Urteil des BVerwG vom 11.11.2010

Angemessene Frist, Rücknahme, Ermittlungsverfahren, Staatenlosigkeit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 5 C 12.10
VGH 5 B 03.2462
Verkündet
am 11. November 2010
Wahl
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 11. November 2010
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer und Dr. Häußler
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayeri-
schen Verwaltungsgerichthofs vom 25. Oktober 2005 wird
zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme seiner Einbürgerung in den
deutschen Staatsverband.
Der Kläger wurde 1956 in Graz (Österreich) geboren und war bis zu seiner Ein-
bürgerung österreichischer Staatsangehöriger. Nachdem im Juni 1995 von der
Bundespolizeidirektion Graz gegen den Kläger Ermittlungen wegen des (von
ihm bestrittenen) Verdachts des schweren gewerbsmäßigen Betruges eingelei-
tet worden waren, reiste er aus Österreich aus und nahm seinen Wohnsitz in
München. Dort war er als selbstständiger Unternehmensberater tätig. Im Feb-
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ruar 1997 erließ das Landesgericht für Strafsachen in Graz einen nationalen
Haftbefehl gegen den Kläger.
Im Februar 1998 beantragte der Kläger seine Einbürgerung in den deutschen
Staatsverband. In dem hierfür verwendeten, von ihm unterschriebenen Antrags-
formular ist in der Rubrik „Angaben über anhängige Ermittlungsverfahren“
handschriftlich eingetragen „keine“. Die Einbürgerungsurkunde vom 25. Januar
1999 wurde dem Kläger am 5. Februar 1999 ausgehändigt.
Im August 1999 erfuhr die Staatsangehörigkeitsbehörde, dass der Kläger in
Österreich per Haftbefehl gesucht werde und im September 1999, dass er be-
reits im Juli 1995 vom Landesgericht für Strafsachen in Graz als Beschuldigter
vernommen worden sei. Daraufhin nahm der Beklagte nach Anhörung des Klä-
gers die Einbürgerung mit Bescheid vom 4. Juli 2000 rückwirkend zurück, weil
der Kläger das österreichische Ermittlungsverfahren verschwiegen und dadurch
die Einbürgerung erschlichen habe.
Klage und Berufung blieben erfolglos. Auf die Revision des Klägers wurde das
Berufungsurteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. Juni 2002
wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben und die Sache zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen (vgl.
Urteil vom 3. Juni 2003 - BVerwG 1 C 19.02 - BVerwGE 118, 216).
Im Folgenden überprüfte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die noch offe-
nen Fragen und holte in Bezug auf das österreichische Staatsbürgerschafts-
recht eine Rechtsauskunft des zuständigen Amtes der steiermärkischen Lan-
desregierung ein. Dieses teilte mit Schreiben vom 8. Oktober 2004 und
22. März 2005 mit, die österreichische Staatsbürgerschaft lebe bei rückwirken-
der Rücknahme der deutschen Staatsangehörigkeit nicht automatisch wieder
auf. Die Voraussetzungen für eine Einbürgerung lägen beim Kläger nicht vor.
Daraufhin ergänzte der Beklagte mit Schreiben vom 3. Mai 2005 seine Ermes-
senserwägungen. Auch bei Abwägung der dem Kläger drohenden Staatenlo-
sigkeit und des zu erwartenden Verlusts der Unionsbürgerschaft überwiege das
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öffentliche Interesse an der Rücknahme der erschlichenen deutschen Staats-
angehörigkeit. Dabei ging der Beklagte davon aus, dass der Kläger auch als mit
einer Deutschen verheirateter Staatenloser eine Aufenthaltserlaubnis und Aus-
weispapiere für Geschäftsreisen erhalten könne.
Mit Urteil vom 25. Oktober 2005 wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof
die Berufung des Klägers abermals zurück. Die Rücknahme der durch eine be-
wusste Täuschung erwirkten Einbürgerung sei rechtmäßig. Sie finde ihre
Rechtsgrundlage in Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG. Danach könne ein ur-
sprünglich rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar ge-
worden sei, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Ver-
gangenheit zurückgenommen werden. Die im Februar 1999 wirksam geworde-
ne Einbürgerung des Klägers sei objektiv rechtswidrig gewesen, weil gegen den
Kläger seit 1995 ein österreichisches Ermittlungsverfahren und seit 1998 ein
deutsches Ermittlungsverfahren durchgeführt worden seien, die er gegenüber
der Staatsangehörigkeitsbehörde nicht angezeigt habe. Im Hinblick darauf hätte
die Einbürgerung nicht erfolgen dürfen, sondern ausgesetzt werden müssen.
Über diese Ermittlungsverfahren habe der Kläger die Einbürgerungsbehörde
auch in subjektiver Hinsicht bewusst und arglistig getäuscht. Die Ermessens-
entscheidung des Beklagten sei im Ergebnis nicht zu beanstanden. Das Abwä-
gungsergebnis halte sich innerhalb der gesetzlichen Grenzen des eröffneten
Rücknahmeermessens.
Mit seiner Revision macht der Kläger geltend, dass der Beklagte seine ur-
sprünglichen Ermessenserwägungen unter Verletzung von § 114 Satz 2 VwGO
nicht lediglich ergänzt, sondern in ihrem Wesen verändert und weitgehend aus-
getauscht habe. Eine nachträgliche Ergänzung der Ermessenserwägungen sei
auch wegen § 144 Abs. 6 VwGO nach Abschluss des Revisionsverfahrens nicht
mehr zulässig gewesen. Für die Rücknahme der Einbürgerung fehle jedenfalls
im vorliegenden Fall eine ausreichende Rechtsgrundlage. Ferner sei die Rück-
nahme wegen des Verlustes der Unionsbürgerschaft unverhältnismäßig und
verletze Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 6 Abs. 1 und 2 EMRK und Art. 17 EG
(= Art. 18 AEUV). Der unionsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ma-
che es insbesondere erforderlich, dass der Kläger vor Wirksamwerden der
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Rücknahmeentscheidung eine angemessene Frist erhalte, um die Staatsbür-
gerschaft seines österreichischen Herkunftslandes wiederzuerlangen. Die an
sich erforderliche Aussetzung des deutschen staatsangehörigkeitsrechtlichen
Verwaltungsverfahrens habe es nicht gegeben. Daher müsse jedenfalls das
gerichtliche Verfahren bis zur Entscheidung des Amtes der steiermärkischen
Landesregierung über den im September 2010 gestellten Statusfeststellungsan-
trag ausgesetzt werden.
Der Beklagte tritt der Revision und der beantragten Aussetzung des Verfahrens
entgegen. Der Kläger habe in der Vergangenheit ausreichend Zeit gehabt, eine
Wiedereinbürgerung oder Statusfeststellung zu beantragen. Nach geltendem
österreichischem Recht habe der Kläger nur geringe Chancen auf Wiederein-
bürgerung. Er sei vom Landgericht München mit Urteil vom 30. Juli 2008 wegen
Betruges in 60 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 10 Mo-
naten verurteilt worden und erfülle daher nicht das Unbescholtenheitserforder-
nis des § 10 des Österreichischen Staatsbürgerschaftsgesetzes. Daher sei es
allenfalls denkbar, dass der Kläger nach Wirksamkeit der deutschen Rücknah-
meentscheidung in Österreich aufgrund geschriebenen oder ungeschriebenen
Rechts die ursprüngliche österreichische Staatsangehörigkeit wiedererlange.
Hierfür sei aber eine Aussetzung des Revisionsverfahrens nicht erforderlich.
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 18. Februar 2008
- BVerwG 5 C 13.07 - (Buchholz 451.9 Art. 17 EG-Vertrag Nr. 1) das Verfahren
dem Gerichtshof der Europäischen Union vorgelegt. Die Große Kammer des
Gerichtshofs hat mit Urteil vom 2. März 2010 - C-135/08 - (NVwZ 2010, 509)
über die maßgeblichen unionsrechtlichen Fragen entschieden. Den Antrag des
Klägers, das Verfahren erneut bis zur Entscheidung der österreichischen Be-
hörden über den dortigen Statusfeststellungsantrag auszusetzen, hat der Senat
mit Beschluss vom 11. November 2010 mangels Vorgreiflichkeit abgelehnt.
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II
Die Revision ist unbegründet. Die angefochtene Entscheidung des Verwal-
tungsgerichtshofs verstößt nicht gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO).
1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Rück-
nahmebescheid des Beklagten vom 4. Juli 2000 auf einer ausreichenden
Rechtsgrundlage beruht. Zwar gab es bei Erlass des angefochtenen Beschei-
des die speziell für den Fall einer erschlichenen Einbürgerung geschaffene
Rücknahmevorschrift des § 35 StAG, deren Voraussetzungen nach den tat-
sächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ebenfalls erfüllt sind, noch
nicht. Sie wurde erst während des Revisionsverfahrens durch das Gesetz zur
Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 5. Februar 2009 (BGBl I
S. 158) mit Wirkung vom 12. Februar 2009 eingeführt. Zuvor konnten die
Staatsangehörigkeitsbehörden jedoch auf die allgemeinen Rücknahmevor-
schriften der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder - hier: Art. 48
BayVwVfG - zurückgreifen, wenn die Einbürgerung durch bewusste Täuschung
erwirkt worden war (vgl. Urteil vom 3. Juni 2003 - BVerwG 1 C 19.02 -
BVerwGE 118, 216 <218 ff.>; BVerfG, Urteil vom 24. Mai 2006 - 2 BvR 669/04 -
BVerfGE 116, 24). Die Rücknahmevoraussetzungen nach § 35 StAG und
Art. 48 BayVwVfG unterscheiden sich für den vorliegenden Fall der erschliche-
nen Einbürgerung nicht. Es bedarf deshalb keiner abschließenden Prüfung, ob
im Revisionsverfahren schon das neue Bundesrecht (§ 35 StAG) anzuwenden
ist.
Die Rücknahme der Einbürgerung ist auch nicht - wie der Kläger meint - auf-
grund höherrangigen Rechts generell unzulässig. Der Rücknahme erschliche-
ner Einbürgerungen steht weder das in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG verankerte
Verbot der Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit noch der in Art. 16
Abs. 1 Satz 2 GG verankerte Schutz vor Staatenlosigkeit entgegen (BVerfG,
Urteil vom 24. Mai 2006 a.a.O. Rn. 50 f.). Die Unschuldsvermutung des Art. 6
Abs. 2 EMRK ist entgegen der Auffassung des Klägers ebenfalls nicht berührt,
da die Rücknahme der Einbürgerung nicht auf den Vorwurf gestützt ist, der Klä-
ger habe eine Straftat begangen (Urteil vom 3. Juni 2003 a.a.O. <226>).
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2. Der Verwaltungsgerichtshof ist weiterhin zutreffend davon ausgegangen,
dass im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für eine Rücknahme nach
Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG, die in dem hier entscheidungserheblichen
Kern mit jenen des § 35 StAG übereinstimmen, vorlagen.
a) Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 18. Februar 2008 (a.a.O.)
ausgeführt hat, hat der Kläger nach den bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO) tat-
sächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs in seinem Urteil vom
25. Oktober 2005 über das Vorliegen der Einbürgerungsvoraussetzungen ge-
täuscht und damit die Einbürgerung erschlichen. Sie war von Anfang an
rechtswidrig und konnte nach dem pflichtgemäß auszuübenden Ermessen des
Beklagten zurückgenommen werden. Unter Berücksichtigung der im Beru-
fungsverfahren nachgeschobenen umfangreichen Ermessenserwägungen ist
die getroffene Ermessensentscheidung nach dem nationalen Recht auch revisi-
onsgerichtlich nicht zu beanstanden.
b) Hieran hält der Senat auch unter Berücksichtigung des weiteren Vorbringens
des Klägers fest. Insbesondere ist entgegen der Rechtsauffassung des Klägers
in Fällen, in denen das Bundesverwaltungsgericht einen Rechtsstreit zur an-
derweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen hat (§ 144 Abs. 3
Satz 1 Nr. 2 VwGO), eine Ergänzung von Ermessenserwägungen auch noch
nach einer Zurückverweisung möglich. § 114 Satz 2 VwGO erlaubt das Nach-
schieben von Gründen für eine Ermessensentscheidung ohne zeitliche Begren-
zung während des gesamten verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, welches bei
einer Zurückverweisung fortgeführt wird und noch nicht beendet ist. Einer Er-
gänzung von Ermessenserwägungen durch die Verwaltungsbehörde nach Zu-
rückverweisung steht auch § 144 Abs. 6 VwGO nicht entgegen. Nach § 144
Abs. 6 VwGO hat das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, zwar sei-
ner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu
legen. Der Verwaltungsgerichtshof hatte die Sache aber in dem erneuten Beru-
fungsverfahren in vollem Umfang zu überprüfen und insbesondere den ent-
scheidungserheblichen Sachverhalt neu zu würdigen. Die Bindung an die recht-
liche Beurteilung des Revisionsgerichts steht insoweit unter dem Vorbehalt der-
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selben im Berufungsverfahren erneut zu prüfenden Tatsachenlage. Sie entfällt
bei einer wesentlichen Veränderung des zu beurteilenden Sachverhalts infolge
neuen Vorbringens oder einer Änderung der für die Entscheidung maßgebli-
chen Umstände. § 144 Abs. 6 VwGO hindert die Beteiligten nicht an neuem
Sachvortrag und lässt einer Behörde Raum, die entscheidungserhebliche Sach-
lage in den nach § 114 Satz 2 VwGO gezogenen Grenzen durch ergänzende
Ermessenserwägungen zu ihren Gunsten zu verändern.
c) Die Ermessensergänzung des Beklagten vom 3. Mai 2005 war nach § 114
Satz 2 VwGO zulässig. Die mit Schriftsatz vom 3. Mai 2005 eingeführten Erwä-
gungen zur Staatenlosigkeit, zum Verlust der Unionsbürgerschaft sowie zu den
für den Kläger damit verbundenen Folgen führen - ungeachtet ihrer Bedeutung
für den Kläger - die grundlegende Argumentationslinie in der angefochtenen
Rücknahmeentscheidung fort und lassen deren „Identität“ unberührt (vgl. Be-
schlüsse vom 14. Januar 1999 - BVerwG 6 B 133.98 - NJW 1999, 2912 und
vom 30. April 2010 - BVerwG 9 B 42.10 - Buchholz 310 § 114 VwGO Nr. 57).
Das die Rücknahme tragende Argument der Wiederherstellung rechtmäßiger
Zustände bleibt bestehen. Die abschließende Gewichtung der widerstreitenden
öffentlichen und privaten Interessen ist im Ergebnis unverändert.
d) Die zulässiger Weise ergänzte Ermessensentscheidung weist auch keine
Ermessensfehler im Sinne des § 114 Satz 1 VwGO auf. Der Beklagte hat bei
der Abwägung der für und gegen eine Rücknahme sprechenden öffentlichen
und privaten Belange alle nach Lage der Dinge maßgeblichen Umstände be-
rücksichtigt. Er hat die negativen Folgen, die der Entzug der deutschen Staats-
angehörigkeit für den Kläger mit sich bringt, in der Ermessensergänzung vom
3. Mai 2005 berücksichtigt und vertretbar gewichtet. Auch wenn eine Wiederer-
langung der österreichischen Staatsbürgerschaft nach den Erklärungen der Re-
publik Österreich in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof der
Europäischen Union nicht auszuschließen ist, begründet es keinen Ermessens-
fehler zu Lasten des Klägers, bei der Rücknahme der Einbürgerung von dem
für ihn ungünstigsten Fall des Eintritts der Staatenlosigkeit und des Verlusts der
Unionsbürgerschaft auszugehen. Die Hinnahme der Staatenlosigkeit ist auch
- wie § 35 Abs. 4 StAG zeigt - weder generell noch - wie unten ausgeführt wird -
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im vorliegenden Fall wegen Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip
ermessensfehlerhaft. Für sonstige Ermessensfehler ist nichts ersichtlich (vgl.
Urteil vom 3. Juni 2003 a.a.O.).
3. Die Rücknahme der Einbürgerung wahrt den Grundsatz der Verhältnismä-
ßigkeit auch im Hinblick auf die unionsrechtliche Stellung des Klägers.
a) Wird eine Einbürgerung durch Täuschung erschlichen, dann verstößt es
nach der im vorliegenden Verfahren eingeholten Entscheidung des Gerichts-
hofs der Europäischen Union grundsätzlich nicht gegen Unionsrecht - insbe-
sondere Art. 17 EG (= Art. 18 AEUV) -, wenn ein Mitgliedstaat einem Unions-
bürger die durch Einbürgerung erworbene Staatsangehörigkeit wieder entzieht,
vorausgesetzt, dass die Rücknahmeentscheidung den Grundsatz der Verhält-
nismäßigkeit wahrt (Urteil vom 2. März 2010 - C-135/08 - NVwZ 2010, 509
<512> Rn. 59). Ein Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit durch Täuschung
erschlichen wurde, kann hiernach nicht nach Art. 17 EG verpflichtet sein, von
der Rücknahme der Einbürgerung allein deshalb abzusehen, weil der Betroffe-
ne die Staatsangehörigkeit seines Herkunftsmitgliedstaates nicht wiedererlangt
(ebd. Rn. 57).
Angesichts der Bedeutung, die das Primärrecht dem Unionsbürgerstatus bei-
misst, sind - wie der Gerichtshof der Europäischen Union weiter ausgeführt
hat - bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Rücknahme die möglichen
Folgen zu berücksichtigen, die diese Entscheidung für den Betroffenen und ge-
gebenenfalls für seine Familienangehörigen in Bezug auf den Verlust der Rech-
te, die jeder Unionsbürger genießt, mit sich bringt. Hierbei ist insbesondere zu
prüfen, ob dieser Verlust gerechtfertigt ist im Verhältnis zur Schwere des vom
Betroffenen begangenen Verstoßes, zur Zeit, die zwischen der Einbürgerungs-
entscheidung und der Rücknahmeentscheidung vergangen ist, und zur Mög-
lichkeit für den Betroffenen, seine ursprüngliche Staatsangehörigkeit wiederzu-
erlangen (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. S. 511/512 Rn. 56). Die Be-
achtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit kann es unter Berücksichti-
gung sämtlicher relevanter Umstände im Einzelfall erforderlich machen, dass
dem Betroffenen vor Wirksamwerden einer derartigen Entscheidung über die
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Rücknahme der Einbürgerung eine angemessene Frist eingeräumt wird, damit
er versuchen kann, die Staatsangehörigkeit seines Herkunftsmitgliedstaats wie-
derzuerlangen (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. S. 512 Rn. 58); ob dies
der Fall ist, hat allerdings das nationale Gericht zu beurteilen.
Der Gerichtshof der Europäischen Union geht dabei davon aus, dass die Mit-
gliedstaaten einerseits aufgrund internationaler Konventionen das Erschleichen
einer Einbürgerung mit der Entziehung ihrer nationalen Staatsangehörigkeit
sanktionieren können, dass aber andererseits eine solche Sanktion bei Perso-
nen, die - wie der Kläger - bereits vor der Einbürgerung die Unionsbürgerschaft
besessen haben, einen überschießenden Anteil aufweist. Mit der Rücknahme
geht aufgrund des Akzessorietätsprinzips in Art. 17 EG neben der erschliche-
nen nationalen Staatsbürgerschaft auch die nicht erschlichene Unionsbürger-
schaft verloren. Dieser „überschießende Rechtsverlust“ steht zwar einer Rück-
nahme nicht generell entgegen. Er kann aber im Einzelfall im Zusammenwirken
mit den anderen genannten Umständen (z.B. geringe Schwere des Verstoßes
etc.) dazu führen, dass die Rücknahme ausnahmsweise unverhältnismäßig ist.
b) Nach diesen Erwägungen des Gerichtshofs der Europäischen Union, die der
Senat zugrunde legt, ist unionsrechtlich gerade nicht - wie der Kläger meint -
gefordert, dass einem Betroffenen in den oben genannten Fällen stets aus Ver-
hältnismäßigkeitsgründen eine Frist zur Wiedererlangung der ursprünglichen
Staatsbürgerschaft einzuräumen ist.
aa) Der eine Einbürgerung zurücknehmende Staat ist nicht ausnahmslos ver-
pflichtet, das Wirksamwerden seiner Entscheidung mit den zuständigen Behör-
den des anderen EU-Staates von Amts wegen abzustimmen und so zu koordi-
nieren, dass selbst ein vorübergehender Verlust der Unionsbürgerschaft nicht
eintreten kann. Eine von den relevanten Umständen des Einzelfalls unabhängi-
ge Koordinierungspflicht würde die Rücknahme erschlichener Einbürgerungen
erheblich erschweren und den Umstand vernachlässigen, dass der Betroffene
durch sein unredliches Verhalten die wesentliche Ursache auch für den „über-
schießenden Rechtsverlust“ gesetzt hat.
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bb) Die Staatsangehörigkeitsbehörde hat allerdings gegenüber dem betroffenen
Bürger zu prüfen, ob sie ihm unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten eine
angemessene Frist für einen Wiedererlangungsversuch gewährt. Ob sie eine
solche Frist einzuräumen hat, hängt jedoch von sämtlichen relevanten Umstän-
den des Einzelfalls ab (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. S. 512 Rn. 58).
Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass zu einer abschließenden Klärung aller
Umstände, die hierbei zu beachten sein können. Notwendige Voraussetzung für
eine Fristeinräumung ist grundsätzlich, dass der Betroffene die Wiedererlan-
gung der früheren Staatsbürgerschaft ernsthaft anstrebt, die erforderlichen An-
träge möglichst frühzeitig und gegebenenfalls auch vorsorglich stellt und diese
mit Nachdruck verfolgt. Ferner hat die Einräumung einer Frist für einen Wieder-
erlangungsversuch nur dann einen Sinn, wenn die Rückgewinnung der früheren
Staatsbürgerschaft nach dem Recht des Herkunftsstaats nicht offensichtlich
aussichtslos ist. Da es jedoch nicht Aufgabe deutscher Behörden oder Gerichte
ist, abschließend über fremdes Staatsangehörigkeitsrecht zu befinden, liegt ei-
ne hinreichende Erfolgsaussicht schon dann vor, wenn der Antrag nach dem
Stand der ausländischen Rechtsprechung und Literatur nicht von vornherein
aussichtslos erscheint oder wenn maßgebliche ausländische Behörden - wie
hier die österreichische Regierung gegenüber dem Gerichtshof der Europäi-
schen Union - erklären oder erkennen lassen, dass sie den Antrag für nicht
aussichtslos halten. Eine hinreichende Erfolgsaussicht kann sich insoweit auch
daraus ergeben, dass das nationale Recht in Übereinstimmung mit dem Uni-
onsrecht auszulegen und anzuwenden ist. Das ausländische Recht kann im
Einzelfall auch dann gegen die Aussetzung des Rücknahmeverfahrens spre-
chen, wenn der endgültige Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit zweifels-
frei Voraussetzung für die Wiedererlangung der fremden Staatsbürgerschaft
und auch der Durchführung eines hierauf gerichteten Verfahrens ist. Unter Ver-
hältnismäßigkeitsgesichtspunkten sind darüber hinaus vor allem das private
Interesse an einem zeitweiligen Erhalt der Unionsbürgerschaftsrechte und das
öffentliche Interesse an einer zeitnahen Verbindlichkeit der mit der Rücknahme
verbundenen staatsangehörigkeitsrechtlichen Folgen einzelfallbezogen zu ge-
wichten und gegeneinander abzuwägen. Zu berücksichtigen ist dabei nament-
lich, wie frühzeitig sich der Betroffene um einen Rückerwerb seiner früheren
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Staatsbürgerschaft bemüht hat und ob er ihm zumutbare Möglichkeiten zur
Wiedererlangung ungenutzt verstreichen ließ.
Nach dem innerstaatlichen Recht haben zunächst die Verwaltungsbehörden
sicherzustellen, dass dem gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprin-
zip Rechnung getragen wird. Hierzu gehört nach dem Urteil des Gerichtshofs
der Europäischen Union (a.a.O. S. 512 Rn. 58) - wie ausgeführt - künftig auch
die Entscheidung, ob dem Betroffenen im Falle des drohenden Verlusts einer
bereits vor der erschlichenen Einbürgerung bestehenden Unionsbürgerschaft
eine angemessene Frist zur Wiedererlangung der früheren Staatsbürgerschaft
einzuräumen ist. Erfordert das Verhältnismäßigkeitsprinzip eine solche Frist,
kann im Einzelfall sinnvoll sein, diese bereits vor oder mit dem Erlass der Rück-
nahmeentscheidung festzusetzen.
cc) Da im Falle des Klägers beim Erlass der letzten Behördenentscheidung die
unionsrechtlichen Anforderungen insoweit noch nicht geklärt waren, hatte aus-
nahmsweise erst der erkennende Senat über die Einräumung einer weiteren
Frist zur Wiedererlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft zu entschei-
den.
Eine solche Frist ist hier nicht nachträglich einzuräumen, um die Verhältnismä-
ßigkeit der Rücknahme herzustellen oder zu wahren. Sie könnte zwar die Fol-
gen des Staatsangehörigkeitsentzugs im Hinblick auf den überschießenden
Verlust der Unionsbürgerschaft zumindest zeitweise abmildern. Mit seinem Sta-
tusfeststellungsantrag vom 26. September 2010 strebt der Kläger - dies ist zwi-
schen den Beteiligten nach der Erörterung in der mündlichen Verhandlung vor
dem Senat nicht mehr streitig - nunmehr auch ein Wiederaufleben der österrei-
chischen Staatsbürgerschaft ernsthaft an. Allerdings bewerten die Beteiligten
die Erfolgsaussichten dieses Begehrens unterschiedlich. Entgegen der Ansicht
des Beklagten ist es auch nicht offenkundig, dass eine rechtskräftige deutsche
Gerichtsentscheidung über die rückwirkende Rücknahme Voraussetzung für
eine dem Kläger günstige Entscheidung der österreichischen Staatsbürger-
schaftsbehörde ist.
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Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit ist eine (weitere) Frist hier schon deswe-
gen nicht einzuräumen, weil sich der Kläger nicht so früh wie möglich in zumut-
barer Weise um die Wiedererlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft
bemüht und einen entsprechenden Antrag gestellt hat. Jedenfalls der Vorlage-
beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Februar 2008 hätte dem
Kläger im Hinblick auf die zweite Vorlagefrage Anlass geben müssen, bei den
österreichischen Behörden ein Verfahren mit dem Ziel einzuleiten, dass die
kraft Gesetzes mit der Erlangung der deutschen Staatsangehörigkeit erlosche-
ne österreichische Staatsangehörigkeit mit der Rücknahme der Einbürgerung
wiederauflebt oder er diese sonst wiedererlangt. Spätestens jedoch nach der
Erklärung der Republik Österreich in der mündlichen Verhandlung vom
30. September 2009 vor dem Gerichtshof der Europäischen Union war dem
Kläger - auch von seinem Rechtsstandpunkt aus - ein entsprechender Antrag
bei den österreichischen Behörden zumutbar und abzuverlangen. Dem Kläger
stand mithin objektiv selbst dann, wenn nicht der gesamte Zeitraum der Dauer
der aufschiebenden Wirkung seiner Rechtsbehelfe berücksichtigt wird, bereits
eine mehr als angemessene Frist für den Versuch zur Verfügung, die österrei-
chische Staatsbürgerschaft wiederzuerlangen. Dies gilt außerdem selbst dann,
wenn erst auf den Erlass des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union
am 2. März 2010 abgestellt wird. Auch danach hat der Kläger noch mehr als ein
halbes Jahr verstreichen lassen, ehe er einen formell verfahrenseinleitenden
Antrag bei dem zuständigen Amt der steiermärkischen Landesregierung gestellt
hat.
Bei der gebotenen Berücksichtigung und Gewichtung sämtlicher relevanter
Umstände ist bei einzelfallbezogener Abwägung der privaten und öffentlichen
Interessen zur Sicherung der Verhältnismäßigkeit eine (weitere) Frist auch
sonst nicht geboten. Nach rund zehnjähriger Prozessdauer überwiegt das öf-
fentliche Interesse an einer zeitnahen Verbindlichkeit und Durchsetzung der
Rücknahmeentscheidung.
c) Die rückwirkende Rücknahme der Einbürgerung des Klägers ist auch im Üb-
rigen trotz der möglichen Folgen des Staatsangehörigkeitsentzugs auf die
unionsrechtliche Stellung des Klägers nicht unverhältnismäßig.
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Bei einem negativen Ausgang des eingeleiteten Wiedererlangungsverfahrens
würde der Kläger endgültig staatenlos und auch die Unionsbürgerschaft vor-
aussichtlich auf Dauer verlieren. Dies sind rechtlich gravierende Wirkungen, die
neben dem Verlust der unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechte auch den Be-
reich der über die Staats- bzw. Unionsbürgerschaft vermittelten politischen Teil-
habe erfassen und den Kläger als selbstständigen Unternehmensberater nach
seiner Entlassung aus der Haft wirtschaftlich hart treffen können.
Die Rücknahme hat andererseits keine nachteiligen Folgen auf seine Ehefrau
oder etwaige sonstige Familienangehörige. Auch als Staatenloser genießt der
Kläger nach nationalem Recht einen hinreichenden Aufenthaltsschutz. Ebenso
verbleibt ihm - wie der Beklagte zutreffend ausgeführt hat - aufgrund seiner Ehe
mit einer Deutschen ein relativ gesicherter Aufenthaltsstatus mit Ausreise- und
Rückkehrmöglichkeiten. Dies mildert im Ergebnis die mit dem Verlust der
Unionsbürgerschaft verbundenen nachteiligen Folgen, die letztlich auf dem ei-
genen Verhalten des Klägers beruhen.
Der von ihm im Einbürgerungsverfahren begangene Pflichtverstoß war entge-
gen der Auffassung des Klägers von erheblichem Gewicht, das er auch nicht
durch Zeitablauf verloren hat. Die Obliegenheit zur Anzeige anhängiger Ermitt-
lungs- und Strafverfahren trägt der Bedingungsfeindlichkeit der Einbürgerung
Rechnung, die deswegen auf klare Entscheidungsgrundlagen angewiesen ist
(s. Berlit in: GK-StAR, Stand November 2010, § 12a Rn. 78). Sie soll den Staat
von der Verpflichtung zur Einbürgerung solcher Ausländer freistellen, die mit
Rücksicht auf die Begehung von gewichtigen Straftaten die deutsche Staatsan-
gehörigkeit nicht verdienen oder bei denen dies jedenfalls möglich erscheint
(BVerfG [Kammer], Beschluss vom 22. Dezember 1993 - 2 BvR 2632/93 -
NJW 1994, 2016 <2016 f.>). Gesichert wird das Einbürgerungserfordernis der
Unbescholtenheit (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG ; § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5,
§ 12a StAG), dem der nationale Gesetzgeber bei der Einbürgerung erhebliches
Gewicht beigemessen hat. Der Kläger hat seine Wahrheitspflicht in doppelter
Weise verletzt, indem er - wie bereits ausgeführt - sowohl das gegen ihn lau-
fende österreichische als auch das deutsche Ermittlungsverfahren arglistig ver-
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schwiegen hat. Die Schwere dieses Rechtsverstoßes ist auch daran zu erken-
nen, dass ein solches Verhalten nunmehr nach § 42 StAG strafbar wäre. Nach
Art. 7 Abs. 1 Buchstabe b, Abs. 3 Europäisches Übereinkommen über die
Staatsangehörigkeit (BGBl 2004 II S. 578; BGBl 2006 II S. 1351) ist der Erwerb
der Staatsangehörigkeit des Vertragsstaates durch arglistiges Verhalten, fal-
sche Angaben oder die Verschleierung einer erheblichen Tatsache, die dem
Antragsteller zuzurechnen ist, der einzige Fall, in dem ein Vertragsstaat in sei-
nem innerstaatlichen Recht den Verlust der Staatsangehörigkeit auch dann vor-
sehen darf, wenn der Betreffende dadurch staatenlos wird. Hierauf hat auch der
Gerichtshof der Europäischen Union Bezug genommen (EuGH a.a.O. Rn. 15,
52 und 54). Der Einwand schließlich, dass das österreichische Ermittlungsver-
fahren unter Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 EMRK von der dortigen Behörde nicht
zu Ende geführt werde und dass das deutsche Verfahren mittlerweile nach
§ 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei, vermag das Gewicht des Rechtsver-
stoßes im Nachhinein nicht zu relativieren. Zum Zeitpunkt der Einbürgerung im
Jahr 1999 lag beim österreichischen Ermittlungsverfahren die behauptete über-
lange Verfahrensdauer noch nicht vor, und das deutsche Ermittlungsverfahren
war noch nicht eingestellt, so dass die Einbürgerung unzweifelhaft zurückzustel-
len gewesen wäre. Später wurde das Ermittlungsverfahren eingeleitet, das zur
Verurteilung des Klägers zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 8 Monaten
führte, so dass er zu keinem Zeitpunkt rechtmäßig hätte eingebürgert werden
können. Angesichts der Schwere des Rechtsverstoßes und der vergleichsweise
kurzen Zeitspanne zwischen Einbürgerung und Rücknahme erscheint der
Staatsangehörigkeitsentzug auch bei Berücksichtigung der unionsrechtlichen
Folgen für den Kläger insgesamt nicht unverhältnismäßig.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Hund
Prof. Dr. Berlit
Stengelhofen
Dr. Störmer
Dr. Häußler
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- 16 -
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 10 000 €
festgesetzt (§ 47 Abs. 1, Abs. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG).
Hund
Prof. Dr. Berlit
Dr. Häußler
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Staatsangehörigkeitsrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
EG
Art. 17 Abs. 1
BayVwVfG
Art. 48 Abs. 1 Satz 1
VwGO
§ 114 Satz 2, § 144 Abs. 6
StAG
§ 35
Stichworte:
Einbürgerungsrücknahme; Ermessensergänzung; Erschleichung der Einbürge-
rung durch Täuschung; Mitgliedstaat der Europäischen Union; Wiedererlangung
der Staatsangehörigkeit; Rücknahme der Einbürgerung; Staatenlosigkeit durch
Rücknahme der Einbürgerung; Staatsbürgerschaft, Wiedererlangung der ur-
sprünglichen -; Täuschung, bewusste, bei Einbürgerung; Unionsbürgerschaft;
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz; Verlust der Unionsbürgerschaft.
Leitsätze:
1. Wird eine Einbürgerung durch Täuschung erschlichen, dann verstößt es
grundsätzlich nicht gegen Unionsrecht - insbesondere Art. 17 EG (= Art. 18
AEUV) -, wenn ein Mitgliedstaat einem Unionsbürger die durch Einbürgerung
erworbene Staatsangehörigkeit wieder entzieht, vorausgesetzt die Rücknahme-
entscheidung wahrt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (EuGH, Urteil vom
2. März 2010 - C-135/08 - NVwZ 2010, 509 <512> Rn. 59). Dies gilt auch, wenn
der Betroffene dadurch staatenlos werden und die Unionsbürgerschaft verlieren
kann.
2. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann es erforderlich machen, dem
Betroffenen eine Frist für den Versuch der Wiedererlangung einer vor der Ein-
bürgerung bestehenden Staatsbürgerschaft einzuräumen.
Urteil des 5. Senats vom 11. November 2010 - BVerwG 5 C 12.10
I. VG München vom 12.02.2001 - Az.: VG M 25 K 00.3348 -
II. VGH München vom 25.10.2005 - Az.: VGH 5 B 03.2462 -