Urteil des BVerwG vom 03.09.2004

Rückforderung, Familie, Unrichtigkeit, Beweisantrag

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 75.04
OVG 4 LB 168/03
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. September 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht S c h m i d t und Dr. F r a n k e
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwal-
tungsgerichts vom 26. Mai 2004 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Ge-
richtskosten werden nicht erhoben.
G r ü n d e :
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Nieder-
sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 26. Mai 2004 hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO) zuzulassen.
Die Beschwerde macht hierzu geltend, es sei für die Fälle der Rückforderung von
Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob "Vermögen des zur Zeit der Hilfegewährung bereits geschiedenen Ehemannes
der Klägerin wie eigenes" anzurechnen sei (Nr. 1. des Beschwerdevorbringens). In-
dem die Beschwerde dem Berufungsgericht dazu als rechtsfehlerhaft vorhält (Nr. 2.4.
des Beschwerdevorbringens), es habe trotz der aus den Akten ersichtlichen
Scheidung der Eheleute K. zum 4. März 1997 und des damit verbundenen Sorge-
rechtsentzugs des Zeugen K. für seine Kinder dessen Ehefrau und den minderjähri-
gen Kindern weiterhin sein vorsätzliches Verschweigen von Vermögen zugerechnet,
obwohl "spätestens seit der Scheidung und Sorgerechtsentscheidung zugunsten der
Klägerin zu 1. … der Zeuge K. … nicht mehr für die ganze Familie, sondern nur noch
für sich selbst" handele (gleiches dürfe für die Trennungszeit gelten), mag hiermit
zwar die Zurechenbarkeit von Wissen und Handeln eines Anderen als Vorausset-
zung für die Rückforderung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz
als klärungsbedürftige Rechtsfrage aufgeworfen worden sein, der grundsätzliche Be-
deutung zukomme, weil Fälle, "in denen Ehepartner, Lebensgefährten oder Famili-
enangehörige" trotz Trennung bei Leistungsbezug zur Rückzahlung herangezogen
werden könnten, keine Einzelfälle seien (Nr. 4. des Beschwerdevorbringens). Diese
von der Klägerin erst im Beschwerdeverfahren angesprochene Rechtsfrage wäre in
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einem Revisionsverfahren aber nicht klärungsfähig. Denn im Falle einer Revisionszu-
lassung müsste das Bundesverwaltungsgericht im Tatsächlichen von den Feststel-
lungen des Berufungsgerichts ausgehen (§ 137 Abs. 2 VwGO). Nach den tatsächli-
chen Feststellungen des Berufungsgerichts ist der Zeuge K. zwar von seiner damali-
gen Ehefrau geschieden, das Berufungsurteil enthält jedoch keinerlei tatsächliche
Feststellungen zum Zeitpunkt der Scheidung. Ergibt sich aber aus den tatsächlichen
Feststellungen nicht, dass die Scheidung vor dem Ende der hier streitgegenständli-
chen Zeit vom 3. September 1996 bis zum 16. März 1998 wirksam geworden ist,
stellt sich die von der Beschwerde als grundsätzlich klärungsbedürftig betrachtete
Rechtsfrage nicht. Tatsächliche Feststellungen des Berufungsgerichts in dieser Rich-
tung waren auch nicht veranlasst. Zum einen ist die Relevanz des Scheidungszeit-
punktes vor dem Berufungsgericht nicht geltend gemacht worden, zum anderen hat
der Zeuge K. unbestritten bis ins Jahr 1999 bei seiner jetzt ehemaligen Familie gelebt
und in der hier streitgegenständlichen Zeit vom 3. September 1996 bis zum 16. März
1998 für diese gehandelt.
Soweit die Beschwerde der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung "auch hinsicht-
lich der über die bisherige Rechtsprechung hinausgehende Einschränkung der Be-
gründungspflicht in so genannten Normalfällen" beimisst, wendet sie sich, ohne eine
rechtsgrundsätzlicher Klärung zugängliche oder bedürftige Frage aufzuzeigen, der
Sache nach gegen die einzelfallbezogene Bewertung des Berufungsgerichts, dass
der Beklagte das ihm nach § 45 SGB X eingeräumte Rücknahmeermessen erkannt
und ausreichend ausgeübt habe, weil es sich im Sinne der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 17. September 1987 - BVerwG 5 C 26.84 -
BVerwGE 78, 101) um einen Regelfall gehandelt habe und atypische Umstände,
welche die Annahme eines Regelfalles in Frage stellen würden, nicht ersichtlich
seien.
2. Die Revision ist auch nicht deswegen zuzulassen, weil das Berufungsgericht von
der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen wäre (Zulassungs-
grund des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
Die Beschwerde bezeichnet bereits entgegen § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO keinen von
dem Berufungsgericht aufgestellten Rechtssatz, der von einem in der Rechtspre-
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chung des Bundesverwaltungsgerichts zu derselben Rechtsnorm aufgestellten
Rechtssatz abweicht. Das Berufungsgericht ist vielmehr von der Notwendigkeit, dass
das in § 45 SGB X eingeräumte Rücknahmeermessen auch erkennbar zu betätigen
und dies zu begründen ist, ausgegangen und hat weiterhin im Einklang mit der he-
rangezogenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 78, 101)
dahin erkannt, dass bei Vorliegen eines der Sachverhalte des § 45 Abs. 2 Satz 3
Nr. 1 bis 3 SGB X "die Ermessensbetätigung der Behörde im Normalfall zur Rück-
gängigmachung des Verwaltungsaktes führen wird". Soweit die Beschwerde demge-
genüber geltend macht, dass der jenem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu
Grunde liegende Sachverhalt anders gelagert gewesen sei, bedeutete dies allenfalls
eine fehlerhafte Anwendung eines nicht bestrittenen Rechtssatzes im Einzelfall. Einer
Abweichung von den - nicht näher bezeichneten - Grundsätzen, die das Bundes-
verwaltungsgericht in seinem Urteil vom 9. Dezember 1992 (BVerwGE 91, 262
<268>) aufgestellt hat, steht bereits entgegen, dass sich dieses Urteil zu den Anfor-
derungen an die schriftliche Begründung der Bewertung bei schriftlichen Prüfungsar-
beiten verhält.
3. Die Revision ist schließlich auch nicht deswegen zuzulassen, weil ein Verfah-
rensmangel geltend gemacht ist und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen
kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
3.1. Das Berufungsgericht hat Verfahrensrecht nicht dadurch verletzt, dass es Briefe
des Bruders des Zeugen K. als "schlichte Gefälligkeitserklärungen ohne rechtliche
Relevanz" eingeordnet hat, ohne diesen als Zeugen zu vernehmen (Nr. 2.1 des Be-
schwerdevorbringens). Die Vernehmung des Bruders des Zeugen K. als Zeuge
musste sich dem Gericht - namentlich nach dem Ergebnis der durchgeführten Be-
weisaufnahme - nicht aufdrängen; ein entsprechender Beweisantrag ist ausweislich
der Sitzungsniederschrift, deren Unrichtigkeit die Beschwerde nicht geltend macht, in
der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nicht gestellt und daher vom
Berufungsgericht auch nicht übergangen worden.
3.2. Das Vorbringen der Beschwerde zu der Bewertung der Bewegungen auf dem
Konto des Zeugen K. (Nr. 2.2. des Beschwerdevorbringens) und der Einordnung der
vom Zeugen K. geltend gemachten unquittierten Übergabe von Geld (Nr. 2.5. des
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Beschwerdevorbringens) wendet sich ohne Darlegung von Verfahrensfehlern gegen
die einzelfallbezogene Würdigung des Sachverhalts und die Beweiswürdigung, die
zudem dem materiellen Recht zuzuordnen ist.
3.3. Eine verfahrensfehlerhafte Nichtberücksichtigung entscheidungserheblichen
Vorbringens legt auch nicht das Vorbringen der Beschwerde zur Verwertung der bei-
gezogenen Verwaltungsvorgänge in Bezug auf den Zeitpunkt der Scheidung der Ehe
des Zeugen K. dar (Nr. 2.3. des Beschwerdevorbringens). Diesen Zeitpunkt sollen
erneut Ablichtungen vor dem Standesbeamten der Gemeinde L. abgegebener ei-
desstattlicher Versicherungen vom 26. April 1999 und die Übersetzung eines auf den
4. März 1997 datierenden, nach der Übersetzung vom Amtsgericht in Klina erlasse-
nen Scheidungsurteils belegen. Es fehlt hierzu aber bereits an der erforderlichen
Darlegung, dass und aus welchen Gründen es nach der - insoweit maßgeblichen -
Rechtsansicht des Berufungsgerichts nach materiellem Recht für den Vermögens-
einsatz auf den Zeitpunkt der Ehescheidung ankommen könnte; das Beschwerde-
vorbringen und die zu dessen Stützung vorgelegten Urkunden verhalten sich insbe-
sondere nicht zu der Frage, zu welchem Zeitpunkt das Zusammenleben im selben
Haushalt (§ 7 Abs. 1 Satz 1 AsylblG) beendet worden ist.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit
folgt aus § 188 Satz 2 VwGO.
Dr. Säcker
Schmidt
Dr. Franke