Urteil des BVerwG vom 13.03.2003

Sozialhilfe, Umzug, Wohnung, Unterbringung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 5 C 10.02
Verkündet
VGH 12 B 99.3697
am 13. März 2003
Schmidt
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 13. März 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. S ä c k e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
S c h m i d t , Dr. R o t h k e g e l , Dr. F r a n k e
und Prof. Dr. B e r l i t
für Recht erkannt:
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Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsge-
richtshofs vom 11. Februar 2002 wird aufgeho-
ben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhand-
lung und Entscheidung an den Bayerischen Ver-
waltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussent-
scheidung vorbehalten.
G r ü n d e :
I.
Am 19. Juli 1996 traf das Spätaussiedlerehepaar S. im Über-
gangswohnheim in K. ein. Während ihres Aufenthaltes dort ge-
währte ihnen die beigeladene Stadt K. als vom Beklagten als
dem zuständigen überörtlichen Träger zur Aufgabendurchführung
und Entscheidung herangezogener örtlicher Träger Sozialhilfe
bis zum 31. Juli 1997. Am 1. August 1997 zogen die Hilfeemp-
fänger aus dem Übergangswohnheim aus und bezogen eine von ih-
nen gemietete Wohnung in L., dem Zuständigkeitsbereich der
Klägerin. Diese gewährte ihnen Sozialhilfeleistungen ab diesem
Zeitpunkt bis einschließlich 31. Juli 1999 in Höhe von
11 093,79 DM. Der Beklagte lehnte die Anerkennung einer Kos-
tenerstattungspflicht der Klägerin gegenüber ab.
Die Klage mit dem Antrag festzustellen, dass der Beklagte der
Klägerin die Sozialhilfekosten für das Ehepaar S. im Zeitraum
vom 1. August 1997 bis 31. Juli 1999 (insgesamt 11 093,79 DM)
zu erstatten habe, hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Im
Rahmen des § 107 Abs. 1 BSHG solle nur der Sozialhilfeträger
kostenerstattungspflichtig sein, der für eine am Zuzugsort ge-
währte Hilfe zuständig wäre, wenn der Hilfeempfänger nicht um-
gezogen wäre. Der Beklagte sei nur für die den Hilfeempfängern
vor dem Umzug in dem Übergangswohnheim gewährte Hilfe zustän-
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dig gewesen, er sei aber nicht zuständig für eine Hilfe zum
Lebensunterhalt in einer Wohnung, wenn diese am Wegzugsort ge-
währt werden müsste.
Auf die Berufung der Klägerin hat der Verwaltungsgerichtshof
das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben und den Beklag-
ten verurteilt, der Klägerin die von ihr in der Zeit vom
1. August 1997 bis 31. Juli 1999 für das Ehepaar S. erbrachten
Sozialhilfeleistungen in Höhe von 5 672,16 € (entspricht
11 093,79 DM) zu erstatten. Zur Begründung hat er im Wesentli-
chen ausgeführt: Erstattungspflichtig nach § 107 BSHG sei
grundsätzlich der Träger der Sozialhilfe, der im Außenverhält-
nis gegenüber dem Hilfesuchenden bis zu dessen Umzug sachlich
zuständig sei. Ein Sozialhilfeträger, der unter keinem denkba-
ren Gesichtspunkt und zu keinem Zeitpunkt für den Hilfeempfän-
ger verantwortlich gewesen sei, sei nicht erstattungspflich-
tig. Erstattungspflichtig könne nur der Sozialhilfeträger
sein, der bisher oder "an und für sich" oder "eigentlich vor-
rangig" zur Gewährung von Sozialhilfe verpflichtet gewesen wä-
re. In dem hier gegebenen Fall der Aufgabenübertragung nach
Art. 10 Abs. 2 BayAGBSHG gehe diese sachliche Zuständigkeit
zwar vom überörtlichen auf den örtlichen Träger der Sozialhil-
fe über. Die sachliche Zuständigkeit für die Erfüllung der
Kostenerstattungspflicht nach § 107 BSHG bleibe jedoch beim
überörtlichen Träger, hier dem Beklagten. Der Hinweis in
Art. 7 Abs. 1 Buchst. d Nr. 2 BayAGBSHG auf § 103 Abs. 3 BSHG
ändere daran nichts. Diese Verweisung sei dahin auszulegen,
dass eine bestehende sachliche Zuständigkeit nach Art. 7
Abs. 1 Buchst. d Nr. 2 BayAGBSHG ende, wenn für einen zusam-
menhängenden Zeitraum von zwei Monaten Hilfe in einer Einrich-
tung nicht zu gewähren gewesen sei, spätestens jedoch nach Ab-
lauf von zwei Jahren nach der Begründung dieser sachlichen Zu-
ständigkeit mit Eintreffen des Hilfeempfängers in der Einrich-
tung.
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Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision bean-
tragt der Beklagte, den Berufungsbeschluss des Verwaltungsge-
richtshofs aufzuheben und die Klage abzuweisen. Er rügt eine
Verletzung des § 107 BSHG.
Die Klägerin und die Beigeladene verteidigen die angefochtene
Entscheidung.
II.
Die Revision hat Erfolg. Das Urteil des Verwaltungsgerichts-
hofs beruht auf der Verletzung von Bundesrecht. Das führt zur
Aufhebung der Berufungsentscheidung und mangels Entscheidungs-
reife zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungs-
gericht (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Für den von der Klägerin geltend gemachten Kostenerstattungs-
anspruch nach § 107 BSHG hat das Berufungsgericht allerdings
zu Recht entschieden und steht im Revisionsverfahren außer
Streit, dass die Hilfeempfänger von K. nach L. im Sinne dieser
Vorschrift verzogen sind (BVerwG, Urteil vom 18. März 1999
- BVerwG 5 C 11.98 - ) und
dass die Klägerin im Sinne dieser Vorschrift der nunmehr zu-
ständige örtliche Träger der Sozialhilfe ist. Der Verwaltungs-
gerichtshof ist weiter zu Recht davon ausgegangen, dass kos-
tenerstattungspflichtig nach § 107 BSHG ein örtlicher oder ein
überörtlicher Träger der Sozialhilfe sein kann. Denn das Ge-
setz benennt als kostenerstattungsberechtigt nur den nunmehr
zuständigen "örtlichen" Träger der Sozialhilfe, während es als
erstattungspflichtig den Träger der Sozialhilfe des Aufent-
haltsortes ohne Differenzierung nach örtlichem oder überörtli-
chem Träger bezeichnet.
Mit Bundesrecht nicht vereinbar ist aber die Auffassung des
Berufungsgerichts, dass erstattungspflichtig nach § 107 BSHG
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grundsätzlich der Träger der Sozialhilfe sei, der im Außenver-
hältnis gegenüber dem Hilfesuchenden bis zu dessen Umzug sach-
lich zuständig gewesen sei bzw. vor dem Umzug am Wegzugsort
zur Gewährung von Sozialhilfe verpflichtet gewesen wäre.
Zwar kann sich der Verwaltungsgerichtshof für seine Auffassung
auf die Begründung zum Entwurf des Gesetzes zur Umsetzung des
Föderalen Konsolidierungsprogramms in Bezug auf die Neurege-
lung der Kostenerstattung berufen. Denn dort heißt es, eine
Kostenerstattung solle nach § 107 BSHG durch "den bisher ört-
lich zuständigen Träger" stattfinden (BTDrucks 12/4401 S. 84).
Gesetz geworden ist diese Einschränkung auf den "bisher ört-
lich zuständigen Träger" aber nicht. Vielmehr bestimmt § 107
BSHG als erstattungspflichtig nur den "Träger der Sozialhilfe
des bisherigen Aufenthaltsortes". Dem Wortlaut nach kann damit
der Träger der Sozialhilfe des bisherigen Aufenthaltsortes ge-
meint sein, der vor dem Umzug am Wegzugsort für eine Hilfe zu-
ständig war (auf diese frühere/bisherige Zuständigkeit stellt
der Verwaltungsgerichtshof ab), oder der Träger, der für die
nach dem Umzug am Zuzugsort "dort erforderlich werdende Hilfe"
zuständig wäre, wäre sie am Wegzugsort zu erbringen (auf diese
aktuell fiktive Zuständigkeit stellt das Verwaltungsgericht
ab).
Zutreffend sehen beide Vorinstanzen den Umzug in einen anderen
örtlichen Zuständigkeitsbereich als das für den Erstattungsan-
spruch nach § 107 BSHG entscheidende Kriterium. Denn ohne Er-
stattungspflicht wäre einerseits der Träger der Sozialhilfe
des bisherigen Aufenthaltsortes infolge Umzugs in einen ande-
ren örtlichen Zuständigkeitsbereich von einer Kostenlast frei,
die er ohne Umzug in einen anderen Zuständigkeitsbereich als
zuständiger Träger der Sozialhilfe tragen müsste, und müsste
andererseits der nunmehr zuständige Träger der Sozialhilfe die
nach dem Umzug anfallenden Kosten der von ihm zu leistenden
Sozialhilfe selbst tragen. Sinn und Zweck des § 107 BSHG ist
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es, für diese allein durch einen Umzug in einen anderen örtli-
chen Zuständigkeitsbereich bedingte Kostenverschiebung eine
Kostenerstattung für den nunmehr zuständigen örtlichen Träger
der Sozialhilfe auf längstens zwei Jahre vorzusehen.
Ausgehend von diesem Sinn und Zweck der Kostenerstattungsrege-
lung in § 107 BSHG ist erstattungspflichtig nicht der Träger
der Sozialhilfe des bisherigen Aufenthaltsortes, der für eine
Hilfe bis zum Zeitpunkt des Umzugs zuständig war, sondern der
Träger der Sozialhilfe des bisherigen Aufenthaltsortes, der
für die nach dem Umzug am Zuzugsort "erforderlich werdende
Hilfe" zuständig gewesen wäre, wäre der Umzug des Hilfeempfän-
gers innerhalb des Aufenthaltsortes erfolgt - denn dieser Trä-
ger wird durch den Umzug in einen anderen örtlichen Zuständig-
keitsbereich entlastet -.
Da Auslöser der Kostenerstattungspflicht nach § 107 BSHG der
Umzug und die danach am Zuzugsort erforderlich werdende Hilfe
sind, ist für die die Erstattungspflicht begründende Zustän-
digkeit des Trägers der Sozialhilfe am bisherigen Aufenthalts-
ort der Zeitpunkt des Eintritts des Hilfebedarfs am Zuzugsort
maßgeblich. Diese Erstattungspflicht bleibt für den gesamten
Erstattungszeitraum bestehen.
Die Frage, welcher Träger der Sozialhilfe für die nach dem Um-
zug am Zuzugsort "erforderlich werdende Hilfe" zuständig gewe-
sen wäre, wären die Hilfeempfänger in K. geblieben und dort
vom Übergangswohnheim in eine Wohnung gezogen, beurteilt sich
nach Landesrecht. Art. 7 Abs. 1 Buchst. d Nr. 2 BayAGBSHG, der
bestimmt:
"Die überörtlichen Träger sind außer für die Aufgaben
nach § 100 BSHG sachlich auch zuständig für alle Hilfen
an Aussiedler und Spätaussiedler im Sinne des Bundes-
vertriebenengesetzes in Einrichtungen der vorläufigen
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Unterbringung bis zur dauernden Unterbringung in einer
Wohnung; die Zuständigkeit bleibt bestehen, bis eine
Verpflichtung zur Kostenerstattung nach § 103 Abs. 3
BSHG enden würde",
hat das Berufungsgericht in einem nicht tragenden Teil seiner
Berufungsentscheidung dahin verstanden, Halbsatz 2 erweitere
nicht die Zuständigkeit nach Halbsatz 1, sondern begrenze sie
dahin, "dass eine bestehende sachliche Zuständigkeit nach
Art. 7 Abs. 1 Buchst. d Nr. 2 AGBSHG end(e), wenn für einen
zusammenhängenden Zeitraum von zwei Monaten Hilfe in der Ein-
richtung nicht zu gewähren war, spätestens jedoch nach Ablauf
von zwei Jahren nach der Begründung dieser sachlichen Zustän-
digkeit mit dem Eintreffen des Hilfeempfängers in der Einrich-
tung". Möglich erscheint aber auch eine Auslegung dahin, mit
der fiktiven Bezugnahme auf § 103 Abs. 3 BSHG sei im Halb-
satz 2 der Fall angesprochen, dass der Aus- oder Spätaussied-
ler das Übergangswohnheim verlässt und im Bereich des örtli-
chen Trägers, in dem das Übergangswohnheim liegt, bleibt und
eine Wohnung bezieht; für diesen Fall bestimme Halbsatz 2
nicht eine an § 103 Abs. 3 BSHG angelehnte Kostenerstattung,
sondern lasse statt Zuständigkeitswechsel und Kostenerstattung
die bestehende Zuständigkeit des überörtlichen Trägers, hier
des Beklagten, für die Dauer einer sonst gegebenen Kostener-
stattungspflicht bestehen. Daraus folgte: Wären die Hilfeemp-
fänger aus dem Übergangswohnheim ausgezogen und nicht in eine
Wohnung nach L., sondern in eine Wohnung in K. gezogen, wäre
der Beklagte für diese Hilfe außerhalb des Übergangswohnheims
für maximal zwei Jahre nach dem Auszug zuständig geblieben
(Art. 7 Abs. 1 Buchst. d Nr. 2 Halbsatz 2 BayAGBSHG). Von die-
ser Auslegung ausgehend wäre der Beklagte für zwei Jahre nach
dem Umzug aus dem Übergangswohnheim erstattungspflichtig im
Sinne von § 107 BSHG.
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Da die Auslegung von Landesrecht nicht dem Bundesverwaltungs-
gericht, sondern dem Verwaltungsgerichtshof obliegt, wird die
Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den
Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen (BVerwGE 97, 79 <82>;
100, 160 <171>).
Dr. Säcker Schmidt Dr. Rothkegel
Dr. Franke Prof. Dr. Berlit
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfah-
ren auf 5 672,16 € (entspricht 11 093,79 DM) festgesetzt.
Dr. Säcker Schmidt Dr. Rothkegel
Dr. Franke Prof. Dr. Berlit
Sachgebiet:
BVerwGE:
ja
Sozialhilferecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquelle:
BSHG § 107
Stichworte:
Kostenerstattung bei Umzug;
Erstattungspflicht bei Umzug.
Leitsatz:
Erstattungspflichtig nach § 107 BSHG ist der Träger der Sozi-
alhilfe des bisherigen Aufenthaltsortes, der für die nach dem
Umzug am Zuzugsort erforderlich werdende Hilfe zuständig gewe-
sen wäre, wäre der Umzug der Hilfeempfänger innerhalb des bis-
herigen Aufenthaltsortes erfolgt.
Urteil des 5. Senats vom 13. März 2003 - BVerwG 5 C 10.02
I. VG Augsburg vom 09.11.1999 - Az.: VG Au 3 K 97.1856 -
II. VGH München vom 11.02.2002 - Az.: VGH 12 B 99.3697 -