Urteil des BVerwG vom 19.03.2009

Kaufpreis, Verkehrswert, Missbrauch, Verfolgter

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 9.09
VG 6 K 2499/05
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. März 2009
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Brunn und Dr. Störmer
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts
Dresden vom 5. November 2008 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt - mit Ausnahme der außergerichtlichen
Kosten der Beigeladenen - die Kosten des Beschwerde-
verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 13 037,94 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Das Beschwerdevorbringen führt nicht auf einen Revisionszulassungsgrund;
namentlich liegt weder der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2
VwGO) noch der der Grundsatzbedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) vor.
1. Soweit die Beschwerde eine Abweichung vom Urteil des Bundesverwal-
tungsgerichts vom 3. Juli 1969 - BVerwG 3 C 176.67 - (auszugsweise abge-
druckt in Buchholz 427.207 § 1 7. Feststellungs DV Nr. 12) rügt, steht dem Er-
folg dieser Rüge bereits der Umstand entgegen, dass die angeführte Entschei-
dung eine andere gesetzliche Bestimmung betraf als die vom Verwaltungsge-
richt herangezogenen Vorschriften.
Auch inhaltlich wäre ein rechtsgrundsätzlicher Widerspruch im Übrigen nicht
erkennbar. Nach den Urteilsgründen begehrte die damalige Klägerin Hausrat-
entschädigung wegen Entziehung ihres Hausrats in Prag, wo sie bis 23. Sep-
tember 1938 gewohnt hatte, bevor sie in die Vereinigten Staaten von Amerika
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ausgewandert war. Folglich ging es im Verfahren darum, ob nach den ein-
schlägigen lastenausgleichsrechtlichen Bestimmungen in Prag der Verfol-
gungszeitraum schon oder noch nicht begonnen hatte, was sich nach der ein-
schlägigen Durchführungsverordnung danach bemaß, ob und ab wann Prag in
den unmittelbaren Einflussbereich der deutschen Staatsführung einbezogen
war. Es bedarf keiner weiteren Begründung, dass die damaligen rechtlichen
Maßstäbe zur Beantwortung der Frage, ob in Prag zurückgelassener Hausrat
verfolgungsbedingt entzogen worden ist, nicht die selben sein müssen, die für
die im Streitverfahren maßgebliche Frage heranzuziehen sind, ob ein in
Deutschland gelegenes Hausgrundstück im Jahre 1936 seinem in Prag leben-
den jüdischen Eigentümer verfolgungsbedingt entzogen worden ist.
2. Die von der Beschwerde aufgeworfenen Grundsatzfragen führen sämtlich
nicht zum Erfolg, weil sie entweder von nicht tatsachengerichtlich festgestellten
Umständen ausgehen oder - gemessen an dem Grundsatzurteil vom 29. März
2007 - BVerwG 5 C 22.06 - (BVerwGE 128, 257) - einzelfallbezogene und damit
nicht verallgemeinerungsfähig zu beantwortende Fragestellungen betreffen.
a) Die Frage, ob „auch Ausländer, die selbst nicht unter der nationalsozialisti-
schen Gewaltherrschaft gelebt haben, als Nichtverfolgte eine Stellung i. S. des
Urteils des BVerwG vom 29. März 2007 … innegehabt haben“, führt nicht auf
eine bisher noch nicht entschiedene Rechtsfrage.
Nach dem zu § 7a Abs. 3b Satz 2 VermG ergangenen Urteil des beschließen-
den Senats vom 29. März 2007 hat grundsätzlich derjenige eine missbrauchs-
fähige Stellung, der als Erwerber im Verhältnis zu dem Verkäufer eine überle-
gene, weil nicht gleiche Stellung innehat, was regelmäßig dann der Fall ist,
wenn ein selbst nicht Verfolgter die Möglichkeit des Erwerbs von Eigentum
(hier: rassisch) verfolgter Personen hatte (Urteil vom 29. März 2007 a.a.O.
Rn. 18 f.). Ob der Nichtverfolgte deutscher Staatsangehöriger war oder nicht
oder (überwiegend) im Ausland lebte, ist hierbei - entgegen der Annahme der
Beschwerde - regelmäßig nicht von Belang.
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Nach den nicht angegriffenen und damit bindenden verwaltungsgerichtlichen
Feststellungen hat im Streitfall ein im Sinne der vorstehenden Darlegungen be-
achtliches und einen Missbrauch indizierendes „Überlegenheitsverhältnis“ vor-
gelegen, weil der Veräußerer - im Gegensatz zum nicht verfolgten Erwerber -
zur Gruppe der verfolgten Juden gehörte.
b) Die Beschwerde hält weiter für grundsätzlich bedeutsam, ob „es mit dem
Gebot der engen Auslegung des Ausnahmetatbestandes des § 7a Abs. 3b
Satz 2 VermG vereinbar“ ist, „zu Lasten des nach § 7a Abs. 3b Satz 1 VermG
Berechtigten zu unterstellen, der Kaufpreis für ein von einem Bürger jüdischen
Glaubens erworbenen Grundstücks habe unterhalb einer vom BVerwG für die
Annahme des Missbrauchs gezogenen Grenze gelegen, auch wenn - bei ins-
gesamt unzureichender Aktenlage - ein oberhalb dieser Grenze liegender Kauf-
preis in Betracht kommt“. Mit dieser Frage verfehlt die Beschwerde - abgese-
hen davon, dass es keinen allgemeingültigen Grundsatz einer engen Auslegung
von Ausnahmetatbeständen gibt - bereits die tatsächlichen Feststellungen des
Verwaltungsgerichts und die hierauf beruhenden rechtlichen Schlussfolge-
rungen. Eine fallübergreifende Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung
lässt sich damit nicht begründen.
Offenbar will die Beschwerde mit ihrer Behauptung, zu dem damals vereinbar-
ten Kaufpreis (in Höhe von annähernd 31 000 RM) müsse ein weiterer Betrag
(in Höhe von ca. 12 000 RM) deswegen hinzuaddiert werden, weil das erwor-
bene Hausgrundstück mit - vom Erwerber übernommenen - langfristigen dingli-
chen Belastungen in dieser Höhe belegt gewesen sei, erreichen, dass sich der
Kaufpreis dem vom Verwaltungsgericht ermittelten damaligen Verkehrswert
nähert und dadurch diesen nicht mehr deutlich unterschreitet.
Das Verwaltungsgericht hat indessen - ohne dass ein Verfahrensmangel gerügt
wird - festgestellt, dass die Grundstückseinheitswerte des Jahres 1935 ent-
sprechend den damals einschlägigen bewertungsrechtlichen Regeln unter Be-
rücksichtigung solcher langfristiger Lasten zu ermitteln waren. Deswegen durfte
das Verwaltungsgericht - auch ohne dies ausdrücklich darzulegen - davon aus-
gehen, dass der Einheitswert aus dem Jahre 1935 für das Hausgrundstück (in
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Höhe von - unstreitig - 48 600 RM) unter Berücksichtigung der in Rede stehen-
den Belastungen festgestellt worden war. Bei dem vom Verwaltungsgericht
nach seinen Urteilsgründen aus dem Einheitswert abgeleiteten Verkehrswert (in
Höhe von „hochgerechnet“ 54 000 RM) handelte es sich danach um den - nach
den verfahrensrechtlich nicht angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsge-
richts - damaligen „echten“ Verkehrswert, mithin den Wert, den ein Nichtverfolg-
ter für dieses belastete Hausgrundstück hätte erzielen können.
c) Mit der dritten Frage, ob „einem Ausländer, auch wenn er (noch) persönliche
Bezüge zu deutschen Staatsangehörigen hatte, i. S. des Missbrauchstatbe-
standes des § 7b Abs. 3 Satz 2 VermG im subjektiven Bereich die Absicht un-
terstellt werden“ kann, „er habe seine ‚Stellung’ missbrauchen wollen, um für
einen Grundstückserwerb mit einer - nicht deutschen, nicht der nationalsozialis-
tischen Gewaltherrschaft unterworfenen - Person einen niedrigeren Kaufpreis
zu erzielen“, wird eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne
von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht aufgeworfen. Soweit die Beschwerde mit
Blick auf den subjektiven Missbrauchstatbestand bezweifelt, dass der damalige
Erwerber überhaupt die Möglichkeit hatte, die Verfolgungslage des Veräußerers
zu erkennen, könnte der Ertrag eines angestrebten Revisionsverfahrens nicht
über die Erkenntnisse des vorbezeichneten Urteils vom 29. März 2007
hinausreichen.
Hiernach liegt in subjektiver Hinsicht in den Fällen, in denen sich objektiv der
Missbrauch allein aus der Vereinbarung eines nicht angemessenen Kaufpreises
ergibt, ein Missbrauch dann vor, wenn der Käufer erkannte oder erkennen
musste, dass der Verkäufer zu der Gruppe der Personen gehört hat, die von
dem nationalsozialistischen Unrechtssystem verfolgt worden ist, und er auch
erkannt hat oder erkennen musste, dass der von dem Verkäufer erzielte Kauf-
preis unangemessen niedrig war (Urteil vom 29. März 2007 a.a.O. Rn. 26).
Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht - mit verfahrensrechtlich nicht
angegriffenen Erwägungen - eine „krasse Wertunterschreitung“ festgestellt. Es
hat dargelegt, dass mangels Anhaltspunkten für sonstige Umstände, die den
„extrem niedrigen Kaufpreis“ zu rechtfertigen vermocht hätten, aus der Verfol-
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gungssituation des Verkäufers aufgrund dessen jüdischer Abstammung/Zuge-
hörigkeit zu folgern sei, dass der damalige Erwerber, der sich zumindest zum
Zeitpunkt des Kaufs des Grundstücks in Deutschland aufgehalten habe, ge-
wusst haben musste, dass sich der niedrige, den damaligen Verkehrswert für in
Deutschland gelegene und vergleichbare Hausgrundstücke deutlich unter-
schreitende Kaufpreis allein aus einer Verfolgungssituation des Veräußerers hat
ergeben können. Dieser in sich nicht widersprüchlichen und auch ansonsten
nicht willkürlichen Bewertung setzt die Beschwerde lediglich eine andere
(eigene) Bewertung entgegen, was keine Revisionszulassung begründen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 i.V.m. § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Hund Dr. Brunn Dr. Störmer
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