Urteil des BVerwG vom 20.03.2012

Innere Sicherheit, Verwertungsverbot, Gewalt, Hinweispflicht

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 5 C 1.11
OVG 19 A 1491/05
Verkündet
am 20. März 2012
Wahl
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 20. März 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer, Dr. Häußler
und Dr. Fleuß
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberver-
waltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom
14. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er
ist seit Dezember 1987 mit Fatma K. verheiratet. Seine Ehefrau wurde im Mai
1995 in den deutschen Staatsverband eingebürgert. Aus der Ehe sind drei Kin-
der hervorgegangen, die ebenfalls die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen.
Nach einem erfolglosen, u.a. auf die Mitgliedschaft in der „Partiya Karkerên
Kurdistan“ (Arbeiterpartei Kurdistans, im Folgenden: PKK) gestützten Asylbe-
gehren begab sich der Kläger nach Frankreich, wo er im Februar 1986 als poli-
tischer Flüchtling anerkannt, ihm der Aufenthalt gestattet und ein Reiseausweis
ausgestellt wurde. Er war Mitglied des Vorstands des im Mai 1988 bei dem
Amtsgericht Bonn - Vereinsregister - eingetragen Vereins „Union Patriotischer
Intellektueller Kurdistans (YRWK)“.
Im Oktober 1992 reiste er erneut in das Bundesgebiet ein. Die Ausländerbehör-
de der Stadt Köln erteilte ihm erstmals im Dezember 1992 eine Aufenthalts-
erlaubnis, im November 1995 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und im
Juni 2002 eine Aufenthaltsberechtigung.
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Bereits im März 1989 hatte der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof
gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Unterstützung ei-
ner terroristischen Vereinigung eingeleitet. Er wurde verdächtigt, unter dem
Decknamen „N.“ Pässe zu fälschen, mit denen die PKK Angehörige ausstattete,
denen die Aufgabe zukam, „Feinde“ der Partei zu töten. Im August 1994 stellte
der Generalbundesanwalt das Verfahren gemäß § 153 Abs. 1 StPO ein.
Mit in Rechtskraft erwachsenem Strafbefehl vom 24. Juni 1999 wurde gegen
den Kläger wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte eine Geldstrafe
von 20 Tagessätzen festgesetzt. Er wurde beschuldigt, seine Festnahme er-
schwert zu haben, als er im Zuge einer Demonstration aus Anlass der Fest-
nahme des PKK-Führers Öcalan mit einer großen Gruppe weiterer Demons-
tranten das Kölner Parteibüro der SPD zu erstürmen versuchte.
Bereits am 22. Juli 1997 hatte der Kläger seine Einbürgerung in den deutschen
Staatsverband beantragt. Die Beklagte hatte den unbeschränkt gestellten An-
trag als auf die Einbürgerung nach § 9 RuStAG gerichtetes Begehren behandelt
und mit Blick auf das seinerzeitige Nichtbestehen einer dreijährigen Ehe mit ei-
ner deutschen Staatsangehörigen im Einvernehmen mit dem Kläger zunächst
zurückgestellt. Auf ihre Anregung hin stellte dieser seinen Antrag am 20. Juni
2000 „von § 9 StAG auf § 85 AuslG“ um. Mit Bescheid vom 19. Juni 2002 lehnte
sie den Antrag auf Einbürgerung nach § 85 AuslG ab. Widerspruch und Klage
blieben erfolglos.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Ei-
ner Einbürgerung stehe § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG entgegen. Der Kläger habe die
PKK und damit eine Bestrebung unterstützt, die sowohl gegen die innere Si-
cherheit der Bundesrepublik Deutschland gerichtet sei als auch durch Anwen-
dung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige
Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährde. Er habe den Ausschluss-
grund jeweils selbstständig tragend durch mehrere Unterstützungshandlungen
zum Vorteil der PKK verwirklicht. Als Unterstützungshandlungen seien sowohl
die Passfälschungen als auch die Teilnahme an der versuchten Erstürmung der
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Parteizentrale der SPD in Köln zu werten. Beide Unterstützungshandlungen
dürften ihm weiterhin entgegengehalten werden. Das Verwertungsverbot des
§ 51 Abs. 1 BZRG erfasse Handlungen nicht, die als Verfolgungs- oder Unter-
stützungshandlungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG zu qualifizieren sei-
en. Dessen ungeachtet erstrecke es sich nicht auf die Passfälschungen, da die-
se nicht durch eine strafrechtliche Verurteilung geahndet worden seien. Jeden-
falls unterfielen beide Unterstützungshandlungen dem Ausnahmetatbestand
des § 52 Abs. 1 Nr. 1 BZRG. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, sich von
der früheren Unterstützung der PKK abgewandt zu haben.
Zur Begründung seiner Revision führt der Kläger aus, das Berufungsurteil sei,
soweit es die Passfälschungen betreffe, verfahrensfehlerhaft zustande gekom-
men. Jedenfalls beruhe es auf einer Verletzung des § 51 Abs. 1 BZRG, da das
Verwertungsverbot der Anwendung des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG entgegenstehe.
Er habe im Übrigen glaubhaft gemacht, sich von der früheren Verfolgung und
Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen abgewandt zu haben.
Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat im Ergeb-
nis zu Recht entschieden, dass der Kläger keinen Rechtsanspruch auf Einbür-
gerung in den deutschen Staatsverband hat.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist allein die Anspruchseinbürgerung (1.).
Diese ist gemäß § 11 Satz 1 Nr. 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG)
vom 22. Juli 1913 (RGBl S. 583), zuletzt geändert durch Gesetz vom
22. November 2011 (BGBl I S. 2258), ausgeschlossen (2.).
1. Ohne Verstoß gegen Bundesrecht hat das Berufungsgericht das Begehren
des Klägers allein unter dem Gesichtspunkt der Anspruchseinbürgerung ge-
würdigt.
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In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass der
Antrag eines Ausländers auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband
grundsätzlich sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im gerichtlichen Verfah-
ren unter sämtlichen denkbaren Anspruchsgrundlagen zu prüfen ist. Der Antrag
ist regelmäßig auf die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband gerichtet
unabhängig davon, auf welcher Rechtsgrundlage diese beruht. Dies gilt aller-
dings nicht, wenn der Einbürgerungsbewerber von der Möglichkeit Gebrauch
macht, seinen Antrag auf eine bestimmte Rechtsgrundlage zu beschränken.
Eine solche Beschränkung setzt eine eindeutige Erklärung des Ausländers vo-
raus, der ein entsprechender Wille unzweifelhaft zu entnehmen ist (Urteil vom
20. April 2004 - BVerwG 1 C 16.03 - BVerwGE 120, 305 <308> = Buchholz
402.240 § 102a AuslG Nr. 3 S. 4 f.; vgl. Nr. 8.1.1 Abs. 3 StAR-VwV sowie
Nr. 8.1.1 Abs. 3 VAH-StAG). So verhält es sich hier.
Der Kläger hat seinen ursprünglichen Einbürgerungsantrag vom 22. Juli 1997
gegenüber der Beklagten am 20. Juni 2000 ausdrücklich „von § 9 Staatsange-
hörigkeitsgesetz nach § 85 Ausländergesetz“ umgestellt. Er hat dadurch mit der
erforderlichen Eindeutigkeit und Klarheit zu erkennen gegeben, dass über sei-
nen Einbürgerungsanspruch nur noch unter dem Gesichtspunkt der Anspruchs-
einbürgerung nach § 85 AuslG (jetzt: § 10 StAG) entschieden werden soll. Die-
se Beschränkung hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat aus-
drücklich bestätigt. Der Senat ist berechtigt, den Inhalt des klägerischen Begeh-
rens eigenständig zu ermitteln. Zwar handelt es sich dabei um eine dem Revi-
sionsgericht grundsätzlich verwehrte Tatsachenfeststellung. Diese kann hier je-
doch vom Revisionsgericht ausnahmsweise jedenfalls deshalb vorgenommen
werden, weil das Oberverwaltungsgericht keine Auslegung des Antrags des
Klägers vorgenommen hat (vgl. Urteil vom 17. Oktober 2005 - BVerwG 7 C
8.05 - Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 36 Rn. 30).
2. Das Berufungsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass ei-
nem Rechtsanspruch des Klägers auf Einbürgerung in den deutschen Staats-
verband § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 und 3 StAG entgegensteht. Nach dieser Vor-
schrift ist die Einbürgerung ausgeschlossen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte
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die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen unterstützt hat,
die gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder die
durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshand-
lungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, es sei
denn, der Ausländer macht glaubhaft, sich von der früheren Unterstützung der-
artiger Bestrebungen abgewandt zu haben.
In revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise hat das Berufungsgericht
festgestellt, dass die PKK und ihre Nachfolgeorganisationen entsprechende
Bestrebungen verfolgen (a) und tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme recht-
fertigen, dass der Kläger die PKK unterstützt hat (b), ohne glaubhaft gemacht
zu haben, sich von dieser Unterstützung zwischenzeitlich abgewandt zu haben
(c).
a) Der Begriff „Bestrebungen, die gegen die Sicherheit des Bundes oder eines
Landes gerichtet sind“, im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 StAG ist § 4 Abs. 1
des Bundesverfassungsschutzgesetzes in der Fassung vom 20. Dezember
1990 (BGBl I S. 2954) entlehnt. Danach sind solche Bestrebungen politisch be-
stimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen
Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, den Bund, die Länder oder
deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen
(vgl. Berlit, in: GK-StAR § 11 StAG Rn. 119, 121 und 131 f.). Bestrebungen, die
im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 3 StAG durch Anwendung von Gewalt oder
darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesre-
publik Deutschland gefährden, sind solche politisch bestimmten, ziel- und
zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusam-
menschluss, der darauf gerichtet ist, Gewalt als Mittel der Durchsetzung seiner
politischen Belange einzusetzen. Es werden nicht nur gewaltanwendende oder
vorbereitende Bestrebungen gegen Personen oder Sachen im Bundesgebiet
oder außerhalb des Bundesgebietes gegen Deutsche oder deutsche Einrich-
tungen erfasst, sondern auch die Anwendung von Gewalt außerhalb des Bun-
desgebietes gegen Nichtdeutsche. Bei einer exilpolitischen Betätigung muss die
Eignung hinzutreten, die Beziehung der Bundesrepublik Deutschland zu einem
ausländischen Staat zu belasten oder zu beeinträchtigen.
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Von diesem Maßstab ist das Berufungsgericht erkennbar ausgegangen. Seine
von der Revision nicht angegriffene tatsächliche Würdigung, die PKK gefährde
durch Spendengelderpressungen und Bestrafungsaktionen die innere Sicher-
heit der Bundesrepublik Deutschland und durch die Aufrechterhaltung militäri-
scher Kampfeinheiten im kurdischen Siedlungsgebiet der Türkei und die An-
wendung von Waffengewalt auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutsch-
land, ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.
b) Unterstützen ist jede Handlung des Ausländers, die für Bestrebungen im
Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG objektiv vorteilhaft ist, d.h. sich in irgendeiner
Weise für diese positiv auswirkt. Dies muss für den Ausländer erkennbar sein.
Er muss zudem zum Vorteil der genannten Bestrebung handeln wollen (stRspr,
vgl. Urteil vom 2. Dezember 2009 - BVerwG 5 C 24.08 - BVerwGE 135, 320
Rn. 16).
Der Ausschlussgrund der Unterstützung von Bestrebungen im Sinne des § 11
Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 und 3 StAG führt zu einer Vorverlagerung des Sicherheits-
schutzes (vgl. Urteil vom 2. Dezember 2009 a.a.O. Rn. 15 m.w.N.). Es genügt
der durch konkrete Tatsachen begründete Verdacht einer solchen Unterstüt-
zung. Eines Nachweises, dass es zu einer Unterstützung derartiger Bestrebun-
gen gekommen ist, bedarf es nicht. Ebenso wenig ist erforderlich, dass das
Verhalten des Ausländers tatsächlich Erfolg hatte oder für einen Erfolg ursäch-
lich war. Das Verhalten, dessen der Ausländer verdächtig ist, muss für den Fall,
dass sich der Verdacht bestätigt, ein Unterstützen im Sinne des
darstellen. Einzelne Unterstützungshandlungen hindern als tatsäch-
liche Anhaltspunkte die Einbürgerung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG zu-
dem nur und erst dann, wenn sie nach Art und Gewicht geeignet sind, eine
dauernde Identifikation des Ausländers mit diesen Bestrebungen zu indizieren.
Ob nach diesen Grundsätzen eine tatbestandsmäßige Unterstützung im Sinne
desvorliegt, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung
der gesamten Begleitumstände einschließlich vergangener Handlungen oder
Erklärungen zu beurteilen (Urteil vom 22. Februar 2007 - BVerwG 5 C 20.05 -
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BVerwGE 128, 140 Rn. 19 und Beschluss vom 27. Januar 2009 -
- juris Rn. 5).
Ausgehend von diesen von der Revision nicht angegriffenen Maßstäben hat
das Berufungsgericht festgestellt, dass der Kläger Bestrebungen im Sinne des
§ 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 und 3 StAG u.a. dadurch unterstützt hat, dass er in der
Zeit von 1988 bis zum Februar 1994 unter dem Decknamen „N.“ Passfälschun-
gen für die PKK durchgeführt hat. Seine Überzeugungsgewissheit hat es aus
Indiztatsachen gewonnen. Als solche hat es die Bestätigung der Ehefrau des
Klägers, dieser führe den Decknamen „N.“, die Erwähnung des „N.“ als Ehe-
mann der Fatma K. in einem Kassettenmitschnitt, die Aussage der als Kron-
zeugen vernommenen Person, „N.“ sei der Schwager des Hasan K., die im Kel-
ler der Ehewohnung beschlagnahmten Gegenstände, den Eintrag der Festnetz-
Rufnummer der Ehefrau als Rufnummer des „N.“ in drei beschlagnahmten Tele-
fonlisten sowie den Umstand gewürdigt, dass die Ehefrau des Klägers in der
Lage war, nach dessen Festnahme im März 1994 binnen zwei Tagen eine Kau-
tion in Höhe von 20 000 DM zu hinterlegen.
An diese Tatsachenfeststellungen ist der Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO ge-
bunden, da die hiergegen erhobenen Verfahrensrügen ohne Erfolg bleiben (aa).
Die Würdigung der Passfälschertätigkeit des Klägers als frühere Unterstüt-
zungshandlung verstößt weder gegen das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1
BZRG (bb) noch gegen die Unschuldsvermutung (cc). Die Angriffe der Revision
gegen die ebenfalls als Unterstützungshandlung gewürdigte Teilnahme des
Klägers an der versuchten Erstürmung der Parteizentrale der SPD in Köln ge-
hen ins Leere (dd).
aa) Die von der Revision erhobenen Rügen eines Verstoßes gegen den Unter-
suchungsgrundsatz (1), einer Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht (2)
und eines Verstoßes gegen Denkgesetze (3) bleiben ohne Erfolg.
(1) Es kann dahinstehen, ob die Rüge, das Berufungsgericht habe dadurch,
dass es die Aussage der Ehefrau des Klägers allein auf der Grundlage eines
behördlichen Vermerks gewürdigt hat, gegen den Untersuchungsgrundsatz des
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§ 86 Abs. 1 VwGO verstoßen, den Darlegungserfordernissen des § 139 Abs. 3
Satz 4 VwGO genügt, da sie jedenfalls unbegründet ist.
Gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwGO erforscht das Gericht den Sachver-
halt von Amts wegen. Der Untersuchungsgrundsatz verpflichtet es, alle vernünf-
tigerweise zu Gebote stehenden Aufklärungsmöglichkeiten bis zur Grenze der
Zumutbarkeit zu nutzen; dies schließt eine Bindung an die im vorangegangenen
Verwaltungsverfahren ermittelten tatsächlichen Feststellungen grundsätzlich
aus. Das Gericht muss daher alle Aufklärungsbemühungen unternehmen, auf
die die Beteiligten - insbesondere durch begründete Beweisanträge - hinwirken
oder die sich hiervon unabhängig aufdrängen (Urteil vom 28. Juli 2011
- BVerwG 2 C 28.10 - NVwZ-RR 2011, 986 ). Dabei stellt die Aufklä-
rungsrüge kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der
Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen,
zu kompensieren (vgl. Beschlüsse vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B 81.94 -
Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265 und vom 22. März 2006 - BVerwG 4 B
15.06 - juris Rn. 7).
Sind - wie hier - keine förmlichen Beweisanträge gestellt, so bestimmt das Ge-
richt den Umfang seiner Aufklärung nach seinem pflichtgemäßen Ermessen. Es
überschreitet die Grenzen dieses Ermessens, wenn es eine Ermittlung unter-
lässt, die sich nach den Umständen des Falles - auch nach dem Vorbringen der
Beteiligten - von seinem Rechtsstandpunkt aus aufdrängen musste (stRspr, vgl.
Beschlüsse vom 6. März 1995 a.a.O. und vom 2. November 2007 - BVerwG 3 B
58.07 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 70 m.w.N.). Eine weitere Sach-
verhaltsaufklärung drängt sich auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag auf,
wenn die bisherigen Tatsachenfeststellungen seine Entscheidung noch nicht si-
cher tragen. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn ein Verfahrensbeteiligter
gegen das bisherige Ergebnis der Beweisaufnahme begründete Einwände er-
hebt. Denn in einem solchen Fall ist das Gericht gehindert, seine Entscheidung
unter Übergehung der Einwände auf das angegriffene Beweisergebnis zu stüt-
zen (vgl. Beschluss vom 14. September 2007 - BVerwG 4 B 37.07 - juris Rn. 3).
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Das Oberverwaltungsgericht war nicht deshalb zu weiterer Sachaufklärung ver-
pflichtet, weil der Kläger mit Schriftsatz vom 20. Mai 2010 auch die „vom Ver-
waltungsgericht unberücksichtigt gebliebenen Beweisanträge“ wiederholt hat.
Es ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz diese Be-
weisanregung als unsubstantiiert gewürdigt und hierzu ausgeführt hat, sie er-
schöpfe sich in einem schlichten Bestreiten der Indiztatsache des Geständnis-
ses der Ehefrau des Klägers, ohne konkrete positive Tatsachen in das Wissen
der Zeugin zu stellen, die diese Indiztatsache entkräften oder im Ergebnis eine
andere tatsächliche Würdigung rechtfertigen könnten. Einzelheiten, die Rück-
schlüsse auf eine unrichtige Beurkundung der Aussage seiner Ehefrau zulas-
sen, legt der Kläger nicht dar. Seine Beweisanregung verhält sich weder zu
dem Ablauf der Vernehmung durch das Bundeskriminalamt noch zu der Reak-
tion seiner Ehefrau auf den seinerzeitigen Vorhalt, obwohl hierzu nicht zuletzt
mit Blick auf die Gesamtheit der von dem Verwaltungsgericht gewürdigten Indi-
zien Veranlassung bestanden hätte.
(2) Ohne Erfolg rügt die Revision, das Berufungsgericht habe dadurch, dass es
unterlassen habe, auf die mangelnde Substantiierung des die Vernehmung der
Ehefrau des Klägers und des Hasan K. betreffenden Beweisantritts hinzuwei-
sen, gegen seine Pflicht aus § 86 Abs. 3 VwGO verstoßen.
Diese Hinweispflicht konkretisiert den Anspruch auf Gewährung rechtlichen
Gehörs und zielt mit dieser Funktion insbesondere auf die
Vermeidung von Überraschungsentscheidungen. Hiergegen verstößt das Ge-
richt, wenn es einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen
Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem
Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit welcher der unterlegene Beteiligte nach
dem Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (Urteil vom 11. Novem-
ber 1970 - BVerwG 6 C 49.68 -<266 f.>; Beschlüsse vom
29. Juli 2004 -- juris Rn. 2 m.w.N. und vom 4. Juli 2007
-- juris Rn. 5). So liegen die Dinge hier jedoch nicht.
Ungeachtet des Umstandes, dass der Kläger anwaltlich vertreten und die Be-
lehrungspflicht aus diesem Grund ohnehin ihrem Umfang nach eingeschränkt
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war (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Mai 1991 - 2 BvR 170/85 - NVwZ 1992, 259
<260>; BVerwG, Urteil vom 10. Juni 1965 - BVerwG 2 C 195.62 - BVerwGE 21,
217 <218> = Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 4), waren die Beweisanträge
bereits im erstinstanzlichen Verfahren - wenngleich mit anderer Begründung -
abgelehnt worden. Der Umstand, dass das Berufungsgericht die Revision we-
gen der Überprüfungsbedürftigkeit der Feststellung, der Kläger sei unter dem
Decknamen „N.“ für die PKK tätig gewesen, zugelassen hat, konnte kein
schutzwürdiges Vertrauen darauf begründen, dass das Berufungsgericht den
Anträgen stattgeben würde. Dies gilt umso mehr, als dem Umstand, dass das
Berufungsgericht zur Berufungsverhandlung - wie aus der Terminsladung und
der darin enthaltenen Bitte, sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Ver-
handlung einverstanden zu erklären, ersichtlich ist - keine Zeugen geladen hat-
te, zu entnehmen war, dass es eine Zeugenvernehmung nicht für erforderlich
hielt. In dieser Situation wäre es Sache des Klägers gewesen, in prozessual
geeigneter Weise auf die von ihm für geboten erachtete Beweiserhebung hin-
zuwirken (vgl. Beschluss vom 27. Januar 2006 - BVerwG 5 B 98.05 - juris
Rn. 9). Dementsprechend durfte das Berufungsgericht in der konkreten Pro-
zesssituation abwarten, welche Beweisanträge in welcher Form in der mündli-
chen Verhandlung tatsächlich gestellt werden würden. Es war nicht gehalten,
den Beteiligten vorab mitzuteilen, wie es die Beweisanregungen rechtlich be-
wertete. Dies gilt umso mehr, als sich deren tatsächliche und rechtliche Würdi-
gung regelmäßig erst auf Grund der abschließenden Beratung ergibt (stRspr,
vgl. Beschluss vom 21. September 2011 - BVerwG 5 B 11.11 - juris Rn. 3
m.w.N.).
(3) Ebenfalls erfolglos rügt die Revision einen Verstoß gegen den Überzeu-
gungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Rüge einer fehlerhaften Sachverhaltswürdigung ist revisionsrechtlich re-
gelmäßig nicht dem Verfahrens-, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen
und kann deshalb einen Verfahrensmangel grundsätzlich nicht begründen. Eine
Ausnahme gilt unter anderem für die gegen Denk- oder Naturgesetze versto-
ßende Sachverhaltswürdigung (Beschluss vom 21. September 2011 a.a.O. juris
Rn. 9). Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt nur vor, wenn ein Schluss aus
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Gründen der Logik schlechthin nicht gezogen werden kann, nicht jedoch schon
dann, wenn das Gericht andere Schlüsse gezogen hat, als sie nach Auffassung
eines der Verfahrensbeteiligten hätten gezogen werden müssen, selbst wenn
der vom Verfahrensbeteiligten favorisierte Schluss vielleicht sogar näher liegt
als der vom Gericht gezogene (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 18. Februar 1972
- BVerwG 8 B 3.72/8 C 7.72 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 62 und vom
21. September 1982 --<63>).
Die von der Revision gerügten Verstöße gegen Denkgesetze werden nicht in
einer den Anforderungen desgenügenden Weise
dargelegt.
Soweit sich die Rüge gegen die Würdigung des Berufungsgerichts richtet, die
am 5. Juli 1989 im Keller der Ehewohnung beschlagnahmten Gegenstände
deuteten auf die Identität des Klägers mit dem Decknamen „N.“ hin, beschränkt
sie sich auf eine in die Form einer Verfahrensrüge gekleidete inhaltliche Kritik
an der tatrichterlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Berufungsge-
richts. Sie setzt dieser eine eigene Würdigung entgegen, ohne jedoch Anhalts-
punkte für eine willkürliche oder gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfah-
renssätze verstoßende Würdigung der Erkenntnismittel zu benennen. Insbe-
sondere zeigt sie nicht auf, welche Denkgesetze das Berufungsgericht bei der
Würdigung des Sachverhalts außer Acht gelassen haben sollte. Hierfür ist dem
Beschwerdevorbringen auch im Übrigen nichts zu entnehmen.
Ein Verstoß gegen Denkgesetze wird auch nicht hinsichtlich der Würdigung des
Berufungsgerichts aufgezeigt, Indiz für eine enge Verbindung des Klägers mit
der PKK sei auch der Umstand, dass seine Ehefrau nach seiner Festnahme im
März 1994 innerhalb von zwei Tagen eine Kaution in Höhe von 20 000 DM hin-
terlegen konnte. Dass der Sachverhalt nur die von dem Kläger in den Raum
gestellte Schlussfolgerung zulässt, jede andere hingegen aus denkgesetzlichen
oder logischen Gründen schlechterdings unmöglich ist, lässt sich dem Revi-
sionsvortrag nicht entnehmen.
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bb) Das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 des Gesetzes über das Zentralre-
gister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz - BZRG) in der
Fassung der Bekanntmachung vom 21. September 1984 (BGBl I S. 1229,
1985 I S. 195), zuletzt geändert durch Gesetz vom 15. Dezember 2011 (BGBl I
S. 2714) steht der Berücksichtigung der Passfälschungen im Rahmen des Aus-
schlussgrundes des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG im Ergebnis nicht entgegen. Aller-
dings ist das angefochtene Urteil mit § 51 Abs. 1 BZRG insoweit nicht vereinbar
(§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), als frühere Verfolgungs- oder Unterstützungshand-
lungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG nach Auffassung des Berufungsge-
richts bereits tatbestandlich nicht von dem Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1
BZRG erfasst werden (1). Die Entscheidung beruht indes nicht auf diesem
Rechtsverstoß. Das Berufungsgericht hat im Einklang mit § 51 Abs. 1 BZRG
selbstständig tragend ausgeführt, dass die Passfälschertätigkeit auch deshalb
nicht von dem Verwertungsverbot erfasst werde, weil sie nicht zu einer straf-
rechtlichen Verurteilung geführt habe (2).
(1) Die Regelung über den Ausschluss der Einbürgerung in § 11 Satz 1 Nr. 1
StAG hat keinen die Anwendbarkeit des Verwertungsverbotes des § 51 Abs. 1
BZRG ausschließenden Charakter. § 51 Abs. 1 BZRG bestimmt, dass die Tat
und die Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten
und nicht mehr zu seinem Nachteil verwertet werden dürfen, wenn die Eintra-
gung über eine Verurteilung im Register getilgt worden oder zu tilgen ist.
Der Wortlaut der Norm lässt eine generelle Ausklammerung vergangener Ver-
folgungs- und Unterstützungshandlungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG
aus dem Anwendungsbereich des Verwertungsverbots nicht zu. Der zentrale
Begriff des Rechtsverkehrs umfasst vielmehr sämtliche Bereiche des Rechtsle-
bens unter Einschluss des Verwaltungs- und damit auch des Staatsangehörig-
keitsrechts (vgl. zum Ausländerrecht Urteil vom 5. April 1984 - BVerwG 1 C
57.81 - BVerwGE 69, 137 <143> = Buchholz 402.24 § 15 AuslG Nr. 6 S. 12 f.;
ferner Götz/Tolzmann - Bundeszentralregistergesetz, 4. Aufl. 2000, § 51
Rn. 21).
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Die Bestimmung kann nicht im Wege einer teleologischen Reduktion dahin ein-
geschränkt werden, dass die hier in Rede stehenden Handlungen nicht ihrem
Anwendungsbereich unterfallen. Dies setzte voraus, dass eine solche Ein-
schränkung nach den vom Gesetzgeber mit der Norm verfolgten Regelungszie-
len geboten ist (vgl. Urteil vom 9. Februar 2012 - BVerwG 5 C 10.11 - juris
Rn. 15, zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen). Dies ist hier nicht der
Fall.
Die weite Fassung des Verwertungsverbotes spiegelt dessen Zweck wider, den
Einbürgerungsbewerber von einem Strafmakel zu befreien und dadurch seine
Resozialisierung zu begünstigen. Ziel der von dem Gedanken der Rehabilitation
geprägten Regelung war die Schaffung eines umfassenden Verwertungsverbo-
tes, das von allen staatlichen Stellen Beachtung verlangt und von dem nur ab-
schließend aufgezählte Ausnahmen zulässig sein sollen (Götz/Tolzmann a.a.O.
§ 51 Rn. 4). Soweit der Gesetzgeber einzelne Bereiche des Rechts ausnehmen
wollte, hat er dies abschließend in § 51 Abs. 2 und § 52 BZRG geregelt. Gemäß
§ 52 Abs. 1 Nr. 1 BZRG darf eine frühere Tat abweichend von § 51 Abs. 1
BZRG nur berücksichtigt werden, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik
Deutschland oder eines ihrer Länder eine Ausnahme zwingend gebietet. Insbe-
sondere an dieser Ausnahme muss sich auch eine Unterstützungshandlung im
Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG messen lassen.
(2) § 51 Abs. 1 BZRG ist auf Taten, die nicht zu einer strafrechtlichen Verurtei-
lung geführt haben, weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden.
Einer unmittelbaren Anwendung des § 51 Abs. 1 BZRG steht entgegen, dass
die Vorschrift tatbestandlich eine eingetragene Verurteilung voraussetzt. Nur
strafgerichtliche Verurteilungen im Sinne des § 3 Nr. 1 i.V.m. § 4 BZRG unter-
liegen gemäß § 45 Abs. 1 BZRG der Tilgung. Mit dem Verwertungsverbot soll
der Verurteilte nach Tilgung bzw. Tilgungsreife von dem Makel der Verurteilung
befreit und ihm die Resozialisierung erleichtert werden (BRDrucks 676/69 S. 24
und BTDrucks VI/1550 S. 21, jeweils zu § 49 BZRG a.F.). Daran fehlt es hin-
sichtlich der Passfälschertätigkeit.
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Einer entsprechenden Anwendung widerstreitet, dass insoweit zwar eine Rege-
lungslücke besteht, diese aber nicht planwidrig ist. Die Anordnung eines Ver-
wertungsverbotes für Taten, die nicht in das Register einzutragen und aus die-
sem zu tilgen sind, ginge über den gemäß § 3 Nr. 1, § 4 BZRG auf strafrechtli-
che Verurteilungen beschränkten Rahmen des Gesetzes hinaus. Obgleich dem
Gesetzgeber die Problematik seit Jahrzehnten bekannt ist, hat er keine Veran-
lassung gesehen, den Gedanken der Rehabilitation auch für Taten, die nicht
durch eine Verurteilung strafrechtlich geahndet werden, normativ zu verankern.
Dessen ungeachtet sind auch die Sachverhalte nicht vergleichbar. Das Be-
kanntwerden eines Gesetzesverstoßes, der nicht durch eine strafrechtliche
Verurteilung geahndet worden ist, ist nicht in gleicher Weise wie der aus einer
Verurteilung herrührende Strafmakel geeignet, die soziale Stellung des Betrof-
fenen zu gefährden (Urteile vom 3. Dezember 1973 - BVerwG 1 D 62.73 -
BVerwGE 46, 205 <206 f.> und vom 26. März 1996 - BVerwG 1 C 12.95 -
BVerwGE 101, 24 <30> = Buchholz 402.5 WaffG Nr. 76 S. 30; vgl. ferner BGH,
Urteil vom 6. Dezember 1972 - 2 StR 499/72 - BGHSt 25, 64 <65> und Be-
schluss vom 8. März 2005 - 4 StR 569/04 - NStZ 2005, 397 f.).
cc) Das Berufungsgericht war auch nicht durch die Unschuldsvermutung gehin-
dert, die Tätigkeit des Klägers als Passfälscher, hinsichtlich derer das Strafver-
fahren gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt wurde, bei seiner Überzeugungs-
bildung zu berücksichtigen.
Die Unschuldsvermutung ist eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprin-
zips und hat damit Verfassungsrang. Sie ist durch Art. 6 Abs. 2 EMRK Bestand-
teil des positiven Rechts im Range eines Bundesgesetzes und schützt den Be-
schuldigten vor Nachteilen, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen, denen
aber kein rechtsstaatliches prozessordnungsgemäßes Verfahren vorausgegan-
gen ist (BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1990 - 2 BvR 254/88 und 2 BvR
1343/88 - BVerfGE 82, 106 <114 f.>). Sie schützt hingegen nicht vor Rechtsfol-
gen, die - wie die Ablehnung der Einbürgerung in den deutschen Staatsver-
band - keinen Strafcharakter haben, sondern an ordnungsrechtlichen Zielset-
zungen orientiert sind.
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dd) Da das Berufungsgericht das Unterstützen von Bestrebungen im Sinne des
§ 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ohne Verletzung revisiblen Rechts selbstständig tragend
auf die Fälschung von Passpapieren gestützt hat, können die Angriffe gegen
die ebenfalls als Unterstützungshandlung gewürdigte Teilnahme des Klägers an
der versuchten Erstürmung der Parteizentrale der SPD in Köln im Februar 1999
schon deshalb keinen Erfolg haben, weil das angegriffene Urteil nicht auf einem
etwaigen Rechtsverstoß im Zusammenhang mit diesen Erwägungen beruhen
kann. Denn eine Rechtsverletzung ist im Falle einer kumulativen Mehrfachbe-
gründung nur kausal im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO, wenn diese sämtliche
Begründungsstränge erfasst oder wenn jeder der Begründungsstränge von ei-
nem individuellen Rechtsverstoß betroffen ist (Urteil vom 21. September 2000
- BVerwG 2 C 5.99 - Buchholz 237.1 Art. 86 BayLBG Nr. 10 S. 12 f. m.w.N.).
c) Der Kläger hat auch nicht im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft
gemacht, dass er sich von der früheren Unterstützung der in Rede stehenden
Bestrebungen abgewandt hat. An das Sich-Abwenden im Sinne des § 11 Satz 1
Nr. 1 StAG werden keine strengeren Beweisanforderungen als an den Aus-
schlussgrund selbst gestellt. Denn die Glaubhaftmachung bezeichnet ein he-
rabgesetztes Beweismaß. Hinsichtlich der an die Glaubhaftmachung zu stellen-
den Anforderungen sind Art, Gewicht, Dauer, Häufigkeit und Zeitpunkt des ein-
bürgerungsschädlichen Verhaltens zu beachten. Die Anforderungen sind in der
Regel umso höher, je stärker das Gewicht des einbürgerungsschädlichen Ver-
haltens ist und je näher dieses Verhalten zeitlich an die Entscheidung über den
Einbürgerungsantrag heranreicht. Es ist eine Gesamtschau der für und gegen
eine Abwendung sprechenden Faktoren vorzunehmen. Allein der Umstand,
dass die Unterstützungshandlungen schon mehrere Jahre zurückliegen, genügt
nicht. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass äußerlich feststellbare Um-
stände vorliegen, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Ausländer
seine innere Einstellung verändert hat und daher künftig eine Verfolgung oder
Unterstützung von - wie hier - sicherheitsgefährdenden Bestrebungen durch ihn
auszuschließen ist. Der Ausländer muss in jedem Fall einräumen oder zumin-
dest nicht bestreiten, in der Vergangenheit eine Bestrebung im Sinne des § 11
Satz 1 Nr. 1 StAG unterstützt zu haben. Er muss aber nicht seine in der Ver-
gangenheit liegenden Handlungen bedauern, als falsch bzw. irrig verurteilen
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oder ihnen abschwören (vgl. Berlit a.a.O. Rn. 152 und 158; Hailbronner, in:
Hailbronner/Renner/Maaßen, Staatsangehörigkeitsrecht, 5. Aufl. 2010, § 11
Rn. 17 ff. jeweils m.w.N.).
Das Berufungsgericht hat sich im Rahmen seiner Überzeugungsbildung ersicht-
lich von diesen Grundsätzen leiten lassen. Auf der Grundlage der von ihm ge-
troffenen Feststellungen, gegen die die Revision keine Verfahrensrügen erho-
ben hat, ist seine rechtliche Würdigung, dass keine ausreichenden tatsächli-
chen Anhaltspunkte für eine Abwendung des Klägers von der PKK vorliegen,
revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Vormeier
Stengelhofen
Dr. Störmer
Dr. Häußler
Dr. Fleuß
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Sachgebiet:
BVerwGE: ja
Staatsangehörigkeitsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
BVerfSchG § 4 Abs. 1
BZRG
§ 3 Nr. 1, §§ 4, 45, 51 Abs. 1 und § 52 Abs. 1 Nr. 1
EMRK
Art. 6 Abs. 2
StAG
§ 10 Abs. 1, § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 und 3
StPO
§ 153 Abs. 1
VwGO
§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1, § 108 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2
Stichworte:
Einbürgerung; Staatsverband; Einbürgerungsantrag; Anspruchsgrundlagen;
Beschränkung; eindeutig; Anspruchseinbürgerung; Schutzklausel; verfassungs-
feindlich; extremistisch; Bestrebungen; Sicherheit der Bundesrepublik Deutsch-
land; innere Sicherheit; auswärtige Belange; Unterstützen; PKK; Passfälschun-
gen; Aufklärungsrüge; Untersuchungsgrundsatz; Hinweispflicht; gerichtliche
Hinweispflicht; Beweisanregung; unsubstantiiert; Beweisantrag; Denkgesetze;
Logik; Vorhalteverbot; Verwertungsverbot; Verurteilung; Bundeszentralregister;
Einstellung; Verfahrenseinstellung; Tilgung; Tilgungsreife; Strafmakel; Resozia-
lisierung; Rehabilitation; Eingliederung; Unschuldsvermutung; Strafcharakter;
Sich-Abwenden; Abwenden; Glaubhaftmachung; Lernprozess; Zeitablauf.
Leitsätze:
1. Der Antrag eines Ausländers auf Einbürgerung in den deutschen Staatsver-
band ist grundsätzlich auf sämtliche denkbaren Anspruchsgrundlagen gestützt.
Soll ausnahmsweise etwas anderes gelten, muss dies gegenüber der Behörde
klar und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht werden.
2. Dem Vorhalte- und Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG unterfallen
grundsätzlich auch frühere Verfolgungs- und Unterstützungshandlungen im
Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG.
3. § 51 Abs. 1 BZRG ist auf Taten, die nicht zu einer strafrechtlichen Verurtei-
lung geführt haben, nicht anzuwenden.
Urteil des 5. Senats vom 20. März 2012 - BVerwG 5 C 1.11
I. VG Köln vom 23.02.2005 - Az.: VG 10 K 9650/03 -
II. OVG Münster vom 14.12.2010 - Az.: OVG 19 A 1491/05 -