Urteil des BVerwG vom 10.04.2008

Russland, Berufsausübung, Übersiedlung, Staatsprüfung

Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Ausbildungsförderungsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquelle:
BAföG § 7 Abs. 1 Satz 2, § 17 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Satz 2
Stichworte:
Andere Ausbildung; Ausbildungsabbruch, Verzicht auf die Nutzung eines im
Ausland berufsqualifizierenden Studienabschlusses als -; Ausbildungsförderung
trotz berufsqualifizierenden Abschlusses im Herkunftsland; Ausland, Förderung
einer anderen Ausbildung trotz Erlangung eines berufsqualifizierenden Ab-
schlusses im -; Ehe mit einem Deutschen als wichtiger/unabweisbarer Grund
für die Aufgabe einer durch berufsqualifizierenden Studienabschluss im Ausland
erlangten Berufsperspektive; unabweisbarer Grund, Ehe mit einem Deutschen
als - für einen Abbruch der ausländischen Berufsperspektive.
Leitsätze:
1. § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG gilt nicht für im Ausland berufsqualifizierende Aus-
bildungsabschlüsse, die ausländische Ehegatten deutscher Staatsangehöriger
vor der Eheschließung im Herkunftsland erworben haben (im Anschluss an Ur-
teil vom 31. Oktober 1996 - BVerwG 5 C 21.95 - BVerwGE 102, 200 ff.).
2. Die Aufnahme eines anderen Studienfaches in Deutschland nach berufsqua-
lifizierendem Ausbildungsabschluss im Ausland ist förderungsrechtlich als an-
dere Ausbildung im Sinne von § 7 Abs. 3 Satz 1 BAföG nach erfolgtem Abbruch
zu bewerten.
3. Die in Deutschland geführte Ehe stellt - für sich allein genommen - förde-
rungsrechtlich keinen unabweisbaren Grund im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 2
BAföG dar. Soweit die im Ausland abgeschlossene andere Ausbildung einer
inländischen gleichwertig ist, ist daher eine Anrechnung von im Ausland ver-
brachten Studiensemestern gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG vorzuneh-
men.
Urteil des 5. Senats vom 10. April 2008 - BVerwG 5 C 12.07
VG Hamburg vom 15.12.2006 - Az.: VG 8 K 3047/05 -
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 5 C 12.07
VG 8 K 3047/05
Verkündet
am 10. April 2008
Wahl
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 10. April 2008
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Franke, Dr. Brunn,
Prof. Dr. Berlit und Prof. Dr. Kraft
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Ver-
waltungsgerichts Hamburg vom 15. Dezember 2006 auf-
gehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Ent-
scheidung an das Verwaltungsgericht Hamburg zurück-
verwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussent-
scheidung vorbehalten.
G r ü n d e :
I
Die am 30. Dezember 1975 in Omsk geborene Klägerin, eine russische Staats-
angehörige, ist mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet. Sie begehrt
die Umwandlung der ihr als Bankdarlehen gewährten Förderung ihres in
Hamburg aufgenommenen Studiums in eine Förderung durch hälftigen Zu-
schuss gemäß § 17 Abs. 2 BAföG.
Die Klägerin hat vor ihrer am 24. Juli 1998 erfolgten Eheschließung von Sep-
tember 1993 bis Juni 1998 an der staatlichen Universität Omsk studiert, die ihr
am 15. Juni 1998 die Qualifikation „Philologin. Hochschullehrerin“ mit einem
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Diplom verliehen hat. Laut Bescheinigung der Behörde für Schule, Jugend und
Berufsbildung der Beklagten - Amt für Schule - vom 3. März 1999 entspricht
dieses Diplom einer Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an der Oberstufe
- Allgemeinbildende Schulen - für das Unterrichtsfach Russisch; eine weiterge-
hende Anerkennung der Ausbildung sei nicht möglich. Um die in Russland er-
worbene Lehrbefähigung im Sinne einer Ersten Staatsprüfung für das Lehramt
an der Oberstufe - Allgemeinbildende Schulen - zu vervollständigen, bedürfe es
noch des Studiums und der Prüfung im Fach Erziehungswissenschaft und in
einem zweiten Unterrichtsfach. Daran wäre noch eine zweijährige Vorberei-
tungszeit mit abschließender Zweiter Staatsprüfung anzuschließen.
Am 17. Mai 2005 beantragte die Klägerin die Bewilligung von Studienförderung
für das Studium „Inter. Stud (Re, Wi, Soz. W)“ an der Universität Hamburg. Die
Beklagte bewilligte ihr mit Bescheid vom 26. Mai 2005 dem Grunde nach Leis-
tungen gemäß § 7 Abs. 2 Satz 2 BAföG für eine Höchstförderungsdauer von
sechs Semestern und mit weiterem Bescheid vom 7. Juni 2005 Leistungen in
Form eines verzinslichen Bankdarlehens gemäß § 18c BAföG in Höhe von
490 € monatlich für den Zeitraum von Mai 2005 bis März 2006. Daraufhin
schloss die Klägerin am 7. Juni 2005 einen formularmäßigen Darlehensvertrag
mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Mit ihrem gegen die Bescheide einge-
legten Widerspruch machte sie geltend, ihrem Förderungsanspruch werde
durch die bewilligten Leistungen nicht genügt. Die in Russland abgeschlossene
Ausbildung sei nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG berücksichtigungsfähig, und
bei der in Deutschland aufgenommenen anderen Ausbildung liege ein Ausbil-
dungsabbruch bzw. Fachrichtungswechsel aus unabweisbarem Grund vor.
Auf die nach Erfolglosigkeit des Widerspruchs erhobene Klage hat das Verwal-
tungsgericht die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide, so-
weit sie dem entgegenstehen, verurteilt, der Klägerin Förderung gemäß § 17
Abs. 2 Satz 1 BAföG im Wege des Teildarlehens zu bewilligen. Zur Begründung
hat es im Wesentlichen ausgeführt:
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Der Klägerin stehe entweder Förderung für eine erste Ausbildung gemäß § 7
Abs. 1 Satz 1 BAföG zu mit der Konsequenz, dass § 17 Abs. 2 Satz 1 BAföG
anzuwenden sei, oder aber Förderung für eine andere Ausbildung gemäß § 7
Abs. 3 BAföG. Auch in diesem Fall richte sich die Förderung der Klägerin nach
§ 17 Abs. 2 Satz 1 BAföG. § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG sei im Falle der Klä-
gerin nicht anwendbar, da sie die Ausbildung aus unabweisbarem Grund ab-
gebrochen bzw. die Fachrichtung gewechselt habe (vgl. § 17 Abs. 3 Satz 2
BAföG); mit Blick auf den Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) könne
sie nicht auf eine Berufsausübung in Russland verwiesen werden, wo ihr Ab-
schluss berufsqualifizierend sei.
Auch § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG stehe einem Anspruch auf Förderung einer Erst-
ausbildung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG nicht entgegen. Zwar habe die Klä-
gerin einen in Russland zur Berufsausübung qualifizierenden Ausbildungsab-
schluss erlangt, doch sei diese Bestimmung nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts nur auf solche berufsqualifizierende Ausbildungs-
abschlüsse im Ausland anzuwenden, für die sich der Studierende aufgrund ei-
ner freien Wahl zwischen einer Ausbildung in Deutschland und der im Ausland
entschlossen habe; nicht bezweckt sei, solche Studierende von der Förderung
einer Erstausbildung auszuschließen, welche eine solche freiwillige Entschei-
dung für eine Ausbildung im Ausland nicht hätten treffen können. An einer Ent-
scheidungsmöglichkeit fehle es auch bei ausländischen Ehegatten deutscher
Staatsangehöriger, die ihre Berufsausbildung bereits vor Eheschließung im
Heimatland absolviert hätten. Vor der Eheschließung habe die Klägerin keine
Möglichkeit zur Ausbildung in Deutschland gehabt, so dass in ihrem Falle nicht
von einer freien Wahlmöglichkeit auszugehen sei. Ob das in Russland absol-
vierte Studium einer Inlandsausbildung förderungsrechtlich gleichzustellen sei,
könne dahingestellt bleiben.
Mit ihrer Sprungrevision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 17 Abs. 2
Satz 1, § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG. Sie macht geltend, § 7 Abs. 1 Satz 2
BAföG sei mit Blick auf die in Russland berufsqualifizierend abgeschlossene
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Philologieausbildung anwendbar. Da die Klägerin bei Ergänzung ihres in Russ-
land erworbenen Abschlusses als Lehrerin an Allgemeinbildenden Schulen hät-
te arbeiten können, liege ein unabweisbarer Grund für den Fachrichtungswech-
sel bzw. Abbruch nicht vor.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.
Der Vertreter des Bundesinteresses bei dem Bundesverwaltungsgericht hat auf
seine Beteiligung an dem Verfahren verzichtet.
II
Die Revision ist im Sinne einer Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz
begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht (§ 137
Abs. 1 Nr. 1 VwGO), indem es für den geltend gemachten Anspruch der Kläge-
rin auf Ausbildungsförderung im Wege des hälftigen Darlehens (§ 17 Abs. 2
BAföG) mit Blick auf die Anspruchsgrundlage aus § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
BAföG (andere Ausbildung) die Ehe der Klägerin mit einem deutschen Staats-
angehörigen für sich allein genommen als „unabweisbaren Grund“ im Sinne von
§ 17 Abs. 3 Satz 2 BAföG bewertet und daher nicht geprüft hat, in welchem
Umfang - bei Gleichwertigkeit der bereits in Russland abgeschlossenen Ausbil-
dung mit einer entsprechenden Ausbildung in Deutschland - gemäß § 17 Abs. 3
Satz 1 Nr. 2 BAföG eine Anrechnung vorzunehmen gewesen wäre. Da sich dies
auf der Grundlage des vom Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhalts
nicht feststellen lässt, ist die Zurückverweisung geboten (§ 144 Abs. 3 Satz 1
Nr. 2 VwGO). Der Senat sieht keinen Anlass für eine Zurückverweisung an das
Oberverwaltungsgericht (§ 144 Abs. 5 VwGO).
1. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG wird Ausbildungsförderung für zumindest drei
Schul- und Studienjahre einer berufsbildenden Ausbildung im Sinne der §§ 2
und 3 bis zu einem daran anschließenden berufsqualifizierenden Abschluss
geleistet. Nach Satz 2 ist berufsqualifizierend ein Ausbildungsabschluss auch
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dann, wenn er im Ausland erworben wurde und dort zur Berufsausübung befä-
higt.
Entgegen der Auffassung der Revision braucht die Klägerin sich förderungs-
rechtlich auf die in Russland abgeschlossene berufsqualifizierende Ausbildung
als Hochschullehrerin, deren Abschluss in der Bundesrepublik Deutschland
nicht als gleichwertig anerkannt wird (§ 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG), nicht nach § 7
Abs. 1 Satz 2 BAföG verweisen zu lassen. Die Anwendung dieser Bestimmung
setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts voraus, dass
der Förderungsbewerber, der im Ausland einen dort berufsqualifizierenden
Ausbildungsabschluss erworben hat, sich bei offener Möglichkeit einer Ausbil-
dung im Inland für eine Ausbildung im Ausland entschieden hat (vgl. grundle-
gend Urteil vom 31. Oktober 1996 - BVerwG 5 C 21.95 - BVerwGE 102, 200).
Entgegen der Auffassung der Revision sind diese Grundsätze, an denen der
erkennende Senat festhält, nicht nur auf Vertriebene anwendbar, welche mit der
Aufnahme im Bundesgebiet als Deutsche im Sinne des Grundgesetzes nach
§ 8 Abs. 1 Nr. 1 BAföG förderungsberechtigt geworden sind, sondern auch auf
ausländische Ehegatten von Deutschen (§ 8 Abs. 1 Nr. 7 BAföG). Wie der
Senat in der genannten Entscheidung dargelegt hat, ist die durch das
15. BAföG-Änderungsgesetz vom 19. Juni 1992 (BGBl I S. 1062) eingeführte
Bestimmung des § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG ausweislich der Gesetzesentwurfs-
begründung der Bundesregierung (BTDrucks 12/2108, S. 18) in Reaktion auf
die - seit dem Urteil vom 30. April 1981 (- BVerwG 5 C 36.79 - BVerwGE 62,
174) - ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erfolgt, nach
welcher eine im Ausland durchlaufene Ausbildung nur dann als Erstausbildung
im Sinne von § 7 Abs. 1 BAföG a.F. beachtlich war, wenn sie zu einer entspre-
chenden Berufstätigkeit auch im Inland befähigte. Mit der Einfügung des Sat-
zes 2 sollte „eine Ungleichbehandlung zu vergleichbaren Inlandsfällen“ vermie-
den werden, welche darin gesehen wurde, dass sonst „Auszubildende, die sich
zunächst für eine im Ausland angebotene Ausbildung entschieden haben, unter
Berufung auf eine fehlende oder nicht gleichwertige Anerkennung im Inland
bzw. eine fehlende Verwertbarkeit der Berufsqualifikation die Förderung einer
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weiteren Ausbildung verlangen können, ohne an die einschränkenden Voraus-
setzungen des § 7 Abs. 2 BAföG gebunden zu sein“. Im Hinblick auf diese be-
schränkte Zielsetzung hat das Bundesverwaltungsgericht § 7 Abs. 1 Satz 2
BAföG im Falle eines Vertriebenen einschränkend dahingehend ausgelegt,
dass sie nur diejenigen Auszubildenden betreffe, die sich bei offener Möglich-
keit einer Ausbildung im Inland für eine Ausbildung im Ausland entschieden
haben (vgl. Urteile vom 31. Oktober 1996 a.a.O. und vom 17. April 1997
- BVerwG 5 C 5.96 - Buchholz 436.36 § 7 BAföG Nr. 116 = DVBl 1997, 1436).
Hingegen sei es nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen, Auszubildende
von der Ausbildungsförderung auszuschließen, wenn eine solche freiwillige
Entscheidung für eine Ausbildung im Ausland nicht möglich gewesen sei. Diese
nur begrenzte Intention des Gesetzgebers, der mit der Einfügung des Satzes 2
in § 7 Abs. 1 BAföG auf eine spezielle Förderungsproblematik reagiert habe,
gebiete es, die Bestimmung entsprechend ihrem Maßnahmezweck einschrän-
kend auszulegen.
Diese Erwägungen beanspruchen Geltung nicht nur für Vertriebene, sondern
auch für andere Fallkonstellationen, bei denen der Auszubildende keine Wahl-
möglichkeit zwischen einer Inlands- oder einer Auslandsausbildung hatte. An
einer derartigen offenen Wahlmöglichkeit in diesem Sinne fehlt es bei den in
Tz 7.2.22b BAföG-VwV genannten Personengruppen wie etwa Spätaussiedlern
und Asylberechtigten und auch bei solchen ausländischen Ehegatten deutscher
Staatsangehöriger, die vor der Eheschließung und Übersiedlung in das Bun-
desgebiet nicht die Möglichkeit hatten, eine Ausbildung in Deutschland zu wäh-
len. Wie auch die aufenthaltsrechtlichen Familiennachzugsbestimmungen (vgl.
§§ 27 ff. Aufenthaltsgesetz) zeigen, ist davon auszugehen, dass ausländischen
Ehegatten deutscher Staatsangehöriger zur Herstellung bzw. Wahrung der von
Art. 6 Abs. 1 GG geschützten ehelichen Lebensgemeinschaft grundsätzlich ein
Anspruch auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet zusteht. Sie haben mit
den oben genannten Personengruppen gemeinsam, dass ihnen der Verbleib in
ihrem bisherigen Heimatland nicht zugemutet wird, so dass der von ihnen im
Heimatland erworbene und dort als berufsqualifizierend zu bewertende Ausbil-
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dungsabschluss nur dann auch als im Bundesgebiet förderungsrechtlich be-
achtlicher Ausbildungsabschluss zu werten ist, wenn er hier als zu einer Be-
rufsausübung befähigender, gleichwertiger Abschluss anerkannt wird.
Greift die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG demnach nicht zu Lasten der
Klägerin ein, liegt eine berufsqualifizierende abgeschlossene Ausbildung im
Sinne des § 7 Abs. 1 BAföG nicht vor. Dies schließt - entgegen der Annahme
der Revision - aus, bei der von der Klägerin im Förderungszeitraum betriebenen
Ausbildung habe es sich um eine weitere Ausbildung im Sinne des Abs. 2 die-
ser Bestimmung gehandelt, für welche ausschließlich eine Förderung durch
Bankdarlehen vorgesehen ist (§ 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG).
2. Dies hat jedoch nicht zur Folge, dass das in Russland absolvierte Studium
förderungsrechtlich ohne Bedeutung wäre. § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG regelt, wo-
von auch das angefochtene Urteil ausgeht, nur die Gleichstellung in- und aus-
ländischer Abschlüsse; darüber hinausweisende normative Aussagen - etwa
dahingehend, dass die Studien- und Ausbildungszeiten im Ausland nicht anzu-
rechnen seien - sind ihr nicht zu entnehmen (vgl. Urteil vom 4. Dezember 1997
- BVerwG 5 C 28.97 - BVerwGE 106, 5 <8>). Dass ein im Ausland erworbener
Ausbildungsabschluss, der nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG als gleichwerti-
ger berufsqualifizierender Abschluss anerkannt ist, mangels freier Wahlmög-
lichkeit für ein Inlandsstudium der Gewährung von Ausbildungsförderung nicht
nach § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG entgegensteht, bedeutet insbesondere nicht,
dass auch der durch die Auslandsausbildung erlangte Ausbildungsstand des
Auszubildenden und die dort von ihm erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten
förderungsrechtlich als nicht existent zu fingieren wären und der Auszubildende
in vollem Umfange wie ein Ausbildungsanfänger zu stellen wäre. Die teleologi-
sche Reduktion des § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG soll eine vom Gesetzgeber nicht
bezweckte Schlechterstellung von Personen mit im Ausland erworbenen be-
rufsqualifizierenden Abschlüssen vermeiden, nicht aber eine sachlich nicht ge-
rechtfertigte Begünstigung dieses Personenkreises im Vergleich zu Ausbil-
dungsanfängern bewirken, die noch keine entsprechenden Kenntnisse und Fä-
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higkeiten erworben haben (BVerwG, Urteil vom 4. Dezember 1997 a.a.O.). Das
in Russland absolvierte Studium der Klägerin ist förderungsrechtlich daher nicht
ohne Bedeutung, sondern in wertender Betrachtung in den systematischen Zu-
sammenhang der Förderungsansprüche und Beschränkungen einzuordnen,
denen auch ein deutscher Förderungsbewerber unterliegt.
Danach stellt sich das in Deutschland aufgenommene Studium als eine „andere
Ausbildung“ im Sinne des § 7 Abs. 3 Satz 1 BAföG dar. Zwar ist das Studium
der Klägerin in Russland von ihr bereits abgeschlossen worden, so dass ein
„Abbruch“ im Sinne dieser Vorschrift streng genommen nicht mehr möglich ist.
Doch steht die mit der Übersiedlung nach Deutschland verbundene Aufgabe
der mit dem russischen Philologiestudium verbundenen russischen Berufsper-
spektive förderungsrechtlich einem Studienabbruch näher als einem - im Zeit-
punkt der Übersiedlung noch völlig offenen - Fachrichtungswechsel.
§ 7 Abs. 3 BAföG macht den Anspruch auf Förderung einer „anderen Ausbil-
dung“ davon abhängig, dass der Auszubildende die (bisherige) Ausbildung aus
wichtigem oder unabweisbarem Grund abgebrochen hat, und beschränkt für
Hochschulausbildungen die Förderungsvoraussetzung des wichtigen Grundes
auf die Zeit bis zum Beginn des vierten Fachsemesters. Allerdings findet gemäß
Absatz 4 für Auszubildende, die die abgebrochene Ausbildung vor dem
1. August 1996 begonnen haben, Absatz 3 Satz 1 in der am 31. Juli 1996 gel-
tenden Fassung Anwendung, welche einen wichtigen Grund für den Ausbil-
dungsabbruch ohne zeitliche Beschränkung auf die ersten drei Fachsemester
zuließ. Die Frage, ob die Klägerin danach auf einen „wichtigen“ oder einen „un-
abweisbaren“ Grund angewiesen ist, braucht hier nicht vertieft zu werden, denn
aus dem von Art. 6 Abs. 1 GG umschlossenen Recht der Eheleute auf freie
Wahl des Familienwohnsitzes im Bundesgebiet ergibt sich, dass mit der Ehe-
schließung der Klägerin und der Entscheidung für die Führung der Ehe in
Deutschland ein legitimierender unabweisbarer Grund dafür vorlag, auf die
durch die Philologieausbildung eröffneten beruflichen Perspektiven in Russland
zu verzichten. Insoweit kann auf die vom Verwaltungsgericht genannte, zum
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Begriff des wichtigen Grundes in § 7 Abs. 3 BAföG F. 1993 ergangene Ent-
scheidung des Senats vom 23. September 1999 - BVerwG 5 C 19.98 -
(Buchholz 436.36 § 7 BAföG Nr. 119) Bezug genommen werden, wonach die
Bedeutung des von Art. 6 Abs. 1 GG normierten Schutzes von Ehe und Familie,
welche auch die freie Wahl des Familienwohnsitzes umfasst, es ausschließt,
daran förderungsrechtliche Sanktionen zu knüpfen. Mit ihrer grundrechtlich
geschützten und förderungsrechtlich hinzunehmenden Entscheidung, die Ehe
im Bundesgebiet zu führen, bestand für die Klägerin eine Situation, die die Wahl
zwischen der Fortsetzung der bisherigen Ausbildung (bzw. ihrer Ausnutzung
durch eine Berufstätigkeit in Russland) und ihrem Abbruch oder dem
Überwechseln in eine andere Ausbildung nicht zuließ (zum Begriff des unab-
weisbaren Grundes i.S.d. § 7 Abs. 3 BAföG s.a. Urteil vom 19. Februar 2004
- BVerwG 5 C 6.03 - BVerwGE 120, 149).
3. Damit ist jedoch nicht entschieden, dass die in Deutschland geführte Ehe
auch im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 2 BAföG als unabweisbarer Grund zu wer-
ten ist. Anders als im Zusammenhang mit § 7 Abs. 3 BAföG geht es hier nicht
um die Frage, ob die Klägerin förderungsrechtlich auf eine Berufstätigkeit in
Russland verwiesen werden kann, sondern allein um die Frage, in welcher
Form das in Deutschland aufgenommene Studium zu fördern ist. Während bei
einem aus „wichtigem Grund“ erfolgten Studienabbruch gemäß § 17 Abs. 3
Satz 1 Nr. 2 BAföG eine Förderung als Bankdarlehen nach § 18c BAföG vorge-
sehen ist, soweit für die andere Ausbildung nach § 7 Abs. 3 „die Semesterzahl
der hierfür maßgeblichen Förderungshöchstdauer, die um die Fachsemester
der vorangegangenen nicht abgeschlossenen Ausbildung zu kürzen ist“, über-
schritten wird, gilt dies gemäß Abs. 3 Satz 2 dieser Bestimmung dann nicht,
wenn der Auszubildende die Ausbildung aus „unabweisbarem Grund“ abgebro-
chen hat. Insoweit kann entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts
nicht davon ausgegangen werden, dass die Eheschließung mit einem Deut-
schen und die Begründung des Ehewohnsitzes in Deutschland, die es aus-
schließen, die Klägerin förderungsrechtlich auf eine Berufstätigkeit in Russland
zu verweisen, es deshalb auch geböten, sie von der vorgesehenen förderungs-
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rechtlichen Anrechnung der Fachsemester der vorangegangenen Ausbildung
freizustellen. Grundsätzlich sind im Ausland verbrachte Ausbildungszeiten bei
einer Inlandsausbildung förderungsrechtlich zu berücksichtigen, wenn die aus-
ländische Ausbildungsstätte den inländischen Ausbildungsstätten nach Zu-
gangsvoraussetzungen, Art und Inhalt der Ausbildung sowie dem vermittelten
Ausbildungsabschluss vergleichbar bzw. gleichwertig ist (vgl. Urteile vom 4. De-
zember 1997 - BVerwG 5 C 3.96 - BVerwGE 106, 1 <3 f.> und - BVerwG 5 C
28.97 - BVerwGE 106, 5 <10>). Das muss auch hier gelten; Art. 6 Abs. 1 GG
steht einer danach ggf. vorzunehmenden Anrechnung nicht entgegen.
Der Klägerin steht danach gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG nur so lange
ein Anspruch auf Förderung im Umfang des § 17 Abs. 2 BAföG zu, wie die
Semesterzahl der für die andere Ausbildung maßgeblichen Förderungshöchst-
dauer, die um die Fachsemester der vorangegangenen, nicht abgeschlossenen
Ausbildung zu kürzen ist, nicht überschritten wird. Da auf der Grundlage der
bisherigen Feststellungen des Verwaltungsgerichts ungeklärt ist, wie viele Se-
mester der russischen Philologieausbildung als gleichwertig anzurechnen wä-
ren, ist die Sache zurückzuverweisen.
Hund Dr. Franke Dr. Brunn
Prof. Dr. Berlit Prof. Dr. Kraft
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