Urteil des BVerwG vom 23.04.2015

Unternehmen, Unwürdigkeit, Enteignung, Mehrheitsbeteiligung

BVerwGE: ja
Fachpresse: ja
Sachgebiet:
Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsrecht mit Ausnahme
der Klagen auf Feststellung der Entschädigungsberechtigung
Rechtsquelle/n:
AusglLeistG § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 4, Abs. 4
Alt. 3
VermG § 1 Abs. 6 und 8 a
VwGO § 137 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1
ZPO § 100 Abs. 1 Satz 1
Titelzeile:
Ausschluss von Ausgleichsleistungen bei
Unternehmensunwürdigkeit
Stichworte:
Ausgleichsleistungen; entschädigungslose Enteignung; Gesellschaftsvermögen;
Kommanditgesellschaft; erhebliches Vorschubleisten; nationalsozialistisches
System; Unternehmensunwürdigkeit; Anknüpfungspunkt; Verhalten des
Unternehmens; Prüfungsrahmen; Verhalten des Anteilseigners; objektive
Voraussetzungen; subjektive Voraussetzungen; unterstützende Tätigkeit;
objektive Zuordnung; subjektive Zuordnung; unwürdiges Verhalten;
ausschließliche Außensteuerung; Wissen und Wollen; willentliches Handeln;
Konnexität; Schädigungsobjekt; Ausgleichsleistungsanspruch; individuelle
Unwürdigkeit; Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts; nachhaltige
und vollständige Wiedergutmachung; Ausnahmen; Zurechnung der
Unternehmensunwürdigkeit; nachgewiesenes regimeschädliches Verhalten;
wertende Gesamtbetrachtung; unausweichliche Zwangslage.
Leitsatz:
Für die Unternehmensunwürdigkeit gemäß § 1 Abs. 4 AusglLeistG ist es
erforderlich, aber auch ausreichend, dass die den jeweiligen
Ausschlusstatbestand erfüllenden Handlungen dem Unternehmen als solchem
zugeordnet werden können. Das Verhalten des einzelnen Anteilseigners ist für
die Tatbestandserfüllung ohne Belang.
Urteil des 5. Senats vom 23. April 2015 - BVerwG 5 C 10.14
I. VG Dresden vom 14. August 2013
Az: VG 6 K 1099/10
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 5 C 10.14
VG 6 K 1099/10
Verkündet
am 23. April 2015
...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 23. April 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer und Dr. Fleuß sowie
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Harms
für Recht erkannt:
Revision der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsge-
richts Dresden vom 14. August 2013 wird zurückgewie-
sen.
Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens
G r ü n d e :
I
Die Kläger begehren als Erben ehemaliger Gesellschafter der Edgar H. & Co.
KG in L. Ausgleichsleistungen nach dem Ausgleichsleistungsgesetz für die ent-
schädigungslose Enteignung des Gesellschaftsvermögens.
Die Edgar H. & Co. KG betrieb ein Druck- und Verlagshaus, das bis Kriegsende
die Tageszeitung "L. Neuesten Nachrichten" (LNN) herausgab. Nach den Wah-
len 1933 wurde im Zuge der Gleichschaltung des Pressewesens auf die Her-
ausgeber und die Schriftleitung der LNN wegen ihrer politischen Haltung erheb-
licher Druck ausgeübt, der 1936 in die Einleitung eines Verfahrens zum Aus-
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schluss der Verlagsinhaber aus der Reichspressekammer wegen politischer
Unzuverlässigkeit mündete. Um dem damit verbundenen Verbot jeglicher verle-
gerischer Tätigkeit zu entgehen, räumten die Rechtsvorgänger der Kläger im
August 1936 der Tochter eines NSDAP-eigenen Verlags eine Mehrheitsbeteili-
gung an der Kommanditgesellschaft von 51 % der Anteile ein. Jedenfalls von
diesem Zeitpunkt an unterstützte und förderte die LNN in ihren Leitartikeln die
nationalsozialistische Politik.
Ende 1945 wurde das Vermögen der Edgar H. & Co. KG auf der Grundlage des
Befehls Nr. 124 der SMAD vom 30. Oktober 1945 beschlagnahmt, der KPD zur
Nutzung zugewiesen und später über die Liste A des Landes S., Stadt L., lfd.
Nr. ... in Volkseigentum überführt. Im März 1947 wurde die Firma im Handels-
register gelöscht.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 5. Juni 1992 wurde festgestellt, dass der
Edgar H. & Co. KG wegen des Verlustes der Mehrheitsbeteiligung Ansprüche
gemäß § 1 Abs. 6 VermG zustehen. Die Entschädigung wurde 1996 aufgrund
einer gütlichen Einigung mit der früheren Treuhand geleistet.
Mit Bescheid vom 10. Dezember 2004 lehnte das zuständige Landesamt zur
Regelung offener Vermögensfragen den Antrag der Kläger auf Gewährung von
Ausgleichsleistungen nach dem Ausgleichsleistungsgesetz für die spätere ent-
schädigungslose Enteignung des Vermögens der Gesellschafter ab. Die Ge-
währung von Ausgleichsleistungen sei nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG ausge-
schlossen, weil die Edgar H. & Co. KG nach dem Eintritt der Tochter eines
NSDAP-eigenen Verlags dem nationalsozialistischen System erheblichen Vor-
schub geleistet habe.
Das Verwaltungsgericht wies die dagegen gerichtete Klage ab. Die Edgar H. &
Co. KG habe als Herausgeberin der LNN jedenfalls seit August 1936 durch die
Art und Weise ihrer Berichterstattung dem nationalsozialistischen System er-
heblich Vorschub geleistet. Dieses Auftreten und Vorgehen des Unternehmens
sei den Rechtsvorgängern der Kläger zuzurechnen, da es maßgeblich auf das
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Handeln des Unternehmens an sich ankomme und eine ausschließliche Au-
ßensteuerung, die die Zurechnung ausschließen könnte, nicht vorliege.
Mit ihrer Revision verfolgen die Kläger ihr Begehren auf Gewährung von Aus-
gleichsleistungen weiter. Sie rügen eine Verletzung von § 1 Abs. 4 AusglLeistG.
Ihre Rechtsvorgänger erfüllten selbst weder den objektiven noch den subjekti-
ven Tatbestand eines erheblichen Vorschubleistens im Sinne dieser Bestim-
mung. Das erhebliche Vorschubleisten des Unternehmens könne ihnen nicht
entgegengehalten werden, da sie die Mehrheitsbeteiligung durch eine national-
sozialistische Verfolgungsmaßnahme verloren hätten.
Die Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.
II
Die Revision der Kläger ist nicht begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts
steht im Ergebnis mit Bundesrecht im Einklang (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
Die Beteiligten gehen, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erör-
tert, zu Recht davon aus, dass die Kläger nach § 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2
Satz 1 des Ausgleichsleistungsgesetzes - AusglLeistG - in der Fassung der Be-
kanntmachung vom 13. Juli 2004 (BGBl. I S. 1665), zuletzt geändert durch
Art. 1 des Gesetzes vom 21. März 2011 (BGBl. I S.450), dem Grunde nach an-
spruchsberechtigt sind, weil die verbliebene Beteiligung ihrer Rechtsvorgänger
an der Kommanditgesellschaft in Höhe von 49 % der Anteile durch die entschä-
digungslose Enteignung des Vermögens der Gesellschaft auf besatzungsho-
heitlicher Grundlage in ihrem Wert gemindert wurde. Zu entscheiden ist allein
darüber, ob der Anspruch auf Ausgleichsleistungen nach § 1 Abs. 4 Alt. 3
AusglLeistG ausgeschlossen ist. Danach werden unter anderem dann keine
Ausgleichsleistungen gewährt, wenn der nach den Absätzen 1 und 2 Berechtig-
te oder derjenige, von dem er seine Rechte ableitet, oder das enteignete Unter-
nehmen dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub geleistet
hat. Die Rechtsvorgänger der Kläger haben das nationalsozialistische System
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durch ihr Verhalten unstreitig nicht gefördert oder unterstützt. Jedoch erfüllt das
Verhalten der Edgar H. & Co. KG als Herausgeberin der LNN den Ausschlus-
statbestand (1.). Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht dahin er-
kannt, dass sich die Kläger die Verwirklichung des Ausschlusstatbestandes
durch das enteignete Unternehmen anspruchsausschließend entgegenhalten
lassen müssen (2.).
1. Die Edgar H. & Co. KG hat als Herausgeberin der Zeitung jedenfalls ab Au-
gust 1936 durch die Art und Weise der Berichterstattung in der LNN dem natio-
nalsozialistischen System erheblichen Vorschub geleistet.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG,
Urteil vom 3. Mai 2007 - 5 C 5.06 - Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 12
Rn. 14 und Beschluss vom 12. Dezember 2008 - 5 B 104.08 - juris Rn. 2) ist im
Falle der Unternehmensunwürdigkeit gemäß § 1 Abs. 4 AusglLeistG allein das
Verhalten des enteigneten Unternehmens Anknüpfungspunkt für den Leis-
tungsausschluss. Dieses gibt den Prüfungsrahmen vor und begrenzt ihn gleich-
zeitig. Eine Ausgleichsleistung scheidet also aus, wenn das Unternehmen als
solches einen der Ausschlusstatbestände des § 1 Abs. 4 AusglLeistG erfüllt hat.
Hierfür ist erforderlich aber auch ausreichend, dass die den jeweiligen Aus-
schlusstatbestand erfüllenden Handlungen dem Unternehmen zugeordnet wer-
den können. Es ist nicht notwendig, diese Handlungen auf eine einzelne Person
(etwa den Betriebsinhaber oder einen Gesellschafter) zurückzuführen. Das
Verhalten des einzelnen Anteilseigners ist für die Tatbestandserfüllung ohne
Belang.
b) Objektiv setzt der Ausschlussgrund des erheblichen Vorschubleistens zu-
gunsten des nationalsozialistischen Systems nach der ständigen Rechtspre-
chung des Bundesverwaltungsgerichts zur individuellen Unwürdigkeit (vgl. z.B.
BVerwG, Urteile vom 29. September 2010 - 5 C 16.09 - Buchholz 428.4 § 1
AusglLeistG Nr. 21 Rn. 11 und vom 16. Mai 2012 - 5 C 2.11 - BVerwGE 143,
119 Rn. 42 m.w.N.) voraus, dass nicht nur gelegentlich oder beiläufig, sondern
mit einer gewissen Stetigkeit Handlungen vorgenommen wurden, die dazu ge-
eignet waren, die Bedingungen für die Errichtung, die Entwicklung oder die
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Ausbreitung des nationalsozialistischen Systems zu verbessern oder Wider-
stand gegen dieses System zu unterdrücken, und dies auch zum Ergebnis hat-
ten. Die unterstützende Tätigkeit muss sich auf spezifische Ziele und Bestre-
bungen des nationalsozialistischen Systems bezogen haben. Der Nutzen, den
das Regime aus dem Handeln gezogen hat, darf nicht nur ganz unbedeutend
gewesen sein. Für die Unternehmensunwürdigkeit gilt insoweit kein anderer
Maßstab. Die Frage, wann ein erhebliches Vorschubleisten zu bejahen ist, kann
nicht anders beantwortet werden, wenn statt des Verhaltens einer natürlichen
Person - wie hier - das Verhalten eines Unternehmens auf seine Unwürdigkeit
hin zu prüfen ist. § 1 Abs. 4 AusglLeistG nennt den nach den Absätzen 1 und 2
Berechtigten, denjenigen, von dem dieser seine Rechte ableitet und das ent-
eignete Unternehmen gleichberechtigt nebeneinander als mögliche Subjekte
eines unwürdigen Verhaltens im Sinne der Regelung.
Das erhebliche Vorschubleisten zugunsten des nationalsozialistischen Systems
muss dem Unternehmen objektiv zuzuordnen sein, das heißt, die entsprechen-
den Handlungen müssen sich - wie bereits dargelegt - nach außen als Tätig-
werden des Unternehmens darstellen. Eine solche objektive Zuordnung ist nicht
nur bei einem unmittelbaren Handeln der Unternehmensleitung zu bejahen,
sondern unter anderem auch bei einem Handeln der Personen im Unterneh-
men, die befugt und damit verantwortlich gewesen sind, für das Unternehmen
tätig zu werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Mai 2007 - 5 C 5.06 - Buchholz
428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 12 Rn. 15). Es mag allerdings Fallgestaltungen ge-
ben, bei denen eine den Ausschlusstatbestand erfüllende Handlung dem Un-
ternahmen deshalb nicht objektiv zugeordnet werden kann, weil diese auf aus-
schließlicher Außensteuerung beruhte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. De-
zember 2008 - 5 B 104.08 - juris Rn. 2 und 4).
c) Hinzukommen muss die Erfüllung der subjektiven Voraussetzungen des Aus-
schlusstatbestandes des erheblichen Vorschubleistens. Im Falle einer individu-
ellen Unwürdigkeit setzt das voraus, dass die Vorschubleistenden in dem Be-
wusstsein gehandelt haben, ihr Verhalten könne nicht ganz unbedeutend dafür
sein, die Bedingungen für die Errichtung, die Entwicklung oder die Ausbreitung
des nationalsozialistischen Systems zu verbessern oder Widerstand gegen die-
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ses System zu unterdrücken (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2012
- 5 C 2.11 - BVerwGE 143, 119 Rn. 42 m.w.N.). Dies gilt entsprechend für die
Unternehmensunwürdigkeit, obwohl ein Unternehmen als solches nicht wissent-
lich und willentlich handeln kann. Das erforderliche Bewusstsein können nur die
für das Unternehmen handelnden natürlichen Personen bilden. Entscheidend
ist deshalb das Wissen und Wollen der dem Unternehmen zugehörigen natürli-
chen Personen, die dessen Handeln nach außen tatsächliche maßgeblich be-
stimmt haben. Auf deren gesellschaftsrechtliche Stellung kommt es insoweit
nicht an. Können die den Vorwurf des erheblichen Vorschubleistens begrün-
denden Handlungen dem Unternehmen objektiv zugeordnet werden, ist in der
Regel zu vermuten, dass das Unternehmen für diese auch subjektiv verantwort-
lich ist. Etwas anderes kann lediglich angenommen werden, wenn das Vor-
schubleisten dem Unternehmen zwar objektiv zuzuordnen ist, aber auf einer
ausschließlichen Außensteuerung durch außerhalb des Unternehmens stehen-
de Personen beruht, die ein willentliches Handeln derjenigen, die das Handeln
des Unternehmens nach außen maßgeblich bestimmen, ausschließt.
d) Gemessen an diesen - von ihm der Sache nach angewandten - rechtlichen
Maßstäben hat das Verwaltungsgericht auf der Grundlage seiner tatsächlichen
Feststellungen zutreffend angenommen, dass das enteignete Unternehmen
dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub geleistet hat und
insbesondere von einer ausschließlichen Außensteuerung nicht ausgegangen
werden kann.
Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts unterstützte und förderte die
LNN in ihren Leitartikeln die nationalsozialistische Politik jedenfalls ab August
1936, nachdem die Rechtsvorgänger der Kläger der Tochter eines NSDAP-
eigenen Verlags eine Mehrheitsbeteiligung an der Gesellschaft von 51 % der
Anteile eingeräumt hatten. Die LNN war mit einer Auflagenstärke von 140 000
bis 150 000 Exemplaren bis in die 40er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein die
marktführende Tageszeitung in L. Ihre Berichterstattung war von grundsätzli-
cher Bedeutung für die Meinungsbildung der Bürger. Des Weiteren hat das
Verwaltungsgericht festgestellt, dass die Berichterstattung der LNN aus dem
Unternehmen heraus erfolgte, d.h. keinen außerhalb des Unternehmens ste-
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henden Personen zuzuschreiben ist. Denn die betreffenden Leitartikel wurden
von Mitarbeitern des Unternehmens verfasst, die im Übrigen auch die Ausga-
ben der LNN redaktionell gestalteten. Diese Feststellungen des Verwaltungsge-
richts sind gemäß § 137 Abs. 2 VwGO für den Senat bindend, da gegen sie
keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben wurden. Die da-
rauf aufbauende rechtliche Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichts, das ent-
eignete Unternehmen habe den Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 4 Alt. 3
AusglLeistG verwirklicht, ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.
Die Kläger können sich zur Begründung ihrer gegenteiligen Auffassung in Be-
zug auf eine ausschließliche Außensteuerung insbesondere nicht mit Erfolg
darauf berufen, ihre Rechtsvorgänger hätten aufgrund der ihnen verbliebenen
Beteiligung von 49 % der Anteile auf die Berichterstattung ab August 1936 kei-
nen inhaltlichen Einfluss mehr nehmen können. Auf das Verhalten der Anteils-
eigner kommt es - wie dargelegt - bei der Unternehmensunwürdigkeit nicht an.
Dass die Rechtsvorgänger der Kläger die Tochter eines NSDAP-eigenen Ver-
lags nicht freiwillig, sondern auf Druck des nationalsozialistischen Regimes an
dem Unternehmen beteiligten, ändert nichts daran, dass die das erhebliche
Vorschubleisten begründenden Handlungen aus dem Unternehmen heraus und
nicht von außen gesteuert wurden. Insbesondere sind keine Anhaltspunkte da-
für ersichtlich, dass die erzwungenermaßen aufgenommene Mehrheitsgesell-
schafterin die Ziele des nationalsozialistischen Systems nicht unterstützt hätte.
Ebenso wenig können die Kläger mit ihrem Einwand durchdringen, die Unwür-
digkeitsprüfung müsse sich wegen der Konnexität zwischen Schädigungsobjekt
und Ausgleichsleistungsanspruch auf das Verhalten der Rechtsvorgänger der
Kläger beschränken, für deren mittelbar geschädigte Anteile allein Ausgleichs-
leistungen begehrt würden. Dies widerspricht der Gesetzeslage. Die Unterneh-
mensunwürdigkeit ist danach ein selbstständiger, von der individuellen Unwür-
digkeit zu trennender Ausschlusstatbestand, für den allein das Verhalten des
Unternehmens maßgeblich ist. Dies schließt es aus, bei Beteiligungen an Un-
ternehmen für die Unwürdigkeitsprüfung auf das Verhalten des Anteilseigners
abzustellen, auf dessen Beteiligung der Ausgleichsleistungsanspruch zurück-
geht. Auch der Hinweis der Kläger, der Rechtsgedanke der Konnexität gelte
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jedenfalls dann, wenn die Minderheitsbeteiligung - wie hier - die Folge einer
nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahme gewesen sei, da andernfalls
dem Prinzip der nachhaltigen und vollständigen Wiedergutmachung nationalso-
zialistischen Unrechts nicht genügt werde, rechtfertigt keine andere Beurteilung.
Denn die Schädigung nach § 1 Abs. 8 Buchst. a und die Schädigung nach § 1
Abs. 6 des Vermögensgesetzes - VermG - in der Fassung der Bekanntma-
chung vom 9. Februar 2005 (BGBl. I S. 205), zuletzt geändert durch Art. 6 des
Gesetzes vom 1. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3719), sind eigenständige, vonei-
nander zu trennende Vorgänge. Für den in der NS-Zeit erlittenen Vermögens-
verlust haben die Kläger durch die 1996 von der Treuhand geleistete Entschä-
digung eine dauerhafte und nachhaltige Wiedergutmachung erlangt.
2. Das erhebliche Vorschubleisten des Unternehmens zugunsten des national-
sozialistischen Systems führt nach § 1 Abs. 4 Alt. 3 AusglLeistG zum Aus-
schluss der Leistungen nach dem Ausgleichsleistungsgesetz. Der Gesetzgeber
hat den Leistungsausschluss zu Lasten der Anteilseigner und ihrer Rechtsnach-
folger als zwingende Rechtsfolge der Tatbestandserfüllung durch das enteigne-
te Unternehmen angeordnet. Ob und gegebenenfalls unter welchen Vorausset-
zungen von dem Leistungsausschluss ausnahmsweise im Wege richterlicher
Rechtsfortbildung abzusehen ist, bedarf hier keiner abschließenden Entschei-
dung. Denn für das Vorliegen einer solchen Ausnahme bestehen jedenfalls in
der vorliegenden Sachverhaltskonstellation keine Anhaltspunkte.
Im Hinblick auf den insoweit eindeutigen Wortlaut des § 1 Abs. 4 AusglLeistG
käme eine Durchbrechung der Zurechnung der Unternehmenswürdigkeit nur
unter sehr engen Voraussetzungen und allenfalls insoweit in Betracht, als der
Ausschlusstatbestand Sachverhalte erfasst, die er nach dem erkennbaren Wil-
len des Gesetzgebers nicht erfassen soll, so dass die zu weit gefasste Rege-
lung im Wege einer teleologischen Reduktion auf den ihr nach Sinn und Zweck
zugedachten Anwendungsbereich zurückzuführen wäre (vgl. BVerwG, Urteil
vom 25. März 2014 - 5 C 13.13 - Buchholz 436.36 § 8 BAföG Nr. 14 Rn. 25
m.w.N.). Sinn und Zweck der Ausschlussregelung des § 1 Abs. 4 AusglLeistG
ist es, diejenigen, die die Hauptverantwortung für die Unrechtsmaßnahmen tra-
gen, von Ausgleichsleistungen auszuschließen (vgl. BVerwG, Urteile vom
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16. Mai 2012 - 5 C 2.11 - BVerwGE 143, 119 Rn. 13 m.w.N. und vom 14. März
2013 - 5 C 15.12 - Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 25 Rn. 19 m.w.N.). Eine
teleologische Reduktion des § 1 Abs. 4 Alt. 3 AusglLeistG dahingehend, dass
sich der nach den Absätzen 1 und 2 Berechtigte oder derjenige, von dem er
seine Rechte ableitet, das systemfördernde Verhalten des Unternehmens aus-
nahmsweise nicht entgegen halten lassen muss, könnte allenfalls in solchen
Fällen in Erwägung gezogen werden, in denen Umstände, die in der Person
des Anteilseigners begründet sind, auf dessen Beteiligung der geltend gemach-
te Anspruch zurückgeht, sich unter Wertungsgesichtspunkten als derart gewich-
tig erweisen, dass eine Zurechnung der Unternehmensunwürdigkeit mit dem
genannten Zweck des § 1 Abs. 4 AusglLeistG schlechthin unvereinbar wäre.
Diese Voraussetzungen könnten allenfalls Fallgestaltungen erfüllen, die bei
wertender Betrachtung mit denjenigen vergleichbar sind, in denen die individu-
elle Unwürdigkeit wegen eines nachgewiesenen regimeschädigenden Verhal-
tens der betreffenden Person zu verneinen ist. Nach dem Sinn und Zweck des
Ausschlusstatbestandes sind Personen aufgrund ihres individuellen Verhaltens
nicht als "unwürdig" im Sinne des § 1 Abs. 4 Alt. 3 AusglLeistG mit der Folge
des Leistungsausschlusses anzusehen, die zwar einerseits das nationalsozia-
listische System gefördert haben, andererseits aber nachweislich in einer Weise
auf dessen Schädigung hingearbeitet haben, dass dadurch ihre Förderungs-
handlungen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung in hohem Maße und damit
nachhaltig relativiert werden. Eine bloße innere Reserviertheit oder Abneigung
gegenüber dem System, die sich nicht in nennenswerten Handlungen nach au-
ßen manifestiert hat, genügt insoweit ebenso wenig wie eine im Zeitablauf le-
diglich nachlassende Unterstützung oder eine Abwendungen von den System-
zielen in späteren Phasen des nationalsozialistischen Regimes (vgl. BVerwG,
Urteile vom 18. September 2009 - 5 C 1.09 - BVerwGE 135, 1 Rn. 14 ff. und
vom 30. Juni 2010 - 5 C 9.09 - Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 20 Rn. 11,
die insoweit u.a. Bezug nehmen auf BVerwG, Beschluss vom 12. Februar 1991
- 9 B 244.90 - Buchholz 412.6 § 2 HHG Nr. 3 und BGH, Urteil vom 26. April
1961 - IV ZR 303/60 - RzW 1961, 377). Damit könnten solche Fallkonstellatio-
nen der Unternehmensunwürdigkeit vergleichbar sein, in denen der Anteilseig-
ner, auf dessen Beteiligung der geltend gemachte Anspruch zurückgeht, seine
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Stellung im Unternehmen nachweislich genutzt hat, um dem nationalsozialisti-
schen System zu schaden oder Handlungen vorzunehmen, die auf die Schädi-
gung dieses Unrechtssystems ausgerichtet waren (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.
Juni 2010 - 5 C 9.09 - Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 20 Rn. 11; s.a.
BVerwG, Urteil vom 12. Februar 1991 - 9 B 244.90 - Buchholz 412.6 § 2 HHG
Nr. 3 und BGH, Urteil vom 26. April 1961 - IV ZR 303/60 - RzW 1961, 377). Da-
ran fehlt es hier.
Anknüpfend an den Gedanken der ausschließlichen Außensteuerung könnte
eine Ausnahme von der Zurechnung des unwürdigen Verhaltens des Unter-
nehmen außerdem in solchen Fällen denkbar sein, in denen der Unterneh-
mensbeteiligte nur aufgrund einer unausweichlichen Zwangslage im Unterneh-
men verblieben ist, die ihrerseits auf eine Zwangsmaßnahme des nationalsozia-
listischen Regimes zurückzuführen ist und ein der ausschließlichen Außensteu-
erung vergleichbares Gewicht besitzt. Das dürfte allenfalls dann der Fall sein,
wenn die Fortsetzung der Beteiligung an dem unwürdigen Unternehmen gegen
den Willen des Beteiligten erfolgte und dieser die Beteiligung nur unter Gefah-
ren für Leib, Leben oder seine wirtschaftliche Existenz hätte aufgeben können.
In Fällen einer individuellen Unwürdigkeit käme unter diesen Voraussetzungen
eine Zurechnung des unwürdigen Verhaltens nicht in Betracht. Auch für eine
solche außerordentliche Zwangslage gibt es nach den Feststellungen des Ver-
waltungsgerichts hier jedoch keinerlei Anhaltspunkte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m.
§ 100 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Vormeier
Stengelhofen
Dr. Störmer
Dr. Fleuß
Dr. Harms
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