Urteil des BVerwG vom 18.05.2007

Hund, Ausnahme, Schiedsstelle, Sozialhilfe

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 83.07 (5 PKH 4.07)
VGH 10 UE 2000/05
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. Mai 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Hund
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Brunn und Prof. Dr. Berlit
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Hessischen Verwal-
tungsgerichtshofs vom 12. Dezember 2006 wird zurück-
gewiesen.
Der Antrag des Klägers, ihm Prozesskostenhilfe zu bewil-
ligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abge-
lehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Be-
schwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des
Verwaltungsgerichtshofs ist erfolglos. Die geltend gemachten Gründe rechtfer-
tigen eine Revisionszulassung nicht. Das Beschwerdevorbringen verkennt so-
wohl im Hinblick auf den geltend gemachten Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2
Nr. 3 VwGO) als auch im Hinblick auf die Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO), dass der entscheidungstragende rechtliche Ansatz der Berufungsent-
scheidung im Einklang steht mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
vom 4. August 2006 - BVerwG 5 C 13.05 - (BVerwGE 126, 295), auf das sich
der Verwaltungsgerichtshof bezogen hat und mit dem sich die Beschwerdebe-
gründung nicht auseinandersetzt.
1. Im Urteil vom 4. August 2006 hat der Senat zu einer vergleichbaren Sach-
und Rechtslage dargelegt:
„Aus § 93 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BSHG F. 1994 und § 93
Abs. 3 Satz 1 BSHG F. 1999 folgt nicht nur, dass das Ge-
setz den Fall der Sozialhilfegewährung in einer Einrich-
tung, mit der i.S.v. § 93 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BSHG
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F. 1994 und § 93 Abs. 3 Satz 1 BSHG F. 1999 keine Ver-
einbarung abgeschlossen ist, als Ausnahme versteht,
sondern auch, dass ein sog. ‚anderer Fall’ i.S.d. § 93
Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BSHG F. 1994 und ein Nichtab-
schluss einer Vereinbarung i.S.v. § 93 Abs. 3 Satz 1
BSHG F. 1999 vorbehaltlich der Folgen einer Vereinba-
rungskündigung (§ 93c BSHG F. 1999) nur gegeben sind,
wenn in Bezug auf eine Einrichtung entweder der Ab-
schluss einer Vereinbarung von vornherein gar nicht an-
gestrebt war oder eine Vereinbarung - sei es in direkten
Verhandlungen, sei es mit Hilfe einer Schiedsstellenent-
scheidung - endgültig nicht mehr zustande kommen kann.
Der Vorrang der Sozialhilfegewährung auf der Grundlage
von Vereinbarungen kommt nur dann effektiv zur Geltung,
wenn er für die gesamte Zeit gilt, in der eine angestrebte
Vereinbarung, ggf. in der Modifikation durch eine
Schiedsstellenfestsetzung, wirksam werden kann. Damit
tritt bereits vor dem Abschluss einer Vereinbarung mit
dem Antrag auf Abschluss einer Vereinbarung eine
Sperrwirkung für eine Sozialhilfegewährung ohne Bezug
zu einer Vereinbarung (sog. ‚anderer Fall’ i.S.v. § 93
Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BSHG F. 1994) ein; die Sperrwir-
kung dauert an, solange der angestrebte Abschluss einer
Vereinbarung bzw. eine vereinbarunggestaltende
Schiedsstellenentscheidung rechtlich und tatsächlich mög-
lich ist.“(a.a.O. S. 299 f.)
Vor dem Hintergrund des Umstands, dass nach den von der Beschwerde nicht
begründet angegriffenen Feststellungen der Berufungsentscheidung „gegen-
wärtig noch die Möglichkeit besteht, dass der Träger der Einrichtung und der
niedersächsische Träger der Sozialhilfe auch für den im vorliegenden Verfahren
streitigen Zeitraum endgültige Vereinbarung treffen oder eine neue Ent-
scheidung der Schiedsstelle ergeht“ (UA S. 5), ergibt sich hieraus, dass auch im
Streitfall eine Sperrwirkung im vorbezeichneten Sinne entstanden ist. Folglich
war das Berufungsgericht weder gehalten, den Sachverhalt in Bezug auf
Einzelfallgesichtspunkte, die das Gebotensein von Hilfe nach hier gerade nicht
festgestelltem (endgültigen) Nichtabschluss einer Vereinbarung betreffen, wei-
ter aufzuklären, wie die Beschwerde rügt, noch Maßstäbe dazu zu entwickeln,
wie sich das Merkmal der „Besonderheiten des Einzelfalles“ i.S.v. § 93 Abs. 3
Satz 1 BSHG in ein Regel-Ausnahme-Verhältnis einfügen lässt, wie die Be-
schwerde zur Begründung der Grundsatzrüge vorbringt. Insbesondere ist das
Berufungsgericht hier nicht „Ersatzgesetzgeber“, wie die Beschwerde rügt, son-
dern wendet gesetzliche Bestimmungen in einer Weise an, wie sie nach der
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Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts, mit der sich die Beschwerde nicht
inhaltlich auseinandersetzt und die die sinngemäß von der Beschwerde aufge-
worfenen Fragen der Verhältnisse von Leistungsrecht und hier insbesondere
den §§ 3, 4 BSHG zum Leistungserbringungsrecht der §§ 93 ff. BSHG klärt, an-
zuwenden sind.
Soweit die Beschwerde rügt, dass das Berufungsgericht das Prinzip des Be-
darfsdeckungsgrundsatzes zum Nachteil des Klägers grundsätzlich in Frage
gestellt habe, verkennt sie, dass es sich insoweit um Fragen handelt, die dem
Vereinbarungsverfahren vorbehalten sind, welches sich auch im streitigen Fall
noch tatsächlich und rechtlich durchsetzen kann; denn die Sperrwirkung im vor-
bezeichneten Verständnis führt, wie der angefochtene Beschluss zutreffend
ausführt, lediglich dazu, dass der Beklagte nicht verpflichtet ist,
dem Kläger höhere Leistungen zu gewähren, als er sie als Folge einer vorläufi-
gen Vereinbarung aus dem Jahr 2001 bisher bewilligt und erbracht hat.
2. Von einer weiteren Begründung sieht der beschließende Senat ab (§ 133
Abs. 5 Satz 2 VwGO).
3. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiord-
nung eines Rechtsanwalts ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfol-
gung aus den genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet
(§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 121 Abs. 1 ZPO).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten
werden gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben.
Hund Dr. Brunn Prof. Dr. Berlit
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