabilität und der Verwaltungsökonomie ist es sachlich ge-
rechtfertigt, das Leistungsangebot abstrahierend vom Einzelfall festzulegen und
hierfür ein am typischerweise entstehenden, durchschnittlichen tatsächlichen
Aufwand orientiertes pauschales Entgelt zu vereinbaren. Entsprechendes lässt
das Sozialgesetzbuch Achtes Buch auch bei Entgeltvereinbarungen nach
§§ 78a ff. SGB VIII zu; danach müssen die vereinbarten Entgelte nur insgesamt
leistungsgerecht sein (§ 78c Abs. 2 Satz 1 SGB VIII) und bestimmten Quali-
tätsanforderungen entsprechen (§ 78c Abs. 2 Satz 2 SGB VIII). Mangels einer
entsprechenden gesetzlichen Anordnung müssen aber auch Entgeltvereinba-
rungen nach §§ 78a ff. SGB VIII für den Einzelfall keine exakte Berechnung des
Entgelts unter Einbeziehung der im konkreten Fall tatsächlich erbrachten Leis-
tungen enthalten bzw. vorschreiben. Das Gesetz geht vielmehr davon aus, dass
angesichts der Vielzahl der bereitgestellten Leistungen und der Vielfältigkeit der
Entgelte bei der Festlegung der Leistungsangebote und der Entgelte aus
Gründen der Verwaltungsvereinfachung und um die ansonsten unumgänglichen
praktischen Probleme einer zuverlässigen Ermittlung und Zuordnung der auf
den Einzelfall bezogenen Höhe des Aufwandes zu vermeiden ein gewisses
Maß an Pauschalierung vernünftig und unbedenklich ist (vgl. Wiesner, a.a.O.,
Vor § 78a Rn. 13 und § 78c Rn. 13; Victor Kolodziej, in: Jans/Happe/Saurbier/
Maas, Jugendhilferecht, 3. Aufl., Bd. 4 Stand Oktober 2005, Erl. § 87c Rn. 35
Art. 1 KJHG). Auch die Beklagte hat letztlich nicht in Zweifel gezogen, dass es
zweckmäßig und sinnvoll ist, den tatsächlichen Aufwand der W.-Stiftung für die
im Auftrag des Klägers wahrgenommene Beratung und Unterstützung der Pfle-
geperson nach § 37 Abs. 2 SGB VIII grundsätzlich pauschal zu erfassen.
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Soweit sich die Beklagte erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Se-
nat gegen die Höhe der „Betreuungspauschale Dauerpflege“ gewandt, diesen
Einwand letztlich aber ausdrücklich nicht mehr aufrechterhalten hat, hätte sie
damit im vorliegenden Verfahren auf der Grundlage des festgestellten Sach-
verhalts und der Einlassungen vor dem Verwaltungsgericht nicht durchdringen
können. Insoweit hat die Beklagte bemängelt, dass die „Betreuungspauschale
Dauerpflege“ auch für Leistungen wie beispielsweise die „Unterstützung des Ju-
gendamtes bei der Überleitung des Pflegekindes in eine neue Pflegestelle oder
sonstige Vollzeitunterbringung bei kurzfristiger Beendigung des Pflegever-
hältnisses in enger Kooperation mit dem ASD, Nachbetreuung und Krisenbe-
gleitung“ (vgl. Ziffer II Nr. 5 letzter Punkt der Vereinbarung vom 15. Juni 2001)
bezahlt werde, die nicht erstattungsfähig seien. Es liegt im Wesen der Sach-
verhaltstypisierung und Pauschalierung der Kosten begründet, dass es in ge-
wissem Umfang Unschärfen geben kann. Selbst wenn möglicherweise nicht alle
unter Ziffer II Nr. 5 der Vereinbarung vom 15. Juni 2001 aufgelisteten Leis-
tungen zu den von § 37 Abs. 2 SGB VIII erfassten Beratungs- und Unterstüt-
zungsleistungen gehören sollten, hätte dies der Revision der Beklagten daher
nur zum Erfolg verhelfen können, wenn sich dieser Fehler im Ergebnis auf die
Höhe des festgesetzten Pauschalsatzes ausgewirkt hätte. Das setzt voraus,
dass die für diese Leistungen angesetzten Kosten einen wesentlichen, d.h.
prägenden Bestandteil der Kostenkalkulation ausmachten. Dafür besteht hier
aber weder nach dem Vorbringen der Beteiligten noch ansonsten ein Anhalts-
punkt. Die Beteiligten sind sich vielmehr einig, dass die mit Blick auf § 37 Abs. 2
SGB VIII eindeutig erstattungsfähigen Leistungen die Höhe der Pauschale
zweifellos rechtfertigen. Sie haben sowohl in der mündlichen Verhandlung vor
dem Verwaltungsgericht als auch in der mündlichen Verhandlung vor dem
Senat übereinstimmend angegeben, dass fünf Fachleistungsstunden pro Monat
angesichts der im konkreten Fall aufzuarbeitenden schwerwiegenden Bezie-
hungs- und Entwicklungsprobleme nicht unangemessen sind.
Im Übrigen beschränkt sich die gerichtliche Prüfung auf eine Plausibilitäts- und
Willkürkontrolle, d.h. dem Gericht ist es verwehrt, die einzelnen Rechnungspos-
ten und Rechenschritte eines - wie hier - zulässigerweise vereinbarten pau-
schalen Entgelts im Detail zu überprüfen. Denn bei der Berechnung des am
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tatsächlichen Aufwand zu orientierenden Pauschalsatzes sind auch Wertungen
und Einschätzungen vorzunehmen, bei denen dem Träger der öffentlichen Ju-
gendhilfe nach § 89f Abs. 1 Satz 2 SGB VIII ein Einschätzungsspielraum zuzu-
gestehen ist. Danach gelten für die Kostenerstattung die Grundsätze, die im
Bereich des tätig gewordenen örtlichen Trägers zur Zeit des Tätigwerdens an-
gewandt werden. Der Gesetzgeber räumt damit der Sache nach den kostenre-
levanten Entscheidungen und den in diesem Zusammenhang erforderlichen
Bewertungen des erstattungsberechtigten Trägers einen Vorrang ein, solange
sie sich im Rahmen rechtlich gezogener Grenzen bewegen. Zu den nach § 89f
Abs. 1 Satz 2 SGB VIII maßgeblichen Grundsätzen gehören insbesondere auch
Vereinbarungen mit Dritten (vgl. Wiesner, a.a.O. § 89f Rn. 8; Nellisen, in: GK-
SGB VIII, Stand Oktober 2006, § 89f SGB VIII Rn. 21; Stähr, in: Hauck,
SGB VIII, Stand September 2007, K § 89f Rn. 10). Unter Zugrundelegung der
dargelegten Grenzen der gerichtlichen Kontrolle ist die „Betreuungspauschale
Dauerpflege“ auch der Höhe nach nicht zu beanstanden, da nichts darauf hin-
deutet, dass sie willkürlich gegriffen oder wirklichkeitsfremd ist. Ebenso wenig
ist ein krasses Missverhältnis zwischen ihr und den abgerechneten Beratungs-
und Unterstützungsleistungen nach § 37 Abs. 2 SGB VIII erkennbar.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskostenfrei-
heit besteht nach § 188 Satz 2 Halbs. 2 VwGO nicht.
Hund Dr. Brunn Prof. Dr. Berlit
Stengelhofen Dr. Störmer
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B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf
3 964,23 € festgesetzt (§ 47 Abs. 1 Satz 1 und § 52 Abs. 3 GKG).
Hund Dr. Brunn Stengelhofen
Sachgebiet:
BVerwGE:
ja
Jugendhilferecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
SGB VIII
§ 37 Abs. 2, § 86 Abs. 6, § 89a, § 89f
Stichworte:
Vollzeitpflege; Pflegefamilie; Pflegeperson; Beratung und Unterstützung der
Pflegeperson; Pflegekind; Pflegekinderdienst; Auslagerung von Dienstleistun-
gen; Outsourcing; Aufgabenverantwortung; Steuerungsverantwortung; Durch-
führungsverantwortung; Gewährleistungsverantwortung; Kostenerstattung; Kos-
tenerstattungsanspruch; Kostenerstattungspflicht; Erstattung von Kosten; An-
spruch auf Kostenerstattung; Umfang der Kostenerstattung; erstattungsfähige
Kosten; aufgewendete Kosten; Verwaltungskosten; Vorhaltekosten; individuelle
Zuordenbarkeit der Kosten; pauschales Entgelt; Pauschale; Pauschalsatz; Pau-
schalbetrag; Pauschalierung; Praktikabilität; Verwaltungsvereinfachung; Ein-
schätzungsspielraum; Plausibilitätskontrolle; Willkürkontrolle.
Leitsätze:
1. Träger der öffentlichen Jugendhilfe können die Durchführung der ihrer Zu-
ständigkeit unterliegenden Beratung und Unterstützung der Pflegeperson nach
§ 37 Abs. 2 SGB VIII im Wege der Auslagerung von Dienstleistungen (sog.
„Outsourcing“) auf Träger der freien Jugendhilfe übertragen.
2. Aufgewendete Kosten im Sinne des § 89f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind die
Ausgaben eines Trägers der öffentlichen Jugendhilfe, die eindeutig abgrenzbar
einer bestimmten Jugendhilfemaßnahme individuell konkret zugeordnet werden
können.
3. Zu diesen Kosten gehört das aufgrund einer Vereinbarung an einen Träger
der freien Jugendhilfe für die Durchführung der Beratung und Unterstützung der
Pflegeperson nach § 37 Abs. 2 SGB VIII zu zahlende Entgelt. Die Vereinbarung
eines Pauschalbetrages steht der individuellen Zuordenbarkeit und damit der
Erstattungsfähigkeit nicht grundsätzlich entgegen.
Urteil des 5. Senats vom 22. Oktober 2009 - BVerwG 5 C 16.08
I. VG Hamburg vom 13.03.2008 - Az.: VG 13 K 1163/07 -