Urteil des BVerwG vom 24.09.2007

Leistungsvereinbarung, Treu Und Glauben, Krankenpflege, Form

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 77.06 (5 C 24.07)
OVG 4 LC 238/04
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. September 2007
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt und Dr. Franke
beschlossen:
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Die Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwal-
tungsgerichts über die Nichtzulassung der Revision gegen
sein Urteil vom 26. April 2006 wird aufgehoben, soweit es
den Hilfsantrag auf Abschluss einer Leistungsvereinba-
rung auf der Grundlage des Angebotes des Klägers für die
Zeit vom 1. Januar 2002 bis zum 31. Dezember 2003
betrifft. Insoweit wird die Revision zugelassen.
Im Übrigen wird die Beschwerde des Klägers gegen die
Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen.
Soweit die Revision zugelassen worden ist, folgt die Ent-
scheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens der
Kostenentscheidung in der Hauptsache. Soweit die
Beschwerde zurückgewiesen worden ist, trägt der Kläger
die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten
werden nicht erhoben.
G r ü n d e :
1. Die Beschwerde ist nicht begründet, soweit der Kläger die Feststellung be-
gehrt, dass zwischen ihm und dem Beklagten eine Leistungsvereinbarung über
die Krankenstation besteht (dazu unter 1.1), soweit er hilfsweise beantragt, den
Beklagten zu verpflichten, sein Angebot zum Abschluss einer Leistungsverein-
barung über die Krankenstation anzunehmen (dazu unter 1.2) und hilfsweise
begehrt, dass der Beklagte erneut über den Abschluss einer Leistungsverein-
barung über die Krankenstation auf der Grundlage des Angebotes des Klägers
für die Zeit ab dem 1. Januar 2004 entscheidet (dazu unter 1.3).
1.1 Für den Feststellungsantrag auf Bestehen einer Leistungsvereinbarung
kann die Revision nicht zugelassen werden.
1.1.1 Die in Bezug auf die Ausführungen zum Schriftformerfordernis geltend
gemachte (Beschwerdebegründung S. 4 und 13) Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2
VwGO) liegt nicht vor. Denn wie die Beschwerde (Beschwerdebegründung S. 6)
selbst ausführt, fehlte es in den den bezeichneten Urteilen des Bundes-
verwaltungsgerichts zugrunde liegenden Fallgestaltungen nicht bereits wie im
hiesigen Streitfall an beiderseitigen schriftlichen aufeinander bezogenen Ver-
tragserklärungen der Vertragsparteien, sondern allein an der Urkundeneinheit.
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Die Beschwerde hat auch nicht divergierende Rechtssätze des Bundesverwal-
tungsgerichts und des Berufungsgerichts gegenübergestellt. Denn die Auffas-
sung des Berufungsgerichts, dass nicht formgerechte öffentlich-rechtliche Ver-
träge nichtig sind, widerspricht nicht den Ausführungen des Bundesverwal-
tungsgerichts dazu, dass Formvorschriften kein Selbstzweck sind, deshalb un-
ter Berücksichtigung ihres Sinngehalts auszulegen und anzuwenden sind und
dass der Sinngehalt des § 57 VwVfG in der Warn- und Beweisfunktion der
Schriftform liegt.
1.1.2 Den angeführten Fragen zum Schriftformerfordernis kommt keine grund-
sätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zu. Denn wie die Beschwerde
(Beschwerdebegründung S. 6) selbst einräumt, gibt es zwischen den Parteien
jedenfalls für die streitgegenständliche Zeit ab Beginn des Jahres 2002 keine
aufeinander bezogenen schriftlichen Parteierklärungen zu einer Leistungsver-
einbarung, die die Voraussetzungen des § 93 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BSHG erfüllt.
Den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts lässt sich bereits nicht
entnehmen, dass die Parteien überhaupt eine dem § 93 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
BSHG inhaltlich gerecht werdende Leistungsvereinbarung, wenn auch nicht
schriftlich, so doch - gegebenenfalls unter Bezugnahme auf schriftliche Unter-
lagen - wenigstens mündlich oder konkludent geschlossen hätten. Der von der
Beschwerde für eine stillschweigende Leistungsvereinbarung herangezogene
Satz des Berufungsgerichts (UA S. 16 Abs. 3): „Danach liegen hier nicht die
Voraussetzungen dafür vor, dass eine zwischen dem Kläger und dem Beklag-
ten lediglich stillschweigend abgeschlossene Leistungsvereinbarung trotz des
Formmangels als gültig behandelt werden kann.“, enthält nicht die Feststellung,
dass eine Leistungsvereinbarung tatsächlich stillschweigend abgeschlossen
worden ist. Vielmehr bringt er allein zum Ausdruck, dass im Streitfall die Vor-
aussetzungen dafür, einen formwidrigen Vertrag - dazu, ob ein solcher Vertrag
überhaupt abgeschlossen worden ist, verhält sich das Berufungsgericht nicht -
ausnahmsweise als gültig anzusehen, nicht vorliegen.
Die in der Beschwerdebegründung auf Seite 4 unter 1.1 und 1.2 aufgeworfenen
Fragen, „ob ein öffentlich-rechtlicher Vertrag schon immer dann nichtig ist,
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wenn die im Rahmen von § 56 SGB X normalerweise verlangten Anforderun-
gen (Unterzeichnung durch alle Vertragsparteien in einer Urkunde) nicht erfüllt
sind“, und „ob auch bei Nichterfüllung der normalerweise im Rahmen von § 56
SGB X zu stellenden Anforderungen (Unterzeichnung durch alle Vertragspar-
teien in einer Urkunde) eine (Form-)Nichtigkeit des öffentlich-rechtlichen Ver-
trages nur dann anzunehmen ist, wenn die Prüfung des Einzelfalles ergibt, dass
die Warn- und Beweisfunktion der Schriftform nicht gewahrt ist“, stellen sich,
soweit sie auf das Erfordernis der Urkundeneinheit bezogen sind, im Streitfall
nicht, weil es hier nicht nur an der Urkundeneinheit fehlt, sondern überhaupt an
aufeinander bezogenen schriftlichen Vertragserklärungen der Parteien zu einer
Leistungsvereinbarung nach § 93 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BSHG. Soweit sich diese
Fragen zum Schriftformerfordernis auch auf die Schriftlichkeit der aufeinander
bezogenen Vertragserklärungen der Parteien beziehen, bedarf es keiner
Klärung in einem Revisionsverfahren. Die Antwort ergibt sich unmittelbar aus
dem Gesetz. § 56 SGB X legt für den öffentlich-rechtlichen Vertrag Schriftform
fest, soweit nicht durch Rechtsvorschrift eine andere Form vorgeschrieben ist.
Ist eine andere Form nicht vorgeschrieben und fehlt es an der Schriftform, so
folgt daraus kraft Gesetzes ohne Prüfung zum Gewicht der Warn- und
Beweisfunktion im Einzelfall die Nichtigkeit (§ 58 Abs. 1 i.V.m. § 56 SGB X,
§ 125 Satz 1 BGB).
Bereits aus diesem Grund sind auch die in der Beschwerdebegründung auf
Seite 4 unter 1.3 und 1.4 gestellten Fragen nicht von grundsätzlicher Bedeu-
tung.
1.1.3 Auch den Fragen zur unzulässigen Rechtsausübung unter 2.1 bis 2.3 in
der Beschwerdebegründung auf Seite 11 und 12 kommt keine grundsätzliche
Bedeutung zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Sie sind nicht so allgemein gefasst,
dass ihre Beantwortung für eine Vielzahl von Fällen gelten könnte, sondern be-
ziehen sich - den Einzelfall betreffend - darauf, ob zwischen den Beteiligten ab
2002 Leistungsvereinbarungen zwar nicht formgerecht, aber nach Treu und
Glauben gelten.
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Zu Frage 2.1, „ob - die Nichtigkeit der Leistungsvereinbarung unterstellt - das
Berufen des Sozialhilfeträgers auf die Nichtigkeit eine unzulässige Rechtsaus-
übung darstellt, wenn die Parteien sich über Inhalt, Umfang und Qualität der
Leistungen einig sind, die dem Beklagten bekannten Leistungen von diesem
seit 16 Jahren und länger in Anspruch genommen werden, die Beteiligten von
1985 bis 2001 auf der Grundlage des unstreitigen Leistungsstandards Pflege-
satz- und Vergütungsvereinbarungen abgeschlossen haben und diese Verhal-
tensweise der landeseinheitlichen Verwaltungspraxis des Beklagten entsprach,
die durch landesrahmenvertragliche Vereinbarungen vorgegeben waren“, kann
den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts schon nicht entnom-
men werden, dass zwischen den Beteiligten ab 2002 überhaupt eine § 93
Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BSHG inhaltlich entsprechende Leistungsvereinbarung,
wenn auch ohne Einhaltung der Schriftform, abgeschlossen worden ist. Zudem
kann aus Leistungsstandards als Grundlage für Pflegesatz- und Vergütungs-
vereinbarungen in der Zeit von 1985 bis 2001 nicht auf eine Fortwirkung in die
Jahre ab 2002 hinein geschlossen werden. Denn das Berufungsgericht hat bin-
dend festgestellt (UA S. 18), dass der Landesrahmenvertrag in der Übergangs-
fassung 1999 am 31. Dezember 2001 außer Kraft getreten ist, und dahin er-
kannt, dass „dies ebenso für eine durch den Rahmenvertrag begründete Leis-
tungsvereinbarung gelten“ müsse.
Die Frage 2.2., „ob die Berufung auf die Formnichtigkeit einer stillschweigenden
Leistungsvereinbarung eine unzulässige Rechtsausübung darstellt, wenn sich
der Beklagte als zuständiger Sozialhilfeträger nur gegenüber einigen Einrich-
tungsträgern beruft, die sich nicht vom Leistungsstandard her von anderen Ein-
richtungsträgern im Land Niedersachsen unterscheiden, sondern nur durch die
Tatsache, dass sie einem Landesrahmenvertrag nicht beigetreten sind“, und die
Frage 2.3., „ob das Motiv des Beklagten, sich gegenüber einigen Einrich-
tungsträgern auf die Formnichtigkeit der stillschweigend abgeschlossenen Leis-
tungsvereinbarung zu berufen, jedenfalls dann zu einer unzulässigen Rechts-
ausübung führt, wenn der Landesrahmenvertrag, dem die betreffenden Einrich-
tungsträger nicht beigetreten sind, nach rechtskräftiger verwaltungsgerichtlicher
Feststellung nicht wirksam zustande gekommen ist“, können für den Kläger
nicht zur Geltung einer Leistungsvereinbarung i.S.v. § 93 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
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BSHG führen, weil auch der bloße Beitritt zu einem - wirksamen oder unwirk-
samen - Landesrahmenvertrag, den der Beklagte wohl für andere Einrichtungs-
träger als Grundlage für den Abschluss einer Vergütungsvereinbarung hat aus-
reichen lassen, (noch) keine Leistungsvereinbarung i.S.d. § 93 Abs. 2 Satz 1
Nr. 1 BSHG ist .
1.2 Auch für den hilfsweise gestellten Verpflichtungsantrag, das Angebot des
Klägers zum Abschluss einer Leistungsvereinbarung anzunehmen, kann die
Revision nicht zugelassen werden.
Das Berufungsgericht hat den Hilfsantrag des Klägers, den Beklagten zu verur-
teilen, das Angebot des Klägers zum Abschluss einer Leistungsvereinbarung
für die Krankenstation nach Maßgabe der Anlage K in deren Fassung vom
19. Februar 2004 anzunehmen, bereits deshalb für unbegründet gehalten, weil
ein Rechtsanspruch auf den Abschluss von Vereinbarungen nach §§ 93 ff.
BSHG nicht bestehe (UA S. 18 unter Bezugnahme auf das Senatsurteil vom
30. September 1993 - BVerwG 5 C 41.91 - BVerwGE 94, 202). Das ist von der
Beschwerde nicht angegriffen worden.
1.3 Schließlich kann die Revision für den hilfsweise gestellten Antrag des Klä-
gers, den Beklagten zu verpflichten, erneut über den Abschluss einer Leis-
tungsvereinbarung für die Krankenstation auf der Grundlage des Angebotes
des Klägers zu entscheiden, nicht für die streitgegenständliche Zeit ab dem
1. Januar 2004 zugelassen werden.
Ausgehend davon, dass Einrichtungsträger ein subjektiv-öffentliches Recht auf
eine Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen über den Abschluss einer
Vereinbarung haben, hat das Berufungsgericht geprüft, ob der Beklagte das
Angebot des Klägers zum Abschluss einer Leistungsvereinbarung ermessens-
fehlerhaft abgelehnt hat und der Kläger deshalb einen Anspruch darauf hat,
dass der Beklagte erneut über den Abschluss der angebotenen Leistungsver-
einbarung entscheidet. Für die Zeit ab 1. Januar 2004 hat das Berufungsgericht
einen solchen Anspruch mit der Begründung verneint, dass es sich bei den in
der Krankenstation angebotenen Leistungen um solche nach § 27 SGB V bzw.
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§ 37 BSHG und nicht um Hilfe nach § 72 BSHG zur Überwindung besonderer
sozialer Schwierigkeiten handele (UA S. 18 a.E.).
1.3.1 Ein Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor. Zu Un-
recht meint die Beschwerde, das Berufungsgericht habe § 86 VwGO verletzt.
Verfahrensrechtlich ist das Gericht nicht an die rechtliche Einordnung eines
Leistungsangebotes als zu 80 % auf Leistungen nach § 72 BSHG und zu 20 %
auf häusliche Krankenpflege bezogen durch eine Partei gebunden, selbst wenn
die andere Partei dem nicht widerspricht. Denn die rechtliche Einordnung von
Leistungen und darauf bezogenen Angeboten betrifft ihre materiellrechtliche
Zuordnung im Rahmen der sozialen Leistungsgesetze. Ein Aufklärungsmangel
setzte deshalb voraus, dass ausgehend von der materiellrechtlichen Rechtsauf-
fassung des Berufungsgerichts, dass die in der Krankenstation angebotenen
Leistungen ihrem Schwerpunkt nach als Leistungen der häuslichen Kranken-
pflege anzusehen sind (UA S. 22), weiterer Aufklärungsbedarf besteht. Das
wird aber von der Beschwerde nicht vorgetragen. Zudem scheitert eine Aufklä-
rungsrüge auch daran, dass der anwaltlich vertretene Kläger in der mündlichen
Verhandlung vor dem Berufungsgericht zu dem vom Kläger nun als noch nicht
aufgeklärt gerügten Sachverhalt keinen Beweisantrag gestellt hat (vgl. Be-
schluss vom 25. Januar 2005 - BVerwG 9 B 38.04 - NVwZ 2005, 447, 449),
obwohl bereits das Verwaltungsgericht die Klageabweisung darauf gestützt hat,
dass der Kläger in der Krankenstation nicht Leistungen nach § 72 BSHG, son-
dern Krankenbehandlung erbracht habe (UA S. 12).
1.3.2 Auch kommt den in der Beschwerdebegründung auf Seite 15 angeführten
Fragen unter 2.1, „ob Hilfeempfänger, die in einer stationären Einrichtung nach
§ 72 Abs. 1 BSHG untergebracht und betreut werden, die Krankenkassenan-
sprüche auf häusliche Krankenpflege und häusliche Behandlungspflege im
Sinne von § 37 Abs. 1 und 2 SGB V haben können“, und unter 2.2, „ob eine
stationäre Einrichtung nach § 72 Abs. 1 BSHG unter § 71 Abs. 2 oder 4 SGB XI
fällt, so dass auch sie nach § 37 Abs. 2 Satz 5 SGB V anwendbar ist“, keine
grundsätzliche Bedeutung zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Frage unter 2.2
stellte sich bereits für den Streitfall nicht. Denn das Berufungsgericht hat mit
seinem Hinweis auf § 37 Abs. 2 Satz 5 SGB V in der Fassung des Gesetzes
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vom 14. November 2003 (BGBl I S. 2190) nicht behauptet, dass eine stationäre
Einrichtung nach § 72 Abs. 1 BSHG unter § 71 Abs. 2 oder 4 SGB XI falle. Bei-
den Fragen fehlt die grundsätzliche Bedeutung, weil sie für die künftige
Rechtsanwendung durch jetzt geltendes Recht geklärt sind. Denn § 37 Abs. 1
und 2 SGB V bestimmt in seiner ab 1. April 2007 geltenden Fassung durch Ge-
setz vom 26. März 2007 (BGBl I S. 378) zum Ort der häuslichen Krankenpflege
und Behandlungspflege: „Versicherte erhalten in ihrem Haushalt, ihrer Familie
oder sonst an einem geeigneten Ort …“. Danach können Hilfeempfänger, die in
einer stationären Einrichtung nach jetzt §§ 67 ff. SGB XII (früher § 72 BSHG)
untergebracht sind und betreut werden, Krankenkassenansprüche auf häusli-
che Krankenpflege einschließlich Behandlungspflege im Sinne von § 37 Abs. 1
und 2 SGB V haben.
2. Die Beschwerde ist aber begründet und die Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 2
VwGO zuzulassen, soweit ein Anspruch des Klägers darauf, dass der Beklagte
erneut über den Abschluss einer Leistungsvereinbarung auf der Grundlage des
Angebotes des Klägers entscheidet, für die Zeit vom 1. Januar 2002 bis zum
31. Dezember 2003 abgelehnt worden ist.
Einen solchen Anspruch hat das Berufungsgericht mit der Begründung verneint,
dass die gesetzlichen Regelungen dem Abschluss einer rückwirkenden
Leistungsvereinbarung entgegenstünden. Hierauf bezogen führt die Beschwer-
de an, es sei grundsätzlich klärungsbedürftig, „ob die Leistungsvereinbarung
des § 93 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BSHG/§ 75 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB XII für einen
rückwirkenden Zeitraum abgeschlossen werden kann“. Dazu hat der Senat zeit-
lich nach der Beschwerdebegründung mit Urteil vom 4. August 2006 - BVerwG
5 C 13.05 - BVerwGE 126, 295 dahin erkannt, dass Leistungsvereinbarungen
auch rückwirkend abgeschlossen werden können. Das ergibt sich daraus, dass
nach diesem Urteil Vereinbarungen nach § 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG noch recht-
lich und tatsächlich möglich sind, was voraussetzt, dass Leistungsvereinbarun-
gen auch rückwirkend geschlossen werden können.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts stehen gesetzliche Vorschrif-
ten dem Abschluss einer rückwirkenden Leistungsvereinbarung mithin nicht ent-
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gegen. § 93b Abs. 1 Satz 1 BSHG verpflichtet zwar, Vereinbarungen nach § 93
Abs. 2 BSHG vor Beginn der jeweiligen Wirtschaftsperiode für einen künftigen
Zeitraum (Vereinbarungszeitraum) abzuschließen, verbietet aber einen
rückwirkenden Abschluss nicht. Nach § 93b Abs. 2 Satz 1 BSHG treten Verein-
barungen und Schiedsstellenentscheidungen zu dem darin bestimmten Zeit-
punkt in Kraft und nach § 93b Abs. 2 Satz 2 BSHG werden, wenn ein Zeitpunkt
nicht bestimmt wird, Vereinbarungen mit dem Tag ihres Abschlusses und Fest-
setzungen der Schiedsstelle mit dem Tag wirksam, an dem der Antrag bei der
Schiedsstelle eingegangen ist. Ein jeweils vor diesen Zeitpunkt zurückwirken-
des Vereinbaren oder Festsetzen verbietet § 93b Abs. 2 Satz 3 BSHG nur für
Vergütungen, hingegen nicht für Leistungsvereinbarungen. Es sichert das Ver-
bot nachträglicher Ausgleiche (§ 93b Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BSHG).
Dem Abschluss einer rückwirkenden Leistungsvereinbarung steht auch nicht,
wie das Berufungsgericht meint, entgegen, „dass nach der Art der Leistung die-
se nachträglich nicht mehr verändert erbracht werden kann“ (UA S. 24). Denn in
der Leistungsvereinbarung werden Inhalt, Umfang und Qualität der zu erbrin-
genden Leistungen vereinbart. Das schließt es zwar aus, nachträglich das Aus-
maß der zu erbringenden Leistungen nach Inhalt, Umfang und Qualität auf ein
Niveau über das Erbrachte hinaus anzuheben und zu vereinbaren, denn eine
solche weitergehende Leistungspflicht wäre auf Unmögliches gerichtet. Das
schließt es aber nicht aus, nachträglich das Ausmaß der zu erbringenden Leis-
tungen nach Inhalt, Umfang und Qualität auf das Niveau des Erbrachten oder
ein Niveau darunter zu vereinbaren.
Da die von der Beschwerde aufgeworfene Frage durch das Urteil des Senats
vom 4. August 2006 bereits geklärt ist, scheidet eine Zulassung wegen grund-
sätzlicher Bedeutung aus; möglich bleibt aber eine Zulassung wegen nachträg-
licher Divergenz (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. Januar 2000 - 2 BvR
2125/97 - DVBl 2000, 407; BVerwG, Beschluss vom 7. Januar 1993 - BVerwG
4 NB 42.92 - NVwZ-RR 1993, 513). Denn zu der fristgerecht als grundsätzlich
klärungsbedürftig aufgeworfenen Rechtsfrage, hat das Berufungsgericht den
der Senatsentscheidung vom 4. August 2006 widersprechenden und seine Ent-
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scheidung im Umfang des Zulassung tragenden Rechtssatz aufgestellt, dass
Leistungsvereinbarungen nicht rückwirkend abgeschlossen werden dürfen.
Soweit die Beschwerde zurückgewiesen worden ist, beruht die Kostenentschei-
dung auf § 154 Abs. 2 VwGO. Nach § 188 Satz 2 VwGO besteht Gerichtskos-
tenfreiheit.
Rechtsmittelbelehrung
Das Beschwerdeverfahren wird, soweit die Revision zugelassen worden ist, als
Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 5 C 24.07 fortgesetzt; der
Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu
begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simson-
platz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (Verordnung vom
26. November 2004, BGBl I S. 3091) einzureichen.
Für den Revisionskläger besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Be-
gründung der Revision. Der Revisionskläger muss sich durch einen Rechtsan-
walt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des
Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtig-
ten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behör-
den können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum
Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften
ferner durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zu-
ständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes
des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen. In derselben
Weise muss sich jeder Beteiligte vertreten lassen, soweit er einen Antrag stellt.
Hund Schmidt Dr. Franke
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